Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragszeiten nach dem 8.5.1945 in Ungarn
Orientierungssatz
1. Gemäß § 1 Buchst b FRG iVm § 15 Abs 1 FRG sind unter Zugrundelegung der noch bis 30. Juni 1990 bestehenden Rechtslage nach dem 8.5.1945 noch in Ungarn zurückgelegte Versicherungszeiten als Beitragszeiten anzuerkennen, wenn ua der Kläger als Deutscher iS des Art 116 Abs 1 GG unabhängig von den Kriegsauswirkungen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des FRG genommen hat. Die erst nach der Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet erfolgte Einbürgerung als deutscher Staatsbürger erfüllt diese Voraussetzung.
2. Die zu Recht erfolgte Anerkennung der noch nach dem 8. Mai 1945 in Ungarn zurückgelegten Beitragszeiten wird schließlich durch die gemäß Art 85 Abs 6 RRG 1992 am 1. Juli 1990 in Kraft tretende Regelung in Art 15 Abschn A Nr 1a RRG 1992 bestätigt, nach der derartige Zeiten rentenrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden. Daß es sich hierbei um eine echte Rechtsänderung und nicht lediglich um eine ausdrückliche Bestätigung der bisher schon bestehenden Rechtslage handelt, ergibt sich insbesondere aus der Besitzstandsregelung des Art 16 Nr 1 RRG 1992.
Normenkette
FRG § 1 Buchst b, § 15 Abs 1; RRG 1992 Art 15; RRG 1992 Art 85 Abs 6; RRG 1992 Art 16 Nr 1; GG Art 116 Abs 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der in Ungarn geborene Kläger nahm im Juli 1971 seinen ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Seit 7. Mai 1980 besitzt er die deutsche Staatsangehörigkeit.
Im Januar 1982 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung seiner in Ungarn zurückgelegten Beitragszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG). Die Beklagte erkannte die Beitragszeit vom 12. Mai 1942 bis 15. Oktober 1944 nach dem FRG sowie die im Bundesgebiet ab 3. August 1971 entrichteten Pflichtbeiträge an. Dagegen lehnte sie eine Anerkennung der in Ungarn noch nach dem 8. Mai 1945 zurückgelegten Beitragszeiten ab (Bescheid vom 27. Mai 1986, Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1986).
Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht (SG) ab (Urteil vom 25. März 1987). Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht (LSG) das Ersturteil auf und verpflichtete die Beklagte, unter Abänderung der angefochtenen Bescheide die in Ungarn in der Zeit vom 17. Februar 1948 bis 24. Juli 1971 zurückgelegte Versicherungszeit zusätzlich als Beitragszeit nach dem FRG "in Anrechnung zu bringen". Das LSG bejahte die Zugehörigkeit des Klägers zum Personenkreis des § 1 Buchst b FRG, so daß die vom Kläger noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Ungarn zurückgelegten Versicherungszeiten gemäß § 15 FRG zu berücksichtigen seien (Urteil vom 28. Februar 1989).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt Verletzungen der §§ 1 Buchst b, 15 FRG durch das Berufungsgericht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 28. Februar 1989 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 25. März 1987 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit Schreiben des erkennenden Senats vom 6. Juni 1990 auf die in Art 15 Abschnitt A Nr 1a, Art 16 Nr 1 und Art 85 Abs 6 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vorgesehenen Änderungen hingewiesen worden.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Gemäß § 1 Buchst b FRG iVm § 15 Abs 1 FRG sind unter Zugrundelegung der noch bis 30. Juni 1990 bestehenden Rechtslage die hier streitigen Versicherungszeiten als Beitragszeiten anzuerkennen, wenn der Kläger als Deutscher iS des Art 116 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) unabhängig von den Kriegsauswirkungen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des FRG genommen hat und infolge der Kriegsauswirkungen den früher für ihn zuständigen ungarischen Versicherungsträger nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Bezüglich der ersten Voraussetzung hat das LSG im Anschluß an das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1980 (SozR 5050 § 15 FRG Nr 19), dem der erkennende Senat zustimmt, zu Recht entschieden, daß die erst nach der Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet (24. Juli 1971) erfolgte Einbürgerung des Klägers als deutscher Staatsbürger am 7. Mai 1980 genügt.
Das LSG hat auch ohne Rechtsfehler angenommen, daß der Kläger bezüglich der nach dem 8. Mai 1945 in Ungarn zurückgelegten Versicherungszeiten den für ihn zuständigen ungarischen Versicherungsträger "infolge der Kriegsauswirkungen" nicht mehr in Anspruch nehmen kann. Das LSG hat insoweit dem genannten Urteil des BSG vom 19. Dezember 1980 sowie den früheren BSG-Entscheidungen vom 25. Mai 1972 (BSGE 34, 182) und 17. Januar 1973 (SozR Nr 6 zu § 1 FRG) zutreffend entnommen, daß es hierfür genügt, wenn bereits vor dem 8. Mai 1945 Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und dem nichtdeutschen Versicherungsträger bestanden haben. Diese Voraussetzung ist hier aber erfüllt, wie die Anerkennung der zum ungarischen Versicherungsträger entrichteten Beitragszeiten vom 18. Mai 1942 bis 15. Oktober 1944 durch die Beklagte zeigt. Diese weite Auslegung des § 1 Buchst b FRG entspricht im übrigen auch der herrschenden Auffassung im Schrifttum (vgl Abendroth in DAngVers 1982, 342; Moser in DRV 1988, 455, 460, 461; Verbandskommentar, RandNr 9 Seite 33 zu § 1 FRG) und wurde früher von der Beklagten selbst vertreten (vgl Mitteilungsblatt der LVA Ober- und Mittelfranken 1982, 331).
Die zu Recht erfolgte Anerkennung der noch nach dem 8. Mai 1945 in Ungarn zurückgelegten Beitragszeiten wird schließlich durch die gemäß Art 85 Abs 6 RRG 1992 am 1. Juli 1990 in Kraft tretende Regelung in Art 15 Abschnitt A Nr 1a RRG 1992 bestätigt, nach der derartige Zeiten rentenrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden. Daß es sich hierbei um eine echte Rechtsänderung und nicht lediglich - wie die Beklagte offenbar meint - um eine ausdrückliche Bestätigung der bisher schon bestehenden Rechtslage handelt, ergibt sich insbesondere aus der Besitzstandsregelung des Art 16 Nr 1 RRG 1992, deren Voraussetzungen auch im Falle des Klägers von der Beklagten zu prüfen sein werden.
Nach alledem mußte der Revision der Beklagten der Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Fundstellen