Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Sperrzeit. Arbeitsaufgabe. wichtiger Grund. Zuzug zum Ehegatten. Obliegenheitsverletzung. Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Beschäftigungssuche. Verschulden
Leitsatz (amtlich)
Der Vorwurf, der Arbeitnehmer habe das Beschäftigungsverhältnis zwar aus wichtigem Grund gelöst, er könne sich darauf jedoch nicht berufen, weil er sich nicht hinreichend um eine Anschlussbeschäftigung bemüht habe, ist dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer insoweit nicht mindestens grob fahrlässig gehandelt hat; bei einem geringeren Verschulden tritt eine Sperrzeit für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht ein.
Normenkette
SGB III § 144 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Im Streit ist die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 4. November bis 12. Dezember 1998; insoweit hat die Beklagte den Eintritt einer (sechswöchigen) Sperrzeit mit Wirkung ab 1. November 1998 angenommen.
Die 1973 geborene Klägerin war als Krankenschwester bis Ende Oktober 1998 in Berlin-Schöneberg versicherungspflichtig beschäftigt. Ihr jetziger Ehemann wohnte in Kamen (Westfalen) und studierte an der Universität Essen; im Sommer 1998 entschlossen sich die beiden zu heiraten. Nachdem der jetzige Ehemann der Klägerin zunächst vergeblich versucht hatte, einen Studienplatz in Berlin zu erhalten, bemühte er sich im Sommer 1998 telefonisch – ebenfalls vergeblich – bei verschiedenen Krankenhäusern in der Umgebung seines Wohnortes um eine Stelle für die Klägerin. Am 1. September 1998 vereinbarte diese mit ihrer Arbeitgeberin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31. Oktober 1998. Am 7. Oktober 1998 heiratete sie und zog am 1. November 1998 zu ihrem Ehemann nach Kamen.
Am 4. November 1998 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihr dieses zunächst erst ab 24. Januar 1999, weil in der Zeit vom 1. November 1998 bis 23. Januar 1999 eine zwölfwöchige Sperrzeit eingetreten sei (sog Sperrzeitbescheid vom 10. Dezember 1998 iVm mit einem Bewilligungsbescheid). Mit Abänderungsbescheid vom 20. April 1999 (iVm einem Bewilligungsbescheid) wurde für die Zeit vom 13. Dezember 1998 bis 23. Januar 1999 Alg nachträglich zugebilligt, weil die Beklagte eine Verkürzung der Sperrzeit von zwölf auf sechs Wochen annahm; im Übrigen wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den ursprünglichen Bescheid zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1999).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte “unter Aufhebung des Bescheides vom 10.12.1998 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19.4.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.5.1999 verurteilt, der Klägerin Alg ab 1.11.1998 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen” (Urteil vom 15. März 2000). Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG hat das Landessozialgericht (LSG) “mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Alg erst ab 4. November 1998” (Tag der Arbeitslosmeldung) “zu zahlen sei” (Urteil vom 4. Oktober 2001). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, entgegen der Ansicht der Beklagten könne sich die Klägerin für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses auf einen wichtigen Grund iS des § 144 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III) berufen. Der wichtige Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses mit Ablauf des 31. Oktober 1998 bestehe darin, dass die Klägerin innerhalb der Kündigungsfrist habe heiraten und nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses zu ihrem Ehepartner von Berlin nach Kamen habe umziehen wollen. Zwar habe die Klägerin nicht alles getan, um die im November 1998 eingetretene Arbeitslosigkeit ggf zu verhindern bzw zu verkürzen; sie habe sich vor dem 4. November 1998 weder an das Arbeitsamt (ArbA) zwecks Vermittlung einer neuen Beschäftigung gewandt noch schriftliche Bewerbungen verschickt. Gleichwohl könne die Beklagte nicht mit Erfolg geltend machen, diese Obliegenheitsverletzung führe dazu, dass sich die Klägerin nicht auf den wichtigen Grund des Zuzugs zum Ehegatten zwecks Herbeiführung der ehelichen Lebensgemeinschaft berufen könne; denn die Klägerin treffe kein erhebliches Verschulden. Eine Sperrzeit sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Obliegenheitsverletzung auf einem nicht unerheblichen Verschulden beruhe und damit im Rahmen der abwägenden Wertung zwischen wichtigem Grund und Obliegenheitsverletzung ein vertretbares Verhältnis bestehe.
Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 144 Abs 1 SGB III. Sie ist der Ansicht, dass es der Klägerin insbesondere zumutbar gewesen wäre, sich vor bzw nach Abschluss des Aufhebungsvertrags als Arbeitssuchende beim ArbA Hamm zu melden. Insoweit falle ihr ein nicht unerhebliches Verschulden zur Last.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG abzuändern und die Klage unter vollständiger Aufhebung des Urteils des SG abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe im Urteil des LSG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin im streitigen Zeitraum Alg zusteht; der Anspruch darauf ruht nicht wegen Eintritts einer Sperrzeit.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1998 (iVm dem Änderungsbescheid vom 19. April 1999) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 1999 über die Ablehnung von Alg für die Zeit vom 4. November bis 12. Dezember 1998. Auf Grund des Antrags der Klägerin beim SG sowie der darauf beruhenden Entscheidung des SG und des LSG ist Gegenstand des Revisionsverfahrens nicht die Verfügung der Beklagten über die Minderung der Anspruchsdauer.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Alg für die Zeit vom 4. November bis 12. Dezember 1998 gemäß § 117 SGB III. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift (Arbeitslosigkeit, Arbeitslosmeldung, Anwartschaft) sind nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllt. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht dem Alg-Anspruch der Klägerin auch nicht § 144 SGB III (hier idF, die die Vorschrift durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz ≪AFRG≫ vom 24. März 1997 – BGBl I 594 – erhalten hat) entgegen; nach Abs 2 Satz 1 dieser Vorschrift ruht zwar der Anspruch auf Alg während einer Sperrzeit. Gemäß Abs 1 Nr 1 der Vorschrift tritt eine Sperrzeit aber nur ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Auf einen derartigen wichtigen Grund kann sich die Klägerin vorliegend berufen.
Die Klägerin hat ihr Beschäftigungsverhältnis dadurch gelöst, dass sie einen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses führenden Vertrag (Aufhebungsvertrag) geschlossen hat (BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 12 S 25). Durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses hat die Klägerin ihre Arbeitslosigkeit vorsätzlich herbeigeführt; sie hatte, wie dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG zu entnehmen ist, keine konkreten Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz und wusste dies. Der Klägerin stand allerdings ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zur Seite; als solcher wird in stRspr der Zuzug zum Ehegatten angesehen, wenn der Arbeitslose seine Arbeitsstelle nicht von der gemeinsamen Wohnung aus zumutbar erreichen kann (vgl nur BSGE 43, 269, 273 = SozR 4100 § 119 Nr 2). Dies gilt auch für den Zuzug zum Partner, wenn zwar die Ehe noch nicht geschlossen ist, die Heirat aber bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolgen soll und erfolgt (BSGE 43, 269, 273 = SozR 4100 § 119 Nr 2; BSGE 52, 276, 277 = SozR 4100 § 119 Nr 17; BSGE 64, 202, 204 = SozR 4100 § 119 Nr 34; BSG SozR 4100 § 119 Nr 33); ein derartiger Fall ist hier gegeben.
Die Klägerin kann sich auf diesen wichtigen Grund berufen; es kann ihr nicht entgegengehalten werden, dass sie eine aus dem Versicherungsverhältnis obliegende Pflicht, den Eintritt des Versicherungsfalls der Arbeitslosigkeit zu vermeiden, nicht erfüllt habe (vgl zu dieser Prämisse BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 14 S 58 f). Diese Einschränkung wurde aus dem Grundgedanken der Sperrzeitregelung abgeleitet, dass die Gemeinschaft der Beitragszahler davor geschützt werde solle, dass der Anspruchsberechtigte das Risiko seiner Arbeitslosigkeit manipuliert (BSG aaO). Der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes mache es deshalb erforderlich, nicht nur die Gründe für die Aufgabe des Beschäftigungsverhältnisses und des Umzuges, sondern auch die Vorkehrungen zur Erhaltung des bisherigen sowie zur Erlangung eines Anschlussarbeitsverhältnisses in die wertende Betrachtung einzubeziehen (BSG aaO). Ob dies bedeutet, dass sich der Arbeitnehmer – wie der Leitsatz der Entscheidung des 11. Senats des Bundessozialgerichts vom 26. März 1998 (aaO) nahe zu legen scheint – umfassend, also sowohl vor als auch nach dem das Beschäftigungsverhältnis auflösenden Akt sowie durch Meldung beim ArbA und eigene sonstige Bewerbungen, im Sinne einer Obliegenheit, die einen Rechtsverlust zur Folge hat, um eine neue Arbeitsstelle bemühen muss, bedarf allerdings keiner Entscheidung; bereits in seinem Urteil vom 17. Oktober 2002 (B 7 AL 146/01 R, zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Senat jedenfalls darauf hingewiesen, dass die bezeichnete Forderung der Rechtsprechung nur in engem Zusammenhang damit zu sehen ist, dass nicht lediglich die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses selbst, sondern auch der Zeitpunkt für das Ende des Beschäftigungsverhältnisses von dem wichtigen Grund gedeckt sein muss. Hieraus ließe sich unter Umständen nur die Verpflichtung ableiten, vor dem das Beschäftigungsverhältnis lösenden Akt Versuche zu unternehmen, ein neues Beschäftigungsverhältnis nach einem geplanten Ende des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses einzugehen. Anders ausgedrückt: Der Vorwurf, der dem Arbeitslosen gemacht werden kann, ist möglicherweise nur der, dass er nicht bzw nicht ausreichend versucht hat, einen möglichst nahtlosen Übergang in ein neues Beschäftigungsverhältnis zu ermöglichen, bevor es zur Auflösung des alten Rechtsverhältnisses kommt.
Würde man in einem umfassenderen Sinne – ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage in § 144 SGB III – eine allgemeine Pflicht zu Eigenbemühungen annehmen, geriete man unter Umständen zudem in einen Widerspruch zur Regelung des § 119 Abs 5 SGB III. Danach hat das ArbA den Arbeitslosen (erst) bei der Arbeitslosmeldung auf seine Verpflichtung hinzuweisen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden; erst danach hat der Arbeitslose auf Verlangen des ArbA seine Eigenbemühungen nachzuweisen. Würde man eine umfassende Arbeitssuche bereits vor einer Meldung beim ArbA und damit ohne Beratung, also bereits zu einem Zeitpunkt vor einer “Verdichtung” des Sozialrechtsverhältnisses zwischen dem Arbeitslosen und der Bundesanstalt für Arbeit, verlangen, bestünden vor der Zeit der Arbeitslosmeldung sogar stärkere, nicht gesetzlich geregelte Verpflichtungen als in der Zeit nach der Arbeitslosmeldung (kritisch hierzu Spellbrink in Hennig, SGB III, § 37b RdNr 25, Stand Juni 2003).
Die Verpflichtung zur umfassenden Arbeitssuche kann auch nicht aus § 2 Abs 3 Nr 1 SGB III idF des AFRG entnommen werden. Danach haben Arbeitnehmer zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit jede zumutbare Möglichkeit bei der Suche einer Beschäftigung zu nutzen. Mit Wirkung ab 1. Januar 2002 wurde diese Regelung mit einem anderen Wortlaut Inhalt des § 2 Abs 5 Nr 2 SGB III (eigenverantwortliche Beschäftigungssuche zur Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit), bevor Abs 5 Nr 2 mit Wirkung ab 1. Januar 2003 erneut geändert wurde (eigenverantwortliche Beschäftigungssuche …, bei bestehendem Beschäftigungsverhältnis frühzeitig vor dessen Beendigung). Die Norm enthält jedoch, selbst wenn sie über einen Appell an den Arbeitslosen hinausgehen sollte, keine unmittelbare, allgemeine, den Leistungsansprüchen des Arbeitslosen entgegenstehende Regelung. Vielmehr ist jeweils eine konkrete Ausgestaltung im Rahmen der spezifischen Leistungsnormen erforderlich. Dies ist die überwiegende Meinung in der Literatur, soweit das Problem erörtert wird (Eicher in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 1 RdNr 39; Schmidt-De Caluwe in Wissing ua, SGB III, § 2 RdNr 36 ff und 48 f mwN, Stand Januar 2002; Timme in Hauck/Noftz, SGB III, K § 2 RdNr 17, Stand Januar 1999; Bepler in Gagel, SGB III, § 2 RdNr 18 ff, Stand August 2001; nicht ganz eindeutig Feckler in GK-SGB III, § 2 RdNr 19, Stand April 2002). In diesem Sinne hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 11. Mai 2000 (BSGE 86,147, 149 = SozR 3-4300 § 156 Nr 1) § 2 Abs 3 SGB III aF lediglich zur Auslegung des § 156 SGB III herangezogen und dazu formuliert, § 2 Abs 3 SGB III betone (nur) die besondere Verantwortung des Arbeitnehmers, die (erst) in § 156 SGB III zur gesetzlichen Obliegenheit mit einer für den Arbeitslosen nachteiligen Rechtsfolge bei ihrer Verletzung ausgestaltet worden sei. Dies entspricht der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 13/4941, S 153 zu § 2 Abs 3). Danach ist in § 2 Abs 3 SGB III aF nur eine Zusammenfassung und ein Hinweis bereits an “vorderer Stelle” erfolgt, weil einem Teil der Arbeitnehmer die Selbstverantwortung nicht bewusst sei und ihr Anspruchsdenken nicht mit den Rechtsfolgen bei einer Verletzung dieser Verpflichtungen (Nichtvorliegen, Ruhen oder Erlöschen des Anspruchs) übereinstimme. Die Begründung macht hinreichend deutlich, dass § 2 Abs 3 SGB III aF nicht eigenständig Obliegenheiten normiert, sondern nur auf die an anderen Stellen geregelten Rechtsfolgen verweist.
Der Gesetzgeber hat zudem zum 1. Juli 2003 mit den Vorschriften der §§ 37b, 140 SGB III spezielle Regelungen über die Pflicht zur Arbeitssuche während eines noch bestehenden Beschäftigungsverhältnisses – begrenzt auf die Meldung beim ArbA – und die Rechtsfolgen bei Verstoß gegen diese Pflicht ins SGB III eingefügt. Danach sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich beim ArbA arbeitssuchend zu melden. Erfolgt eine solche Meldung nicht, mindert sich der Anspruch auf Alg für jeden Tag der verspäteten Meldung, längstens für 30 Tage. Möglicherweise hat der Gesetzgeber damit erst ab 1. Juli 2003 – rechtspolitisch nachvollziehbar – eine gesetzliche Sanktion eingeführt, die für die davor liegende Zeit unter Umständen nicht in anderer Form durch eine durch Richterrecht geschaffene Obliegenheit substituiert werden kann.
Ungeachtet dieser Erwägungen setzen jedenfalls Obliegenheitsverletzungen ohnedies ein dem Leistungsbewerber – ggf typisierend – zurechenbares Fehlverhalten voraus (BSGE 86, 147, 150 = SozR 3-4300 § 156 Nr 1). In der Entscheidung des 11. Senats vom 26. März 1998 (SozR 3-4100 § 119 Nr 14 S 59) ist hierzu ausgeführt, der Versicherte müsse nahe liegende Anstrengungen zur Erlangung eines Anschlussarbeitsplatzes unterlassen haben. Dem ist für – wie im vorliegenden Fall – gesetzlich nicht im Einzelnen geregelte Obliegenheiten zuzustimmen. Ein zu einem Rechtsverlust führender Verstoß gegen solche im Einzelnen nicht näher ausgestalteten Obliegenheiten, die also nicht dezidiert in Form einer Gesetzesnorm ausformuliert sind, sondern sich allenfalls in Ergänzung der Gesetzesnorm oder aus der Systematik der einzelnen Vorschriften ableiten lassen, können mithin nur dann den Rechtsverlust herbeiführen, wenn der Arbeitslose – anders gewendet – gegen diese grobfahrlässig oder vorsätzlich verstoßen hat. Dies gilt um so mehr, wenn die Obliegenheit als solche – wie bei den geforderten Eigenbemühungen schon während eines noch bestehenden Beschäftigungsverhältnisses – noch nicht in das allgemeine Bewusstsein der Arbeitnehmer übergegangen ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt ist, also nahe liegende Anstrengungen zur Erlangung eines Anschlussarbeitsplatzes nicht angestellt worden sind.
Dieser Vorwurf kann der Klägerin nach den nur beschränkt vom Revisionsgericht überprüfbaren Feststellungen des LSG nicht gemacht werden. Das LSG hat vielmehr ausgeführt, der Klägerin könne nicht vorgeworfen werden, sich überhaupt nicht um eine Anschlussbeschäftigung bemüht zu haben, sondern allenfalls, dass sie dies nicht intensiv genug betrieben habe. Insoweit könne der Klägerin jedoch kein erhebliches Verschulden, also keine grobe Fahrlässigkeit, vorgeworfen werden. Diese Beurteilung unterliegt der Prüfung durch die Revisionsinstanz nur dahin, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (BSGE 47, 180, 182). Rechtsfehler in diesem Sinne sind vorliegend nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 962933 |
BSGE 2004, 90 |
BSGE 91, 90 |
BuW 2004, 210 |
FA 2003, 352 |
NZS 2004, 275 |
SozR 4-4300 § 144, Nr.3 |
SozSi 2003, 396 |