Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Hilfebedürftigkeit. Unterhaltsvermutung bei Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten. Feststellungs- und Beweislast des Grundsicherungsträgers. Abgrenzung zur Vermutungsregelung des Sozialhilferechts
Leitsatz (amtlich)
Der Grundsicherungsträger trägt die Beweislast für das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zwischen Verwandten (im Sinne eines Wirtschaftens aus einem Topf).
Orientierungssatz
Die Rechtsprechung zum früheren § 16 BSHG bzw zu § 36 SGB 12 kann aufgrund der inhaltlich unterschiedlichen Vermutungsregelungen nicht auf § 9 Abs 5 SGB 2 übertragen werden.
Normenkette
SGB 2 § 9 Abs. 5 Fassung: 2003-12-24; SGB 12 § 36 S. 1; BSHG § 16 S. 1; SGB 10 § 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2005 zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Streitig ist dabei insbesondere, ob der Kläger mit seinem Vater in einer Haushaltsgemeinschaft gemäß § 9 Abs 5 SGB II lebt.
Der im Jahre 1965 geborene Kläger bezog bis zum Jahre 2002 Arbeitslosengeld (Alg) nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch und anschließend bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe. Im Oktober 2004 beantragte er bei der Beklagten die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Dabei legte er ua einen ab 1. August 2004 geschlossenen Mietvertrag über eine 80,32 qm große Wohnung vor, den er gemeinsam mit seinem Vater abgeschlossen hatte. Nach diesem Vertrag betrugen die Grundmiete für diese Wohnung 298 Euro, die Betriebskosten 87 Euro und die Kosten für die Heizung 72 Euro.
Der Vater des Klägers ist im Jahre 1935 geboren. Er ist Witwer und bezieht eine monatliche Altersrente in Höhe von 1.278,27 Euro. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 10. November 2004 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2005 Alg II in Höhe von monatlich 393,48 Euro. Sie legte dabei eine Regelleistung von 345 Euro und Kosten der Unterkunft in Höhe von 228,41 Euro zu Grunde. Auf den Gesamtbedarf des Klägers in Höhe von 573,41 Euro rechnete sie einen "fiktiven Unterhaltsanspruch" in Höhe von 179,93 Euro an.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, eine Unterhaltsvermutung sei nicht gerechtfertigt. Er übergebe seinem Vater monatlich 230 Euro in bar für die Unterkunft. Er und sein Vater hätten gegenseitig keinerlei Kontovollmacht. Jeder wasche und bügele seine Wäsche selbst. Da sie zu unterschiedlichen Zeiten morgens aufstünden und die Wohnung verließen, koche auch jeder für sich selbst. Jeder schlafe in seinem separaten Zimmer. Es handele sich mithin höchstens um eine Wohngemeinschaft. Hierzu legte der Kläger weiterhin eine schriftliche Erklärung seines Vaters vor, wonach es sich um eine Wohngemeinschaft handele und ein gemeinsames Wirtschaften nicht stattfinde. Einkauf und Zubereitung der Nahrungsmittel erledige jeder selbst, ebenso die Wäsche. Sein Sohn erhalte keine finanzielle Unterstützung von ihm. Er teile lediglich aus Kostengründen mit seinem Sohn die Wohnung. Keiner könne über das Konto des anderen verfügen.
Die Beklagte bewilligte mit Änderungsbescheid vom 1. Juni 2005 dem Kläger sodann für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2005 Leistungen in Höhe von monatlich 451,74 Euro. Sie ging nunmehr von der Vermutung aus, dass der Vater des Klägers an diesen monatlich 118,76 Euro leiste. Den weitergehenden Widerspruch wies sie durch Bescheid vom 6. Juni 2005 zurück.
Das Sozialgericht Augsburg (SG) hat mit Urteil vom 24. Oktober 2006 die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das SG ua an, dem Kläger sei es nicht gelungen, die Vermutung des Gesetzgebers zu widerlegen, dass er von dem Zeugen (seinem Vater) Unterstützung erhalte. Der Vater des Klägers habe als Zeuge ausgesagt, dass er den Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich mit Geldleistungen in Höhe von 1.780 Euro unterstützt habe. Er habe angegeben, dass er das Geld zwar gern wieder zurück hätte, dies aber nur einfordern würde, wenn sein Sohn wieder Arbeit finden würde.
Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 4. Mai 2007 das Urteil des SG aufgehoben und die Bescheide der Beklagten geändert. Diese wurde verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 2005 zusätzlich monatlich 118,76 Euro zu zahlen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass bei dem Leistungsanspruch des Klägers ein vermuteter monatlicher Unterhaltsbeitrag seines Vaters in Höhe von 118,76 Euro zu berücksichtigen sei. Erste Voraussetzung der Vermutungsregelung des § 9 Abs 5 SGB II sei, dass der Kläger mit seinem Vater in einer Haushaltsgemeinschaft lebe. Dafür, dass eine Haushaltsgemeinschaft bestehe, sei hingegen die Beklagte beweispflichtig. Der Beklagten könne nicht darin gefolgt werden, dass bereits wegen des Zusammenwohnens der Kläger verpflichtet wäre, die Vermutung einer Unterstützung durch den Vater zu widerlegen. Vielmehr trete diese Vermutungsregelung erst dann in Kraft, wenn das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft nachgewiesen sei. Für die Definition der Haushaltsgemeinschaft sei ebenso wie in § 16 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) auf das "Wirtschaften aus einem Topf" abzustellen. Die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf Gemeinschaftsräumen reiche hierfür nicht aus. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gingen über ein bloßes Zusammenleben hinaus. Bei einem Zusammenleben von Eltern und Kindern sei zu bedenken, dass eine häusliche Gemeinschaft zwischen Eltern und Kindern zunächst natürlicherweise vorgegeben sei und häufig über den Zeitpunkt des Erwachsenwerdens der Kinder hinaus beibehalten werde. Dass die erwachsenen Mitglieder einer solchen Wohngemeinschaft aus einem Topf wirtschafteten, sei nicht die Regel, gerade wenn jedes der Mitglieder in der Lage sei, sei es durch Erwerbsarbeit oder den Bezug von Lohnersatzleistungen, den Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Unterstützungen zur Behebung einer Notlage begründeten noch nicht die Annahme des Wirtschaftens aus einem Topf. Deshalb könne auch aus der Tatsache, dass der Vater dem Kläger in dem Zeitraum von Juni 2005 bis Oktober 2006 1.780 Euro geliehen habe, nicht auf das Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft zurückgeschlossen werden. Der geliehene Betrag entspreche ziemlich genau dem Betrag, um den die Beklagte die Leistung des Klägers wegen der vermuteten Unterstützungsleistung vermindert habe. Es sei nachvollziehbar, dass der Kläger mit der gekürzten Regelleistung seinen Lebensunterhalt auf Dauer nicht habe bestreiten können. Vor dem gesamten Hintergrund der feststellbaren Tatsachen sei das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft nicht nachgewiesen. Der Kläger und sein Vater hätten getrennte Konten. Die Lebensmittel und die sonstigen Artikel des täglichen Bedarfs würden getrennt und auf eigene Rechnung eingekauft. Jeder wasche seine Wäsche selbst. Auch habe jeder sein eigenes Zimmer. Dass die übrigen Räume gemeinsam genutzt würden, beweise noch nicht das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft, weil dies auch bei Wohngemeinschaften üblich sei. Dasselbe gelte für den Umstand, dass gelegentlich das Essen gemeinsam gekocht und eingenommen werde. Auch seien die von der Beklagten angeführten Kontobewegungen der Monate August 2005 und Februar 2006 noch kein Beweis für ein Wirtschaften aus einem Topf.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 9 Abs 5 SGB II. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) habe in einem grundlegenden Urteil vom 23. Februar 1966 zur wortgleichen Vorgängervorschrift des § 16 Satz 1 BSHG (Hinweis auf BVerwGE 23, 255) festgestellt, dass die Vermutungsfolge des § 16 Satz 1 BSHG nur durch den Gegenbeweis gegen die Vermutungsvoraussetzungen ausgeräumt werden könne. Vermutungsvoraussetzungen seien einmal das Leben in einem Haushalt mit Verwandten oder Verschwägerten, zum anderen die Leistungsfähigkeit der Angehörigen. Die Beweislast treffe daher alleine den Hilfebedürftigen. Diese Auffassung vertrete auch das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (Hinweis auf das Urteil vom 13. Dezember 1991 - BF IV 1/91). Hierzu im Gegensatz stehe die Wertung des LSG, dass die Beklagte beweispflichtig für das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft sei. Entgegen der Überzeugung des LSG sei also die Frage zu entscheiden, ob es dem Kläger gelungen sei, die gesetzliche Vermutung, er lebe mit seinem Vater in einer Haushaltsgemeinschaft gemäß § 9 Abs 5 SGB II, zu widerlegen. Dabei habe das LSG auch im Einzelnen die Tatsachen nicht richtig gewürdigt. Beispielsweise habe der Kläger mit seinem Vater einen Mietvertrag für die angemietete Wohnung abgeschlossen. Nach diesem Mietvertrag seien beide im Falle eines Auszugs gemeinsam gehalten gewesen, die Wohnung zu renovieren. Eine Haushaltsgemeinschaft setze nicht voraus, dass in allen Bereichen des Lebens aus einem gemeinsamen Topf gewirtschaftet werde. Neben der erwähnten Teilung der Mietkosten würden, wie der Kläger und sein Vater beim SG übereinstimmend angegeben hätten, Lebensmittel zwar grundsätzlich getrennt eingekauft. Dinge, die beide benötigten (zB Grundnahrungsmittel, Waschmittel) besorge aber derjenige, dem auffalle, dass sie fehlten. Dies sei wiederum als Nachweis zu werten, dass jedenfalls in einem elementaren Lebensbereich in nicht unerheblichem Umfang gemeinsam gewirtschaftet werde. Soweit das LSG ausführe, dass die erwachsenen Mitglieder einer aus Eltern und Kindern bestehenden Wohngemeinschaft üblicherweise nicht aus einem Topf wirtschafteten, so könne dem nicht zugestimmt werden. Auch sei nicht nachvollziehbar, wie das LSG zu der Meinung gelangen könne, die Tatsache, dass der Vater des Klägers diesem im Zeitraum von Juni 2005 bis Oktober 2006 insgesamt 1.780 Euro geliehen habe, sei kein Beleg für das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft iS des § 9 Abs 5 SGB II. Schließlich gehe das Argument des LSG, der Kläger und sei Vater hätten über getrennte Konten verfügt, an der Lebenswirklichkeit vorbei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 4. Mai 2007 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 24. Oktober 2006 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der bis zum 31. Dezember 2010 weiterhin gemäß § 70 Nr 2 SGG beteiligtenfähigen Beklagten (vgl hierzu Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04 = - BVerfGE 119, 331 = DVBl 2008, 173 = NZS 2008, 198) ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass auf die dem Kläger zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II keine Zahlungen des Vaters des Klägers gemäß § 9 Abs 5 SGB II angerechnet werden können.
Streitgegenstand sind die Bescheide der Beklagten vom 10. November 2004 und 1. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juni 2005, mit denen die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. März 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 451,74 Euro unter Berücksichtigung eines fiktiven Unterhaltsbetrags seines Vaters in Höhe von 118,76 Euro bewilligt hat. Das LSG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger monatlich die einbehaltenen fiktiven Leistungen seines Vaters in Höhe von 118,76 Euro auszubezahlen. Der Kläger ist zunächst nach dem Gesamtzusammenhang des LSG leistungsberechtigt gemäß § 7 SGB II. Insbesondere war er erwerbsfähig gemäß § 8 SGB II und hilfebedürftig gemäß § 9 SGB II. Aus anderen Gründen als dem fiktiv berücksichtigten Unterhaltsbetrag seines Vaters stehen ihm nach dem Gesamtzusammenhang der Akten und der Feststellungen des LSG keine Leistungen nach dem SGB II in anderer Höhe als der bewilligten zu. Auch kann dahinstehen, auf welche Weise die Beklagte letztlich zu dem Berücksichtigungsbetrag von 118,76 Euro gelangt ist, weil nach der Verurteilung des LSG der Bedarf des Klägers nach dem SGB II jedenfalls voll umfänglich gedeckt ist.
Die Beklagte war nicht berechtigt, zu Lasten des Klägers von der Vermutungsregelung des § 9 Abs 5 SGB II auszugehen. § 9 Abs 5 SGB II (in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954) bestimmt: "Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann." Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Vermutung des § 9 Abs 5 SGB II hier nicht zu Lasten des Klägers eingreift, weil tatsächlich keine Haushaltsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem Vater vorlag. Es kann hier insofern offen bleiben, ob das LSG zu der Überzeugung gekommen ist, es liege schon rein tatsächlich keine Haushaltsgemeinschaft vor, oder ob die Urteilsgründe so zu verstehen sind, dass es sich letztlich nur nicht erweisen lasse, ob eine Haushaltsgemeinschaft vorliege. In beiden Fällen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Haushaltsgemeinschaft iS des § 9 Abs 5 SGB II vorliegt, denn das Vorliegen einer solchen Haushaltsgemeinschaft ist die erste Tatbestandsvoraussetzung dafür, dass die gesetzliche Vermutung - der Hilfebedürftige erhält Leistungen von den Verwandten oder Verschwägerten - eingreifen kann. Das Vorliegen des Tatbestands der Haushaltsgemeinschaft ist mithin von Amts wegen (§ 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) festzustellen (vgl H. Schellhorn in Hohm, SGB II, § 9 RdNr 51, Stand 10/2007; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 9 RdNr 66). Für die Unterhaltsvermutung in § 9 Abs 5 SGB II reicht es gerade nicht aus, wenn Verwandte oder Verschwägerte in einem Haushalt lediglich zusammen wohnen. Vielmehr muss über die bloße Wohngemeinschaft hinaus der Haushalt im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft gemeinsam geführt werden (vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 9 RdNr 157 ff, Stand 2/2007; Peters in Estelmann, SGB II, § 9 RdNr 67 ff, Stand 10/2006; H. Schellhorn in Hohm, SGB II, § 9 RdNr 52 ff; Mecke in Eicher/Spellbrink, aaO, RdNr 52 ff). Nach der Begründung des Gesetzentwurfs des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 5. September 2003 (BT-Drucks 15/1516, S 53) ist dies dann der Fall, wenn die Verwandten oder Verschwägerten mit dem im selben Haushalt lebenden Hilfebedürftigen "aus einem Topf" wirtschaften. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen daher über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft.
Die Voraussetzungen des Vorliegens einer solchen Wirtschaftsgemeinschaft von mehreren in einer Wohnung zusammen lebenden Verwandten oder Verschwägerten müssen vom jeweiligen Grundsicherungsträger positiv festgestellt werden (anders jetzt wohl die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 9 SGB II RdNr 9 und 23). Keinesfalls kann, was offensichtlich der Rechtsansicht der Beklagten entspricht, davon ausgegangen werden, dass § 9 Abs 5 SGB II eine Vermutungsregelung auch dahingehend enthält, dass bereits dann, wenn Verwandte und Verschwägerte nur gemeinsam in einer Wohnung zusammen leben, immer vom Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft ausgegangen werden kann. Eine gesetzliche Vermutung auch für das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft enthält § 9 Abs 5 SGB II gerade nicht. Dies folgt insbesondere aus einem Vergleich des § 9 Abs 5 SGB II mit der Regelung des § 36 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). § 36 Satz 1 SGB XII lautet: "Lebt eine Person, die Sozialhilfe beansprucht (nachfragende Person), gemeinsam mit anderen Personen in einer Wohnung oder in einer entsprechenden anderen Unterkunft, so wird vermutet, dass sie gemeinsam wirtschaften (Haushaltsgemeinschaft) und dass sie von ihnen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach ihrem Einkommen und Vermögen erwartet werden kann." Eine entsprechende Vermutungsregelung fehlt in § 9 Abs 5 SGB II. Der Gesetzgeber hat - wie der Wortlaut der beiden Vorschriften ausweist - im SGB II gerade darauf verzichtet zu normieren, dass bei einem Zusammenleben von Verwandten oder Verschwägerten in einer Wohnung bereits das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft vermutet werden kann. Dass der Gesetzgeber des SGB II entsprechende Vermutungsregelungen aufstellen kann, steht außer Frage. Er hat von dieser Möglichkeit etwa durch die Neuregelungen des § 7 Abs 3a SGB II Gebrauch gemacht.
Mithin ist davon auszugehen, dass es zunächst einer positiven Feststellung des Grundsicherungsträgers bedarf, dass ein Wirtschaften aus einem Topf (Haushaltsgemeinschaft) zwischen dem Hilfebedürftigen und einem Verwandten bzw Verschwägerten vorliegt, mit dem dieser in einer Wohnung zusammen lebt.
Das LSG hat insoweit keine eindeutige Feststellung getroffen. Zu Recht ist es allerdings davon ausgegangen, dass die Nichterweislichkeit des Vorliegens einer Haushaltsgemeinschaft hier zu Lasten der Beklagten geht. Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass der Rechtsprechung des BVerwG zu § 16 BSHG eine gewisse Tendenz zu entnehmen ist, dass die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Haushaltsgemeinschaft den jeweiligen Sozialhilfeempfänger traf (vgl BVerwGE 23, 255 ff). Allerdings ist diese - zum mittlerweile aufgehobenen BSHG - ergangene Rechtsprechung nicht auf § 9 Abs 5 SGB II übertragbar. Insbesondere kann diese Rechtsprechung nicht der Aufspaltung des früheren § 16 BSHG in § 36 SGB XII einerseits und § 9 Abs 5 SGB II andererseits ausreichend Rechnung tragen. Es mag zutreffend sein, dass die unterschiedlichen Vermutungsregelungen in § 9 Abs 5 SGB II und § 36 SGB XII nicht sinnvoll sind (so explizit Conradis in LPK-SGB XII, 8. Aufl 2008, § 36 RdNr 2). De lege lata ist jedoch vom Grundsicherungsträger hinzunehmen, dass § 9 Abs 5 SGB II anders als § 36 SGB XII keine ausdrückliche Vermutungsregelung für das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft bei bloßem Zusammenwohnen enthält.
Im Übrigen entspricht die vom LSG vorgenommene Beweislastverteilung auch allgemeinen Grundsätzen der Beweislast. Zwar ist es unproblematisch, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Beweislast dafür zu tragen hat, dass die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs 1 SGB II vorliegen, mithin auch dafür, dass er hilfebedürftig ist. § 9 Abs 5 SGB II schränkt aber bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft den an sich bestehenden Grundsicherungsanspruch des Hilfebedürftigen wieder ein. Insofern ist es auch folgerichtig, dem Grundsicherungsträger die Beweislast für das Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft aufzuerlegen.
Das LSG ist mithin von rechtlich zutreffenden Maßstäben ausgegangen. Soweit es zur Ausfüllung dieser rechtlichen Maßstäbe im Einzelnen Tatsachen gewürdigt hat, wie etwa der Kläger und sein Vater zusammen leben, wer das Essen bereitet, wer einkauft und wer Vollmachten über welches Konto hat etc, so handelt es sich um tatrichterliche Beweiswürdigung, die einer eigenständigen Wertung durch das Revisionsgericht entzogen ist. Die Beklagte hat insofern gegen die Feststellungen des LSG bzw seine Beweiswürdigung keine Verfahrensrügen (etwa: Verstoß gegen Denkgesetze oder willkürliche Beweiswürdigung) erhoben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen