Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für Fertigarzneimittel. keine Rechtswirkungen ausländischer Arzneimittelzulassungen für Deutschland. Gewährung einer neuartigen Therapie mit einem Rezepturarzneimittel nur nach Empfehlung des GBA. kein Anspruch auf cannabinoidhaltige Arzneimittel zur Schmerztherapie. kein Seltenheitsfall und kein Systemversagen. kein verfassungsrechtlich begründeter Anspruch auf Arzneimittelversorgung
Orientierungssatz
1. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 S 1 SGB 5 umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl BSG vom 4.4.2006 - B 1 KR 12/04 R = SozR 4-2500 § 27 Nr 7).
2. Eine bestehende Arzneimittelzulassung im Ausland entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechendes vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor (vgl BSG vom 18.5.2004 - B 1 KR 21/02 R = BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1).
3. Die Krankenkassen dürfen ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss bisher nicht empfohlen ist, grundsätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs 1 S 1 SGB 5 und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden sind (vgl BSG vom 23.7.1998 - B 1 KR 19/96 R = BSGE 82, 233 = SozR 3-2500 § 31 Nr 5).
4. Bei der Gewährung cannabinoidhaltiger Arzneimittel zur Schmerztherapie handelt es sich weder um einen sogenannten Seltenheitsfall, der sich systematischer Erforschung entzieht (vgl BSG vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R = BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1), noch sind die Voraussetzungen eines sogenannten Systemversagens erfüllt (vgl BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R = BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12).
5. Auch im Rahmen einer grundrechtsorientierten Auslegung des Krankenversicherungsrechts kann die Gewährung cannabinoidhaltiger Arzneimittel zur Schmerztherapie nicht beansprucht werden (vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).
Normenkette
AMG § 21 Abs. 1; AMG 1976 § 21 Abs. 1; AMG § 73 Abs. 3; AMG 1976 § 73 Abs. 3; BtMG § 1 Abs. 1 Anl 3, § 13 Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, 2 S. 1, Art. 20 Abs. 3; SGB 5 § 2 Abs. 1 Sätze 1-3, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 1, 3, § 31 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung cannabinoidhaltiger Arzneimittel zur Schmerztherapie.
Der 1953 geborene, bei der beklagten AOK krankenversicherte Kläger, nach einem Unfall 1987 querschnittsgelähmt, leidet ua an einem chronischen Schmerzsyndrom. Mit einem Attest des Anästhesiologen Dr. L. beantragte er, ihm einen Therapieversuch mit auf Cannabinoidgrundlage hergestellten Arzneimitteln ("Cannabinol") zu bewilligen. Soweit es sich um Fertigarzneimittel handelt, besteht für sie in Deutschland keine arzneimittelrechtliche Zulassung. Sie dürfen nur im Einzelfall aus einem ausländischen Staat, in dem sie arzneimittelrechtlich zugelassen sind (zB USA), nach § 73 Abs 3 Arzneimittelgesetz (AMG) importiert werden. Im Übrigen können sie als Rezepturarzneimittel verordnet werden. Der Kläger machte geltend, die bisherige Therapie mit dem Arzneimittel Lioresal und mit Opiaten habe keine ausreichende Schmerzreduktion bewirkt. Es sei ein Systemversagen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) für das begehrte "Rezepturarzneimittel" bislang keine Empfehlung ausgesprochen habe. Die Beklagte lehnte den Antrag ab: Nach der Beurteilung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) und der aktuellen Datenlage sei der Einsatz von Cannabis zur Schmerztherapie ethisch kaum vertretbar (Bescheid vom 30.9.2004; Widerspruchsbescheid vom 8.3.2005).
Die Klage ist beim Sozialgericht (SG; Urteil vom 1.12.2005) ebenso wie die Berufung des Klägers beim Landessozialgericht (LSG) ohne Erfolg geblieben: Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sei ausgeschlossen, da der GBA die Anwendung eines entsprechenden Rezepturarzneimittels nicht empfohlen habe. Eine Ausnahme wegen Systemversagens, Seltenheit der Erkrankung oder aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung greife nicht ein. Zudem befinde sich die Schmerzbehandlung mit Medikamenten auf Cannabinoidgrundlage noch im Erprobungsstadium (Urteil vom 30.8.2006).
Zur Begründung seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) iVm seinen Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und Schutz der Menschenwürde (Art 2 Abs 2 und Art 1 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) sowie aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip. Ohne überzeugende Grundlage habe das LSG gemeint, der GBA habe die vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtwidrig unterlassen. Die schwere, therapieresistente Schmerzerkrankung führe zu einer notstandsähnlichen Extremsituation, die einer Lebensgefährdung gleichzustellen sei und den begehrten Anspruch begründe.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 30. August 2006 und des SG Reutlingen vom 1. Dezember 2005 sowie den Bescheid vom 30. September 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm zur Behandlung seiner Schmerzerkrankung Arzneimittel auf Cannabinoidgrundlage als Sachleistung zu gewähren oder hilfsweise die Kosten für deren Selbstbeschaffung zu übernehmen,
ganz hilfsweise,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 30. August 2006 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, denn er hat keinen Anspruch darauf, cannabinoidhaltige Arzneimittel zur Schmerztherapie von der Beklagten als Sachleistung oder im Wege der Kostenübernahme zu erhalten. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Sachleistung oder Kostenübernahme nach § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V ( in der seit 1.7.2001 geltenden Fassung des Art 5 Nr 7 Buchst b Neuntes Buch Sozialgesetzbuch Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschenvom 19.6.2001, BGBl I 1046) sind nicht erfüllt ( zum Anspruch auf Kostenübernahme aus § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V vgl BSGE 88, 62, 75 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 36; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 8 RdNr 23 - Uterus-Arterien-Embolisation, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen ). Die Norm bestimmt: "Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Die Beklagte hat die begehrte Leistung indes mit Recht abgelehnt. Der Kläger kann cannabinoidhaltige Arzneimittel weder nach dem Gesetzesrecht der GKV (dazu 1) noch im Rahmen grundrechtsorientierter Auslegung des Krankenversicherungsrechts (dazu 2) beanspruchen.
1. Nach dem Gesetzesrecht der GKV hat der Kläger weder Anspruch auf cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel (dazu a) noch Rezepturarzneimittel (dazu b).
Der Kostenerstattungs- und -übernahmeanspruch gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte oder zu beschaffende Therapie zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben ( stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8, RdNr 14 - Interstitielle Brachytherapie; zuletzt BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - RdNr 11 mwN, - LITT, zur Veröffentlichung vorgesehen ). Daran fehlt es.
a) Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs 1 AMG) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt ( vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 4 RdNr 15 - Tomudex, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen mwN ). Der isolierte Hauptwirkstoff von Cannabis - Dronabinol - ist zwar ua in den USA unter dem Handelsnamen Marinol als Fertigarzneimittel für die Behandlung chemotherapiebedingter Übelkeit sowie zur Therapie der Kachexie und Appetitstimulation von Aidspatienten zugelassen. Weder in Deutschland noch EU-weit gibt es indes für cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel eine Zulassung. Die - im Übrigen nicht für die Schmerztherapie - bestehende Arzneimittelzulassung im Ausland entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechendes vom Hersteller eingeleitetes sowie positiv beschiedenes Antragsverfahren vor ( vgl im Einzelnen BSGE 93, 1 = SozR 4-2500 § 31 Nr 1, jeweils Leitsatz und RdNr 11 ff - Immucothel ). Damit kommt mangels Zulassung von Marinol seine zulassungsüberschreitende Anwendung ( vgl dazu BSGE 89, 184 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 - Sandoglobulin ) ebenfalls von vornherein nicht in Betracht ( vgl BSGE 93, 1 = SozR aaO, jeweils RdNr 22 ).
b) Auch cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel kann der Kläger nach der Gesetzeslage nicht beanspruchen. Dronabinol wird in Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert. Die Verordnung ist - wie der Einzelimport nach § 73 Abs 3 AMG - unter Beachtung des Betäubungsmittelrechts (vgl insbesondere § 13 Betäubungsmittelgesetz ≪BtMG≫ sowie Anlage III zu § 1 Abs 1 BtMG) betäubungsmittelrechtlich zulässig. Nach der Rechtsprechung des Senats dürfen die Krankenkassen indes ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom GBA bisher nicht empfohlen ist, grundsätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des GBA gebunden sind ( stRspr, vgl BSGE 82, 233, 237 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 18 ff - Jomol; BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 12 S 55 f - ASI; BSGE 86, 54, 56 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 61 f - ASI ). Für die neuartige, vom Kläger begehrte Schmerztherapie fehlt es aber an der erforderlichen Empfehlung des GBA.
Auch ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Therapie nach der gesetzlichen Konzeption beansprucht werden kann, liegt nicht vor. Weder handelt es sich um einen sogenannten Seltenheitsfall, der sich systematischer Erforschung entzieht ( vgl dazu BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1 - Visudyne ), noch sind die Voraussetzungen eines sogenannten Systemversagens erfüllt ( vgl dazu zuletzt BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 1 KR 24/06 R - RdNr 18 mwN, LITT, zur Veröffentlichung vorgesehen ). Danach kann ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem GBA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden ( vgl zB BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 21; SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70; siehe auch BSG, Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr 24 mwN, Neuropsychologische Therapie - zur Veröffentlichung vorgesehen ).
Ein - vom Gesetz vorgesehener - Prüfantrag für cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel ist an den GBA nicht gestellt worden. Anhaltspunkte dafür, dass sich die antragsberechtigten Stellen oder der GBA aus sachfremden oder willkürlichen Erwägungen mit der Materie nicht oder zögerlich befasst haben, hat der Kläger nicht vorgetragen. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Kritik des Klägers an den Entscheidungsgrundlagen des GBA - Veröffentlichungen aus den Jahren 2001 und 2004 (Konsensusgruppe) - ändert nichts daran, dass nach den Feststellungen des LSG der Einsatz cannabinoidhaltiger Arzneimittel zur Schmerztherapie sich noch im Erprobungsstadium befindet. Das hat der Kläger selbst nicht in Zweifel gezogen. Fehlt einer solchen Methode aber die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung, ist in Würdigung der gesetzlichen Anforderungen an Qualität und Wirksamkeit der Leistungen ( vgl § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V ) kein Raum für die Annahme, es liege ein Systemversagen vor ( vgl dementsprechend BSG, Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr 28 f - Neuropsychologische Therapie ).
2. Zu keinem anderen Ergebnis führt auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6.12.2005 ( 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164 - immunbiologische Therapie ) die verfassungskonforme Auslegung derjenigen Normen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründetem Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen ( vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 4 RdNr 23 - Tomudex, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; zuletzt BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - RdNr 16, Idebenone, zur Veröffentlichung vorgesehen ). Die grundrechtsorientierte Auslegung hat zur Folge, dass die generelle Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 12 Abs 1 SGB V ) des Mittels ausnahmsweise bejaht werden müsse, obwohl das begehrte Arzneimittel - als Fertigarzneimittel - bloß gemäß § 73 Abs 3 AMG im Wege des Einzelimports über eine Apotheke aus dem Ausland beschafft werden kann oder obwohl der GBA zu dem Rezepturarzneimittel noch keine Empfehlung ausgesprochen hat und deshalb an sich das Arzneimittel von der Versorgung ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt aber ua voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende ( vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 4 RdNr 21 und 30 mwN - Tomudex) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 31 - D-Ribose ). Daran fehlt es.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ( vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 31 - D-Ribose; zuletzt BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - RdNr 17, Idebenone ) ist mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung ( vgl dazu BSGE 89, 184 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 - Sandoglobulin ) für die Eröffnung des sogenannten Off-Label-Use formuliert ist. Denn hieran knüpfen weitergehende Folgen an. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu bestehenden untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen ( vgl BSG, Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 3/06 R - RdNr 34, Neuropsychologische Therapie ).
Deshalb hat der Senat bei einer Entscheidung darüber, ob im Rahmen verfassungskonformer Auslegung der Einzelimport eines überhaupt nicht in Deutschland zugelassenen Mittels nach § 73 AMG zu Lasten der GKV möglich ist, in die Beurteilung einbezogen, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht ( vgl BSG, Urteil vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - RdNr 19, Idebenone; zustimmend zur Begründung im BSG-Terminbericht Nr 68/06 BVerfG, 3. Kammer 1. Senat, Beschluss vom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06 - S 10 ), und eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik gefordert ( vgl ebenda, RdNr 20 ). Er hat Ähnliches für den gegebenenfalls gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion erwogen ( vgl ebenda ).
Von einer zwar durchaus schwerwiegenden, aber nicht eine notstandsähnliche Situation begründenden Krankheit ist der erkennende Senat etwa bei einer Myopathie wegen Myoadenylate-Deaminase-Mangels ausgegangen, die zu belastungsabhängigen, muskelkaterähnlichen Schmerzen, schmerzhaften Muskelversteifungen und sehr selten zu einem Untergang von Muskelgewebe führt ( vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 7 RdNr 31 f - D-Ribose ). Auch ein in schwerwiegender Form bestehendes Restless-Legs-Syndrom mit ganz massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen hat der Senat zwar als eine schwerwiegende, nicht aber als eine Krankheit angesehen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung auf eine Stufe gestellt werden kann ( vgl BSG, Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 14/06 R - RdNr 11, 18 - Cabaseril, zur Veröffentlichung vorgesehen ). In diesem Zusammenhang hat er darauf hingewiesen, dass selbst hochgradige akute Suizidgefahr bei Versicherten grundsätzlich nicht bewirkt, dass sie Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der GKV beanspruchen können, sondern nur spezifische Behandlung etwa mit den Mitteln der Psychiatrie ( vgl ebenda, RdNr 19 ). Auch ein Prostatakarzinom im Anfangsstadium ohne metastatische Absiedelungen hat der Senat nicht als ausreichend angesehen, um eine verfassungskonforme Leistungsausweitung zu rechtfertigen ( vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 36 - Interstitielle Brachytherapie ).
Nichts anderes kann für das chronische Schmerzsyndrom des Klägers gelten. Es kann mit einem nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion - auch in Würdigung seiner nur begrenzten Objektivierbarkeit - nicht gleichgestellt werden. Das gilt erst recht, wenn man den Erkenntnisstand des MDK-Gutachtens berücksichtigt. Er führt - ohne Widerspruch zu den vom Kläger vorgelegten Hinweisen zum Forschungsstand - für den Bereich mäßiger Schmerzen zu dem Ergebnis, dass Cannabis der Wirksamkeit von Placebos überlegen und derjenigen von Codein gleichwertig ist, während die erheblichen Nebenwirkungen die Nutzen-Risiko-Relation relativieren und keine Notwendigkeit erkennen lassen, die Cannabinoide in die international etablierten Schemata zur Schmerzbehandlung aufzunehmen. Bei starken Schmerzen ist demgegenüber die Überlegenheit des Therapiestandards Morphin anzunehmen, sodass eine kontrollierte klinische Prüfung hier ethisch kaum vertretbar erscheint. Das steht im Einklang mit der Stellungnahme der Bundesregierung zum Einsatz von Cannabis-Wirkstoffen in Arzneimitteln ( vgl BT-Drucks 15/2331, S 2 f ). Im Übrigen verdeutlichen alle Publikationen, dass es Alternativen zum Einsatz cannabinoidhaltiger Arzneimittel zur Schmerztherapie gibt, auch wenn das LSG hierzu keine näheren Feststellungen getroffen hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen