Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte (als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung) verpflichtet ist, dem Kläger (als örtlichem Träger der Sozialhilfe) Kosten zu ersetzen, die dieser zur Anschaffung eines sogenannten Kopfschreibers für die Tochter M. des Versicherten W. W. aufgewendet hat.
Der bei der Beklagten krankenversicherte W. W. hat Anspruch auf Familienhilfe nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für seine am 25. Oktober 1966 geborene Tochter M. W. Das Kind leidet an einer schweren Tetraplegie (- Lähmung aller vier Gliedmaßen -) mit einer massiven Sprachbehinderung. Die Beklagte hat es abgelehnt, die Kosten eines (ärztlich verordneten) Kopfschreibers, durch den durch bloße Bewegungen des Kopfes eine Schreibmaschine bedient werden kann, zu ersetzen. Der Kläger ist als Sozialhilfeträger eingetreten. Er verlangt von der Beklagten den Ersatz der Aufwendungen in Höhe von 420,81 DM mit dem Vorbringen, durch den die Schreibmaschine bedienenden Kopfschreiber werde es dem Kind ermöglicht, mit seiner Umwelt sprachlichen Kontakt aufzunehmen. Die Beklagte ist der Ansicht, daß der Kopfschreiber kein Hilfsmittel i.S. des Gesetzes sei, da er die beeinträchtigten Körperfunktionen weder ersetze noch ergänze, sondern mit ihm lediglich Folgeerscheinungen einer Behinderung in der Weise zum Ausgleich kämen, daß die Möglichkeit der Bedienung einer Schreibmaschine, die kein Hilfsmittel i.S. des Gesetzes darstelle, geschaffen würde.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Fähigkeit, sich anderen mitzuteilen, zu den Grundbedürfnissen eines Menschen gehöre. Damit erschöpfe sich der Kopfschreiber des Kindes nicht darin, die Folgen einer Behinderung auf schulischem Gebiet auszugleichen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung des § 182b RVO. Das Bundessozialgericht (BSG) habe entschieden, daß eine Schreibmaschine kein Hilfsmittel i.S. des § 182b RVO sei, da die durch sie vermittelte Hilfe sich nicht unmittelbar auf die Behinderung selbst richte, sondern bei deren Folgen im beruflichen, gesellschaftlichen oder privaten Bereich ansetze. Das gelte dann aber auch hinsichtlich des Kopfschreibers, dessen einziger Sinn es sei, die Schreibmaschine zu bedienen. Zwar habe das BSG entschieden, daß die Hilfsmittelversorgung nicht allein dem Ausgleich ausgefallener oder eingeschränkter Körperfunktionen, sondern im Rahmen der medizinischen Rehabilitation auch der Gesunderhaltung diene. Der genannte Kopfschreiber lasse sich aber auch diesem Hilfsmittelbegriff nicht unterordnen.
Die Beklagte beantragt,das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 12. Januar 1981 - S 19 Kr 80/80 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Unstreitig hängt der Klageanspruch, da alle sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nach den §§ 1531, 205 RVO gegeben sind, allein von der Frage ab, ob das verordnete Gerät bei dem Kind des Versicherten als ein Hilfsmittel i.S. der krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften anzusehen ist und der Versicherte insoweit einen Anspruch hatte.
Nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c RVO umfaßt die zu gewährende Krankenpflege u.a. auch "Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel". Und nach § 182b S. 1 RVO hat der Versicherte Anspruch auf Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen. Als ein Hilfsmittel zum Ausgleich einer körperlichen Behinderung (- die Funktionen der Sicherung einer Heilbehandlung und der Abwehr einer drohenden Behinderung können hier außer Betracht bleiben -), auf das der Versicherte nach § 182b RVO einen Anspruch haben kann, ist eine Sache demnach dann anzusehen, wenn sie geeignet und erforderlich ist, eine körperliche Funktionsbeeinträchtigung zum Ausgleich zu bringen.
Die Kasse schuldet u.a. solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit und zu einer entsprechenden medizinischen Rehabilitation notwendig sind. Andere Aufgaben obliegen der Kasse nur, wenn und soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (BSG, Urteil vom 10. November 1977 - 3 RK 7/77 -: BSGE 45, 133, 135). Ein Hilfsmittel in dem angeführten Sinne kann daher nur dann vorliegen, wenn das Mittel erforderlich ist, eine solche Funktionsbeeinträchtigung auszugleichen, die eine krankhafte Normabweichung darstellt. Dabei kann der Umstand, daß die auszugleichende Behinderung im Gesetz als eine "körperliche" Behinderung beschrieben wird, nicht als eine Beschränkung auf rein körperhafte Funktionen - wie etwa die Greiffähigkeit der Hände - verstanden werden. Auch Funktionen mit einer weitgehenden Beteiligung seelischer und geistiger Schichten sind, wie sich sowohl aus dem allgemeinen Krankheitsbegriff als auch aus dem speziellen Begriff des Behinderten (vgl. auch § 39 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes -BSHG-) ergibt, insoweit als ausgleichsfähig anzusehen.
Das Kind M. W. leidet, wie das Sozialgericht festgestellt hat, an einer massiven Sprachbehinderung; soweit diese Behinderung in einzelnen Urteilsabschriften als "mäßig" bezeichnet wird, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit der in der Urschrift des Urteils (und in den übrigen vom SG vorgelegten Abschriften) erfolgten richtigen Bezeichnung "massiv". An diese Feststellung ist das Revisionsgericht gebunden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Unstreitig ist das hier in Frage stehende Mittel - ein sogenannter Kopfschreiber - geeignet, diese als körperliche Behinderung i.S. des § 182b RVO anzusehende Sprachstörung dadurch auszugleichen, daß das Kind in die Lage versetzt wird, durch Kopfbewegungen eine Schreibmaschine zu bedienen und dadurch sich sprachlich verständlich zu machen. Da das Kind infolge seiner Gliederlähmung die Schreibmaschine nicht mit den Händen bedienen kann, ist das Mittel insoweit auch erforderlich.
Fraglich ist es, ob ein Hilfsmittel i.S. des § 182b RVO nur dann vorliegt, wenn es die ausgefallene Funktion durch eine demselben Körperorgan zuzuordnende Funktion ersetzt. Da körperliche Funktionen sich vielfältig ergänzen und voneinander abhängig sind und da ausgefallene Funktionen eines Organs - in mehr oder weniger großem Umfang - auch durch Funktionen anderer Organe übernommen werden können, wäre es unverständlich, die Leistungspflicht der Krankenkasse nur auf solche Hilfsmittel zu beschränken, die die ausgefallene Funktion als solche zu ersetzen vermögen und sie nicht auch auf solche Mittel zu erstrecken, die bloßen Ergänzungs- bzw. Ersatzfunktionen dienen. Dem Anspruch auf den hier fraglichen Kopfschreiber steht somit nicht entgegen, daß er die (natürliche) Lautsprache (des Kehlkopfes) durch bloße Schriftzeichen ersetzt.
Wird die Eigenschaft als Hilfsmittel i.S. des § 182b RVO demnach nicht dadurch in Frage gestellt, daß die beeinträchtigte Funktion durch eine andere Organfunktion ersetzt wird - z.B. das fehlende Sehen durch anderweitige sinnliche Raumerfahrung -, so bleibt aber doch als wesentliches Kriterium des Hilfsmittels, daß es entweder die ausgefallene Funktion selbst ersetzen oder doch wenigstens natürlichen Ergänzungsfunktionen zu dienen vermag. Der geforderte Ausgleich liegt daher nur dann vor, wenn die Hilfsfunktion und die auszugleichende Funktion in einem übergreifenden Sinn funktionsmäßig zusammengehören. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall deshalb gegeben, weil die mangelnde Lautfähigkeit durch die Möglichkeit, Schriftzeichen zu setzen, zu einem gewissen Ausgleich kommt, der Sinn sprachlicher Kommunikation also doch auf diese Weise erfüllt wird. Eine solche enge Verbindung zwischen der Hilfsmittelfunktion und der auszugleichenden Funktion ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 182b RVO, wonach das Hilfsmittel nur insoweit gewährt wird, als es erforderlich ist, "um einer drohenden Behinderung vorzubeugen, den Erfolg der Heilbehandlung zu sichern oder eine körperliche Behinderung auszugleichen". Zu einer anderen als dieser medizinischen Rehabilitation ist die Krankenkasse aber nicht verpflichtet (BSGE 45, 135; BSG, Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 26/78 - SozR 2200 § 182b Nr. 10); §§ 6, 10 RehaAnglG, § 12 S. 2 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil -SGB 1-; Peters/Mengert, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Auflage, Anm. zu § 6 RehaAnglG, Stand September 1980, S A 144, letzter Absatz am Anfang; vgl. demgegenüber die Zuständigkeiten anderer Sozialleistungsträger wie der Bundesanstalt für Arbeit, der Berufsgenossenschaften, der Landesversicherungsanstalten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Bundesknappschaft, der Versorgungsämter und der Sozialhilfeträger).
Ist das Hilfsmittel aber in diesem Sinne geeignet, einen Funktionsausgleich herbeizuführen, dann ist nicht weiter zu prüfen, ob es zusätzlich medizinischen Zwecken dient. Vielmehr ist es allein seine medizinische Zweckrichtung, die krankhafte Funktionsbeeinträchtigung des Versicherten zum Ausgleich zu bringen, die es zum Hilfsmittel i.S. der gesetzlichen Krankenversicherung macht. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 22. Juli 1981 - 3 RK 56/80 - (- Sportbrille -) zum Ausdruck gebracht hat, "ist grundsätzlich die Behinderung selbst ein ausreichender medizinischer Grund für die Bereitstellung des Hilfsmittels" und setzt der Hilfsmittelbegriff nur voraus, daß das Hilfsmittel geeignet ist, die Behinderung auszugleichen (SozR 2200 § 182 Nr. 73, S. 127 unten und 128 oben).
Aus der Bedeutung des Funktionsausgleiches ergibt sich aber auch, daß das Hilfsmittel die krankhafte Funktionseinbuße - hier: die Sprachbehinderung - nicht in vollem Umfang zu ersetzen braucht. Vielmehr genügt auch ein nur teilweiser Ersatz der ausgefallenen Funktionen (BSG, Urteil vom 26. März 1980 - 3 RK 61/79 -: BSGE 50, 77, 78). Darüber, in welchem (Mindest-) Umfang das Hilfsmittel die krankhafte Funktionsbeeinträchtigung zum Ausgleich bringen muß, um dem Versicherten einen Anspruch darauf zu sichern, ist damit aber noch nichts ausgesagt. Der Vorschrift des § 182b RVO läßt sich dazu nichts entnehmen. Indessen ergibt sich eine entsprechende Leistungsgrenze aus der Aufgabenstellung der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie auch in § 182 Abs. 2 RVO, der im Rahmen des § 182b RVO Anwendung findet, zum Ausdruck kommt (BSG, Urteil vom 24. August 1978 - 5 RKn 19/77 - SozR 2200 § 182b Nr. 9; Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 26/78 - SozR 2200 § 182b Nr. 10, S. 31 unten; Urteil vom 24. April 1979 - 3 RK 20/78 - SozR 2200 § 182b Nr. 12, S. 38; Urteil vom 18. Februar 1981 - 3 RK 49/79 - SozR 2200 § 182b Nr. 18, S. 50). Danach darf die Krankenpflege, zu der auch die Ausstattung mit Hilfsmitteln gehört, das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Ein Hilfsmittel, das die krankhafte Funktionseinbuße in nur unwesentlichem Umfang auszugleichen vermag, ist nicht notwendig. Das ist hier nicht der Fall. Darüber hinaus kann ein Hilfsmittel aber durchaus einen wesentlichen Ausgleich erbringen und gleichwohl den Anforderungen, die mit dem Begriff der Notwendigkeit i.S. des § 182 Abs. 2 RVO verbunden sind, nicht entsprechen. So sind Hilfsmittel denkbar, die noch bei den seltensten und gesundheitlich fragwürdigsten Sportarten dem Versicherten, der diesen Sport betreiben möchte, durch seine Behinderung aber dazu nicht in der Lage ist, insoweit zwar einen wesentlichen Ausgleich zu verschaffen vermögen. Gleichwohl kann hier aber nicht davon die Rede sein, daß ein solches Hilfsmittel notwendig, mit ihm also "gerade dieses Maß an Krankenhilfe zwangsläufig, unentbehrlich oder unvermeidlich ist'' - (Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Auflage, Stand: Juli 1982, Anm. 3.3. zu § 182 RVO - zum Begriff des "Notwendigen" -). Eine solche Notwendigkeit liegt vielmehr nur dann vor, wenn der Funktionsausgleich des Hilfsmittels im Rahmen der Erfüllung eines elementaren, normalen Lebensbedürfnisses liegt (vgl. BSG, SozR 2200 § 182b: Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 26/78 - - WC-Automatik -, Nr. 10 - "elementaren Bestandteilen der Körperpflege" - S. 30 oben; Urteil vom 26. März 1980 - 3 RK 96/78 - Faltfahrstuhl -, Nr. 16 - "die hier einzige Möglichkeit, überhaupt am Gemeinschaftsleben und an Arbeit teilzunehmen" - S. 44 unten; Urteil vom 26. März 1980 - 3 RK 61/79 - Blattwendegerät -, Nr. 17 - "bei der Erfüllung von Grundbedürfnissen zu helfen" - S. 47 unten; Urteil vom 22. Juli 1981 - 3 RK 56/80 - Sportbrille -, SozR 2200 § 182, Nr. 73 - "im Rahmen einer normalen Lebensführung" - S. 128 Mitte).
Der hier umstrittene Kopfschreiber ist auch notwendig. Das Kind des Versicherten wird durch das Gerät in nicht unwesentlichem Umfang in die Lage versetzt, anstelle der fehlenden lautsprachlichen mitmenschlichen Kommunikation sich durch Schriftzeichen sprachlich auszudrücken und sich damit am "Sprechen" zu beteiligen. Daß es sich insoweit um die Erfüllung eines allgemeinen menschlichen Grundbedürfnisses handelt, kann nicht zweifelhaft sein. Da das Kind durch seine zusätzliche Gliederlähmung dieses Grundbedürfnis nicht anderweitig - jedenfalls nicht in einem entscheidungserheblichen Umfang - auszugleichen vermag, ist es auf das Gerät angewiesen.
Aber selbst, wenn die Voraussetzungen des Hilfsmittels nach § 182b RVO gegeben sind und das Hilfsmittel auch als notwendig i.S. des § 182 Abs. 2 RVO anzusehen ist, ist ein Anspruch darauf dann nicht gegeben, wenn es sich um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt (- ein Anspruchshinderungsgrund, der durch Art. 1 Nr. 4 des Kostendämpfungsgesetzes -KVEG- vom 22.12.1981 - BGBl. I 1578 - als § 182b S. 1, letzter Satzteil, RVO in den Gesetzeswortlaut aufgenommen wurde). Das ist hier nicht der Fall.
Da der umstrittene Kopfschreiber somit eine krankhafte Funktionsstörung des Kindes des Versicherten zum Ausgleich zu bringen vermag (und er bei dem Kind zur Bedienung einer Spezialschreibmaschine insoweit auch erforderlich ist), weil er ferner als notwendig i.S. des § 182 Abs. 2 RVO anzusehen ist, nicht aber zugleich einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens darstellt, ist der Anspruch der Klägerin, wie das Sozialgericht mit Recht festgestellt hat, gegeben. Die Revision der Beklagten konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.3 RK 16/81
Bundessozialgericht
Verkündet am 26. Oktober 1982
Fundstellen