Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin: … |
Tatbestand
I.
Streitig ist die Vormerkung einer Beitragszeit.
Der 1948 geborene Kläger war vom 1. April 1963 bis 31. März 1966 als Lehrling im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb, den er nach Bestehen der Landwirtschaftsmeisterprüfung (Mai 1972) im Oktober 1972 übernahm, beschäftigt. Während der Lehrzeit erhielt er ein Taschengeld und Sachbezüge in Form von freier Kost und Wohnung; Beiträge zur Rentenversicherung wurden für ihn nicht entrichtet.
Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 7. August 1985 u.a. die Zeit vom 1. Oktober 1965 bis zum 31. März 1966 als Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) Im Oktober 1993 beantragte der Kläger die Anerkennung der Zeit vom 1. April 1963 bis 30. Juni 1965 als "Versicherungszeit". Die Beklagte lehnte die Rücknahme ihres Bescheides vom 7. August 1985 und die Anerkennung einer Versicherungszeit für den streitigen Zeitraum ab, weil die Anwendung des § 247 Abs. 2a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) für den Personenkreis der "Meistersöhne" auf die Zeit vom 1. Juni 1945 bis zum 30. September 1956 beschränkt sei (Bescheid vom 6. Dezember 1993; Widerspruchsbescheid vom 17. März 1994). Das Sozialgericht (SG) hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 1994 verurteilt, "für die Zeit vom 1. April 1963 bis 30 Juni 1965 Pflichtbeitragszeiten gemäß § 247 Abs. 2a SGB VI vorzumerken" (Urteil vom 27. Oktober 1995).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung im wesentlichen vorgetragen, der Wortlaut des § 247 Abs. 2a SGB VI sei zu weit gefaßt. Die Vorschrift müsse dahingehend teleologisch reduziert werden, daß sie innerhalb des maximalen zeitlichen Rahmens (1. Juni 1945 bis 30. Juni 1965) nur Anwendung finde, soweit die Pflichtbeitragszahlung infolge einer seinerzeit bestehenden Rechtsunsicherheit bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht unterblieben ist. Die bei Meistersöhnen bestehende Rechtsunsicherheit sei durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. April 1956 (BSGE 3, 30) beendet worden. Die Krankenkassen als Einzugsstellen des Sozialversicherungsbeitrages hätten dieses Urkeil umgesetzt und ab 1. Oktober 1956 für Meistersöhne Beiträge zur Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung erhoben. Der gegenteiligen Rechtsprechung des 13. Senats des BSG sei nicht zu folgen, da der 13. Senat in seinem Urteil vom 8. Februar 1995 (BSG SozR 3-2600 § 1247 Nr. 1) das Wort "grundsätzlich" in § 247 Abs. 2a SGB VI nicht hinreichend gewürdigt habe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Oktober 1995 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 6. September 1994 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen,
Der Kläger hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die (Lehr-)Zeit des Klägers vom 1. April 1963 bis zum 30. Juni 1965 als Pflichtbeitragszeit vorzumerken. Soweit der bindend gewordene (Vormerkungs-)Bescheid der Beklagten vom 7. August 1985 dieser Vormerkung entgegensteht, war auch dieser Bescheid aufzuheben.
Prüfungsmaßstab für die Aufhebung des bindend gewordenen (Vormerkungs-)Bescheides vom 7. August 1985 ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Bei Erlaß dieses Bescheides ging die Beklagte von einem richtigen Sachverhalt aus. Als Lehrling im elterlichen Betrieb unterlag der Kläger im o.g. Zeitraum in der gesetzlichen Rentenversicherung der Versicherungs- und Beitragspflicht. Eine bloße Mithilfe im elterlichen Betrieb auf lediglich familiärer (Rechts-) Grundlage lag nicht vor, so daß die Beklagte eine Beitragszeit nur dann hätte vormerken dürfen, wenn während der Lehrzeit des Klägers tatsächlich Rentenversicherungsbeiträge entrichtet worden wären. Dies war nicht der Fall und damit der Bescheid der Beklagten vom 7. August 1985 nicht rechtswidrig i.S. des § 44 SGB X.
Prüfungsmaßstab für die Aufhebung des Bescheides vom 7. August 1985 ist § 48 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Beim (Vormerkungs-)Bescheid der Beklagten vom 7. August 1985 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. BSGE 58, 49, 51 = SozR 1300 § 45 Nr. 15; BSGE 65, 8, 13 = SozR 1300 § 48 Nr. 55). Durch Art. 1 Nr. 7 des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes (RÜ-ErgG) vom 24. Juni 1993 (BGBl. I S. 1038) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1992 (vgl. Art. 18 Abs. 4 Rü-ErgG) § 247 Abs. 2a SGB VI ins SGB VI eingefügt. Hierdurch ist in den rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlaß des Bescheides vom 7. August 1985 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten, zumal sich aus dieser Vorschrift ein Anspruch des Klägers auf Vormerkung seiner Lehrzeit als Beitragszeit ergibt.
Nach § 247 Abs. 2a SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung auch Zeiten, in denen in der Zeit vom 1. Juni 1945 bis zum 30. Juni 1965 Personen als Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt waren und grundsätzlich Versicherungspflicht bestand, eine Zahlung von Pflichtbeiträgen für diese Zeit jedoch nicht erfolgte. Das LSG hat für den Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend festgestellt, daß für den Kläger während seiner Lehrzeit im elterlichen Betrieb vom 1. April 1963 bis zum 30. Juni 1965 keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet wurden und der Kläger nicht nur aufgrund familiärer Verbundenheit oder zur Erfüllung familienrechtlicher Verpflichtungen im elterlichen Betrieb Arbeiten leistete, sondern er in abhängiger Beschäftigung eine Landwirtschaftslehre absolvierte. Die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ergab sich für Lehrlinge oder sonst zu ihrer Ausbildung für den Beruf eines Angestellten oder Arbeiters beschäftigte Person aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG bzw. § 1227 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung.
Zwar hatte das BSG mit Urteil vom 5. April 1956 (BSGE 3, 30) die frühere Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes zur Versicherungsfreiheit der sog. Meistersöhne aufgegeben. Hieraus kann entgegen der Ansicht der Beklagten aber nicht der Schluß gezogen werden, die Vorschrift des § 247 Abs. 2a SGB VI sei im Hinblick hierauf nur für die Zeit vor dem 1. Oktober 1956 (Zeitpunkt der verwaltungsmäßigen Umsetzung dieses Urteils) anzuwenden. Wie der 13 Senat des BSG in seinem Urteil vom 8. Februar 1996 (SozR 3-2600 § 1247 Nr. 1) bereits entschieden hat, lassen es weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift zu, sie in der von der Beklagten praktizierten Weise teleologisch auf diejenigen Zeiträume zu reduzieren, in denen ein Zustand der Rechtsunsicherheit bezüglich der Versicherungspflicht von Lehrlingen bestand. Der
13 Senat hat u.a. ausgeführt:
Hätte der Gesetzgeber die von der Beklagten angenommene differenzierte Regelung beabsichtigt, hätte er im übrigen eine andere Formulierung der Vorschrift treffen müssen, bei der entweder die in den Gesetresmaterialien und von der Beklagten weiter genannten Personengruppen mit den jeweiligen von ihr dargelegten "Unklarheitszeiträumen" als Berechtigte aufgeführt oder die von der Beklagten nicht für berechtigt gehaltenen Versicherten von der Regelung ausgeschlossen worden wären. In der vorliegenden Form findet ein entsprechendes, damals möglicherweise vorhandenes sozialpolitisches Bestreben jedenfalls keinen hinreichenden Anhalt im schließlich verabschiedeten Gesetz. Der Gesamtzusammenhang weist vielmehr darauf hin, daß hier eine großzügige Regelung getroffen werden sollte, um die zu Zeiten uneinheitlicher Rechtsanwendung und ungeklärter Versicherungspflicht verschiedenster Berufsausbildungsverhältnisse entstandenen Beitragslücken aller betroffenen Versicherten ohne Rücksicht auf die Gründe ihres jeweiligen Zustandekommens zu schließen. Diese pauschale Lösung bot sich bereits deshalb an, um den Versicherten den im einzelnen oft schwierigen Nachweis zu ersparen, daß damals ein Ausbildungsverhältnis der von der Revision genannten versicherungsrechtlich noch ungeklärten Art vorlag (ebenso im Ergebnis Kasseler Komm/Nieset, § 247 SGB VI Rdnr. 6b). Insofern mag auch die Absicht, erheblichen Ermittlungsaufwand der Rentenversicherungsträger und Gerichte zu vermeiden, bei der Gesetzesfassung eine Rolle gespielt haben.
Dem genannten Urteil des 13. Senats des BSG schließt sich der erkennende Senat im Ergebnis wie auch in der Begründung an Die Einwände der Beklagten gegen dieses Urteil überzeugen nicht. Der Verwendung des Wortes "grundsätzlich" im Text des § 247 Abs. 2a SGB VI kann nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnommen werden, daß nur Fälle der Rechtsunsicherheit bis zum Zeitpunkt der jeweiligen Beendigung dieser Unsicherheit durch die Rechtsprechung honoriert werden sollten. Vielmehr wurde in Kenntnis um die durchaus unterschiedlichen Fallkonstellationen und deren Behandlung durch die Rechtsprechung zu verschiedenen Zeitpunkten in einem bewußt typisierenden Verfahren der 30 Juni 1965 als maßgeblicher Endzeitpunkt dieser begünstigenden Regelung festgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen