Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 1993 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob eine bisher nicht angegebene „freiwillige” betriebliche Witwenbeihilfe nach dem zweiten Ehemann der Klägerin rückwirkend auf die wiederaufgelebte Witwenrente nach dem ersten Ehemann angerechnet werden kann.
Die Klägerin hatte bis zu ihrer Heirat mit ihrem zweiten Ehemann (Ende 1951) Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bezogen. Nach dessen Tod (Dezember 1961) gewährte ihr der Beklagte auf ihren Antrag vom Mai 1962 mit Bescheid vom 1. Oktober 1962 wiederaufgelebte Witwenrente. Auf diese Leistung rechnete er nur die Versichertenwitwenrente nach dem zweiten Ehemann (später auch den Gegenwert eines Dauerwohnrechts) an. Im Antragsfragebogen hatte die Klägerin eine „freiwillige” betriebliche Witwenbeihilfe, welche ihr die J. … V., … W., … mit Wirkung ab 1. April 1962 in Höhe von zunächst monatlich 28,00 DM zahlte, nicht angegeben. In der Folgezeit paßte der Beklagte die wiederaufgelebte Witwenrente mit insgesamt 16 Bescheiden, zuletzt mit Bescheid vom 10. September 1985, an die geänderten Verhältnisse an. In den entsprechenden Einkommensfragebögen hatte es die Klägerin weiterhin unterlassen, betriebliche Zuwendungen anzugeben.
Erst im April 1986 erfuhr der Beklagte, daß die Klägerin mit Wirkung ab April 1962 betriebliche Witwenbeihilfe in Höhe von zuletzt monatlich 57,00 DM erhielt. Nach Anhörung nahm er mit Bescheid vom 9. Juli 1986 seine seit 1. Juli 1976 erlassenen Anpassungsbescheide zurück und stellte fest, daß die ab diesem Zeitpunkt zu Unrecht bezogenen Leistungen zu erstatten seien. Außerdem berechnete er die Versorgungsbezüge der Klägerin mit zwei Bescheiden vom 31. Juli 1986 für die Zeit vom 1. Juli 1976 bis zum 30. Juni 1986 neu. Mit Bescheid vom 29. August 1986 stellte er den Zahlbetrag der Witwenrente ab 1. Juli 1986 mit 0,00 DM, ferner eine Überzahlung von 4.748,00 DM in der Zeit vom 1. Juli 1976 bis 30. September 1986 fest und verlangte deren Erstattung. Den Widerspruch der Klägerin wies er zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 12. Juli 1990 den Bescheid vom 9. Juli 1986 und die darauf beruhenden Folgebescheide aufgehoben. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben (Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 7. Juli 1993). Das LSG hat ausgeführt, der Beklagte hätte nach § 45 Abs 3 Satz 3 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) die seit Juli 1976 ergangenen Bescheide nicht mehr zurücknehmen dürfen. Diese Bescheide hätten nur Anpassungsbescheide zu dem maßgeblichen „Grundlagenbescheid” vom 1. Oktober 1962 dargestellt. Sie hätten den bereits im Grundlagenbescheid enthaltenen Fehler (Nichtanrechnung der betrieblichen Witwenbeihilfe) lediglich fortgeschrieben. Die Zehnjahresfrist des § 45 SGB X, nach deren Ablauf Dauerbescheide auch dann nicht mehr zurückgenommen werden könnten, wenn sie wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten des Leistungsempfängers unrichtig seien, habe bereits mit Bekanntgabe des Grundlagenbescheides zu laufen begonnen. Im Juli 1986 habe der Beklagte die streitbefangenen Anpassungsbescheide ebensowenig aufheben können wie den Grundlagenbescheid vom Oktober 1962. Das ergebe sich unter anderem aus dem Urteil des Senats vom 26. Oktober 1989 (9 RV 14/88).
Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte sinngemäß die Verletzung der §§ 31, 45 Abs 3 Satz 3 SGB X. Die Zehnjahresfrist werde bei einkommensabhängigen Leistungen durch jeden Neufeststellungsbescheid neu in Lauf gesetzt. Insoweit sei die Rechtsprechung des Senats zur sogenannten „konstitutiven Feh-lerwiederholung” (SozR 1300 § 45 Nr 37) nicht einschlägig. Denn solange die Behörde nicht im Grundlagenbescheid inzidenter die Entscheidung treffe, daß eine bestimmte Einkommensart nicht anrechenbar sei, fehle eine Regelung, an der sie festgehalten werden könne. Bei der jährlichen Neuberechnung einkommensabhängiger Leistungen handele es sich nicht um Anpassungsbescheide, sondern um aufgrund umfassender Prüfung erstellte neue Entscheidungen des Leistungsträgers über den gesamten Leistungsanspruch. Dies sei für den Adressaten auch erkennbar.
Der Beklagte hat sinngemäß beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 1993 sowie das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 12. Juli 1990 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat keinen wirksamen Antrag gestellt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet.
Die bisher getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um entscheiden zu können, ob das LSG den angefochtenen Rücknahme- und Rückforderungsbescheid vom 9. Juli 1986 aufheben durfte. Das LSG durfte ihn nur aufheben, wenn schon in dem Bewilligungsbescheid vom 1. Oktober 1962 die Witwenbeihilfe der Klägerin hätte angerechnet werden müssen. Denn nur dann war dieser Bescheid von Anfang an rechtswidrig, und die Rücknahmemöglichkeit ist nach der Vorschrift begrenzt, die das LSG angewendet hat: § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X.
Die Witwenbeihilfe durfte aber nur dann angerechnet werden, wenn die Klägerin auf diese Leistung einen Anspruch hatte. Das folgt aus § 44 Abs 5 BVG in der damals geltenden Fassung (vom 27. Juni 1960 BGBl I 453), die sich insoweit bis heute nicht geändert hat.
Das LSG ist ohne Begründung davon ausgegangen, daß die Witwenbeihilfe bei der Bewilligung der wiederaufgelebten Witwenrente hätte angerechnet werden müssen. Das ist keine tatsächliche Feststellung, an die der Senat mangels Verfahrensrüge gebunden wäre. Es handelt sich vielmehr um eine Rechtsansicht, die das Revisionsgericht auch ohne Rüge zu überprüfen hat. Es ist zu prüfen, ob die festgestellten Tatsachen diese Rechtsansicht tragen. Das ist nicht der Fall. Das LSG hat die Leistung selbst gemäß der Auskunft der zahlenden Stelle als freiwillige Leistung und als Beihilfe bezeichnet. Es hat selbst ausgeführt, daß sie von einer „Stiftung e.V.” gezahlt wurde.
Wenn das LSG trotz dieser Bemerkungen ohne Begründung davon ausgeht, daß die Witwenbeihilfe der Klägerin hätte angerechnet werden müssen, so kann das nicht daran liegen, daß das LSG etwa meinte, auch Ansprüche auf freiwillige Leistungen seien anzurechnen. Denn es war seit dem Runderlaß des BMA vom 6. August 1957 (BVBl 1957, 133 Nr 73) unstreitig, daß freiwillige Leistungen, die sich aus der neuen Ehe herleiten, auf die wiederaufgelebte Witwenrente als solche nicht anzurechnen sind. Wie diese Leistungen die Berechnung der bedarfsabhängigen Witwenausgleichsrente beeinflussen, ist hier nicht zu entscheiden (vgl dazu § 14 Abs 3 Ausgleichs-Verordnung und die entsprechenden Vorgänger-Vorschriften).
Es ist naheliegend, daß das LSG meinte, angesichts der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu den Betriebsrenten sei es im Ergebnis ohne Bedeutung, daß die Witwenbeihilfe als freiwillige Leistung bezeichnet werde. Richtig ist, daß das BAG schon vor der hier maßgebenden Zeit – 1962 – eine Reihe von Entscheidungen getroffen hatte, nach denen der Arbeitgeber nach Treu und Glauben daran gehindert war, sich auf Formulierungen im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung zu berufen, wonach er eine Betriebsrente im Einzelfall hätte versagen können (vgl Hinweise bei Höfer/Abt, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, Bd 1, 2. Aufl, Arb.Gr RdNr 403). Ein solcher Einwand hätte möglicherweise auch hier dem Arbeitgeber oder dem für ihn leistenden Verein entgegengehalten werden können, wenn er sich auf die Freiwilligkeit der Witwenbeihilfe berufen hätte. Das Versorgungsamt hätte aber die Freiwilligkeit nur dann für unerheblich erklären dürfen, wenn es klar gewesen wäre, daß der Arbeitgeber oder der Verein in einem Arbeitsgerichtsprozeß unterlegen wäre. Das zeigt jetzt die Verwaltungsvorschrift Nr 6 zu § 44 BVG, die darauf hinweist, daß als Versorgungs-, Renten- oder Unterhaltsansprüche nicht anzusehen sind „freiwillige Leistungen, soweit sie gerichtlich nicht erzwungen werden können”.
Ob sich heute Tatsachen ermitteln lassen, die die Überzeugung begründen, daß die Witwenbeihilfe gerichtlich hätte durchgesetzt werden können, hat das LSG zu klären. Dabei sind der Arbeitsvertrag, etwaige Betriebsvereinbarungen, die Form der Beteiligung des Arbeitgebers an der „Stiftung e.V.” sowie vor allem die Satzung dieses Vereins zu beachten, soweit diese Unterlagen heute noch zu beschaffen sind. Bei der Beurteilung der Frage, ob sich der Arbeitgeber oder die zahlende Stelle auf die Freiwilligkeit der Witwenbeihilfe hätte berufen können oder ob dies ein Verstoß gegen Treu und Glauben gewesen wäre, ist zu beachten, daß sich die Zahlungsverweigerung nicht zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt hätte, weil die Zahlung ihrerseits voll nach § 44 Abs 5 BVG angerechnet worden wäre. Da sich eine Zahlungsverweigerung nicht zum Nachteil der von § 44 Abs 5 BVG betroffenen Hinterbliebenen ausgewirkt hätte, wäre auch eine Satzungsregelung nicht zu beanstanden gewesen, die besagt, daß die Witwenbeihilfe nicht gezahlt wird, wenn sie voll auf eine Witwenrente nach dem Versorgungsrecht angerechnet würde. Denn § 83 BVG, der arbeitsrechtliche Subsidiaritätsklauseln gegenüber Versorgungsbezügen verbietet, ist hier nicht anzuwenden. Das gilt selbst dann, wenn man diese Vorschrift schon damals auf Personen anwenden wollte, die aus dem Arbeitsleben ausgeschieden waren (vgl zur Rechtsgeschichte Sailer/Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl § 83 Nr 2). § 83 BVG ist nach seinem eindeutigen Wortlaut nur eine Schutzvorschrift für den Leistungsempfänger, nicht für den Versorgungsträger. Der Charakter dieser Vorschrift erschließt sich jetzt durch § 32 und § 46 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I). Hier wird geklärt, in welchen Fällen ein Nachteil des Sozialleistungsberechtigten und in welchen Fällen ein Nachteil des Sozialleistungsträgers zur Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäftes führt. Zum Nachteil des Sozialleistungsträgers darf nach § 46 Abs 2 SGB I nur nicht auf Sozialleistungen verzichtet werden; privatrechtliche Vereinbarungen und Verzichte werden hier nicht betroffen.
Das LSG wird auch klarzustellen haben, ob die Witwenbeihilfe schon in der Zeit des Bescheids vom 1. Oktober 1962 oder erst später für diese Zeit gezahlt wor-den ist, denn nach § 44 Abs 5 BVG in der damaligen Fassung waren nur auf Rechtsansprüchen beruhende tatsächliche Zahlungen, nicht Ansprüche zu offenbaren und anzurechnen.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten vorbehalten.
Fundstellen