Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Streitig ist die Familienversicherung des Klägers.
Die Mutter des im Juni 1992 geborenen Klägers war versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Die Mitgliedschaft bestand während ihres Erziehungsurlaubs fort. Ihr Ehemann und Vater des Klägers ist Beamter und privat krankenversichert. Sein Bruttoeinkommen lag im Jahre 1992 mit monatlich 5.481 DM über der auf den Monat bezogenen Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAE-Grenze) in der Krankenversicherung von seinerzeit 5.100 DM. Die Beklagte lehnte den Antrag der Mutter, die Familienversicherung des Klägers festzustellen, mit dem an diese gerichteten Bescheid vom 17. Juli 1992 und Widerspruchsbescheid vom 11. November 1992 ab.
In dem anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) das Aktivrubrum dahin geändert, daß an die Stelle der klagenden Mutter der Kläger getreten ist, gesetzlich vertreten durch seine Eltern. Es hat die Klage sodann abgewiesen (Urteil vom 26. Oktober 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 8. Juni 1995). Die Familienversicherung des Klägers sei nach § 10 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs -. Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ausgeschlossen. Das monatliche Bruttoeinkommen des Vaters des Klägers, der nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sei, übersteige ein Zwölftel der JAE-Grenze. Der Ausschluß des Klägers von der Familienversicherung sei auch nicht verfassungswidrig.
Nach Abschluß des Berufungsverfahrens endete die Mitgliedschaft der Mutter des Klägers bei der Beklagten am 22. Juni 1995. Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs. 1 und des Art 6 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG vom 8. Juni 1995 und das Urteil des SG vom 26. Oktober 1993 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1992 aufzuheben und festzustellen, daß der Kläger in der Zeit vom 23. Juni 1992 bis 22. Juni 1995 bei der Beklagten familienversichert war.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Vorschrift des § 10 Abs. 3 SGB V für verfassungsgemäß.
Die vom Senat beigeladene Mutter des Klägers hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist i.S. einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das LSG begründet. Aufgrund der vom LSG festgestellten Tatsachen kann der Senat nicht entscheiden, ob der angefochtene Bescheid einfachrechtlich rechtmäßig ist. Außerdem ist ein Vorverfahren nachzuholen.
Nach § 10 Abs. 3 Halbs 1 SGB V sind Kinder nicht versichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der JAE-Grenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist. Ein dieser Vorschrift im wesentlichen gleicher Ausschlußtatbestand wurde bereits durch Art 1 § 1 Nr. 18 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes vom 27. Juni 1977 (BGBl. I 1069) mit Wirkung vom 1. Juli 1977 in die damalige Regelung der Familienhilfe (§ 205 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung RVO ) eingefügt. Ebenfalls am 1. Juli 1977 trat das Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) in Kraft, dessen § 16 eine Begriffsbestimmung des Gesamteinkommens enthält. Danach ist Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts; es umfaßt insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen. Im Fraktionsentwurf eines Gesundheits-Reformgesetzes vom 3. Mai 1988 war zu Art 1 (SGB V) § 10 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 "Gesamteinkommen" jeweils durch "Einnahmen zum Lebensunterhalt" ersetzt worden (BT-Drucks. 11/2237 S. 13). Damit sollte "der durch steuerrechtliche Besonderheiten geprägte Begriff des Gesamteinkommens (§ 16 SGB IV) durch den hier sinnvolleren und am Bruttoprinzip orientierten Begriff 'Einnahmen zum Lebensunterhalt' ersetzt" werden (vgl. Begründung zu Art 1 § 10 Abs. 1 bis 4, BT-Drucks. 11/2237 S. 161). Dieser Vorschlag ist nicht Gesetz geworden. Vielmehr wurden die im Fraktionsentwurf vorgesehenen "Einnahmen zum Lebensunterhalt" durch "Gesamteinkommen" ersetzt. Dies sollte bewirken, daß insbesondere der Bezug steuerfreier Sozialleistungen nicht zum Ausscheiden aus der Familienversicherung führen kann (so der Ausschußbericht zu Art 1 § 10 Abs. 1 Nr. 5 vom 24. November 1988, BT-Drucks. 11/3480 S. 49). Somit bestehen keine Zweifel, daß sich das "Gesamteinkommen" i.S. des § 10 Abs. 3 SGB V nach § 16 SGB IV bestimmt, daß es sich mithin nicht vom "Gesamteinkommen" in § 205 Abs. 1 Satz 2 RVO unterscheidet und daß daher auch für seine Auslegung die bisherige Rechtsprechung zu § 16 SGB IV und § 205 Abs. 1 Satz 2 RVO herangezogen werden kann.
Das Urteil des LSG enthält keine hinreichenden Feststellungen darüber, wie hoch das Gesamteinkommen des Ehemannes der Beigeladenen in dem Zeitraum war, für den der Kläger die Feststellung seiner Familienversicherung begehrt, d.h. in der Zeit von Juni 1992 bis Juni 1995. Das LSG hat lediglich das monatliche Bruttoeinkommen im Jahre 1992 festgestellt. Soweit es sich hierbei um die monatlichen Bruttobezüge aus dem Dienstverhältnis des Ehemannes der Beigeladenen als Beamter handelte, gehören diese allerdings nach der Einkunftsart zu den Einkünften i.S. des Einkommensteuerrechts, nämlich den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes EStG ). Einkünfte sind insoweit aber nicht der Bruttoverdienst, sondern der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Die Höhe dieses Überschusses ist vom LSG nicht festgestellt worden. Zu den Einkünften i.S. des Einkommensteuerrechts gehören darüber hinaus Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung sowie aus sonstigen Einkünften i.S. des § 22 EStG (§ 2 Abs. 1 EStG). Es fehlen Feststellungen des LSG, ob der Ehemann der Beigeladenen über solche Einkünfte verfügte, ggf in welcher Höhe. Die erforderlichen Feststellungen können seinem Urteil auch nicht unter Hinzuziehung der Verwaltungsakte der Beklagten entnommen werden. Diese enthält zwar einen von der Beigeladenen und ihrem Ehemann ausgefüllten Fragebogen. Darin wurde aber nur nach dem monatlichen Bruttoeinkommen des Ehemannes und des Kindes, d.h. hier des Klägers, gefragt, nicht nach dem Gesamteinkommen i.S. des § 16 SGB IV. Der Fragebogen enthält dementsprechend auch nur die Angabe des vom LSG festgestellten monatlichen Bruttoeinkommens von 5.481 DM für das Jahr 1992.
Feststellungen über das Gesamteinkommen der Beigeladenen, das bei einem Ausschluß des Klägers aus der Familienversicherung nach § 10 Abs. 3 SGB V regelmäßig niedriger liegen muß als das Gesamteinkommen des Ehemannes, fehlen gänzlich. Die erforderlichen Feststellungen können in der Revisionsinstanz, die auf eine rechtliche Überprüfung der angefochtenen Entscheidung beschränkt ist, nicht nachgeholt werden.
Da das Urteil des LSG keine ausreichende Grundlage für eine einfachrechtliche Entscheidung bildet, hat der Senat von Ausführungen zu möglicherweise auftretenden verfassungsrechtlichen Fragen abgesehen. Vielmehr war auf die Revision des Klägers das Urteil des LSG aufzuheben, damit zunächst der Sachverhalt aufgeklärt werden kann.
Um die Sache einfachrechtlich entscheiden zu können, hat das LSG Feststellungen über das Gesamteinkommen der Beigeladenen und das ihres Ehemannes zu treffen. Hierzu empfiehlt es sich, für das Jahr 1992 und die Folgejahre die Einkommensteuerbescheide, bei gemeinsamer Veranlagung die gemeinsamen Einkommensteuerbescheide heranzuziehen. Ergibt sich, daß die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V nicht erfüllt sind, ist wegen § 10 Abs. 1 Nr. 5 (seit 1995: § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5) SGB V auch das Gesamteinkommen des Klägers festzustellen.
Nur wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 SGB V erfüllt sind, ist zu prüfen, ob der Kläger durch die Anwendung dieser Vorschrift in seinen Grundrechten verletzt ist und inwiefern die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift zweifelhaft ist, nachdem zu der früheren Regelung höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt. Das LSG hat Verfassungswidrigkeit zwar verneint, jedoch wegen der verfassungsrechtlichen Frage die Revision zugelassen. Unter diesen Umständen mußte es alle Feststellungen treffen, die erforderlich sind, um unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers die Entscheidungserheblichkeit einer verfassungsrechtlichen Frage aufzuzeigen und die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit vorzunehmen. Hierzu ist festzustellen, ob die Familienversicherung nicht auch noch aus anderen Gründen zu versagen ist. Denn der Kläger kann - wenn überhaupt - durch § 10 Abs. 3 SGB V nur dann in seinen Grundrechten verletzt sein, wenn allein die Anwendung dieser Vorschrift die Familienversicherung ausschließt. Da die verfassungsrechtliche Prüfung unter Berücksichtigung der Verhältnisse des vorliegenden Sachverhalts erfolgen muß, sind auch die Tatsachen, die etwaige verfassungsrechtliche Bedenken rechtfertigen sollen, festzustellen, bevor aus diesen Gründen eine Revision zugelassen wird. In diesem Fall kann insofern von Bedeutung sein, ob für den Kläger bei Krankheit Anspruch auf Beihilfe bestand, welche Aufwendungen für seinen privaten Krankenversicherungsschutz oder eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten erforderlich waren oder gewesen wären und ob die Beigeladene zu Beiträgen herangezogen worden ist, ggf nach welchen beitragspflichtigen Einnahmen und in welcher Höhe.
Das LSG wird vor seiner Entscheidung außerdem der Beklagten Gelegenheit geben müssen, das Widerspruchsverfahren im Verhältnis zum Kläger abzuschließen.
Vor dem SG ist der bis dahin nicht am Rechtsstreit beteiligte Kläger an die Stelle seiner ursprünglich klagenden Mutter, der jetzigen Beigeladenen, getreten. Darin lag ein Beteiligtenwechsel, der eine Klagänderung i.S. des § 99 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darstellt. Die Klagänderung war zulässig, weil das SG sie für zulässig gehalten hat und im übrigen die Beteiligten eingewilligt haben, in dem sie sich auf die geänderte Klage widerspruchslos eingelassen haben (§ 99 Abs. 1, 2 SGG). Auch für die geänderte Klage müssen jedoch die Prozeßvoraussetzungen erfüllt sein (BSG vom 29. Juni 1993 - 12 RK 13/93 - USK 93109).
Zur Zulässigkeit einer Anfechtungsklage, wie sie vom Kläger in erster Linie erhoben worden ist, gehören das Vorliegen eines Verwaltungsaktes (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG) sowie die Durchführung eines Vorverfahrens (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG). Hier war ein Verwaltungsakt über das Nichtbestehen der Familienversicherung ergangen, der zwar an die Beigeladene als Stammversicherte gerichtet war, jedoch auch den Kläger in seinem eigenen Recht auf Versicherung nach § 10 SGB V betraf (vgl. BSGE 72, 292 = SozR 3-2500 § 10 Nr. 2). Der Kläger konnte sich selbst gegen den Bescheid wenden und die Feststellung seiner Familienversicherung betreiben (vgl. BSG USK 93109). Der Umstand, daß der Kläger den Bescheid vom 17. Juli 1992 anfechten konnte, obwohl er nicht dessen Adressat war, machte jedoch nicht das Vorverfahren entbehrlich; eine solche Rechtsfolge hätte der Bescheid allenfalls gehabt, wenn es sich bei ihm bereits um einen Widerspruchsbescheid handelte, der den Kläger erstmalig beschwerte (vgl. Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 5. Aufl. 1993, § 78 Rdnr. 7). Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Wie der Senat bereits entschieden hat, kann auf das Vorverfahren bei einem Beteiligtenwechsel wie dem vorliegenden auch nicht deshalb verzichtet werden, weil der ursprünglich klagende Stammversicherte einen Widerspruchsbescheid erhalten hat (vgl. BSG USK 93109).
Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 17. Juli 1992 ist in seiner Klage zu sehen (vgl. BSGE 65, 105, 107 = SozR 1500 § 78 Nr. 27 S. 41). Die Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 SGG hatte er nicht einzuhalten, weil der Bescheid ihm nicht bekanntgegeben und daher ihm gegenüber keine Frist in Lauf gesetzt worden war. Die Bekanntgabe an die Beigeladene ist ihm nicht zuzurechnen. Zwar genügt für die Wirksamkeit von Willenserklärungen, die gegenüber einem Kind abzugeben sind, auch die Erklärung gegenüber einem Elternteil (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 Halbs 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die Beklagte hat diesen Bescheid jedoch der Beigeladenen nicht als gesetzliche Vertreterin des Klägers, sondern in ihrer Eigenschaft als Stammversicherte bekanntgegeben.
Das gleichzeitig mit der Klage eingeleitete Widerspruchsverfahren ist bisher nicht durch einen an den Kläger gerichteten und ihm zugestellten Widerspruchsbescheid (§ 85 Abs. 2, 3 SGG) abgeschlossen worden. Der gegenüber dem Kläger zu erlassende Widerspruchsbescheid kann nicht in Prozeßerklärungen der Beklagten gesehen werden (vgl. BSG SozR 1500 § 78 Nr. 8), weil hier die Beklagte und die Widerspruchsstelle nicht identisch sind (BSG SozR 1500 § 78 Nr. 15 und BSGE 65, 105, 107 = SozR 1500 § 78 Nr. 27; BSG USK 93109). Die Beklagte hat für die Durchführung des Vorverfahrens Widerspruchsstellen bestimmt (§ 85 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Die Anfechtungsklage des Klägers ist unzulässig, solange das Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist. Dieses kann nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch noch während des Rechtsstreits in der Tatsacheninstanz nachgeholt werden (BSGE 55, 250, 252 = SozR 1300 § 50 Nr. 3). Um den Beteiligten dazu Gelegenheit zu geben, war der Rechtsstreit ebenfalls an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen
Haufe-Index 517609 |
SGb 1998, 272 |