Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienheim. steuerbegünstigte Wohnung. Wohnungsbaubehörde. Anerkennungsbescheid. Bindungswirkung. Unfallversicherungsschutz
Orientierungssatz
Die Unfallversicherungsträger und die Sozialgerichte sind grundsätzlich an den Verwaltungsakt der zuständigen Stelle über die Anerkennung oder die Ablehnung der Steuerbegünstigung des Bauvorhabens auch bei der Entscheidung über den Unfallversicherungsschutz gebunden, obwohl es sich dabei nicht um rechtsgestaltende Verwaltungsakte handelt (Festhaltung an BSG vom 21.12.1977 2 RU 80/77 = BSGE 45, 258, 259).
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 15; WobauG 2 § 7; WoBauG 2 §§ 82-83
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 26.07.1989; Aktenzeichen L 3 U 116/88) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 07.07.1988; Aktenzeichen S 1 U 77/88) |
Tatbestand
Der klagende Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV) verlangt von der beklagten Bau-Berufsgenossenschaft (BG), ihm die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erstatten, die er wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls als vorläufige Fürsorge gemäß § 1735 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 43 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I) durch Heilbehandlung und Verletztenrente für den Beigeladenen in Höhe von insgesamt 23.127,26 DM aufgewendet hat.
Bei der Ausführung nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten am Bauvorhaben seines damals ledigen Schwagers W. L. (Bauherr) stürzte der Beigeladene am 3. November 1985 vom auszubauenden Dachgeschoß auf den Boden des darunterliegenden Stockwerks und zog sich dadurch eine schwere Schädelprellung, eine Nasenbeinfraktur und eine Radiusfraktur links zu.
Mit dem Bescheid vom 24. November 1983 "über die Anerkennung von Wohnungen als steuerbegünstigte Wohnungen nach §§ 82 und 83 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG)" hatte die Kreisverwaltung Kusel - Anerkennungsbehörde - die neu zu schaffende Wohnung im Erd- und Dachgeschoß des Bauvorhabens als steuerbegünstigte Wohnung eines Familienheims anerkannt. In seinem "Antrag auf Anerkennung neu geschaffener Wohnungen als steuerbegünstigt" hatte der am 25. Juli 1956 geborene Bauherr angegeben, zu seinem Haushalt als Wohnungseigentümer gehöre eine Person. Das Haus ist seit 16. April 1987 fertiggestellt und war im November 1987 bereits vier Monate lang an Amerikaner vermietet. Im Hinblick darauf teilte die Anerkennungsbehörde im Februar 1988 dem Kläger auf Anfrage mit, der Bauherr habe von Anfang an beabsichtigt, ein Familienheim zu errichten. Der Familienheimcharakter erlösche erst, wenn das Gebäude nicht innerhalb von fünf Jahren nach Bezugsfertigkeit als solches genutzt werde. Erst für den Fall, daß der Bauherr bis zum 1. Januar 1992 keine eigene Familie gegründet habe, hätte sie als Anerkennungsbehörde den Anerkennungsbescheid zu widerrufen.
Weil der Bauherr zunächst beabsichtigt hatte, sein Haus allein zu beziehen, hatte der Kläger bereits im Juli 1986 die Meinung vertreten, es werde kein Familienheim gebaut, durch das steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollten (§ 539 Abs 1 Nr 15 RVO). Deshalb sei die Beklagte zuständig. Er forderte sie auf, die Sache zu übernehmen und ihm die entstandenen Kosten zu erstatten. Das lehnte die Beklagte ab.
Vor dem Sozialgericht (SG) Koblenz und dem Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz ist der Kläger ohne Erfolg geblieben (Urteile vom 7. Juli 1988 und 26. Juli 1989). Das LSG hat ausgeführt, die beteiligten Versicherungsträger seien ebenso wie die Sozialgerichte an die Entscheidung der Anerkennungsbehörde gebunden, mit dem Bauvorhaben werde eine steuerbegünstigte Wohnung eines Familienheims nach den §§ 82, 83 II. WoBauG geschaffen. Das gelte im Hinblick darauf, daß der Regelungsgehalt des betreffenden vor dem Unfall erlassenen Verwaltungsakts der Anerkennungsbehörde gerade auch den in Frage stehenden Zeitraum erfasse. Die Widerrufsmöglichkeit stehe der Bindungswirkung des Anerkennungsbescheides nicht entgegen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO. Zu Unrecht habe das LSG eine Bindungswirkung des Anerkennungsbescheides nach dem II. WoBauG angenommen, obwohl dieser kein rechtsgestaltender, sondern nur ein feststellender Verwaltungsakt sei. Ein feststellender Verwaltungsakt könne dritte Behörden nicht binden. Das gelte erst recht, wenn dieser - wie hier - unter Widerrufsvorbehalt erlassen worden sei. Im übrigen komme es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Unfalls an, zu dem im vorliegenden Fall die Voraussetzungen eines Familienheims des ledigen Bauherrn tatsächlich nicht vorgelegen hätten.
Der Kläger beantragt,
die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die aus Anlaß des Unfalls des Beigeladenen vom 3. November 1985 entstandenen Aufwendungen in Höhe von 23.127,26 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht zur Sache geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Zutreffend haben das SG und das LSG erkannt, daß der Beigeladene einen Arbeitsunfall bei einer Selbsthilfetätigkeit iS des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO erlitten hat, für den der Kläger zur Entschädigungsleistung verpflichtet ist.
Der Kläger hat zwar aufgrund gesetzlicher Vorschriften (§ 1735 RVO, § 43 SGB I) dem Beigeladenen vorläufige Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erbracht. Nach § 102 Abs 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) ist die Beklagte ihm aber nur dann erstattungspflichtig, wenn nicht er, sondern sie in diesem Falle der - endgültig - zur Leistung verpflichtete Leistungsträger ist, dh, wenn der Beigeladene am 3. November 1985 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat. Das haben die Vorinstanzen zutreffend verneint, weil bei dem Unfall des Beigeladenen sämtliche Voraussetzungen für den Unfallversicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO vorgelegen haben.
Nach dieser Vorschrift sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die bei dem Bau eines Familienheimes (Eigenheim, Kaufeigenheim, Kleinsiedlung), einer eigengenutzten Eigentumswohnung, einer Kaufeigentumswohnung oder einer Genossenschaftswohnung im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen. Für die Begriffsbestimmungen sind die §§ 5, 7 bis 10, 12, 13 und 36 II. WoBauG in der jeweils geltenden Fassung maßgebend. Der Unfallversicherungsschutz des Beigeladenen nach dieser Vorschrift hängt demnach ua davon ab, daß er zur Zeit des Unfalls an einem Bauvorhaben mitgearbeitet hat, durch das - was hier allein in Betracht kommt - in einem Familienheim iS des § 7 II. WoBauG steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen. Die Steuerbegünstigung, die in Fällen wie dem vorliegenden gemäß § 82 II. WoBauG ua auf bestimmte Wohnflächenbegrenzungen für Familienheime abstellt (s BSGE 56, 16, 18), bildet somit eine notwendige Vorfrage für die Entscheidung über den Versicherungsschutz bei Selbsthilfearbeiten. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat die zuständige Wohnungsbaubehörde vor dem Unfall des Beigeladenen entschieden, daß die durch das Bauvorhaben des Bauherrn zu schaffende Wohnung als steuerbegünstigt anerkannt wird. Dazu hat der Senat bereits wiederholt ausgeführt (s BSGE 45, 258, 259 f, und BSG Urteil vom 14. August 1986 - 2 RU 33/85 - in BAGUV RdSchr 64/86 = HV-Info 1986, 1599), daß die Unfallversicherungsträger und die Sozialgerichte grundsätzlich an den Verwaltungsakt der zuständigen Stelle über die Anerkennung oder die Ablehnung der Steuerbegünstigung des Bauvorhabens auch bei der Entscheidung über den Unfallversicherungsschutz gebunden sind, obwohl es sich dabei nicht um rechtsgestaltende Verwaltungsakte handelt (BSGE 45, 258, 259). Daran ist entgegen der Meinung des Klägers weiterhin festzuhalten.
Wegen der Abhängigkeit des Unfallversicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO vom Recht der Wohnungsbauförderung, zu dem in einem weiteren Sinne die Entschädigung von Unfallfolgen auf Kosten der Allgemeinheit (§ 657 Abs 1 Nr 8, § 769 Abs 2, §§ 770 ff RVO) gehört, legt - so hat der 9b Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden (SozR 2200 § 539 Nr 124) - die für das Wohnungsbauwesen zuständige Fachbehörde nicht allein für den Bereich der öffentlichen Förderung und der Steuerbegünstigung (vgl dazu § 83 II. WoBauG) fest, welcher Bau diese Voraussetzungen erfüllt. Sie regelt darüber hinaus die Anerkennung eines Bauvorhabens iS des II. WoBauG auch mit Verbindlichkeit für den Unfallversicherungsträger, dh die Anerkennung eines Bauobjekts, dem unfallversicherungsrechtlich geschützte Selbsthilfearbeiten dienen können (BSGE 45, 258, 259 ff; 56, 16, 18; BSG SozR 2200 § 539 Nrn 69 und 109). Diese Bindung für die Unfallversicherung entspricht auch einem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsatz; danach soll die Wirkung der Entscheidung einer Fachbehörde auf einem anderen Verwaltungsgebiet, in dem derselbe Rechtszustand als Rechtsvoraussetzung bedeutsam ist, jedenfalls dann eine abweichende Entscheidung verhindern, wenn über ein Grundverhältnis entschieden worden ist, von dem Vergünstigungen in einem anderen Bereich abhängen (vgl BSGE 52, 168 ff mwN und seither st Rspr). Dem stimmt auch der erkennende Senat zu.
Die rechtliche Schlußfolgerung wird durch Sinn und Zweck des § 539 Abs 1 Nr 15 RVO bestätigt. Für Personen, die Selbsthilfearbeiten an einem Bauvorhaben iS dieser Vorschrift verrichten, kann - so hat der Senat entschieden (BSGE 45, 258, 260) - die Entscheidung über die Steuerbegünstigung hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes gleiche oder sogar größere Bedeutung haben als die zu erwartende Steuerersparnis. Deshalb muß ein Bauherr, der bei einem als steuerbegünstigt anerkannten Bauvorhaben Selbsthilfearbeiten erbringt, auch hinsichtlich des Versicherungsschutzes nach § 539 Abs 1 Nr 15 RVO auf die von ihm wesentlich mit aus diesem Grunde angestrebte und vor dem Unfall erreichte Anerkennung der Steuerbegünstigung durch die zuständige Stelle vertrauen können. Dies führt aber dazu, daß der Unfallversicherungsträger nicht nachträglich für den Versicherungsschutz davon ausgehen darf, die Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung lägen entgegen der Anerkennung durch die zuständige Stelle nicht vor.
Danach ist der Kläger an die Entscheidung der Anerkennungsbehörde gebunden, durch das konkrete Bauvorhaben solle die Wohnung eines Familienheims geschaffen werden, die alle Voraussetzungen der Steuerbegünstigung nach dem II. WoBauG erfüllt.
Die Bindungswirkung an den betreffenden Anerkennungsbescheid, der jedenfalls nicht nichtig ist, besteht für den Kläger so lange, wie dieser Bescheid nicht von der Anerkennungsbehörde widerrufen oder durch ein Gericht aufgehoben worden ist. Das ist - insoweit unbestritten - nach den bindenden Feststellungen des LSG bisher nicht geschehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und Abs 4 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen