Entscheidungsstichwort (Thema)
Letzter wirtschaftlicher Dauerzustand. Tilgungszahlungen auf Darlehen als Unterhaltsbeitrag
Orientierungssatz
1. Für die Frage, ob ein wirtschaftlicher Zustand dauerhaft oder nur vorübergehender Natur ist, kommt es nicht darauf an, wie lange er effektiv bestanden hat. Entscheidend ist vielmehr, ob der Zustand seinem Wesen nach zeitlich begrenzt und sein Ende voraussehbar ist, oder ob er ohne den Tod der Versicherten voraussichtlich weiterbestanden und den Familienunterhalt mitbestimmt hätte (vgl BSG vom 15.7.1982 - 5b RJ 66/81).
2. Auch wenn ein wirtschaftlicher Zustand vor dem Tode der Versicherten nur sehr kurze Zeit bestanden hat, kann er der letzte wirtschaftliche Dauerzustand sein, wenn er seiner Natur nach auf Dauer angelegt und sein Ende nicht absehbar war (vgl BSG vom 27.4.1982 - 1 RJ 134/80 = SozR 2200 § 1266 Nr 21).
3. Tilgungszahlungen auf Darlehen, die aus den laufenden Einnahmen erbracht werden, sind ein Unterhaltsbeitrag des Schuldners, dh sie mindern das als Unterhaltsbeitrag zur Verfügung stehende Einkommen nicht (vgl BSG vom 3.2.1977 - 11 RA 38/76 = SozR 2200 § 126 Nr 5 und vom 27.4.1982 - 1 RJ 134/80 = SozR 2200 § 1266 Nr 21).
Normenkette
RVO § 1266 Abs 1 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art 2 § 19a Fassung: 1985-07-11
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Witwerrente gemäß § 1266 Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Art 1 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) vom 23. Februar 1957 - BGBl I S 45 - (RVO aF).
Der am 28. April 1960 geborene Kläger lebte seit 1983 mit der am 26. Oktober 1958 geborenen und am 30. August 1984 verstorbenen Versicherten in einem gemeinsamen Haushalt. Am 5. Januar 1984 wurde das gemeinsame Kind geboren. Nachdem bei der Versicherten eine schwere Krankheit festgestellt worden war und mit ihrem baldigen Tode gerechnet werden mußte, heiratete der Kläger die Versicherte am 17. August 1984. Vom Zeitpunkt der Eheschließung bis zu ihrem Tode am 30. August 1984 befand sich die Versicherte in stationärer Behandlung.
Während der Ehe erhielt die Klägerin Lohnfortzahlung in Höhe von 565,29 DM sowie zwei Darlehen von 500,-- DM und 1.500,-- DM ausgezahlt. Der Kläger erhielt 660,-- DM nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ausgezahlt. Er führte den Haushalt und versorgte das gemeinsame Kind.
Auf Antrag des Klägers vom 7. September 1984 gewährte die Beklagte Halbwaisenrente, lehnte jedoch durch Bescheid vom 2. Januar 1986 die Gewährung von Witwerrente ab, weil die verstorbene Versicherte während der Ehedauer keinen Beitrag zum Familienunterhalt geleistet habe.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage durch Urteil vom 22. Dezember 1987 ab. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 31. Januar 1989 zurückgewiesen. Das LSG hat seine Entscheidung damit begründet, daß sich angesichts der nur kurzen Ehedauer und der Vorhersehbarkeit des nahen Todes der Versicherten bei der Eheschließung ein wirtschaftlicher Dauerzustand nicht habe entwickeln können, und der Kläger während der Ehe zu keinem Zeitpunkt darauf habe vertrauen können, daß er Unterhaltsleistungen für einen wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeitraum von der Versicherten erhalten werde. Aber auch wenn man die Ehezeit als einen "wirtschaftlichen Dauerzustand" ansehe, sei der Rentenanspruch nicht begründet. In dieser Zeit habe die Versicherte den Familienunterhalt nicht überwiegend bestritten. Dabei seien weder die Leistungen nach dem BAföG auf Seiten des Klägers, noch die der Versicherten gewährten Darlehen von 2.000,-- DM zu berücksichtigen. Als Beiträge zum Familienhaushalt seien auf Seiten der Versicherten lediglich die Lohnfortzahlung für August 1984 in Höhe von 565,29 DM und auf Seiten des Klägers der Wert der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung gegenüberzustellen. Der Gesamtwert der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung sei nicht niedriger als der Unterhaltsbeitrag der Versicherten in Höhe von 565,29 DM.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Er trägt vor, die Entscheidung des LSG beruhe auf einer fehlerhaften Anwendung des § 1266 RVO aF.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Nürnberg vom 22. Dezember 1987 und des Bayerischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 1989 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 2. Januar 1986 zu verurteilen, ihm Witwerrente ab 31. August 1984 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Witwerrente verneint.
Witwerrente nach § 1266 Abs 1 RVO aF iVm Art 2 § 19a ArVNG idF des Art 4 Nr 4 Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450) erhält der Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau, wenn diese den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat und vor dem 1. Januar 1986 verstorben ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind für die Frage, ob die Versicherte den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat, die Unterhaltsleistungen der Versicherten während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor ihrem Tode maßgebend, da man von diesem Dauerzustand annehmen kann, daß er sich ohne den Tod der Versicherten fortgesetzt haben würde (BSGE 14, 129 = SozR Nr 1 zu § 1266 RVO). Der letzte wirtschaftliche Dauerzustand beginnt mit der letzten wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Familienmitgliedes mit Dauerwirkung und endet im Regelfall mit dem Tode der Versicherten (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 9, Nr 15, Nr 18, Nr 21 jeweils mwN).
Rechtsbedenkenfrei hat das LSG dargelegt, daß es insoweit nur auf einen Zeitraum während der Ehezeit ankommen kann. Dies gilt auch dann, wenn die Ehepartner bereits vor der Eheschließung in einem gemeinsamen Haushalt gelebt und die Mittel der Haushaltsführung gemeinsam aufgebracht haben. Vor der Eheschließung besteht kein gegenseitiger Unterhaltsanspruch, den der Überlebende durch den Tod seiner Ehefrau verlieren und dessen Verlust durch § 1266 RVO aF ausgeglichen werden könnte. Vielmehr trat durch die Eheschließung eine wesentliche Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Erst durch die Eheschließung werden die Ehepartner zum gegenseitigen Unterhalt auf Dauer verpflichtet (§ 1360 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-). Vor der Eheschließung konnten die späteren Ehepartner nämlich nicht darauf vertrauen, daß es sich insoweit um einen wirtschaftlichen Dauerzustand handelt.
Dem LSG kann allerdings nicht gefolgt werden, wenn es wegen der kurzen Ehedauer und dem bereits bei der Eheschließung absehbaren nahen Tode der Versicherten davon ausgeht, daß sich ein wirtschaftlicher Dauerzustand iS der Rechtsprechung des BSG nicht habe entwickeln können. Für die Frage, ob ein wirtschaftlicher Zustand dauerhaft oder nur vorübergehender Natur ist, kommt es nicht darauf an, wie lange er effektiv bestanden hat. Entscheidend ist vielmehr, ob der Zustand seinem Wesen nach zeitlich begrenzt und sein Ende voraussehbar ist, oder ob er ohne den Tod der Versicherten voraussichtlich weiterbestanden und den Familienunterhalt mitbestimmt hätte (Urteil des BSG vom 15. Juli 1982 - 5b RJ 66/81 -). Auch wenn ein wirtschaftlicher Zustand vor dem Tode der Versicherten nur sehr kurze Zeit bestanden hat, kann er der letzte wirtschaftliche Dauerzustand sein, wenn er seiner Natur nach auf Dauer angelegt und sein Ende nicht absehbar war (Urteil des BSG vom 27. April 1982 - 1 RJ 134/80 - SozR 2200 § 1266 Nr 21). Das gilt auch dann, wenn dem Tode der Versicherten eine Zeit der Erkrankung mit einer dadurch verursachten Verschlechterung der Unterhaltslage vorausgegangen ist. Auch eine solche Erkrankung kann, insbesondere wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt hat und ohne den Tod der Versicherten voraussichtlich fortbestanden hätte, den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand prägen und deshalb bei dessen Bestimmung nicht generell außer Betracht bleiben (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 9). Dies gilt zwingend dann, wenn die gesamte Ehezeit von der Erkrankung der Versicherten geprägt war. Für Erwägungen, daß es aus Billigkeitsgründen ungerechtfertigt sein kann, den Zeitraum einer nach verhältnismäßig kurzer Zeit zum Tode führenden Erkrankung mit der dadurch bewirkten Verschlechterung der Unterhaltslage als Prüfungsmaßstab für den wirtschaftlichen Dauerzustand heranzuziehen (BSGE 35, 243 = SozR Nr 13 zu § 1266 RVO; BSG SozR 2200 § 1266 Nr 7 mwN; Nr 9), ist dann kein Raum, wenn die gesamte Ehezeit - wie vorliegend - von der Erkrankung der Versicherten bestimmt war. Die letzte Änderung im wirtschaftlichen Dauerzustand trat dann nämlich nicht durch die zum Tode führende Erkrankung, sondern durch die Eheschließung ein. Ohne den Tod der Versicherten hätte der wirtschaftliche Zustand während der (kurzen) Ehezeit auf Dauer fortbestanden. Daß bereits bei der Eheschließung mit dem baldigen Tode der Versicherten gerechnet werden mußte, ist demgegenüber nicht entscheidend. Das folgt aus dem Wesen der Witwerrente, die Unterhaltsfunktion hat und an die Unterhaltssituation anknüpft, die vor dem Tode der Versicherten bestanden hat und ohne den Tod der Versicherten voraussichtlich weiterbestanden hätte (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 15; BSG Urteil vom 15. Juli 1982 - 5b RJ 66/81 -). Für die Frage, ob ein wirtschaftlicher Zustand voraussichtlich weiterbestanden hätte, ist daher nur auf das voraussichtliche Weiterbestehen der Unterhaltssituation, den Tod der Versicherten hinweggedacht, abzustellen. Würde insoweit auch die Vorhersehbarkeit des nahen Todes der Versicherten bei Eheschließung berücksichtigt, führte dies zu einer Wartezeit für die Gewährung der Witwerrente. Eine solche Wartezeit sieht § 1266 RVO aF nicht vor.
In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BSG hat das LSG als Beitrag der Versicherten zum Familienunterhalt nur die Leistungen berücksichtigt, welche die Versicherte während der Ehezeit - dem maßgeblichen wirtschaftlichen Dauerzustand - effektiv erbracht hat (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 8, Nr 9, Nr 21). Dies gebietet der Wortlaut des § 1266 Abs 1 RVO aF, der nicht auf eine Unterhaltsberechtigung oder Unterhaltspflicht, sondern nur darauf abstellt, ob und in welcher Höhe tatsächlich ein Unterhaltsbeitrag beigesteuert wurde. Damit hat das LSG zu Recht Leistungen ausgeschlossen, die zwar rechtlich der Versicherten zustanden, aber ihr nicht während des wirtschaftlichen Dauerzustandes zugeflossen sind.
Zu Recht hat das LSG auch die Darlehen von 500,-- DM und 1.500,-- DM nicht als Unterhaltsbeitrag der Versicherten berücksichtigt. Die Darlehen sind schon deshalb kein Beitrag zum Familienunterhalt, weil es einmalige und keine auf Dauer wiederkehrende Zahlungen gewesen sind. Diese Zahlungen können einem wirtschaftlichen Dauerzustand nicht das Gepräge geben, auf dessen Fortbestand der Kläger hätte vertrauen dürfen. Der Senat befindet sich damit in der Beurteilung von Darlehen bzw Tilgungszahlungen auf Darlehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 11. Senats im Urteil vom 3. Februar 1977 (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 5 S 27) und des 1. Senats im Urteil vom 27. April 1982 (BSG SozR 2200 § 1266 Nr 21 S 80/81). In den genannten Urteilen ist entschieden worden, daß Tilgungszahlungen auf Darlehen, die aus den laufenden Einnahmen erbracht werden, ein Unterhaltsbeitrag des Schuldners sind, dh das als Unterhaltsbeitrag zur Verfügung stehende Einkommen nicht mindern. Dann können die getilgten Darlehensbeträge ihrerseits aber kein Unterhaltsbeitrag des Darlehensnehmers gewesen sein, da sonst der Darlehensbetrag - wenn auch zeitlich versetzt - doppelt als Unterhaltsbeitrag bewertet würde.
Auf Seiten der Versicherten ist damit allenfalls der während der Ehezeit zugeflossene Betrag der Lohnfortzahlung in Höhe von 565,29 DM als Unterhaltsbeitrag zu berücksichtigen. Dem steht ein wertmäßig ebenso hoher Unterhaltsbeitrag des Klägers gegenüber. Der Kläger hat während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes den Haushalt allein geführt und das Kind auch allein betreut. In dieser Zeit war die Versicherte wegen ihrer Krankheit auch nicht verpflichtet, zur Haushaltsführung beizutragen. Den Wert der Haushaltsführung und Kinderbetreuung hat das LSG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt. Es ist für den Wert der Haushaltsführung zumindest von dem tarifvertraglich festgesetzten Lohn einer Haushaltshilfe ausgegangen und hat eine Vollzeittätigkeit der Haushaltshilfe angenommen. Dies ergibt einen Wert von 507,50 DM für die Haushaltstätigkeit. Soweit es für die Betreuung des gemeinsamen Kindes noch einen zusätzlichen Betrag angesetzt hat, bestehen dagegen ebenfalls keine rechtlichen Bedenken. Daß dieser Betrag jedenfalls mehr als 60,- DM für die Betreuung eines Kleinkindes für 14 Tage ausmacht, wovon das LSG ausgegangen ist, bedarf keiner besonderen Begründung. Die Ansicht des Klägers, der Wert der Haushaltsführung einschließlich der Betreuung des Kindes insgesamt sei allenfalls so hoch wie die Vollzeittätigkeit einer Haushaltshilfe, verkennt, daß die Betreuung eines Kleinkindes einen erheblichen zusätzlichen Aufwand erfordert, gegenüber der Haushaltsführung für einen Haushalt mit einem Kind, das sich schon in wesentlichen Bereichen des täglichen Lebens selbst versorgen kann.
Es kann danach offenbleiben, ob der vom LSG als Unterhaltsbeitrag der Versicherten angenommene Betrag der Lohnfortzahlung tatsächlich in voller Höhe als Unterhaltsbeitrag berücksichtigt werden darf. Ausgehend von dem Urteil des 4. Senats vom 1. Dezember 1983 - 4 RJ 32/82 - bestehen daran erhebliche Zweifel. Der 4. Senat hat entschieden, daß nur der Betrag Unterhaltsbeitrag ist, der der Versicherten im maßgebenden Zeitraum zufließt und für diesen Zeitraum bestimmt ist. Da die Versicherte nach den Feststellungen des LSG nur eine Beitragszeit bis zum 15. August 1984 hatte, erscheint es zweifelhaft, daß die Lohnfortzahlung für den gesamten Zeitraum bis zum 30. August 1984 bestimmt war, zumal der Kläger selbst geltend gemacht hat, es habe für diesen Zeitraum Anspruch auf Krankengeld bestanden.
Es kann auch offenbleiben, ob nicht die BAföG-Leistungen, jedenfalls soweit sie für die Dauer der Ehe bestimmt waren, als Unterhaltsbeitrag des Klägers anzurechnen sind. Zwar werden auch BAföG-Leistungen als Darlehen gewährt. Da auf diese Leistungen aber ein Rechtsanspruch besteht und sie nach § 1 iVm § 11 BAföG für den Lebensunterhalt des Studierenden gewährt werden, liegt es nahe, diese Leistungen nicht den frei aufgenommenen Darlehen gleichzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen