Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Verwertung. Lebensversicherung. Ungleichbehandlung. Eigentumsverletzung
Leitsatz (redaktionell)
Eine sachwidrige Ungleichbehandlung bei der Anwendung von § 1 Abs. 2 AlhiV 2002 gegenüber den nach § 231 SGB VI in der Rentenversicherungspflicht Befreiten, deren Altersvorsorgebeträge ohne jegliche Begrenzung privilegiert sind, läge nur bei einer besonderen Berufsbiografie und daraus resultierenden Versorgungslücken vor. Dem muss gegebenenfalls im Rahmen der sich aus § 193 Abs. 2 SGB III abzuleitenden Härtefallregelung Rechnung getragen werden.
Es können auch indirekte Einwirkungen auf die Nutzung, Verfügung und Verwertung von Eigentumspositionen von Art. 14 Abs. 1 GG erfasst werden, jedoch kann die Nichtgewährung einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung nicht alleine wegen des damit automatisch verbundenen Zwangs zur Verwertung von Eigentum und Vermögen dem Schutzbereich des Art. 14 GG unterstellt werden.
Normenkette
SGB III §§ 206, 190 Abs. 1 Nr. 5, § 193 Abs. 2; AlhiV 2002 § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 25. März 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 13. September 2002 im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld (Alg).
Der im April 1948 geborene, unverheiratete Kläger bezog von der Beklagten bis 12. Dezember 2002 Alg. Im November 2002 beantragte er die Gewährung von Alhi im Anschluss an den Alg-Bezug. Zu diesem Zeitpunkt war er Inhaber zweier Lebensversicherungsverträge mit einem Rückkaufswert von 33.972,00 € (bei gezahlten Beiträgen von 23.693,97 €) bzw von 30.613,00 € (bei gezahlten Beiträgen von 26.918,01 €). Die Versicherungsverträge waren im Juni 2002 ruhend gestellt worden. Der Versicherungsvertrag mit dem Rückkaufswert von 30.613,00 € wurde im Januar 2003 zunächst in Höhe von 10.000,00 € beliehen und später gekündigt, um mit den daraus erhaltenen Mitteln den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Alhi ab, weil der Kläger über Vermögen in Höhe von insgesamt 64.585,00 € verfüge, das den ihm nach der Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) 2002 zustehenden Freibetrag in Höhe von 28.080,00 € weit überschreite (Bescheid vom 28. November 2002; Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2002).
Während das Sozialgericht (SG) der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger Alhi ab 13. Dezember 2002 zu gewähren (Urteil vom 17. Juni 2003), hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. März 2004). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Entscheidung der Beklagten sei nicht zu beanstanden. Nach § 1 Abs 1 AlhiV 2002 sei das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteige. Nach § 1 Abs 2 AlhiV 2002 belaufe sich dieser Freibetrag auf 520,00 € je vollendetem Lebensjahr. Für die Dauer des einjährigen Bewilligungszeitraums wirke sich die anschließende Absenkung des Freibetrags auf 200,00 € pro Lebensjahr mit Wirkung ab 01. Januar 2003 auf Grund der Übergangsvorschrift des § 4 Abs 2 Satz 1 AlhiV 2002 nicht aus. Die Verwertung der beiden Versicherungsverträge sei nicht offensichtlich unwirtschaftlich iS des § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002, weil der zu erzielende Wert nicht in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert stehe. Die AlhiV 2002 entspreche der Ermächtigungsnorm des § 206 Nr 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III).
Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß der Regelungen der AlhiV 2002 gegen die Ermächtigungsnorm des § 206 Nr 1 SGB III, die ihrerseits gegen Art 80 Grundgesetz (GG) verstoße. Die Freibetragsregelung des § 1 Abs 2 AlhiV 2002 verletze Art 3 Abs 1 GG und Art 14 GG. Außerdem habe das LSG den Begriff der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit in § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002 zu Unrecht nicht verfassungskonform ausgelegt.
Der Kläger beantragt deshalb,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das LSG habe die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Sozialgerichtsgesetzbuch ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Entgegen der Ansicht des LSG ist Streitgegenstand nicht nur der Zeitraum vom 13. Dezember 2002 bis 12. Dezember 2003 als der übliche Einjahreszeitraum für die Gewährung von Alhi, sondern auch die gesamte Folgezeit. Weder der Kläger noch das SG haben die Klage auf das erste Jahr nach dem Alg-Bezug beschränkt.
Jedoch ist ein Anspruch des Klägers auf Alhi gemäß § 190 Abs 1 Nr 5 SGB III iVm § 193 Abs 2 SGB III (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften vom 16. Februar 2001 – BGBl I 266 – erhalten hat) mangels Bedürftigkeit zu verneinen. Danach ist ein Arbeitsloser nicht bedürftig, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Ob und inwieweit Vermögen zu berücksichtigen ist, konkretisiert insoweit § 1 der AlhiV vom 13. Dezember 2001 – BGBl I 3734 – (AlhiV 2002) in den seit 1. Januar 2002 geltenden Fassungen. Nach § 1 Abs 1 AlhiV 2002 ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit dessen Wert den Freibetrag übersteigt. Nach Abs 2 ist Freibetrag ein Betrag von 520,00 € je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen, wobei der Freibetrag 33.800,00 € nicht übersteigen darf. Mit Wirkung ab 1. Januar 2003 wurde dieser Freibetrag auf 200,00 € je vollendetem Lebensjahr bei einem Höchstbetrag von 13.000,00 € herabgesetzt; für die Dauer der laufenden Bewilligung galt der Freibetrag von 520,00 € weiter (§ 4 Abs 2 Satz 1 AlhiV 2002). Mit Wirkung ab 1. Januar 2005 schließlich sind die Regelungen des SGB III über die Alhi gänzlich aufgehoben (4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 – BGBl I 2954). Seit 1. Januar 2005 kann einem bedürftigen Erwerbsfähigen nur noch Alg II nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) von den Leistungsträgern des SGB II auf entsprechenden Antrag gewährt werden. Ab 1. Januar 2005 scheitert der Anspruch des Klägers mithin bereits hieran.
Soweit es die davor liegende Zeit betrifft, hat der Senat mit drei Entscheidungen vom 9. Dezember 2004 (B 7 AL 30/04 R, B 7 AL 44/04 R und B 7 AL 56/03 R) unter Rückgriff auf seine frühere Entscheidung vom 27. Mai 2003 (BSGE 91, 94 ff = SozR 4-4220 § 6 Nr 1) entschieden, dass § 206 Nr 1 SGB III als Ermächtigungsnorm zum Erlass der AlhiV den Erfordernissen des Art 80 Abs 1 GG genügt (siehe zur Zulässigkeit der Ermächtigung des Ministeriums statt des Ministers Rubel in Umbach/Clemens, GG, Art 80 RdNr 38). In diesen Entscheidungen ist außerdem klargestellt, dass § 1 Abs 3 Nr 6 AlhiV 2002, nach dem Sachen und Rechte nicht zu berücksichtigen sind, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist, nur eine Prüfung unter wirtschaftlich-ökonomischen Gesichtspunkten rechtfertigt (vgl dazu auch BSG SozR 3-4100 § 137 Nr 7 und BSG, Urteil vom 25. April 2002 – B 11 AL 69/01 R). Zu Recht hat das LSG deshalb maßgeblich darauf abgestellt, inwieweit der Kläger einen wirtschaftlichen Verlust erleidet, wenn er seine privaten Lebensversicherungen auflösen muss. Unwirtschaftlichkeit läge nur dann vor, wenn der Zwang zum Verkauf der Lebensversicherungen die eingezahlten Beiträge in einem nennenswerten Umfang entwerten würde. Dies traf nach den Feststellungen des LSG für keine der beiden Lebensversicherungen zu. Vielmehr überstieg der Rückkaufswert der beiden Lebensversicherungen jeweils die Gesamtsumme der eingezahlten Beiträge.
Mit seiner Entscheidung vom 9. Dezember 2004 (B 7 AL 30/04 R) hat der Senat außerdem unter Rückgriff auf seine Entscheidung vom 27. Mai 2003 (BSGE 91, 94 ff = SozR 4-4220 § 6 Nr 1) entschieden, dass die Regelung des § 1 Abs 2 AlhiV 2002 in der vom 1. Januar bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung (Freibetrag von 520,00 € pro Lebensjahr; vgl auch die Übergangsvorschrift des § 4 Abs 2 AlhiV 2002) das verwertbare Vermögen hinsichtlich des generellen Freibetrags ermächtigungs- und verfassungskonform konkretisiert hat. Nicht ermächtigungskonform ist nach dieser Entscheidung vom 9. Dezember 2004 lediglich, dass die AlhiV 2002 im Gegensatz zur früheren AlhiV und auch im Gegensatz zum ab 1. Januar 2005 geltenden SGB II keine allgemeine Härteklausel für die Nichtverwertbarkeit von Vermögen mehr enthält, obwohl diese von § 193 Abs 2 SGB III zwingend vorausgesetzt wird. Unter Rückgriff auf § 193 Abs 2 SGB III ist deshalb eine Verwertung von Vermögen oberhalb des Freibetrags nur zumutbar, wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann.
In der Entscheidung vom 9. Dezember 2004 (B 7 AL 30/04 R) hat der Senat auch ausgeführt, dass die Freibetragsregelung des § 1 Abs 2 AlhiV 2002, wenn sie mit der bezeichneten Härtefallregelung verknüpft ist, nicht gegen Art 3 Abs 1 GG verstößt. Dies gilt insbesondere gegenüber der Privilegierung der so genannten Riesterrente nach § 1 Abs 3 Nr 3 AlhiV 2002, die ohnedies nach § 1 Abs 2 Satz 2 AlhiV 2002 in gewissem Umfang auf den Freibetrag angerechnet wird, und der Privilegierung von nachweislich für die Alterssicherung bestimmten Sachen und Rechten des Arbeitslosen oder seines Partners, wenn diese nach § 231 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind (vgl hierzu auch die Senatsurteile vom 9. Dezember 2004 – B 7 AL 44/04 R und B 7 AL 56/04 R). Eine sachwidrige Ungleichbehandlung gegenüber den nach § 231 SGB VI in der Rentenversicherungspflicht Befreiten, deren Altersvorsorgebeträge ohne jegliche Begrenzung privilegiert sind, läge nur bei einer besonderen Berufsbiografie und daraus resultierenden Versorgungslücken vor. Dem muss gegebenenfalls im Rahmen der sich aus § 193 Abs 2 SGB III abzuleitenden Härtefallregelung Rechnung getragen werden. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt auch keine Ungleichbehandlung im Hinblick darauf vor, dass nach § 1 Abs 3 Nr 5 AlhiV 2002 im Gegensatz zum Kapitalvermögen ein Hausgrundstück von angemessener Größe, das der Arbeitslose bewohnt, oder eine entsprechende Eigentumswohnung oder Sachen und Rechte, die nachweislich alsbald zur Erhaltung eines solchen Hausgrundstücks oder einer solchen Eigentumswohnung verwendet werden sollen, in größerem Umfang als nach der Freibetragsregelung des § 1 Abs 2 AlhiV 2002 privilegiert werden. Dass dies nicht gleichheitswidrig ist, hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2003 entschieden (BSGE 91, 94 ff, RdNr 42 f = SozR 4-4220 § 6 Nr 1).
In dieser Entscheidung ist außerdem ausführlich dargelegt, dass die Einführung des Freibetrags (von 1.000,00 DM = jetzt 520,00 €) nicht gegen Art 14 Abs 1 GG verstieß. Insoweit kann dem Kläger nicht gefolgt werden, wenn er die Eigentumsverletzung darin sieht, dass er durch die gesetzliche Regelung gezwungen wird, seine Lebensversicherungen aufzulösen, soweit sie den Freibetrag überschreiten. Art 14 Abs 1 GG schützt nicht das Vermögen als solches, sondern setzt Beeinträchtigungen im Sinne einer Entziehung der Eigentumsposition oder einer rechtlichen Beschränkung der Nutzung, Verfügung oder Verwertung voraus. Eine direkte Beeinträchtigung in diesem Sinne ist – bezogen auf die Lebensversicherungen – jedenfalls zu verneinen. Zwar können auch indirekte Einwirkungen auf die Nutzung, Verfügung und Verwertung von Eigentumspositionen von Art 14 Abs 1 GG erfasst werden (vgl nur Wendt in Sachs, GG, 3. Aufl 2003, Art 14 RdNr 52 f mwN); jedoch kann die Nichtgewährung einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung nicht alleine wegen des damit automatisch verbundenen Zwangs zur Verwertung von Eigentum und Vermögen dem Schutzbereich des Art 14 GG unterstellt werden. Ob ein Eingriff in das Eigentum vorliegt, beurteilt sich dann nur nach der Rechtsposition, die sich aus dem öffentlich-rechtlichen Anspruch – bei der Alhi – ergibt.
Unter Beachtung der bezeichneten Senatsrechtsprechung ist die Entscheidung des LSG nicht zu beanstanden. Der Kläger lag bereits alleine mit seiner noch nicht aufgelösten Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 33.972,00 € sowohl im Jahre 2002 als auch in den Folgejahren über dem nach der AlhiV 2002 in der vom 1. Januar bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung maßgeblichen Freibetrag von 520,00 € pro Lebensjahr. Die Absenkung des Freibetrags ab 1. Januar 2002 ist deshalb ohne Bedeutung (s dazu die Senatsurteile vom 9. Dezember 2004 – B 7 AL 44/04 R und B 7 AL 56/04 R) Ein allgemeiner Härtefall im Sinne der Rechtsprechung des Senats vom 9. Dezember 2004 (B 7 AL 30/04 R) war zu keinem Zeitpunkt nach dem vom LSG festgestellten bzw vom Kläger selbst vorgetragenen Sachverhalt zu bejahen. Insbesondere ist ein Härtefall entgegen der Ansicht des Klägers nicht bereits darin zu sehen, dass er sich in seinem Alter eine weiter gehende Altersversorgung nicht mehr aufbauen kann. Dem trägt bereits § 1 Abs 2 AlhiV 2002 dadurch Rechnung, dass älteren Arbeitslosen ein höheres Schonvermögen zugebilligt wird als jüngeren (vgl dazu BSGE 91, 94 ff, RdNr 39 = SozR 4-4220 § 6 Nr 1).
Da der Kläger mithin im gesamten streitigen Zeitraum bis 31. Dezember 2004 verwertbares Vermögen oberhalb der Freibetragsgrenze besaß und ab 1. Januar 2005 einen Alhi-Anspruch ohnedies nicht mehr bestand, konnte seine Revision keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen