Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 06.11.1986) |
SG Stade (Urteil vom 03.06.1986) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. November 1986 und des Sozialgerichts Stade vom 3. Juni 1986 aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 1985 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1985 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenrente ohne Anrechnung der für die Zeit vom 1. April 1982 bis 30. September 1984 gewährten Abfindung zu zahlen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob gemäß § 1291 Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (= RVO aF) eine Witwenabfindung für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente unabhängig vom Zeitpunkt des Antrags auf Wiedergewährung der Witwenrente einbehalten werden darf.
Die Klägerin bezog ab Januar 1978 Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Im Dezember 1979 ging sie eine zweite Ehe ein und erhielt von der Beklagten eine Abfindung in Höhe des fünffachen Jahresbetrages der bisher bezogenen Witwenrente. Diese Ehe ist seit dem 5. März 1982 rechtskräftig geschieden. Am 16. Oktober 1984 beantragte die Klägerin, ihr wieder Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes zu gewähren. Diese Rente bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Juni 1985 ab 1. Oktober 1984 mit der Maßgabe, daß von der der Klägerin gewährten Abfindung 15.701,40 DM für die Zeit vom 1. April 1982 – dem Monat nach der Scheidung – bis zum 31. Dezember 1984 in Teilbeträgen von 200,– DM monatlich einzubehalten seien. Der Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, nur die „für” die Zeit vom 1. Oktober – dem Monat der erneuten Antragstellung – bis zum 31. Dezember 1984 gezahlte Abfindung dürfe auf die wiedergewährte Rente angerechnet werden, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. September 1985).
Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen und das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteile vom 3. Juni und 6. November 1986). Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in den Urteilen vom 15. März und 5. Juli 1978 (SozR 2200 § 1291 Nrn 15 und 17) gestützt, wonach die Abfindung stets für die Zeit nach Auflösung der zweiten Ehe einzubehalten sei, auch wenn die Anrechnung infolge des „verspäteten” Rentenantrags zu keinem Vermögenszuwachs auf seiten der Klägerin führe.
Die Klägerin hat die vom BSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF durch das Berufungsgericht.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und in Abänderung des Bescheides vom 11. Juni 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1985 zu verurteilen, ihr die Witwenrente ab 1. Oktober 1984 ohne Anrechnung der für die Zeit vom 1. April 1982 bis 30. September 1984 gewährten Abfindung in Höhe von monatlich 425,80 DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist auf die bisherige Rechtsprechung des BSG, hält es aber für vertretbar, diese Rechtsprechung aufzugeben.
Entscheidungsgründe
II
Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet. Der Klägerin steht die wiederaufgelebte Witwenrente infolge des erst im Oktober 1984 gestellten Antrags ohne eine Einbehaltung iS des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF für die Zeit vom 1. April 1982 bis 30. September 1984 zu.
Der erkennende Senat hält an seiner im Urteil vom 9. September 1983 – 5b RJ 34/82 – vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht fest. Vielmehr hat er sich davon überzeugt, daß für die Anwendung der Einbehaltungsvorschrift des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF nach deren Wortlaut, dem Sachzusammenhang, der Rechtssystematik und der ratio legis eine tatsächliche Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft Voraussetzung ist.
Nach § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF ist die bei der Wiederverheiratung einer Witwe gezahlte Abfindung (§ 1302 RVO) von der infolge der Auflösung dieser Ehe (hier: durch Scheidung) wiederaufgelebte Witwenrente in angemessenen monatlichen Teilbeträgen einzubehalten, soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist. Nach der vom 1. Senat des BSG in den Urteilen vom 15. März und 5. Juli 1978 (SozR 2200 § 1291 Nrn 15 und 17) im Anschluß an die Entscheidung des 12. Senats vom 18. September 1973 (SozR Nr 36 zu § 1291 RVO) vertretenen Rechtsauffassung knüpft diese Vorschrift an die Entstehung des – antragsunabhängigen – Rentenstammrechts iS des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO (hier idF des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 = RVO aF) an, so daß von der wiederaufgelebten Witwenrente der auf die Zeit ab Entstehung des Anspruchs (= Auflösung der neuen Ehe) entfallende Teil der anläßlich der neuen Eheschließung gezahlten Abfindung selbst dann einzubehalten sei, wenn der Antrag auf Wiedergewährung der Rente – wie im vorliegenden Fall – erst später als 12 Monate nach Auflösung der neuen Ehe gestellt und deswegen die wiederaufgelebte Rente erst von einem späteren Zeitpunkt an gezahlt wird.
Dem kann unter Zugrundelegung der Entscheidung des erkennenden Senats vom 30. Oktober 1969 (BSGE 30, 110, 112 = SozR Nr 28 zu § 1291 RVO), an welcher festgehalten wird, nicht gefolgt werden. Weder in Satz 1 noch in Satz 2 des § 1291 Abs 2 RVO aF ist ausdrücklich von einem „Rentenstammrecht” die Rede. Mit „Anspruch auf Rente” kann somit vom Wortlaut her auch der Anspruch auf die tatsächlich gewährte Rentenleistung und damit die Rentenhöhe gemeint sein. Eine dahingehende Wortinterpretation ist nach Auffassung des erkennenden Senats geboten, weil die Einbehaltung nach § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF eine Anrechnung bei zwei gewährten Leistungen – Abfindung und Witwenrente – beinhaltet und dabei schon rechtssystematisch die tatsächlich gewährte Rentenleistung zugrunde zu legen ist. Diese ist aber gemäß § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF antragsabhängig. Der 1. Senat geht in seiner Entscheidung vom 15. März 1978 aaO selbst davon aus, daß nach dem Urteil des 4. Senats vom 25. Oktober 1962 (BSGE 18, 62, 64 = SozR Nr 4 zu § 1291 RVO) § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF sowohl die Anspruchsberechtigung für das Wiederaufleben der Witwenrente, als auch den Beginn dieser Leistung regelt. Dabei schließt die Vorschrift nach dem Urteil des 4. Senats das Wiederaufleben der Witwenrente nicht aus, wenn der Antrag auf Rente später als 12 Monate nach der Auflösung der zweiten Ehe gestellt ist; vielmehr beginnt die Rente dann erst mit dem Anfang des Antragsmonats. § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF besagt damit nach seinem „reinen” Wortlaut nichts anderes, als daß der wiederaufgelebte Rentenanspruch erst durch einen Antrag realisiert werden kann und er betrifft – so gesehen – den tatsächlich zu gewährenden Leistungsanspruch und damit den Rentenbeginn. Vor diesem Antrag, der den Leistungsbeginn bestimmt, kann die Witwe keine Rentenzahlung gemäß § 40 Abs 1 und § 41 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verlangen, die durch „Einbehalten” einer Abfindung gemindert werden könnte.
Dieses besondere Rechtsinstitut des „Einbehaltens”, das sich aus einem Zusammentreffen von Abfindung und wiederaufgelebter Witwenrente ergibt, kann nicht mit einer echten Aufrechnung iS des § 51 Abs 1 SGB I gleichgesetzt werden. Letztere setzt einen unbedingten Anspruch, mit dem aufgerechnet werden kann, voraus. Die Auflösung der neuen Ehe läßt jedoch die Leistung der Abfindung nicht nachträglich unrechtmäßig werden mit der Folge, daß der Abfindungsbetrag an den Versicherungsträger zu erstatten wäre, wie dies in § 50 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) für zu Unrecht erbrachte Leistungen vorgeschrieben ist. Vielmehr regelt § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF eine Minderung der wiederaufgelebten Witwenrente um einen Teil der bereits erhaltenen Abfindung. Dies wird rechtlich als eine Anrechnung konstruiert (so der erkennende Senat bereits im Urteil vom 30. Oktober 1969 aaO in Anwendung der mit § 1291 Abs 2 Satz 1 und 2 RVO aF wortgleichen Regelung in § 83 Abs 3 Satz 1 und 2 Reichsknappschaftsgesetz).
Die vorstehende Auffassung wird durch einen Vergleich mit der Regelung des Wiederauflebens der Unfallwitwenrente in § 615 Abs 2 Satz 1 RVO untermauert. Dabei ist davon auszugehen, daß das BSG in ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung des § 1291 RVO – ua – auf § 615 RVO als andere sozialrechtliche Vorschrift zur Regelung eines „gleichliegenden Sachverhalts” zurückgegriffen hat (so bereits BSG Urteil vom 4. November 1964 in BSGE 22, 78, 80 = SozR Nr 10 zu § 1291 RVO). Gemäß § 615 Abs 2 Satz 1 RVO lebt die Witwenrente im Falle der Auflösung der neuen Ehe entsprechend dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift aber erst „für die Zeit nach Stellung des Antrags” wieder auf. Dieser Zusatz in der den „gleichliegenden Sachverhalt” in der Unfallversicherung regelnden Vorschrift ist nach Auffassung des erkennenden Senats bei der Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF iS einer Verdeutlichung und Klarstellung heranzuziehen. Die Verschiedenartigkeit der Gesetzesfassung, die in § 615 Abs 2 Satz 1 RVO die Abhängigkeit des Wiederauflebens des Anspruchs auf Witwenrente von einer entsprechenden Antragstellung deutlicher zu erkennen gibt als in § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO, läßt nicht darauf schließen, daß der Gesetzgeber für das Wiederaufleben des Anspruchs in der Rentenversicherung etwas anderes gewollt hat als in der Unfallversicherung. Ein vernünftiger Grund für eine Differenzierung ist nicht ersichtlich. Der Zusatz „für die Zeit nach Stellung des Antrags” in § 615 Abs 2 Satz 1 RVO gilt deshalb auch für § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF. Insoweit hat der Gesetzgeber durch die gegenüber § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO spätere – erst durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) eingeführte „einschlägige” Vorschrift erkennen lassen, wie § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF auszulegen ist. Mit eben dieser Begründung hat bereits der 11. Senat im Urteil vom 4. November 1964 aaO einen in § 68 Abs 2 Angestellenversicherungsgesetz – AVG (= § 1291 Abs 2 RVO) nicht enthaltenen Satzteil des § 615 Abs 2 RVO bei der Auslegung des § 68 Abs 2 AVG berücksichtigt. Dann kann aber für die hier zu entscheidende Rechtsfrage hinsichtlich der Berücksichtigung des Satzteiles „für die Zeit nach Stellung des Antrags” von § 615 Abs 2 Satz 1 RVO nichts anderes gelten. § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF ist deshalb – was im übrigen der 4. Senat in der Entscheidung vom 25. Oktober 1962 aaO im Ergebnis bereits ausgesprochen hat – wie folgt zu lesen: „Hat eine Witwe … sich wieder verheiratet und wird diese Ehe aufgelöst …, so lebt der Anspruch auf Witwenrente … vom Ablauf des Monats, in dem die Ehe aufgelöst … ist, wieder auf, wenn der Antrag spätestens zwölf Monate nach der Auflösung … der Ehe gestellt ist; andernfalls lebt der Anspruch für die Zeit nach Stellung des Antrags wieder auf.” Da aber – wovon offensichtlich auch der 1. Senat ausgeht – das Wiederaufleben des Anspruchs in § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO aF nicht anders beurteilt werden kann als in Satz 2 der Vorschrift, ist für die Einbehaltungsregelung die Antragstellung gleichermaßen rechtlich relevant.
Der 1. Senat hat im Urteil vom 15. März 1978 aaO seine davon abweichende Wortauslegung aus der Rechtsprechung des BSG hergeleitet, nach der für das Wiederaufleben der Witwenrente aufgrund der Auflösung der zweiten Ehe das Bestehen eines – antragsunabhängigen – „Rentenstammrechts” im Zeitpunkt der vorausgegangenen Wiederverheiratung genügt (vgl BSGE 16, 202, 203 = SozR Nr 3 zu § 1291 RVO; SozR Nrn 16, 37 zu § 1291 RVO; BSGE 46, 51, 52 = SozR 2200 § 1291 Nr 14; BSGE 47, 68, 70 = SozR 2200 § 1291 Nr 18; SozR aaO Nr 24). Diese Voraussetzung für das Wiederaufleben der Witwenrente ist hier unstreitig. Das zwingt indes nicht dazu, diese Voraussetzung – Bestehen eines Rentenstammrechts zur Zeit der neuen Eheschließung – auch für die Einbehaltung der damals gewährten Abfindung nach Auflösung der neuen Ehe maßgebend sein zu lassen. Jedenfalls ist aus dem Wortlaut des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF nicht ersichtlich, inwiefern diese Vorschrift – so der 1. Senat – an die Entstehung des Rentenstammrechts anknüpfen soll und deswegen die Abfindung unabhängig vom Zeitpunkt der tatsächlich wiederaufgelebten Witwenrente einbehalten werden müsse.
Spricht somit bereits die Wortinterpretation der gesetzlichen Regelung für die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung, so läßt sich auch unter Beachtung der ratio legis ein sachlicher Grund dafür, daß unter dem Wiederaufleben des Anspruchs in § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF der Beginn des Stammrechts zu verstehen sei, nicht finden. Der 1. Senat beruft sich in seinem Urteil vom 15. März 1978 aaO mehrfach ausdrücklich auf das genannte Urteil des 5. Senats vom 30. Oktober 1969, setzt sich zu diesem aber in Widerspruch, wenn er den Abfindungszweck bei Auflösung der neuen Ehe im Abfindungszeitraum als nicht erreicht ansieht: Wenn die Witwenabfindung – wie der 1. Senat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des 5. Senats ausführt – als einmalige Leistung besonderer Art den Zweck hat, zur Vermeidung von Rentenkonkubinaten eine neue Eheschließung zu erleichtern, so ist dieser Zweck bereits mit der zweiten Eheschließung erreicht, und es kann dann nicht mehr darauf ankommen, wie lange diese neue Ehe dauert. Entgegen der Auffassung des 1. Senats im Urteil vom 15. März 1978 ist also nicht erst im Zeitpunkt der Auflösung der neuen Ehe „manifest” geworden, daß der Zweck der Abfindung „nicht erreicht” worden sei, so daß mit dieser Begründung von der wiederaufgelebten Witwenrente die Witwenabfindung nicht unabhängig von der Rentenantragstellung stets ab der Auflösung der neuen Ehe einbehalten werden kann. Als für die Interpretation des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF maßgebender Zweck muß vielmehr mit den Ausführungen des 5. Senats im Urteil vom 30. Oktober 1969 aaO allein die Vermeidung einer Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft angesehen werden, dh, es soll nicht für den gleichen Zeitraum Abfindung und Rente gezahlt werden.
Der 1. Senat sieht indes in seiner Entscheidung vom 15. März 1978 aaO den Zweck des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF nicht in der Vermeidung einer – hier für den streitigen Zeitraum auszuschließenden – tatsächlichen Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft. Es genügt ihm vielmehr die bloße Möglichkeit einer derartigen Doppelbelastung, und er hält sodann ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer „sozialpolitisch unerwünschten Doppelversorgung” der Witwe in einer näher beschriebenen Einzelfallgestaltung seine weite Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF für gerechtfertigt. Dem vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Da nach der einhelligen – vom erkennenden Senat bereits im Urteil vom 30. Oktober 1969 aaO zitierten – und vom 1. Senat grundsätzlich nicht in Frage gestellten Rechtsprechung des BSG die Witwenabfindung keine Rentenvorauszahlung ist und keinen Unterhaltsersatzcharakter hat, muß eine Doppelversorgung durch Gewährung der wiederaufgelebten Witwenrente während des von der Abfindung „erfaßten” Zeitraums schon begrifflich ausscheiden. Die Regelung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF will somit nicht eine Doppelversorgung der Witwe, sondern ausschließlich eine Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft verhindern.
Aber selbst wenn man insoweit die „Doppelversorgung” der Witwe gleichrangig neben der Doppelbelastung der Versichertengemeinschaft behandeln würde, müßte für die Anwendung der Einbehaltungsvorschrift des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO aF entscheidend sein, ob eine tatsächliche Doppelbelastung bzw Doppelversorgung vorliegt. Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die Anrechnungsvorschrift des § 1291 Abs 2 Satz 1, 2. Halbsatz RVO aF im Falle einer „verspäteten” Antragstellung indes überhaupt nur denkbar, wenn infolge der Auflösung der zweiten Ehe ein Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch besteht, der niedriger als die wiederaufgelebte Witwenrente ist.
Da der 1. Senat nunmehr seine in den Urteilen vom 15. März und 5. Juli 1978 aaO vertretene Rechtsauffassung nur für diesen Fall aufrecht hält (Beschluß vom 19. April 1990 – 1 S 1/87 –), steht die bisher gegenteilige Rechtsprechung des 1. Senats der Entscheidung des erkennenden Senats im vorliegenden Fall nicht mehr entgegen. Denn die Klägerin hat – wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid selbst festgestellt hat – aufgrund der Scheidung ihrer zweiten Ehe keinen derartigen Anspruch. Mit Rücksicht auf diese Fallkonstellation hat der erkennende Senat seinen in diesem Rechtsstreit erlassenen Vorlagebeschluß an den Großen Senat des BSG aufgehoben. An der getroffenen Entscheidung ist der erkennende Senat auch nicht durch die gegenteilige Rechtsauffassung des 12. Senats im Urteil vom 18. September 1973 aaO gehindert, weil der 12. Senat nach der Geschäftsverteilung des BSG für das Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mehr zuständig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 518825 |
BSGE, 300 |