Entscheidungsstichwort (Thema)
Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Bindungswirkung der Entscheidung der Bundeswehrverwaltung. Lücke von ca 10 Jahren zwischen dem Ende des Ausgleichszeitraums und möglichem Versorgungsbeginn
Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung der Bundeswehrverwaltung bindet die Versorgungsverwaltung zumindest dann nicht mehr nach § 88 Abs 3 S 1 SVG, wenn nach dem Ende des Ausgleichszeitraumes annähernd zehn Jahre ohne Versorgungsanspruch liegen.
Normenkette
SVG § 80 S. 1, § 81 Abs. 1, § 88 Abs. 3 S. 1, § 85 Abs. 4; BVG § 62 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2001 aufgehoben, soweit es die Gewährung von Versorgung für die Zeit von März 1983 bis Februar 1993 betrifft. Auch in dieser Hinsicht wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 4. Dezember 1998 zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist noch die Gewährung von Beschädigtenrente nach § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) für die Zeit von März 1983 bis Februar 1993.
Der 1945 geborene Kläger war vom 2. Oktober 1967 bis 31. Dezember 1973 Soldat bei der Bundeswehr, ab Februar 1971 als Berufssoldat. Durch Bescheid der Wehrbereichsverwaltung vom 9. November 1973 wurde er wegen mangelnder Eignung (§ 46 Soldatengesetz) entlassen. In der Folgezeit ergaben sich verschiedene Verfahren zwischen dem Kläger und der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister der Verteidigung (BMVg). Durch Urteil vom 14. Oktober 1977 befand das Truppendienstgericht Mitte (Az: M 3 – VL 10/75) den Kläger eines Dienstvergehens für schuldig. Es stellte das Verfahren jedoch – im Wesentlichen wegen verminderter Schuldfähigkeit des Klägers auf Grund einer seit Mitte August 1972 bestehenden Alkoholkrankheit – ein. Den alsdann vom Kläger gestellten Antrag, ihn wegen Wehrdienstunfähigkeit rückwirkend zum 1. Juli 1973 in den Ruhestand zu versetzen, lehnte die Beigeladene bindend ab.
Im Rahmen des zuletzt genannten Verfahrens beantragte der Kläger mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 7. März 1983 die “Feststellung einer Wehrdienstbeschädigung” (WDB). Durch Bescheid vom 9. August 1985 versagte die Beigeladene Ausgleichsleistungen nach dem SVG mit der Begründung, bei dem Kläger liege zwar eine Leistungsfunktionsstörung vor, diese sei jedoch keine Folge einer WDB.
In dem sich anschließenden sozialgerichtlichen Klageverfahren verpflichtete das Sozialgericht Aachen (SG) die Beigeladene durch Urteil vom 26. September 1990 – S 12 (7) V 160/85 –, bei dem Kläger eine Alkoholkrankheit als WDB anzuerkennen und ihm gemäß § 85 SVG für die Zeit vom 1. Juli 1973 bis 31. Dezember 1973 Ausgleich nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH zu gewähren. Im Übrigen wies es diese Klage ab. Ebenso verfuhr es mit der später gegen den Ausführungsbescheid der Beigeladenen vom 13. Februar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 1991 gerichteten Klage (Urteil vom 10. Februar 1993 – S 12 V 108/91 –).
Am 12. Oktober 1990 machte der Kläger bei dem Beklagten für die Zeit ab 1. Januar 1974 Versorgungsleistungen nach einer MdE von 100 vH geltend. In einem Teilbescheid vom 28. April 1994 lehnte der Beklagte das Begehren zunächst für den Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis 30. September 1990 wegen verspäteter Antragstellung ab. Einen Anspruch auf Versorgung für den Zeitraum ab Oktober 1990 verneinte er durch weiteren Teilbescheid vom 10. Januar 1995 mit der Begründung, eine WDB-Folge mit einer messbaren MdE liege insoweit nicht mehr vor. Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 6. März 1995, Urteil des SG Aachen vom 4. Dezember 1998 – S 16 ≪12≫ V 26/94 –).
Im Berufungsverfahren ist von dem Kläger Beschädigtenversorgung für den Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis 31. Juli 1976 nach einer MdE um 100 vH und ab dem 1. August 1996 nach einer MdE um 30 vH geltend gemacht worden. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat den Beklagten durch Urteil vom 15. März 2001 verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum von März 1983 bis Februar 1993 Versorgung nach einer MdE um 50 vH zu gewähren. Im Übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe für die Zeit bis Ende Februar 1983 in Ermangelung eines vor diesem Zeitpunkt wirksam gestellten Antrags keinen Anspruch auf Versorgung. Auch für die Zeit danach lägen keine rentenberechtigenden WDB-Folgen vor. Die vom Kläger neben der Alkoholkrankheit geltend gemachten Schädigungsfolgen “Persönlichkeitsstörung” und “depressive Symptomatik” seien nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme nicht durch eine WDB verursacht worden. Hinsichtlich der Alkoholerkrankung sei spätestens mit Ablauf des Monats Dezember 1978 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne der Besserung eingetreten; eine messbare MdE habe nicht mehr festgestellt werden können. Die späteren Phasen exzessiven Alkoholkonsums seien nicht auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen. Der Beklagte habe daher grundsätzlich zu Recht Versorgung versagt. Dennoch bestehe ein Anspruch des Klägers auf Beschädigtenrente für die Zeit von März 1983 bis Februar 1993. Zu seinen Gunsten griffen nämlich die Bindungswirkungs- und Bestandsschutzregelungen in § 85 Abs 4 Satz 2, § 88 Abs 3 Satz 1 SVG iVm § 62 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) ein. Der Ausführungsbescheid der Beigeladenen vom 13. Februar 1991 binde den Beklagten bezüglich der Schädigungsfolge “Alkoholkrankheit” und der Feststellung der Höhe der MdE mit 50 vH in der Weise, dass ab Antragstellung im März 1983 ein Versorgungsanspruch bestehe. Eine zeitliche Begrenzung dieser Feststellungen beinhalte der betreffende Bescheid nicht. Der Bestandsschutz gemäß § 85 Abs 4 Satz 2 SVG iVm § 62 Abs 2 Satz 1 BVG bewirke zudem, dass die MdE bis zum Ablauf von zwei Jahren nach der Bekanntgabe des Ausführungsbescheides der Beigeladenen – also bis Ende Februar 1993 – nicht niedriger festgesetzt werden dürfe.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt Verstöße gegen § 88 Abs 3, § 85 Abs 4 Satz 2 SVG iVm § 62 Abs 2 BVG sowie gegen § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dazu trägt er im Wesentlichen vor: § 123 SGG sei verletzt, weil das LSG hinsichtlich der Höhe der MdE über den Antrag des Klägers hinausgegangen sei. Ferner sei der Rechtsgrundsatz des sozialen Entschädigungsrechts unbeachtet geblieben, wonach Leistungen nur für solche Zeiträume zu gewähren seien, in denen der auszugleichende Schaden auch tatsächlich vorliege. Da das LSG selbst spätestens ab Januar 1979 von keiner messbaren MdE mehr ausgegangen sei, könne die Bindungswirkung des § 88 Abs 3 SVG keine Wirkung mehr entfalten. Die Auslegung des Erstfeststellungsbescheides der Beigeladenen ergebe zudem, dass eine zeitliche Begrenzung der MdE-Feststellung gewollt gewesen sei; das SG habe nur über den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1973 entschieden. Die Notwendigkeit einer Entscheidung für die Zeit danach habe auch nicht bestanden, da insoweit kein Antrag auf Versorgung vorgelegen habe. Zudem werde die Entscheidung des LSG dem Sinn und Zweck des § 88 Abs 3 SVG nicht gerecht. Die Vorschrift solle eine Schlechterstellung von Soldaten im Vergleich zu anderen Versorgungsberechtigten verhindern, über deren Anspruch nicht durch zwei verschiedene Versorgungsträger entschieden werde. Eine Besserstellung durch Gewährung von Versorgung für Zeiträume, in denen keine rentenberechtigende MdE mehr vorliege, nur auf Grund vorhergehender Feststellung von Ausgleichsleistungen, sei hingegen nicht gewollt. Auch setze § 62 Abs 2 BVG voraus, dass sich die Entscheidungen auf Zeiträume bezögen, die zeitlich aneinander angrenzen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2001 aufzuheben, soweit es die Gewährung von Versorgung für die Zeit von März 1983 bis Februar 1993 betrifft, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Aachen vom 4. Dezember 1998 auch in dieser Hinsicht zurückzuweisen.
Der im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Die Beigeladene hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.
Entscheidungsgründe
II
Der erkennende Senat kann auf Grund mündlicher Verhandlung entscheiden (vgl § 124 Abs 1 SGG), obwohl der Kläger und die Beigeladene zum Termin nicht erschienen sind; diese sind nämlich auf eine solche Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden (vgl § 110 Abs 1 Satz 2 SGG).
Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das Berufungsurteil hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung hinsichtlich des noch streitigen Leistungszeitraumes von März 1983 bis Februar 1993 nicht stand. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger insoweit Beschädigtenversorgung zu gewähren.
Der Senat hat im Revisionsverfahren nicht über den vom Kläger ursprünglich geltend gemachten Versorgungsanspruch für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis 28. Februar 1983 und ab 1. März 1993 zu befinden. Das LSG hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 4. Dezember 1998 insoweit rechtskräftig zurückgewiesen; der Kläger hat keine Revision gegen diesen ihn beschwerenden Teil des Urteils eingelegt.
Keiner näheren rechtlichen Erörterung bedarf die von dem Beklagten geltend gemachte Rüge der Verletzung des § 123 SGG. Es kann dahinstehen, ob das LSG – wie der Beklagte meint – mit der Verurteilung zur zeitweiligen Gewährung einer Beschädigtenrente nach einer MdE von 50 vH über das Begehren des Klägers – gerichtet auf dauernde Beschädigtenrente nach einer MdE um 30 vH – unzulässig hinausgegangen ist (vgl dazu auch § 202 SGG iVm § 528 Zivilprozessordnung). Der Kläger hat nämlich für den Zeitraum von März 1983 bis Februar 1993 überhaupt keinen Anspruch auf die geltend gemachte Beschädigtenversorgung.
Der Beklagte hat im Ergebnis zu Recht Versorgung (§ 80 SVG) auch für den streitigen Zeitraum versagt. Nach § 80 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach der Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Eine WDB ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, …. oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Das LSG hat das Vorliegen einer rentenberechtigenden WDB-Folge für die Zeit ab März 1983 ohne Rechtsfehler verneint. Nach den in tatsächlicher Hinsicht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war bei dem Kläger spätestens seit Ende 1978 eine hinreichende Gesundheitsstörung auf Grund einer WDB nicht mehr gegeben. Die Persönlichkeitsstörung und die depressive Symptomatik sind nicht durch eine Wehrdienstverrichtung bzw wehrdiensteigentümliche Verhältnisse verursacht oder verschlimmert worden und die für den Zeitraum von Juni bis Dezember 1973 als WDB-Folge anerkannte Alkoholkrankheit hat – auf Grund einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iS einer Besserung – ab Januar 1979 keine messbare MdE mehr bedingt (zur Bindung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ an Feststellungen des LSG hinsichtlich der Höhe der MdE und des Ursachenzusammenhangs vgl nur: Urteil vom 11. Mai 1995 – 2 RU 22/94 – JURIS; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, 2002, § 162 RdNr 3a und 3b).
Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung folgt ein Versorgungsanspruch des Klägers für den streitigen Zeitraum auch nicht aus einer Bindung des Beklagten an die Entscheidung des SG vom 26. September 1990 bzw den darauf ergangenen Ausführungsbescheid der Beigeladenen vom 13. Februar 1991. Das LSG hat insoweit die Reichweite der in § 88 Abs 3 Satz 1 SVG normierten Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Bundeswehrverwaltung verkannt. Eine derartige Wirkung entfaltet eine solche Entscheidung zumindest dann nicht mehr, wenn – wie hier rechtskräftig festgestellt – zwischen dem Ende des Ausgleichszeitraumes (hier Dezember 1973) und Beginn des für eine Versorgung in Betracht kommenden Zeitraumes (hier März 1983) annähernd 10 Jahre ohne Leistungsanspruch liegen. Dieses erschließt sich bei näherer Betrachtung der Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers, des Sinnes und Zwecks der Vorschrift sowie der Stellung des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG im System des sozialen Entschädigungsrechts.
Nach § 88 Abs 3 Satz 1 SVG in der Neufassung vom 9. Oktober 1980 (BGBl I, 1957, 1988) ist die bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Verwaltung iS des Abs 1 Satz 1 (Bundeswehrverwaltung) oder iS des Abs 1 Satz 2 (Versorgungsverwaltung) sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten des Abs 1 über eine WDB oder über eine gesundheitliche Schädigung iS des § 81a SVG und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einem Tatbestand des § 81 SVG oder des § 81a SVG sowie über das Vorliegen einer Gesundheitsstörung iS des § 81 Abs 5 Satz 2 SVG (aus redaktionellen Gründen geändert in § 81 Abs 6 Satz 2 durch das KOV-Anpassungsgesetz 1990 vom 26. Juni 1990 ≪BGBl I, 1211, 1215≫ mit Wirkung ab dem 1. April 1990) für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich (s im Übrigen auch die sprachlich einfachere Fassung des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG idF der Bekanntmachung vom 9. April 2002 ≪BGBl I, 1258≫, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum Umfang der Bindungswirkung ≪BT-Drucks 14/4054, S 9≫). Damit wird nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht nur eine Bindungswirkung der Entscheidung der einen für die andere Behörde im Hinblick auf die Feststellung der WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung ua mit einem Tatbestand des § 81 SVG angeordnet, sondern auch im Hinblick auf die der Leistung zu Grunde liegenden MdE (vgl zur MdE BSG SozR 3-3200 § 88 Nr 1 und SozR 3-3200 § 88 Nr 2; Urteil vom 28. Juni 2000 – B 9 VS 1/99 R – JURIS). Sofern sich aus dem bindenden Bescheid der Bundeswehrverwaltung oder der diese rechtskräftig bindenden Entscheidung des SG nichts anderes ergibt, entfaltet die MdE-Festsetzung auch Zukunftswirkung, dh sie soll über den Zeitraum der Leistung des Ausgleichs und damit über das Ende des Wehrdienstes hinaus gelten, auch wenn die Entscheidung über den Ausgleich erst danach getroffen wird (vgl BSG Urteil vom 28. Juni 2000, aaO).
Aus dieser Regelung kann nicht geschlossen werden, dass die Bindungswirkung des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG zeitlich völlig unbeschränkt gilt. Zwei Möglichkeiten der Beschränkung zu Lasten des Berechtigten sind in § 88 Abs 3 Sätze 2 und 3 SVG selbst vorgesehen, und zwar in den Fällen anfänglicher Rechtswidrigkeit der ersten Entscheidung und wesentlicher Änderung der Verhältnisse nach der Entscheidung der anderen Verwaltung. Von einer derartigen wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in der Zeit bis zum 28. Februar 1983 (mit der Folge eines Anspruchsverlustes) ist das LSG im vorliegenden Fall ausgegangen. Gleichwohl hat das LSG für den Leistungszeitraum ab März 1983 einen Rentenanspruch bejaht, unter Hinweis auf die Bestandsschutzwirkung (§ 62 Abs 2 Satz 1 BVG) des Urteils des SG Aachen vom 26. September 1990 bzw des Ausführungsbescheides der Beigeladenen vom 13. Februar 1991. Zu Recht hat es insoweit angenommen, dass § 62 Abs 2 Satz 1 BVG nach § 80 Satz 1 und § 85 Abs 4 Satz 2 SVG auch im Übergang zwischen Ausgleichs- und Versorgungsleistung anzuwenden ist (vgl nur BSG Urteil vom 28. Juni 2000 – B 9 VS 1/99 R –, JURIS). Dabei ist jedoch unberücksichtigt geblieben, dass eine Entscheidung gemäß § 88 Abs 3 Satz 1 SVG keine Bindungswirkung mehr entfalten kann, wenn zwischen dem Ende des Ausgleichs und dem möglichen Versorgungsbeginn eine Lücke von annähernd 10 Jahren ohne Gewährung einer Beschädigtenrente klafft. Damit ist zugleich der Bestandsschutzwirkung (vgl § 62 Abs 2 Satz 1 BVG) die Grundlage entzogen.
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung iS von § 88 Abs 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich von einander getrennt und konstruktiv selbstständig nebeneinander stehen (vgl nur BSG SozR 3-3200 § 88 Nr 2; SozR 3100 § 62 Nr 9 und SozR 3200 § 88 Nr 4), die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse iS von § 81 Abs 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl auch BT-Drucks 8/3750, S 23, und 8/4030, S 25). Ziel war es, der Gefahr in wesentlichen Punkten von einander abweichender Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet (vgl BSG SozR 3-3200 § 88 Nr 2). Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung – in erster Linie der Versorgungsverwaltung – die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (vgl Entscheidungen in dieser Übergangssituation: BSG Urteile vom 12. Februar 2003, – B 9 VS 6/01 R – JURIS; vom 28. Juni 2000, – B 9 VS 1/99 R – JURIS; SozR 3-3200 § 88 Nr 2 und 1; Beschluss vom 3. August 1994, – 9 BV 20/94 – JURIS; SozR 3200 § 88 Nr 5; SozR 3200 § 85 Nr 5; vom 3. Oktober 1984, – 9a RV 6/83 – JURIS; SozR 3200 § 8 Nr 4).
Unter Berücksichtigung dieses Zwecks kann “weitere Versorgung” nur bedeuten: die Versorgung, die zumindest zeitnah, also im “Übergang” vom Ausgleichs- zum Versorgungsanspruch, zu leisten ist. Hauptsächlich in dieser Lage bedarf der ausgeschiedene Soldat des Schutzes der Bindungswirkung, der Sicherstellung übereinstimmender Entscheidungen trotz des Wechsels des Leistungsträgers. Völlig anders stellt sich die Situation hingegen dar, wenn erst lange nach dem Dienstende – dem Ausscheiden des Soldaten aus der Bundeswehr – und damit dem gesetzlichen Erlöschen des Ausgleichsanspruchs (§ 85 Abs 4 Satz 3 SVG) erstmals ein Versorgungsanspruch geltend gemacht wird. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die Fortschreibung eines seit Jahren nicht mehr bestehenden Leistungsanspruchs ist dann durch Zeitablauf – zumindest nach annähernd 10 Jahren – entfallen.
Bei Erstreckung der Bindungswirkung über einen langen anspruchslosen Zeitraum würde sich die Intention des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG, eine Schlechterstellung des ausgeschiedenen Soldaten gegenüber sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, in eine – zudem systemwidrige – Besserstellung verkehren. Wie der vorliegende Fall zeigt, könnte der ausgeschiedene Bundeswehrsoldat, anders als ein sonstiger Versorgungsberechtigter, auch dann einen Anspruch auf Beschädigtenrente durchsetzen, wenn nicht mehr sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind; fehlende Tatbestandselemente würden durch die Bindungswirkung ersetzt werden. § 88 Abs 3 Satz 1 SVG ist daher so zu verstehen, dass er zwar in der eingangs beschriebenen Übergangssituation die Fortschreibung eines bestehenden Anspruchs im Rahmen der Vorschriften der §§ 44 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch garantiert, nicht hingegen das Festhalten an isolierten Anspruchselementen eines bereits seit vielen Jahren erloschenen Anspruchs.
Dieses Ergebnis wird durch systematische Erwägungen gestützt. Wollte man einzelne Anspruchselemente nach Maßgabe des § 88 Abs 3 SVG unbeschränkt auch bei Fehlen eines Versorgungsanspruchs fortwirken lassen, müsste sich die Versorgungsverwaltung ggf an der Feststellung einer bestimmten MdE unabhängig von einer damit verbundenen tatsächlichen Leistung festhalten lassen. Dieses widerspräche einem Grundsatz des sozialen Entschädigungs- und Unfallversicherungsrechts. Danach hat eine (bindende) MdE-Feststellung ausschließlich im Rahmen der Rentengewährung zu erfolgen (vgl SozR 3-3200 § 88 Nr 1 unter Hinweis auf BSGE 5, 96, 100; BSGE 7, 126; BSGE 55, 32; Urteil vom 13. März 1985, – 9a RV 10/83 – JURIS). Da § 88 Abs 3 SVG eine (anschließende) Rentengewährung als solche nicht garantieren soll, sondern nur die Übernahme der maßgeblichen Entscheidungselemente vorsieht, ist nicht anzunehmen, dass die Bindungswirkung einer MdE-Feststellung (längere) rentenfreie Zeiträume überspringen kann.
Entsprechendes gilt für das Verhältnis von Bindungswirkung und Antragserfordernis. Der Gesetzgeber hat die Gewährung von Versorgungsleistungen nach § 80 SVG iVm § 60 BVG von einer Antragstellung abhängig gemacht. Leistungen sind nur dann zu gewähren, wenn zu dem in § 60 BVG bestimmten Zeitpunkt sämtliche Leistungsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen. Das Fehlen von Tatbestandsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Antragstellung kann nicht durch eine zeitlich unbeschränkte Bindung der Versorgungsverwaltung an die Einzelelemente einer Entscheidung der Bundeswehrverwaltung ersetzt werden. Es ist der Regelung des § 88 Abs 3 SVG nicht zu entnehmen, dass sie auch Anspruchslücken überwinden helfen soll, die durch eine verspätete Antragsstellung entstehen können.
Um gleichwohl dem dargelegten Schutzzweck des § 88 Abs 3 Satz 1 SVG in der Übergangssituation zwischen Ausgleichs- und Versorgungsanspruch gerecht zu werden, sind im Gesetz selbst besondere Vorkehrungen getroffen worden. So ist es nach § 88 Abs 5 Satz 2 Nr 2 SVG möglich, den Antrag auf Versorgung auch bei einer Dienststelle der Bundeswehr zu stellen. Dadurch wird gewährleistet, dass im Regelfall die Ansprüche auf Ausgleich und Versorgung zum gleichen Zeitpunkt geltend gemacht werden, und zwar noch während des Dienstes oder in zeitlicher Nähe zum Dienstende. Diese Regelung ist zwar erst zum 1. Januar 1981 in Kraft getreten (BGBl I 1980, 1497). Bereits im Jahr 1971 sah die Zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr 46/1 (≪ZDv 46/1≫, Bestimmungen für die Durchführung der ärztlichen Untersuchung bei der Musterung von Wehrpflichtigen – Annahme, Einstellung und Entlassung von Soldaten, BMVg – Stand 29. Oktober 1970) jedoch schon eine Belehrung der entlassenen Soldaten über die Möglichkeiten vor, auch nach Beendigung des Wehrdienstes Versorgungsleistungen geltend zu machen (ZDv 46/1 Ziff 17g, aaO, S 11). Seit 1979 besteht die Anweisung (ZDv 46/1 Ziff 153, aaO), bei Entlassung des Soldaten wegen Dienstunfähigkeit diesen in jedem Fall zu befragen, ob er eine WDB geltend machen wolle. Zudem ist das Ergebnis der Befragung zu protokollieren.
Ob der Kläger insoweit hinreichend belehrt worden ist, welche Konsequenzen sich aus einer ggf fehlenden Belehrung oder einer denkbaren früheren Antragstellung – beispielsweise in den Schriftsätzen des Verfahrens vor dem Truppendienstgericht – ergeben, ist vom Senat nicht zu prüfen, da die einen Versorgungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis 28. Februar 1983 verneinende Entscheidung des LSG insoweit rechtskräftig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1151150 |
SGb 2004, 360 |
SozR 4-3200 § 88, Nr.1 |