Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des Ausbildungsgeldes. Zuständiger Leistungsträger bei Heimunterbringung der Behinderten
Leitsatz (amtlich)
Das während einer beruflichen Bildungsmaßnahme im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für Behinderte von der Bundesanstalt für Arbeit zu zahlende Ausbildungsgeld ist nicht so zu bemessen, daß es auch die Kosten einer ohnedies erforderlichen Heimunterbringung abdeckt.
Orientierungssatz
Zur Abgrenzung der Leistungspflicht zwischen Bundesanstalt für Arbeit und Sozialhilfeträger hinsichtlich der Kosten für die Heimunterbringung eines Behinderten.
Normenkette
AFG § § 40, 56 Abs 3 Nr 3a, § 58 Abs 1, § 58 Abs 1a S 1 Nr 2; RehaAnO 1975 § 24 Abs 5; BSHG § 27 Abs 3, § 39 Abs 3, § 43
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 10.05.1989; Aktenzeichen S 16 Ar 3297/88) |
Tatbestand
Der klagende Sozialhilfeträger verlangt von der Bundesanstalt für Arbeit eine weitere Erstattung seiner Aufwendungen für den Beigeladenen aus dem ihm während seiner Ausbildung in einer Werkstatt für Behinderte gewährten Ausbildungsgeld (Abg) mit der Begründung, das Abg sei höher zu bemessen und müsse die vollen Lebensunterhaltungskosten decken.
Der 1969 geborene, körperlich und geistig behinderte Beigeladene wurde im Februar 1988 im Haus L. , einem von einem Wohlfahrtsverband getragenen Heim mit angeschlossener Behindertenwerkstatt aufgenommen. Der Kläger gewährte als überörtlicher Sozialhilfeträger Eingliederungsbeihilfe nach § 39 Abs 1, §§ 40, 43 Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Er übernahm die Heim- und Werkstattkosten und zahlte an den Beigeladenen monatlich einen Barbetrag von 123,-- DM sowie eine Bekleidungspauschale. Ab 15. März 1988 nahm der Beigeladene an einer Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt für Behinderte teil. Die Beklagte bewilligte Abg in Höhe von 80,-- DM monatlich ab 15. März 1988 und in Höhe von 85,-- DM ab 1. Oktober 1988 gemäß § 24 Abs 5 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter (A-Reha). Außerdem übernahm sie die Kosten der Maßnahme einschließlich der Kosten für die Werkstatt, nicht jedoch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Heim. Im Umfang der dem Beigeladenen gewährten Leistungen erstattete sie dem Kläger dessen Kosten.
Das Sozialgericht (SG) ist der Auffassung des Klägers, daß dem Beigeladenen ein höheres Abg zugestanden habe, gefolgt (Urteil vom 10. Mai 1989). Es hat die Auffassung vertreten, die in § 24 Abs 5 A-Reha vorgesehenen Beträge für das Abg während der Teilnahme an Maßnahmen in Behindertenwerkstätten seien nicht durch die Ermächtigung des § 58 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gedeckt, weil sie nicht ausreichten, den Lebensunterhalt und damit den Bedarf des Behinderten zu decken. Ersatzweise seien deshalb die höheren Beträge nach § 24 Abs 3 Nr 1 Buchst d, aa A-Reha zu zahlen, die einem der Heimunterbringung vergleichbaren Bedarf Rechnung trügen.
Mit der Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 58 Abs 1 a und 2 AFG iVm § 24 Abs 5 A-Reha. Das SG habe die Besonderheiten der Ausbildung in Behindertenwerkstätten nicht hinreichend berücksichtigt, indem es die Bedarfssätze für Nichtbehinderte (§ 40 AFG) bzw für solche Behinderte, die an einer betrieblichen Ausbildung oder einer Umschulung oder an berufsvorbereitenden Maßnahmen im Hinblick auf eine spätere Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt teilnehmen, zum Maßstab genommen habe. Die im Arbeitstrainingsbereich einer Behindertenwerkstatt ausgebildeten Behinderten wechselten anschließend - wie auch hier geschehen - typischerweise in den Arbeitsbereich der Werkstatt und nicht auf den freien Arbeitsmarkt über. Im Arbeitsbereich der Werkstatt würden aber durchschnittlich wesentliche geringere Entgelte als auf dem freien Arbeitsmarkt gezahlt (Durchschnittsentgelt 1985: 219,-- DM monatlich). Zu diesem Entgelt müsse sich das Abg angemessen verhalten. Es solle nicht den Lebensunterhalt während der Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt umfassend sicherstellen, sondern lediglich einen Anreiz für die Teilnahme an solchen Maßnahmen bieten. Für die Sicherung des Lebensunterhalts des Behinderten seien neben unterhaltspflichtigen Verwandten andere Sozialleistungsträger verantwortlich. Das nach § 24 Abs 5 A-Reha bemessene geringere Abg halte sich daher im Rahmen der Ermächtigung des § 58 Abs 2 AFG.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Beklagte sei gesetzlich verpflichtet, ein Abg in der Höhe zu gewähren, daß der Grundbedarf für den Lebensunterhalt gedeckt werde. Die Heimunterbringungskosten umfaßten die Kosten für die Unterbringung und den Lebensunterhalt. Für die reinen Unterbringungskosten habe zwar er, der Kläger, aufzukommen, weil die Heimaufnahme nicht wegen der beruflichen Förderungsmaßnahme, sondern aus anderen Gründen erfolgt sei. Die Kosten des Lebensunterhalts habe die Beklagte aber als vorrangiger Leistungsträger gemäß § 37 Abs 1 Satz 2 AFG zu tragen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger einen höheren Erstattungsbetrag als den bisher geleisteten zu zahlen.
Ein Erstattungsanspruch aus § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X besteht deshalb nicht, weil ein solcher Anspruch eines nachrangig verpflichteten Leistungsträgers wegen der von ihm erbrachten Sozialleistungen gegen einen vorrangig verpflichteten Leistungsträger eine Gleichartigkeit der Leistungen voraussetzt (BSG SozR 1300 § 104 Nr 4). Die Leistungen des Klägers und der Beklagten sind nicht gleichartig gewesen. Der Kläger hat dem Beigeladenen als Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 27 ff BSHG idF der Bekanntmachung vom 20. Januar 1987 - BGBl I 401, ber. 494 -) Eingliederungshilfe für Behinderte durch Heimunterbringung (§§ 39, 43 Abs 1 BSHG) als Sachleistung gewährt. Die Beklagte hat dagegen dem Beigeladenen nach Auffassung des Klägers ein höheres Abg, also eine Geldleistung zu gewähren. Nach dem gemäß § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X entsprechend anwendbaren Satz 1 kann aber der Sozialhilfeträger einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialleistungsträger haben, von dem der in einem Heim untergebrachte und in zumutbarem Umfang zum Aufwendungsersatz verpflichtete Hilfesuchende (§ 43 Abs 1 Satz 1 und 2 BSHG) zeitgleich eine Leistung verlangen kann.
Einen solchen Leistungsanspruch, der über das gezahlte Abg hinausginge, hatte der Beigeladene gegen die Beklagte aber nicht.
§ 24 Abs 5 A-Reha (idF der 12. Änderungsanordnung vom 1. Oktober 1986 - ANBA 1649 - und der 14. Änderungsanordnung vom 6. Juli 1988 - ANBA 1125 -), auf den sich die Beklagte bei der Bemessung stützt, verstößt nicht gegen § 40 AFG oder sonstige gesetzliche Vorschriften. Das Abg für die Ausbildung als berufsfördernde Maßnahme für Behinderte im Arbeitstrainingsbereich einer Behindertenwerkstatt (§ 58 Abs 1a Satz 1 Nr 2 AFG idF des AFKG vom 22. Dezember 1981 -BGBl I 1497) ist insbesondere nicht nach dem vollen Lebensunterhaltsbedarf zu bemessen. Diese Leistung ist vielmehr zutreffend im Verhältnis zu dem später zu erwartenden Arbeitsentgelt vertretbar festgelegt, so daß dem Beigeladenen kein höherer Beitrag zu den Unterbringungskosten aus dem Abg zugemutet werden kann.
Gesetzliche Regelungen für das Abg, dessen Höhe umstritten ist, gibt es nicht (vgl § 56 Abs 1 und 2, § 58 Abs 1, § 59 AFG). Für diesen Fall ermächtigt § 58 Abs 2 Satz 1 AFG die Bundesanstalt, durch Anordnung das Nähere zu bestimmen. Der entsprechend anwendbare § 40 AFG über Berufsausbildungsbeihilfe für nicht behinderte Auszubildende schränkt die Ermächtigung nicht dahin ein, daß das zu zahlende Abg den Lebensunterhalt decken müßte. Wenn nach § 40 Abs 1a AFG Berufsausbildungsbeihilfe für den Lebensunterhalt und für die Ausbildung oder die Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Maßnahme zu gewähren ist, mag daraus folgen, daß für die Leistung der Bedarf hoch genug bemessen sein muß, um damit typischerweise den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Vorschrift kann aber nicht entsprechend auf Behinderte angewandt werden, die unabhängig von der beruflichen Bildungsmaßnahme vom Sozialhilfeträger Hilfe in besonderen Lebenslagen erhalten, in einem Heim untergebracht sind und für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in Betracht kommen. Auch der Kläger geht nicht davon aus, daß die Beklagte durch die Gewährung von Abg den Lebensunterhalt des Beigeladenen in vollem Umfang einschließlich der Unterbringungskosten sichern müßte. Die Kosten der Unterkunft im Heim hat die Beklagte deshalb nicht zu tragen, weil der Beigeladene unabhängig von der Berufsbildungsmaßnahme im Heim untergebracht ist und auch nach deren Ende mit dem Überwechseln in den Arbeitsbereich der Werkstatt dort untergebracht bleibt. Nach § 56 Abs 3 Nr 3 AFG idF durch das AFKG hat die Bundesanstalt die erforderlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung nur zu übernehmen, wenn eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts zwar wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation notwendig ist, die Unterbringung aber gerade durch die Berufsbildungsmaßnahme veranlaßt wird. Ist jedoch, wie hier, die Unterbringung unabhängig von der Maßnahme, und zwar dauernd, erforderlich, hat die Bundesanstalt diese Kosten nicht zu übernehmen, also weder Kosten der Unterkunft noch der Verpflegung (BSG SozR 4100 § 56 Nrn 14, 19). Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, daß die Beklagte nur für die berufliche Bildung und nicht auch für die soziale Betreuung und Persönlichkeitsbildung des Behinderten zuständig ist.
Das ist vielmehr Aufgabe des (überörtlichen) Sozialhilfeträgers, der durch Gewährung von Eingliederungshilfe eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den Behinderten in die Gesellschaft einzugliedern hat. Hierzu gehört vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen und ihn soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (§ 39 Abs 3 BSHG). Wird die Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung gewährt, umfaßt sie auch den in der Einrichtung gewährten Lebensunterhalt (§ 27 Abs 3 BSHG). Der Sozialhilfeträger ist hier im Verhältnis zu anderen Sozialleistungsträgern nicht subsidiär, sondern originär zuständig. § 37 Abs 1 Satz 2 AFG iVm § 2 Abs 2 BSHG gilt dafür nicht. Auch aus § 26 BSHG läßt sich nichts anderes herleiten. Nach dieser Vorschrift haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder des AFG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Sie betrifft allein die Leistungen nach dem zweiten Abschnitt des BSHG, nicht aber solche des dritten Abschnitts "Hilfe in besonderen Lebenslagen", um die es hier geht.
Die Beklagte darf die dargelegte Zuständigkeitsverteilung bei der Bemessung des Abg berücksichtigen und den Lebensunterhaltsbedarf außer acht lassen. Mit den in § 24 Abs 5 A-Reha festgelegten Beträgen von 80,-- DM bzw 85,-- DM monatlich trägt die Beklagte auch den besonderen Verhältnissen der Behinderten Rechnung; sie hält damit den Ermächtigungsrahmen des § 58 Abs 2 AFG ein. Unter Berücksichtigung der maßgebenden Umstände beachtet sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Das Abg soll in solchen Fällen wie den des Beigeladenen nur die für den persönlichen Bedarf frei verfügbaren Mittel erhöhen und dadurch die Motivation für die Berufsbildungsmaßnahme fördern. Mit dem Abg hat der Hilfeempfänger zwar zu den Kosten des Aufenthaltes im Heim beizutragen; er erhält jedoch andererseits gemäß § 21 Abs 3 Satz 4 BSHG vom Sozialhilfeträger einen erhöhten Barbetrag zur persönlichen Verfügung. Die Höhe des Abg liegt wohl unter dem, was der Sozialhilfeträger als Barbetrag für den persönlichen Bedarf an Heimbewohner zu leisten hat. Dieser Betrag wird dadurch, daß er einen bestimmten Prozentsatz des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes beträgt, zudem laufend dem erforderlichen Mindestbedarf angepaßt. Das Abg muß aber nicht mindestens den persönlichen Bedarf eines Behinderten decken, der an einer beruflichen Bildungsmaßnahme teilnimmt. Vielmehr ist dafür ebenfalls der Sozialhilfeträger zuständig, wenn es keine sonstigen Unterhaltsverpflichteten gibt.
Schließlich sind die Durchschnittsverdienste im Arbeitsbereich von Werkstätten für Behinderte zu beachten. Sie liegen nach den unangefochtenen Feststellungen der Tatsacheninstanz nicht wesentlich über 200,-- DM monatlich und verhalten sich im Verhältnis zu den späteren Verdienstmöglichkeiten im Arbeitsbereich der Werkstatt etwa wie die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gezahlten Ausbildungsvergütungen zu den nach der Ausbildung erzielbaren Erwerbseinkommen. Das Abg muß und darf nicht an den späteren Arbeitsverdienst heranreichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen