Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewährung von Unterhaltsgeld (Uhg) auch für Ferienzeiten und ohne die Anrechnung eines Haftkostenbeitrages
Beteiligte
26. September 1990 … Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin |
Bundesanstalt für Arbeit,Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt Unterhaltsgeld (Uhg) auch für Ferienzeiten und ohne die Anrechnung eines Haftkostenbeitrages.
Sie war von der Justizvollzugsanstalt (JVA), in der sie eine Strafe verbüßte, ab Januar 1987 zum Freigang zugelassen und erhielt die Erlaubnis, an einer auswärtigen Bildungsmaßnahme ("Schreibtechnischer Lehrgang, SM I bis IV, KK") teilzunehmen. Die Justizverwaltung verzichtete nachträglich auf die Erstattung sämtlicher Haftkosten durch die Klägerin. Diese erhielt im gesamten Zeitraum Unterkunft, aber keine Verpflegung in der JVA. Die Beklagte übernahm die Lehrgangskosten und gewährte der Klägerin Uhg mit Ausnahme von Lehrgangsferien im April und August 1987 und rechnete einen Haftkostenbeitrag in Höhe der Kosten für Unterkunft (189,68 DM monatlich) an (Bescheide vom 19. und 30. Juni sowie 26. August 1987). Der Widerspruch, mit dem sich die Klägerin gegen die Anrechnung von Haftkosten wandte und die Zahlung von Uhg auch für die Lehrgangsferien begehrte, wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 24. August 1987). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Uhg in ungekürzter Höhe einschließlich der Ferienzeiten zu zahlen (Urteil vom 26. Mai 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten die Klage insoweit abgewiesen, als sie die Kürzung des Uhg um den Betrag der Haftkosten betrifft, und die Berufung im übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 7. März 1989). Das LSG hat § 10 Abs 6 der Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU), worauf die Beklagte die Kürzung des Uhg um den Betrag der Haftkosten stützt, als durch die Ermächtigungsnorm des § 39 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gedeckt beurteilt. Die Regelung sei sachgerecht. Hingegen sei die von der Beklagten in ihren Dienstanweisungen vorgesehene Versagung von Uhg für gefangene Teilnehmer in Ferienzeiten rechtswidrig. Die Klägerin unterscheide sich als Freigängerin insoweit nicht von den Personen, die als freie Teilnehmer Förderungsleistungen erhalten. Beiden Gruppen sei es während der kurzen Ferienzeiten nicht möglich, ein Beschäftigungsverhältnis einzugehen.
Gegen das Urteil haben die beiden Beteiligten die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Nach Ansicht der Klägerin fehlt für die Kürzung des Uhg eine wirksame Ermächtigungsnorm. Auch beim Freigänger diene das Uhg der vollen Sicherung des laufenden Lebensunterhaltes. Neben den Verpflegungskosten hätten gerade Freigänger, wie auch die Klägerin, oft zusätzliche Kosten für die von ihnen weiter aufrechterhaltene Wohnung zu tragen.
Die Klägerin beantragt,das Urteil des LSG zu ändern und die Berufung sowie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,die Urteile des LSG und des SG zu ändern, soweit sie die Beklagte zur Gewährung von Uhg auch für Ferienzeiten verpflichten, und die Klage insoweit abzuweisen sowie die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung hat sie über die Anerkennung als förderungsfähige Ferienzeit individuell zu entscheiden, wobei aus sachlichen Gründen durchaus vom Regelfall abgewichen werden könne. Die Fortzahlung von Uhg bilde eine Ausnahme im Leistungssystem des AFG und sei nur dadurch zu rechtfertigen, daß der Teilnehmer im angemessenen Umfang Gelegenheit erhalte, seine Lernfähigkeit wiederherzustellen. Dieser Grundgedanke treffe für die Klägerin nicht zu, da sie während ihrer Ferien Anspruch auf staatliche Unterhaltssicherung gehabt habe.
II
Die Revisionen der Beklagten (1) und der Klägerin (2) sind nicht begründet. Das Urteil des LSG ist in vollem Umfang zu bestätigen.
1.Die Vorinstanzen haben mit Recht der Klägerin Uhg auch für die Zeiten von Lehrgangsferien zugesprochen.
Die entgegenstehende Durchführungsanweisung der Beklagten zur AFuU (zu § 4, 4.05) ist mit dem Gesetz nicht vereinbar. Der Klägerin stand kraft Gesetzes Uhg vorrangig vor einer entsprechenden Ausbildungsbeihilfe nach § 44 Strafvollzugsgesetz -StVollzG- (vom 16. März 1976 - BGBl I 581 -/ 27. Februar 1985 - BGBl I 461 -) wie einer freien Lehrgangsteilnehmerin zu (§ 37 Abs 2 Satz 1 AFG vom 25. Juni 1969 - BGBl I 582 -/6. Januar 1987 - BGBl I 69 -, § 44 Abs 1 Satz 1 StVollzG). Ihre Stellung als Strafgefangene ändert daran nichts, soweit es nicht um die Höhe der Leistung geht (vgl unter 2).
Allgemein ist nach § 44 Abs 1 AFG Uhg den "Teilnehmern an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung mit ganztägigem Unterricht" zu gewähren. Diese "Teilnahme" umfaßt auch die Zeiten zwischen dem festgesetzen Beginn und Ende der Maßnahme, in denen aus sachgerechten Gründen, zB wegen einer Ferienordnung, tatsächlich kein Unterricht stattfindet, ohne daß der einzelne Teilnehmer diesen Ausfall zu vertreten hätte (BSGE 41, 117, 118 ff = SozR 4100 § 44 Nr 7). In dieser Zeit kann er ebenso wie an den Unterrichtstagen wegen der Bildungsmaßnahme nicht aus eigener Kraft seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sichern und ist deshalb auf das Uhg, das ausgefallenes Arbeitseinkommen ersetzen soll, angewiesen (BSGE 40, 29, 32 f = SozR 4100 § 44 Nr 4; BSGE 41, 120). Das ist nicht anders als bei einem Arbeitsverhältnis, in dem das Entgelt auch während des Urlaubs zu zahlen ist. Diese allgemeine Rechtslage anerkennt die Beklagte für die üblichen Teilnehmer (§ 10 Abs 5 Sätze 2 und 3 AFuU idF vom 18. Dezember 1986 - ANBA 1987, 163, 584).
Entgegen ihrer Rechtsansicht gilt nichts anderes für Strafgefangene, die - wie die Klägerin - zu einer Vollzeitmaßnahme außerhalb der Anstalt zugelassen sind. Zwar war die Klägerin noch Strafgefangene - im Unterschied zum Bürger, für den die Strafvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist (§§ 56 ff Strafgesetzbuch; BSGE 62, 62, 64 = SozR 2200 § 216 Nr 9). Sie wurde jedoch durch das Eingehen eines freien Ausbildungsverhältnisses - entsprechend einem freien Beschäftigungsverhältnis - außerhalb der Anstalt in begrenztem Umfang freien Bürgern, die an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen, gleichgestellt. Zu diesem Zweck wurden die Freiheitsbeschränkungen des Vollzuges (§ 2 Abs 1 und 2, § 4 Abs 2 Satz 1, § 18 Abs 2 Satz 2, § 141 Abs 2, § 196 StVollzG) gelockert. Auf Grund eines unmittelbar mit dem Ausbildungsträger abgeschlossenen Ausbildungsvertrages nahm die Klägerin an einer Unterrichtsveranstaltung, die die Bundesanstalt förderte, außerhalb der JVA teil (§ 39 Abs 1 StVollzG). Diese Bildungsmaßnahme ist - wie ein freies Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitgeber - von den Bildungs- und Beschäftigungsveranstaltungen der JVA (vgl dazu § 149 StVollzG) zu unterscheiden.
Die Klägerin war während der gesamten Teilnahme an der Bildungsmaßnahme auf die Lohnersatzleistung angewiesen. Der Zweck und der Rechtfertigungsgrund des Uhg erlauben und gebieten nicht die von der Beklagten angeordnete Benachteiligung gegenüber freien Teilnehmern in den Ferienzeiten. Diese Leistung soll den Ausfall des Arbeitseinkommens ersetzen und dadurch den Unterhalt des Teilnehmers und seiner Familie sichern, solange die Bildungsveranstaltung einer Erwerbstätigkeit entgegensteht (BSGE 58, 160, 161, 164 = SozR 4100 § 138 Nr 11). Während der Lehrgangsferien ändert sich nichts an dieser Bedarfssituation, wovon auch die Beklagte ausgeht. In dieser Zeit kann der Lehrgangsteilnehmer nicht zumutbar eine vorübergehende Erwerbstätigkeit aufnehmen, soll sich vielmehr erholen und stärken und muß eventuell für die Bildungsmaßnahme nacharbeiten. Außerdem ermöglicht die Lohnersatzleistung, Unterhalts- und sonstige Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Das ist bei Strafgefangenen in der Lage der Klägerin nicht anders. Die Klägerin hätte zwar nach der vom SG eingeholten Auskunft der JVA trotz der gewährten Vollzugslockerungen während der Ferien an der Anstaltsverpflegung teilnehmen können. Aber sie war - als Voraussetzung für die Teilnahme an der auswärtigen Bildungsmaßnahme - aus dem geschlossenen in den offenen Vollzug verlegt und zum Freigang zugelassen worden. Freigang bedeutet eine Freistellung von der Aufsicht eines Vollzugsbediensteten während regelmäßiger Beschäftigung oder - hier an deren Stelle - während der Teilnahme an der Fortbildung außerhalb der Anstalt (§ 10 Abs 1, § 11 Abs 1 Nr 1 StVollzG). Eine Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug, um der Klägerin während ihrer Ferien die Teilnahme an der Anstaltsverpflegung zu ermöglichen, womit die Erlaubnis zum Aufenthalt in besonderen Räumen außerhalb der geschlossenen Anstalt entzogen würde, hat die für diese Strafvollzugsmaßnahme zuständige JVA nicht für zumutbar angesehen. Der Klägerin kann eine solche Freiheitsbeschränkung nicht zur wirtschaftlichen Entlastung der Bundesanstalt abverlangt werden.
2.Das Uhg der Klägerin wurde entgegen ihrem Begehren zu Recht um den Haftkostenbeitrag gekürzt.
Nur scheinbar regelt die allgemeine Berechnungsvorschrift des § 44 AFG, die diese Kürzung nicht vorsieht, die Bemessung des Uhg erschöpfend. Ergänzend schreibt § 10 Abs 6 AFuU in Halbsatz 2 vor, das Uhg, das nach Halbsatz 1 dem Freigänger nur bei Verzicht der Justizverwaltung auf die Erstattung von Haftkosten gewährt wird, um den Betrag der Haftkosten zu kürzen, den der Freigänger sonst aus seinem Arbeitsentgelt zu tragen hätte. Diese Regelung des Satzungsrechts ist durch die gesetzliche Ermächtigung des § 39 Satz 1 AFG gedeckt und deshalb von den Gerichten zu beachten (vgl dazu zB BSGE 37, 163, 169 f = SozR 4100 § 41 Nr 1; SozR 4460 § 2 Nr 4). Zwar ermächtigt diese Vorschrift nicht ausdrücklich, die Höhe von Leistungen nach bestimmten Personengruppen getrennt zu regeln. Aber die Bundesanstalt darf das Nähere ua über den "Umfang der Förderung der beruflichen Bildung" festlegen und hat dabei nach Satz 2 ua die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers zu berücksichtigen. Dies berechtigt sie zu der genannten Regelung ergänzend zum Gesetz, weil für Strafgefangene eine besondere Rechtslage besteht, die sich aus dem AFG ergibt und die jene gesetzliche Ermächtigung ergänzt (zur Gesetzesergänzung: BSGE 44, 62, 67 = SozR 4460 § 6 Nr 8).
Für die Bemessung des Uhg für Strafgefangene, die im Rahmen eines freien Vertragsverhältnisses nach § 39 StVollzG an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen, bestimmt das AFG nicht, wie die Leistung im Verhältnis zum Haftkostenbeitrag zu bemessen ist. Insoweit besteht eine Gesetzeslücke, dh eine Unvollständigkeit, gemessen am Gesetzesplan. Denn eine derartige Vorausregelung enthält § 37 Abs 2, bezogen auf die Ausbildungshilfe nach § 44 StVollzG. Soweit Leistungen nach dem AFG nach § 37 Abs 2 Satz 1 AFG der Ausbildungshilfe vorgehen, werden sie nach Satz 2 den Gefangenen höchstens bis zur Höhe dieser Ausbildungshilfe, aber vermindert um die Höhe des Haftkostenbeitrages nach § 50 Abs 1 StVollzG gewährt. Die Klägerin bekam als Teilnehmerin an einer anstaltsunabhängigen Bildungsmaßnahme schon dem Grunde nach keine Ausbildungshilfe nach dem StVollzG, denn diese erhalten Gefangene, die sich an einer Berufsausbildung, Umschulung oder beruflichen Fortbildung im Anstaltsrahmen iS des § 37 Abs 3 StVollzG beteiligten (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 4. Aufl, § 44 Rz 1, aaO, § 37 Rz 5), soweit ihnen keine Leistungen für den Lebensunterhalt, die freien Personen aus solchem Anlaß zustehen, gewährt werden (§ 44 Abs 1 Satz 1 StVollzG). Die Klägerin war als externe Lehrgangsteilnehmerin freien Bürgern grundsätzlich gleichgestellt und bekam deshalb von der Beklagten Uhg nach dem AFG. Für sie gilt indes hinsichtlich der Anrechnung des Haftkostenbeitrages entsprechendes, weil im Leistungssystem der individuellen Bildungsförderung nach dem AFG die Lage bei auswärtiger Umschulung nicht grundlegend anders ist. Lediglich die besondere Bedarfslage der Freigänger unterscheidet sich in typischer Weise, geprägt durch den Gefangenenstatus, von derjenigen der Bürger, die sonst in vollem Umfang ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten müssen. Insoweit ähnelt die Rechtsstellung der Klägerin aber derjenigen der in § 37 Abs 2 Satz 2 AFG genannten Gefangenen. In Höhe des Haftkostenbeitrages für die Unterbringung in der JVA (Freigängerabteilung), wo ihr die Unterkunft unter Verzicht auf Zahlung eines Haftkostenbeitrages weiterhin während des Lehrganges und damit während des Bezuges von Uhg nach dem AFG gewährt wurde, trug der Staat diese Wohnkosten an ihrer Stelle. Insoweit minderte sich ihr Unterhaltsbedarf, den das Uhg abdecken soll, in einer typischen Weise. Die Klägerin wurde so gestellt, als ob sie aus dem Uhg die Unterbringungskosten bezahlt hätte. Ihre wirtschaftliche Stellung blieb durch die Verrechnung zwischen den beiden öffentlichen Kassen unberührt. In begrenztem Umfang wird auf Kosten des staatlichen Vollzugsträgers nach § 37 AFG und der Anordnungsvorschrift, auf der der angefochtene Bescheid beruht, die Bundesanstalt zugunsten ihrer Versichertengemeinschaft entlastet.
Bei dieser typisierenden Bemessung des Uhg bleiben entgegen dem Begehren der Klägerin die Aufwendungen außer Betracht, die sie während der Haft durch Beibehalten einer Mietwohnung außerhalb der JVA weiterhin belasten. Sie berühren nicht die Berechnungsmaßstäbe des AFG für Uhg. Solche Sonderlasten können für Teilnehmer von Bildungsmaßnahmen ebenso wie für Gefangene fortbestehen, werden aber weder bei dem Uhg nach dem AFG noch bei Geldleistungen nach dem StVollzG zusätzlich berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen