Beteiligte
Hamburg-Münchener Krankenkasse – Pflegekasse – |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Oktober 1997 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für die Revisionsinstanz nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin leidet an einer schweren Polysklerose mit Lähmung der Arme und Beine, der Nacken-Rücken-Muskulatur, des Darmes und der Harnblase, epilepsieähnlichen Anfällen mit Atemnot sowie schizoiden Agressionsreaktionen. Sie wird von ihrem Ehemann und einer professionellen Pflegekraft gepflegt. Anfang 1995 beantragte sie bei der beklagten Pflegekasse Pflegeleistungen als Kombinationsleistung nach § 38 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), und zwar Sachleistungen in Höhe von 950 DM (entsprechend der Differenz zwischen der Regel-Höchstsachleistung von 2.800 DM nach § 36 Abs 3 Nr 3 SGB XI und der Höchstsachleistung „zur Vermeidung von Härten” von 3.750 DM nach § 36 Abs 4 SGB XI) sowie das Pflegegeld der Pflegestufe III von 1.300 DM. Die Beklagte stellte die Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe III sowie das Vorliegen eines Härtefalls fest und bewilligte ab 1. April 1995 als Kombinationsleistung Sachleistungen bis zum Härtefall-Höchstbetrag von 3.750 DM sowie Pflegegeld entsprechend dem Prozentsatz der nicht ausgeschöpften Sachleistungen; da der gewählte Sachleistungsanteil von 950 DM ca 25 % der Härtefall-Höchstsachleistungen von 3.750 DM ausschöpfe, sei noch ein Pflegegeld in Höhe von 75 % von 1.300 DM, also 975 DM zu zahlen (Bescheid vom 19. Februar 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 1996).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf Zahlung des vollen Pflegegeldes stattgegeben (Urteil vom 22. August 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. Oktober 1997): Weil die Klägerin Sachleistungen in Anspruch genommen habe, sei das Pflegegeld entsprechend zu mindern. Auch wenn Sachleistungen in Höhe von 2.800 DM, dem Regelhöchstbetrag, übrig blieben, führe dies nicht dazu, das volle Pflegegeld als Kombinationsleistung zu gewähren.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, durch die Gesetzesänderung vom 14. Juni 1996 sei klargestellt worden, daß auch im Rahmen der Härtefallregelung die Kombinationsleistung gewählt werden könne. Dadurch sei in Härtefällen neben der „normalen” Sachleistung oder dem Pflegegeld noch ein Anspruch auf weitere Sachleistungen gegeben. Wenn bei der Kombinationsleistung Sachleistungen von 3.750 DM ebenso wie solche von 2.800 DM einem Pflegegeld von 1.300 DM entsprechen sollten, liege ein Verstoß gegen Art 3 Grundgesetz (GG), gegen das Recht der Pflegebedürftigen auf Selbstbestimmung, den Vorrang der häuslichen Pflege und den Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit vor. Zumindest habe der Anspruch auf ungemindertes Pflegegeld bis zur Gesetzesänderung bestanden; für Altfälle sei Bestandsschutz zu gewähren.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Oktober 1997 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Die Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin wegen der Inanspruchnahme von Sachleistungen nicht der volle Betrag für das Pflegegeld nach der Pflegestufe III zusteht.
Nach § 36 Abs 1 Satz 1, 3 und 4 SGB XI idF durch das 1. SGB XI-ÄndG vom 14. Juni 1996 (BGBl I 830) haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Die häusliche Pflegehilfe wird durch geeignete Pflegekräfte erbracht, wobei auch – wie hier für einen Teil des Pflegebedarfs – die Pflegekasse mit einer Einzelperson einen Pflegevertrag abschließen kann. Nach § 36 Abs 3 Nr 3 SGB XI umfassen die Hilfeleistungen bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 2.800 DM monatlich; nach § 36 Abs 4 SGB XI können die Pflegekassen Pflegebedürftigen der Pflegestufe III in besonders gelagerten Einzelfällen „zur Vermeidung von Härten” jedoch weitere Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 3.750 DM monatlich gewähren. Gemäß § 37 Abs 1 SGB XI kann der Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe auch Pflegegeld beantragen, wenn er die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise sowie dem Umfang des Pflegegeldes entsprechend selbst sicherstellt – wie hier für den übrigen Teil des Pflegebedarfs durch den Ehemann. Das Pflegegeld beträgt für Pflegebedürftige der Pflegestufe III 1.300 DM monatlich. Nach § 38 Satz 1 SGB XI erhält der Pflegebedürftige, wenn er – wie hier – die ihm nach § 36 Abs 3 und 4 SGB XI zustehenden Sachleistungen nur teilweise in Anspruch nimmt, daneben anteiliges Pflegegeld; dieses wird um denjenigen Vomhundertsatz vermindert, in dem der Pflegebedürftige Sachleistungen in Anspruch genommen hat (§ 38 Satz 2 SGB XI).
Die Auffassung der Klägerin läuft darauf hinaus, sie habe keine Sachleistungen in Anspruch genommen, sondern lediglich die Härteleistungen nach § 36 Abs 4 SGB XI; das dürfe nicht zur Minderung des Pflegegeldes führen, weil dieses den Härtefall nicht berücksichtige. Dem stehen aber der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes entgegen. § 38 Satz 1 SGB XI in der ursprünglichen Fassung durch Art 1 Pflege-Versicherungsgesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl I, 1014) lautete: „Nimmt der Pflegebedürftige die ihm nach § 36 Abs 3 zustehende Sachleistung nur teilweise in Anspruch, erhält er daneben anteiliges Pflegegeld im Sinne des § 37.” Dieser nur auf Abs 3 abstellende Wortlaut hatte zum Teil zu der Auffassung geführt, nach Bewilligung der Sachleistung „zur Vermeidung von Härten” gemäß § 36 Abs 4 SGB XI sei die Wahl einer Kombinationsleistung nicht mehr möglich (vgl Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Pflegekassen, WzS 1996, 120 f, sowie Wannagat/Meydam, SGB XI, Stand Februar 1996, § 38 RdNr 4). Durch das 1. SGB XI-ÄndG vom 14. Juni 1996 (BGBl I 830) ist hinter „§ 36 Abs 3” die Ergänzung „und 4” eingefügt und damit ein „redaktionelles Versehen korrigiert” worden (BT-Drucks 13/3696, S 13), das durch die nachträgliche Einfügung von § 36 Abs 4 SGB XI im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens entstanden war (Jung, Die neue Pflegeversicherung-SGB XI, 1995, RdNr 343); dadurch ist klargestellt, daß auch bei denjenigen Pflegebedürftigen der Pflegestufe III, die als Härtefälle anerkannt sind, die Bewilligung einer Kombinationsleistung möglich ist. Ferner ergibt sich daraus, daß auch bei Vorliegen eines Härtefalls nur von einer Sachleistung auszugehen ist und die Aufstockung des Höchstbetrages keine rechtlich zu trennende Zulage darstellt; § 38 Satz 1 spricht nicht von den nach § 36 Abs 3 und 4 zustehenden Sachleistungen, sondern einer Sachleistung.
Danach kann auch nicht angenommen werden, der Gesetzgeber habe im anschließenden Satz 2 von § 38 SGB XI als Sachleistung nur die Regelsachleistung nach § 36 Abs 3 gemeint. § 38 Satz 2 SGB XI schreibt wörtlich die Minderung des Pflegegeldes um denjenigen Vomhundertsatz vor, in dem der Pflegebedürftige „Sachleistungen” in Anspruch genommen hat. Schon aus dem Wortlaut der Vorschrift ist zu schließen, daß von den erhöhten Sachleistungen einschließlich der zusätzlich zu gewährenden Sachleistungen zur Vermeidung von Härten (als Basis der Berechnung = 100 %) auszugehen ist. § 38 SGB XI läßt aber auch sonst, weder in der alten, noch in der neuen Fassung erkennen, daß für den Fall der Gewährung von zusätzlichen Pflegeeinsätzen zur Vermeidung von Härten nach § 36 Abs 4 SGB XI ein anderes Berechnungsverfahren maßgeblich sein soll. Jedenfalls aus Anlaß der Gesetzesänderung, deren Gegenstand gerade diese zusätzlichen Pflegeeinsätze zur Vermeidung von Härtefällen gewesen sind, hätte eine Regelung über ein anderes Berechnungsverfahren, wenn der Gesetzgeber sie gewollt hätte, nahegelegen.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Es liegt kein Widerspruch darin, daß zwar § 36 Abs 4 SGB XI zusätzliche Pflegeeinsätze in besonders gelagerten Einzelfällen zur Vermeidung von Härten vorsieht, § 37 SGB XI es bei vergleichbarem Pflegebedarf aber bei dem Pflegegeld der Pflegestufe III von 1.300 DM beläßt, also keinen weiteren Pflegegeldzuschlag „zur Vermeidung von Härten” kennt. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß bei außergewöhnlichem Pflegebedarf familiäre oder ehrenamtliche Pflege im Regelfall nicht ausreicht und die hohen Kosten bei einem Einsatz professioneller Pflegekräfte den Regelhöchstbetrag von 2.800 DM bald erschöpfen. Wenn er den Einsatz selbstbeschaffter Pflegekräfte – in der Regel Familienangehörige – auch bei einem derart hohen Pflegebedarf nicht mit einem entsprechenden Zuschlag zum Pflegegeld fördert, sondern auch insoweit auf die unentgeltlichen Hilfeleistungen innerhalb der Familie oder anderer Solidargemeinschaften setzt, liegt darin keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. Denn die Unterscheidung danach, ob die Pflege durch professionelle Kräfte erfolgt oder nicht, beruht auf einem sachlichen Grund; im übrigen hat der Gesetzgeber hinsichtlich Art und Umfang von sozialen Leistungen auch in der Pflegeversicherung einen weiten Gestaltungsspielraum (vgl dazu BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 2; BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1; Urteil vom 6. August 1998, B 3 P 9/97 R – nicht veröffentlicht –). Das Fehlen eines Zuschlags zum Pflegegeld der Pflegestufe III in Härtefällen ist auch kein Grund, die Klägerin von einer Minderung zu verschonen, weil sie Sachleistungen im Umfang von 2.800 DM nicht ausschöpft, also den Umfang des „normalen” Sachleistungsanspruchs in der Pflegestufe III. Die Klägerin wäre sonst bessergestellt als derjenige Pflegebedürftige, der überhaupt keine Sachleistungen in Anspruch nimmt. Die Klägerin erhielte wie dieser volles Pflegegeld, aber dazu noch die Sachleistungen. Andererseits ist sie bei der Inanspruchnahme von Kombinationsleistungen im Vergleich zu einem Pflegebedürftigen der Pflegestufe III – ohne Härtezuschlag – insofern zu Recht bessergestellt, als ihr Anspruch auf Pflegegeld durch die Sachleistungen weniger schnell aufgezehrt wird, weil sich der Prozentanteil von der höheren Bemessungsgrundlage 3.750 DM errechnet.
Der Vortrag der Klägerin, sie genieße Bestandsschutz (Vertrauensschutz als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips, Art 20 Abs 2, 3 GG), geht fehl, weil das 1. SGB XI-ÄndG hier keine Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen mit sich gebracht hat.
Inwiefern das Recht des Pflegebedürftigen auf Selbstbestimmung, der Vorzug der häuslichen Pflege und der Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit einen rechtlichen Anspruch der Klägerin auf höheres Pflegegeld begründen können, ist von ihr nicht näher ausgeführt worden. Ein rechtlicher Zusammenhang ist insoweit auch nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
NJWE-FER 1999, 222 |
NZS 1999, 398 |
KVuSR 2001, 63 |
SozSi 1999, 416 |