Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Einmalzahlung. Überstundenvergütung. Folgebescheid. Verdienst. Bemessungszeitraum. Lohnsteuerklasse. Familienstatus. Erhöhung des Bemessungsentgelts. Übergangsvorschrift. Korrektur des Bemessungsentgelts. Unzulässige Rückwirkung. Bestandskraft. Zugunstenentscheidung. Leistungsentgeltverordnung. Dynamisierungsbescheid
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Übergangsregelung des § 434c Abs. 1 SGB III ist Spezialvorschrift bezüglich der Korrektur des Bemessungsentgelts wegen nicht berücksichtigter Einmalzahlungen für den Zeitraum 01.01.1997 bis 31.12.2000. § 434c Abs. 1 SGB III geht gem. § 37 SGB I den allgemeinen Vorschriften der §§ 44, 48 SGB X vor.
2. Unter den Anwendungsbereich des § 434c Abs. 1 S. 2 SGB III fallen bis zur Entscheidung des BVerfG vom 24.05.2000 (1 BvL 1/98, 1 BvL 4/98, 1 BvL 15/99) noch nicht bestandskräftig beendete Überprüfungsverfahren. Bei unanfechtbaren Bewilligungsbescheiden scheidet eine Erhöhung des Bemessungsentgelts für die Zeit vor dem 22.06.2000 aus.
Normenkette
SGG §§ 96, 163; SGB X § 44 Abs. 1; SGG § 48; SGB III § 134 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, § 434c Abs. 1, § 330 Abs. 1, § 427 Abs. 5; AFG §§ 117, 117a, 119, 119a, 110, 112 Abs. 1 S. 2, § 152 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1; BVerfGG § 79 Abs. 2, § 31 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. Oktober 2001 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Zahlung höheren Arbeitslosengeldes (Alg) für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 4. Oktober 1998.
Der 1944 geborene Kläger war vom 1. August 1989 bis 31. Juli 1996 bei der Firma G.… GmbH in F.… beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Auflösungsvertrag vom 13. Juni 1996 gegen Zahlung einer Abfindung beendet. In den letzten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses erhielt der Kläger nach den Ausführungen des Landessozialgerichts (LSG) neben seinem Grundgehalt Überstundenvergütungen, Urlaubsgeld sowie eine anteilige Jahressonderzahlung (“13. Monatsgehalt”).
Der Kläger meldete sich zum 1. August 1996 arbeitslos und stellte einen Antrag auf Gewährung von Alg. Im Hinblick auf eine ihm von der Arbeitgeberin gezahlte Urlaubsabgeltung gewährte ihm die Beklagte erst ab 7. August 1996 Alg für 676 Tage nach einem Bemessungsentgelt von 1.010,00 DM (bestandskräftiger Bescheid vom 8. August 1996). Mit Beginn des Jahres 1997 wurde die Höhe der Leistung der neuen Leistungsverordnung (1997) angepasst (bestandskräftiger Änderungsbescheid vom 10. Januar 1997).
Am 4. März 1997 beantragte der Kläger eine Überprüfung des ihm bewilligten Alg, weil in dem Bemessungsentgelt weder Einmalzahlungen noch Überstundenvergütungen berücksichtigt seien und somit ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Grundgesetz (GG) im Hinblick auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 1995 (BVerfGE 92, 53 ff = SozR 3-2200 § 385 Nr 6) anzunehmen sei. Die Beklagte lehnte die Gewährung einer höheren Leistung ab (Bescheid vom 17. März 1997; Widerspruchsbescheid vom 29. April 1997). Mit Beginn des Jahres 1998 wurde die Höhe des Alg der Leistungsentgeltverordnung 1998 angepasst (Bescheid vom 23. Januar 1998). Ab 1. Juli 1998 wurde ein dynamisiertes Bemessungsentgelt in Höhe von 1.020,00 DM zu Grunde gelegt (Bescheid vom 28. Juli 1998).
Die Klage auf höheres Alg blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 29. September 1998; Urteil des LSG vom 19. Oktober 2001). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Bescheide vom 23. Januar und 28. Juli 1998 seien nicht gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden. Die insoweit erhobenen Klagen seien wegen Versäumung der Klagefristen (§ 87 SGG) sowie wegen Fehlens der erforderlichen Vorverfahren (§ 78 SGG) unzulässig. Bei Erlass der Entscheidung vom 8. August 1996 – und damit auch des Bescheids vom 10. Januar 1997 – seien Einmalzahlungen zu Recht gemäß § 112 Abs 1 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) unberücksichtigt geblieben. Nachdem der Gesetzgeber auf Grund der Entscheidung des BVerfG vom 11. Januar 1995 mit Wirkung ab 1. Januar 1997 eine Neuregelung geschaffen habe, die jedoch ebenfalls Einmalzahlungen nicht berücksichtigt habe, sei § 112 Abs 1 Satz 2 AFG ebenso wie die Folgeregelung des § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) vom BVerfG erst mit Beschluss vom 24. Mai 2000 für mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar erklärt worden. Dabei sei dem Gesetzgeber aber nur aufgegeben worden, durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt würden, soweit über deren Gewährung für die Zeit nach dem 1. Januar 1997 nicht bestandskräftig entschieden gewesen sei. Es sei dem Gesetzgeber unbenommen geblieben, statt einer individuellen Neuberechnung der Altfälle aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Bemessungsentgelte pauschal um 10 % anzuheben. Eine dementsprechende Regelung sei mit Wirkung vom 1. Januar 2001 durch § 434c Abs 1 SGB III erfolgt, die darauf abstelle, ob Ansprüche am 21. Juni 2000 (dem Tag der Bekanntgabe des Beschlusses des BVerfG) rechtskräftig beschieden gewesen seien. Danach könne das dem Alg des Klägers zu Grunde liegende Bemessungsentgelt nicht erhöht werden, weil die Bescheide vom 8. August 1996 und 10. Januar 1997 am 21. Juni 2000 bestandskräftig gewesen seien. Soweit der Kläger die Nichtberücksichtigung von Überstundenvergütungen beanstande, verkenne er, dass das BVerfG die gesetzliche Regelung über die Nichtberücksichtigung von Mehrarbeitszuschlägen im Zusammenhang mit dem Bemessungsentgelt nicht für verfassungswidrig erklärt habe.
Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 48 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X), § 152 AFG und § 330 SGB III. Er ist der Ansicht, im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 sei nicht § 44 Abs 1 SGB X, sondern § 48 Abs 1 SGB X anwendbar, weil sich die Rechtslage nachträglich ab 1. Januar 1997 geändert habe. Mit dieser Entscheidung sei die Bewilligung von Alg hinsichtlich ihrer Höhe ab 1. Januar 1997 rechtswidrig geworden. § 434c Abs 1 SGB III könne die Korrekturmöglichkeit des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X nicht nachträglich beseitigen. Die Entscheidungen der Beklagten vom 8. August 1996 und 10. Januar 1997 seien deshalb, soweit sie die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen für die Berechnung des zu Grunde liegenden Bemessungsentgelts beträfen, für die Zeit ab 1. Januar 1997 aufzuheben. Da die nachträgliche Berechnung des Bemessungsentgelts unter Geltung des SGB III zu erfolgen habe, handele es sich um einen Sachverhalt iS des § 427 Abs 5 Satz 1 SGB III, der nach dem 31. Dezember 1997 eingetreten sei und zur Neuberechnung des Bemessungsentgelts ab 1. Januar 1998 zwinge. Für die Zeit ab 1. Januar 1998 seien deshalb auch die im Bemessungszeitraum gezahlten Überstundenvergütungen in vollem Umfang für die Berechnung des Bemessungsentgelts zu berücksichtigen, weil das SGB III dies im Gegensatz zum AFG nicht ausschlösse.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. März 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Abänderung der Bescheide vom 8. August 1996, 10. Januar 1997, 23. Januar 1998 und 28. Juli 1998 höheres Alg ab 1. Januar 1997 nach einem höheren Bemessungsentgelt als anfänglich 1.010,00 DM zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist auf die ihres Erachtens zutreffenden Gründe der Entscheidung des LSG. Sie ist im Übrigen der Ansicht, § 434c Abs 1 SGB III enthalte eine eigenständige Übergangsregelung, mit der der Gesetzgeber dem Rechtsgedanken des § 79 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) folge. Diese Regelung gehe den allgemeinen Regelungen der §§ 44, 48 SGB X vor.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Es fehlen noch tatsächliche Feststellungen des LSG, um abschließend darüber entscheiden zu können, ob dem Kläger für den streitigen Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis 4. Oktober 1998 höheres Alg zusteht.
Allerdings hat das LSG zu Recht entschieden, dass weder – ab 1. Januar 1997 – Einmalzahlungen bei der Bemessung des Alg zu berücksichtigen sind noch die für den Kläger günstigeren Regelungen des SGB III zu den Überstundenvergütungen mit Wirkung ab 1. Januar 1998 höhere Leistungen rechtfertigen. Insoweit ist der im Revisionsverfahren zu überprüfende Bescheid der Beklagten vom 17. März 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. April 1997, mit dem die Beklagte die Abänderung der bestandskräftigen Bescheide vom 8. August 1996 und 10. Januar 1997 und die Gewährung von höherem Alg abgelehnt hat, nicht zu beanstanden.
Ob der Senat von Amts wegen auch über die Bescheide vom 23. Januar 1998 und 28. Juli 1998 zu befinden hätte (vgl allgemein zur Nichtberücksichtigung von Folgebescheiden gemäß § 96 SGG ohne entsprechende Rüge: BSG SozR 3-2500 § 5 Nr 26 S 90 f; SozR 3-2500 § 57 Nr 4 S 9 f; SozR 3-4100 § 249e Nr 5 S 41), weil das LSG die entsprechenden Klagen ausdrücklich als unzulässig abgewiesen und nicht nur überhaupt nicht entscheiden hat, kann vorliegend dahinstehen. Die Sache ist aus anderen Gründen ohnedies an das LSG zurückzuverweisen, sodass das LSG erneut darüber zu befinden haben wird, ob die Voraussetzungen des § 96 SGG vorliegen.
Mangels tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kann über einen Anspruch des Klägers auf höheres Alg für den (gesamten) streitigen Zeitraum (ab 1. Januar 1997) nicht abschließend entschieden werden. Die angegriffene Entscheidung des LSG enthält weder Feststellungen zum Verdienst des Klägers im Bemessungszeitraum, und zwar weder hinsichtlich des Lohn- noch des Zeitfaktors, noch Feststellungen zur Steuerklasse und zum Familienstatus (Vorhandensein eines Kindes). Deshalb kann der Senat schon nicht (gemäß § 44 Abs 1 SGB X iVm § 330 Abs 1 SGB III) überprüfen, ob bzw inwieweit die Beklagte zu Unrecht Überstundenvergütungen nicht berücksichtigt hat (vgl zu diesem Problem zuletzt das Senatsurteil vom 25. Juni 1999 – B 7 AL 16/98 R –, DBlR Nr 4546a zu § 112 AFG). Sollte dem Kläger an sich höheres Alg zustehen, müssten Feststellungen auch dazu erhoben werden, ob ggf eine Verurteilung der Beklagten für Teilzeiträume wegen §§ 117, 117a, 119, 119a, 110 AFG ausscheidet.
Zu Recht hat das LSG allerdings entschieden, dass dem Kläger höheres Alg nicht unter Berücksichtigung von einmaligen oder wiederkehrenden Zuwendungen bzw von einmalig gezahltem Arbeitsentgelt zusteht. Mit seiner Entscheidung vom 24. Mai 2000 (BVerfGE 102, 127 ff = SozR 3-2400 § 23a Nr 1) hat das BVerfG ua die Regelung des § 112 Abs 1 Satz 2 AFG in der bis 31. Dezember 1997 geltenden Fassung und die Nachfolgeregelung des § 134 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB III in der vor dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung für mit Art 3 Abs 1 GG unvereinbar erklärt, soweit nach diesen Regelungen einmalige und wiederkehrende Zuwendungen (AFG) bzw einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (SGB III) bei der Bemessung des Alg außer Betracht blieben. In der zitierten Entscheidung hat das BVerfG jedoch gleichzeitig ausgesprochen, der Gesetzgeber habe durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt würden, über deren Gewährung für die Zeit ab dem 1. Januar 1997 noch nicht bestandskräftig entschieden worden sei. Dem Gesetzgeber bleibe es (insoweit) unbenommen, statt einer individuellen Neuberechnung der Altfälle aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Bemessungsentgelte pauschal um 10 vH anzuheben. Das BVerfG hat mithin eine rückwirkende Korrektur nur für nicht bestandskräftige Altfälle angeordnet.
Diese das Verhalten des Gesetzgebers steuernden Hinweise des BVerfG iS eines Rechtsfolgenmanagements (vgl dazu: BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 42; Spellbrink/ Hellmich, SGb 2001, 605, 610) hat der Gesetzgeber mit der – schon deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (vgl zum Stichtag 1. Januar 1997 und zur Pauschalierung Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 20. Februar 2002 – B 11 AL 61/01 R –, DBlR Nr 4746a zu § 112 AFG) – Vorschrift des § 434c Abs 1 SGB III in vollem Umfang aufgegriffen und umgesetzt. In Abs 1 des mit dem Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz vom 21. Dezember 2000 (BGBl I 1971) mit Wirkung ab 1. Januar 2001 in das SGB III eingefügten § 434c wird angeordnet, dass eine pauschale – keine individuelle – Erhöhung des Bemessungsentgelts ab 1. Januar 1997 um 10 % vorzunehmen ist (Satz 1), dass dies aber nur für Ansprüche gilt, über die am 21. Juni 2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war; anderenfalls erfolgt die Erhöhung erst vom 22. Juni 2000 an (Satz 2). § 434c Abs 1 SGB III stellt damit eine spezielle Übergangsvorschrift dar, soweit es um die Korrektur des Bemessungsentgelts wegen nicht berücksichtigter Einmalzahlungen für die Übergangszeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 2000 geht; diese spezielle Regelung geht den allgemeinen Regeln der §§ 44, 48 SGB X gemäß § 37 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – vor (Schlegel in Hennig, SGB III, § 434c RdNr 4, Stand März 2001; Valgolio in Hauck/Noftz K § 434c RdNr 3, Stand Oktober 2002). Erst sie hat den auf Grund der Unvereinbarkeitserklärung des BVerfG zunächst bestehenden Schwebezustand beendet und entscheidungskonform konkretisiert, was dem Kläger vor dem 1. Januar 2002 rechtmäßig zustand. Dabei war der Gesetzgeber nicht gezwungen, die Nichtanwendung der §§ 44 Abs 1, 48 Abs 1 SGB X ausdrücklich anzuordnen (wie etwa in § 47a Abs 2 Satz 2 SGB V idF des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes ≪aaO≫ die Nichtanwendung des § 44 SGB X); denn dieser Ausschluss ergibt sich wegen des bezeichneten Schwebezustandes aus der Natur der Sache. Der vom BVerfG als verfassungsgemäß vorgegebene Ausschluss der Erhöhung des Bemessungsentgelts bei Leistungsansprüchen, über die vor dem 22. Juni 2000 bereits unanfechtbar entschieden war, entspricht dem Rechtsgedanken des § 79 Abs 2 BVerfGG, der im Übrigen selbst verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfGE 20, 230, 236; BSG SozR 4100 § 152 Nr 18 S 48): Bei Unanfechtbarkeit der Bescheide über die Leistungsbewilligung werden Leistungen erst für die Zeit nach Wirksamkeit der Entscheidung des BVerfG erbracht; nichts anderes gilt im Arbeitsförderungsrecht gemäß § 330 Abs 1 SGB III bzw § 152 Abs 1 AFG (dazu später). Die Frage nach dem Verhältnis des § 44 SGB X zu § 79 Abs 2 BVerfGG (vgl dazu nur: BSG SozR 4100 § 152 Nr 18; SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 42 ff; Steiner in “Freiheit und Eigentum”, Festschrift für Walter Leisner, S 569, 579 f; Spellbrink/Hellmich, SGb 2001, 605 f; Schlegel, DStR 2000, 1353, 1355) stellt sich damit ebenso wenig wie die Frage nach dem Verhältnis des § 48 SGB X zu § 79 Abs 2 BVerfGG. Denn der Gesetzgeber hat diese Frage im Ergebnis in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu Gunsten der Rechtsfolgen des § 79 Abs 2 BVerfGG beantwortet (vgl dazu auch: BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 42 ff; BSG, Urteil vom 9. April 2003 – B 5 RJ 18/02 R; Steinwedel in Kasseler Komm § 44 SGB X RdNr 9, Stand März 2001).
§ 434c Abs 1 Satz 2 SGB III greift damit nicht in eine zu Gunsten des Klägers bestehende günstigere Rechtsposition ein, sodass er – unabhängig davon, dass die Regelung in vollem Umfang der Entscheidung des BVerfG entspricht, die ihrerseits Gesetzeskraft iS von § 31 Abs 2 Satz 1 BVerfGG hat – keine unzulässige Rückwirkung entfaltet. Denn die Möglichkeit, einen rechtswidrigen Leistungsbescheid trotz eingetretener Bestandskraft rückwirkend zu beseitigen bzw zu korrigieren, war bereits für die Fälle anfänglicher Rechtswidrigkeit durch § 152 Abs 1 AFG bzw die Nachfolgeregelung in § 330 Abs 1 SGB III ausgeschlossen. Aus diesen Regelungen, die von § 44 SGB X abweichende Rechtsfolgen enthalten, wenn die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes der Beklagten vorliegen, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach dem Erlass des Verwaltungsaktes für unvereinbar mit dem GG erklärt worden ist, ergibt sich, dass der Kläger bei Anwendung des § 44 SGB X einen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bewilligungsbescheides vom 8. August 1996 (über die Ablehnung einer höheren Leistung) erst bzw frühestens mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des BVerfG gehabt hätte bzw hätte geltend machen können; auch der bestandskräftige Änderungsbescheid (§ 48 SGB X iVm der Leistungsverordnung) vom 10. Januar 1997 (für die Zeit ab 1. Januar 1997) hätte uU gemäß § 44 Abs 1 SGB X iVm § 330 Abs 1 SGB III zurückgenommen werden müssen. Dabei ist ohne Bedeutung, ob trotz des fortbestehenden Schwebezustandes (vgl dazu: BVerfGE 87, 114, 135 mwN; BSG SozR 3-1700 § 31 Nr 1 S 5 ff; BSG, Urteil vom 9. April 2003 – B 5 RJ 18/01 R; Steiner, aaO, S 575) und ohne Rückgriff auf die diesen Schwebezustand beendende Umsetzungsnorm des § 434c Abs 1 SGB III die Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Bescheide rückwirkend bereits vor dem 1. Januar 2001 – wie der Kläger meint am 1. Januar 1997 – eingetreten ist. Selbst wenn dies bejaht würde, hätte eine Zugunstenentscheidung nach § 152 AFG/§ 330 SGB III erst für die Zeit nach der Entscheidung vom 24. Mai 2000 ergehen können. Insoweit ist mit dem Terminus “nach der Entscheidung ” die Zeit nach Wirksamwerden der Entscheidung des BVerfG gemeint, also die Zeit nach der ersten Zustellung des Beschlusses – am 21. Juni 2000 – (vgl dazu Rennert in Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, § 31 RdNr 23), weil die Entscheidung vom 24. Mai 2000 – als Beschluss – nicht verkündet worden ist (die in § 31 Abs 2 BVerfGG aus Gründen der Publizität vorgeschriebene Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesgesetzblatt – vorliegend am 25. Juli 2000, BGBl I 1082 – hat lediglich deklaratorische Bedeutung ≪Rennert aaO, RdNr 23 und 110≫).
Auch § 48 SGB X würde dem Kläger keine bessere Rechtsposition verschaffen. Denn die vom Kläger angenommene Rechtsänderung (Entscheidung des BVerfG) ist wegen des beschriebenen Schwebezustands nicht schon rückwirkend ab 1. Januar 1997 durch die Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 eingetreten; vielmehr enthielt diese Entscheidung bereits dieselben Einschränkungen wie die konkretisierende Regelung des § 434c Abs 1 SGB III. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG waren die Bescheide vom 8. August 1996 und 10. Januar 1997 unanfechtbar, und für diese Fälle ergab sich durch die Entscheidung des BVerfG, anders als etwa bei einer bloßen Nichtigerklärung ohne Rechtsfolgenanweisungen, gerade keine Änderung der Rechtslage ab 1. Januar 1997. Daran ändert auch nichts das vom Kläger bereits vor der Entscheidung des BVerfG vom 24. Mai 2000 eingeleitete Überprüfungsverfahren. § 434c Abs 1 SGB III stellt nämlich – wie § 44 Abs 1 SGB X – auf die Bestandskraft der Bescheide über die Leistungsbewilligung ab. Unanfechtbarkeit im Sinne dieser Norm liegt mithin dann vor, wenn gegen die ursprünglichen Bewilligungsbescheide keine Rechtsbehelfe eingelegt worden sind bzw über eingelegte Rechtsbehelfe bereits abschließend entschieden war (vgl § 77 SGG). Nicht abgeschlossene Überprüfungsverfahren iS des § 44 SGB X bzw des § 48 SGB X, über die bis zur Entscheidung des BVerfG noch nicht bestandskräftig entschieden ist, unterfallen hingegen dem Anwendungsbereich des § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III mit der Folge, dass bei unanfechtbaren Bewilligungsbescheiden bzw Änderungsbescheiden eine Erhöhung des Bemessungsentgelts für die Zeit vor dem 22. Juni 2000 nicht in Betracht kommt. Weder der Wortlaut noch der Regelungszweck des § 434c Abs 1 SGB III lassen eine Auslegung dahin zu, dass derartige Ansprüche, über die am 21. Juni 2000 noch nicht unanfechtbar entschieden war, wegen des darin liegenden “Protests” gegen die Rechtmäßigkeit der früheren Leistungsbewilligungen so zu behandeln seien, als ob über die früheren Leistungsansprüche selbst noch nicht unanfechtbar entschieden wäre.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Bescheide der Beklagten vom 23. Januar und 28. Juli 1998; auch wenn sie Gegenstand des anhängigen Verfahrens (§ 96 Abs 1 SGG) und damit noch nicht bestandskräftig geworden wären, könnte dies nicht dazu führen, dass dem Alg des Klägers im Rahmen des § 434c Abs 1 SGB III ein höheres Bemessungsentgelt ab 1. Januar 1998 zu Grunde zu legen wäre. Nach der Rechtsprechung des BSG ist § 96 SGG aus prozessökonomischen Gründen auf Folgebescheide entsprechend anzuwenden, wenn diese die Ausgangsbescheide nicht im eigentlichen Sinne ersetzen bzw ändern (vgl nur BSGE 45, 49, 50 ff = SozR 1500 § 96 Nr 6; BSGE 77, 175, 176 = SozR 3-4100 § 105 Nr 2; BSG SozR 3-4100 § 44 Nr 1 S 35), und zwar auch auf Folgebescheide im Rahmen eines Verfahrens zur Überprüfung früherer bestandskräftiger Bescheide, soweit sie dieselbe Rechtsfrage im Rahmen eines Dauerrechtsverhältnisses betreffen (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1999 – B 2 U 48/98 R –, USK 9975).
Sowohl der Bescheid vom 23. Januar 1998, der auf einer neuen Leistungsentgeltverordnung (bis 1997 Leistungsverordnung) beruht, als auch der Dynamisierungsbescheid (= Anpassungsbescheid) vom 28. Juli 1998 haben jedoch nur einen eingeschränkten Regelungsbereich (BSGE 82, 198, 201 = SozR 3-4100 § 242 Nr 1; BSG SozR 3-4800 § 63 Nr 1 S 2 ff; SozR 3-4100 § 249e Nr 9 S 64; SozR 3-1300 § 45 Nr 42 S 138). Bei derartigen Bescheiden wird regelmäßig lediglich ein zusätzlicher Betrag auf den bereits bewilligten Betrag aufgesattelt bzw die bereits bewilligte Leistung um einen bestimmten Betrag vermindert, ohne dass das bisherige Bemessungsentgelt verändert wird. Nur wenn der ursprüngliche Bewilligungsbescheid im Rahmen eines Verfahrens nach § 434c Abs 1 SGB III abgeändert würde, wäre automatisch auch der darauf aufbauende Dynamisierungsbescheid bzw der Bescheid, der auf Grund einer neuen Leistungsentgeltverordnung ergeht, gemäß § 48 SGB X zu ändern. Dies hätte dann im Klageverfahren betreffend die Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbescheids zu geschehen, es sei denn, der Kläger hätte von seinem Wahlrecht auf gesonderte Klage Gebrauch gemacht bzw die Klage gegen die Folgebescheide zurückgenommen (vgl zu diesem Wahlrecht bei analoger Anwendung des § 96 SGG: BSG SozR 1500 § 96 Nr 13 und 18; BSG, Beschluss vom 16. August 1989 – 11 BAr 53/89 –, unveröffentlicht).
Wären danach die Bescheide der Beklagten vom 23. Januar und 28. Juli 1998 in analoger oder direkter Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens und damit nicht bestandskräftig geworden, ergäbe sich hieraus ab 1. Januar 1998 für den Kläger bei Anwendung des § 434c Abs 1 SGB III gleichwohl keine günstigere Rechtsfolge. Denn das dem – bestandskräftigen – Bewilligungsbescheid vom 8. August 1996 und dem – bestandskräftigen – Änderungsbescheid vom 10. Januar 1997 zu Grunde liegende Bemessungsentgelt war wegen des eingeschränkten Regelungsgehalts der genannten Änderungsbescheide vom 23. Januar und 28. Juli 1998 nicht Gegenstand der Prüfung der Beklagten und musste es auch nicht sein, sodass für die Zeit ab 1. Januar 1998 vor einer Abänderung dieser Bescheide zunächst der bestandskräftige Bescheid vom 8. August 1996 abgeändert werden müsste. Dies ist jedoch – wie ausgeführt – wegen § 434c Abs 1 Satz 2 SGB III für den streitigen Zeitraum nicht möglich.
Soweit der Kläger mit Wirkung ab 1. Januar 1998 unter Anwendung des § 48 SGB X die leistungserhöhende Berücksichtigung von Überstundenvergütungen begehrt, weil die Neuregelungen des SGB III die früheren, insoweit in § 112 Abs 1 und 2 AFG vorgesehenen Einschränkungen (keine Berücksichtigung von Mehrarbeitszuschlägen, lediglich Berücksichtigung der durchschnittlichen tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit als Zeitfaktor) nicht mehr enthalten, ist dem Kläger entgegenzuhalten, dass eine Neufeststellung des Bemessungsentgelts nach § 427 Abs 5 SGB III nicht in Betracht kommt und deshalb insoweit keine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X eingetreten ist. Nach § 427 Abs 5 SGB III ist das Bemessungsentgelt bei einem Anspruch auf Alg, der vor dem 1. Januar 1998 entstanden ist, nur dann neu festzusetzen, wenn die Festsetzung auf Grund eines Sachverhalts erforderlich ist, der nach dem 31. Dezember 1997 eingetreten ist. Hierzu ist der Kläger zu Unrecht der Meinung, ein solcher Sachverhalt sei darin zu sehen, dass das BVerfG mit Beschluss vom 24. Mai 2000 die gesetzlichen Regelungen über die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen für unvereinbar mit Art 3 Abs 1 GG erklärt habe. Ob es sich bei der Entscheidung des BVerfG überhaupt um einen neuen Sachverhalt iS des § 427 Abs 5 SGB III handelt, kann vorliegend unentschieden bleiben, weil – wie bereits ausgeführt – die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Alg unter Berücksichtigung erfolgter Einmalzahlungen gerade nicht vorliegen.
Sollte das LSG bei einer genauen Überprüfung der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide vom 8. August 1996 und 10. Januar 1997 zur Erkenntnis kommen, dass diese aus anderen Gründen rechtswidrig sind, würde dies jedenfalls nicht auf einem neuen Sachverhalt iS des § 427 Abs 5 SGB III beruhen.
Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen