Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundeserziehungsgeld. Familienleistung. Arbeitnehmer. Beschäftigungslandprinzip. Wohnsitzprinzip. Kollisionsvorschrift. Äquivalenzvorschrift. Kumulierung
Leitsatz (amtlich)
Eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnt und arbeitet, kann einen Anspruch auf Bundeserziehungsgeld haben, wenn ihr Ehegatte als Arbeitnehmer iS des Art 73 EWGV 1408/71 in Deutschland beschäftigt ist.
Normenkette
BErzGG § 1 Fassung: 1997-03-24; EWGV 1408/71 Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 Buchst. h, Art. 1 Buchst. u Ziff. i, Art. 13 Abs. 2, 1, Art. 73
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Bundeserziehungsgeld (BErzg) nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für das erste Lebensjahr des am 18. Januar 1999 geborenen Sohnes der Klägerin.
Die Klägerin und ihre Familie sind niederländische Staatsangehörige mit Wohnsitz in den Niederlanden. Nach dem Auslaufen des ihr anlässlich der Geburt des Sohnes für 16 Wochen gewährten niederländischen Wochengeldes nahm die Klägerin dort am 19. April 1999 eine Erwerbstätigkeit mit einem Umfang von 16 Stunden wöchentlich auf. Ihr Ehemann war im streitigen Zeitraum in Deutschland als Arbeitnehmer tätig.
Der Antrag der Klägerin vom 15. Juli 1999 auf Gewährung von BErzg blieb zunächst erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 10. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 1999).
Das Sozialgericht Münster (SG) hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 18. Juli 2001). Zur Begründung hat es ausgeführt: Einen Anspruch auf BErzg habe die Klägerin weder nach innerdeutschen Rechtsvorschriften noch iVm europäischen Gemeinschaftsrecht. Nach Art 13 Verordnung Nr 1408/71 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) seien ausschließlich die niederländischen Rechtsvorschriften auf sozialrechtliche Ansprüche der Klägerin anzuwenden. Nach Art 13 Abs 1 EWGV 1408/71 unterlägen Personen, für die die Verordnung gelte, immer nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates; wenn eine Beschäftigung ausgeübt werde, nach Art 13 Abs 2 Buchstabe a EWGV 1408/71 denjenigen des Beschäftigungslandes. Das Beschäftigungslandprinzip gelte auch dann, wenn nach Art 73 EWGV 1408/71ein Anspruch aus dem Recht des Ehegatten, der in Deutschland beschäftigt sei, abgeleitet werden solle.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin BErzg für das erste Lebensjahr des Sohnes Carlo zu gewähren (Urteil vom 24. Oktober 2003). Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt: Der Anspruch der Klägerin gründe auf § 1 Abs 1 BErzGG iVm den Vorschriften der EWGV 1408/71. Der sachliche Geltungsbereich dieser Verordnung sei eröffnet, da es sich bei dem BErzg um eine Familienleistung im Sinne des Art 4 Abs 1 Buchstabe h EWGV 1408/71 handele. Die Klägerin sei auch durch ihren Ehemann in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung einbezogen. Das BErzGG – also die deutschen Rechtsvorschriften – fänden auf Grund der Arbeitnehmerstellung ihres Ehemannes als Wanderarbeitnehmer nach Art 13 Abs 2 Buchstabe a EWGV 1408/71 iVm Art 73 EWGV 1408/71 Anwendung. Der Wohnsitz in den Niederlanden stehe gemäß Art 73 EWGV 1408/71 dem inländischen Wohnsitz gleich, sodass die Klägerin neben den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 BErzGG auch die des Abs 1 Nr 1 erfülle. Die Erwerbstätigkeit der Klägerin in den Niederlanden schließe den so begründeten Leistungsanspruch nicht aus, da dieser an die Beschäftigung des Ehemannes in Deutschland anknüpfe. Das Beschäftigungslandprinzip werde in den Antikumulierungsvorschriften partiell durchbrochen. Durch diese werde einerseits doppelter Leistungsbezug ausgeschlossen, andererseits jedoch auch die im Ergebnis günstigste Leistung garantiert. Eine andere Wertung widerspreche zudem der Qualifizierung des BErzg als Familienleistung; einer Leistung, die der Familie unabhängig davon zufließen solle, welcher Elternteil sie in Anspruch nehme. Dieses gelte umso mehr, als die Beschäftigung der Klägerin nach den Vorgaben des BErzGG vom zeitlichen Umfang her nicht anspruchsschädlich sei. Schließlich ergebe sich unter Beachtung der in den Akten dokumentierten Einkommensverhältnisse der Klägerin und ihres Ehemannes sowie des § 6 BErzGG auch ein Zahlungsanspruch auf die begehrte Leistung.
Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2004 hat die Klägerin ihre Klage für den Leistungszeitraum bis zum 18. April 1999 zurückgenommen.
Der Beklagte rügt die Verletzung von § 1 BErzGG sowie Art 13, 73 und 76 EWGV 1408/71. Er macht geltend: Die Klägerin werde als Arbeitnehmerin persönlich von Art 2 iVm Art 1 Buchstabe a EWGV 1408/71 erfasst und unterliege wegen ihrer Beschäftigung in den Niederlanden nach Art 13 Abs 2 Buchstabe a EWGV 1408/71 ausschließlich niederländischen Rechtsvorschriften. Abzustellen sei danach auf das Recht des Beschäftigungslandes. Eine Ausnahme hiervon sei für den Fall, dass ein Anspruch auf Familienleistungen aus dem Recht eines in einem anderen Land beschäftigten Familienangehörigen abgeleitet werde, nicht vorgesehen; insbesondere stellten die Antikumulierungsvorschriften der Art 76 EWGV 1408/71 und Art 10 Verordnung Nr 574/72 des Rates der EWG vom 21. März 1972 über die Durchführung der EWGV 1408/71 (EWGV 574/72) keine Ausnahmevorschriften zu den Kollisionsnormen der Art 13 bis 17 EWGV 1408/71 dar. Der Titel II (Kollisionsvorschriften) der EWGV 1408/71 normiere ein in sich geschlossenes System. Die Antikumulierungsregelungen seien nur dann anwendbar, wenn trotz der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch die Kollisionsnormen mehrere Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Familienangehörigen verblieben. Dieses sei vorliegend nicht der Fall; der Ehemann der Klägerin habe keinen eigenen Anspruch auf BErzg erworben. Da die Klägerin niederländische Staatsangehörige mit Wohnsitz und Beschäftigungsort in den Niederlanden sei, werde sie durch den zu unterbleibenden Transfer von BErzg auch nicht in der durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) garantierten Arbeitnehmerfreizügigkeit beeinträchtigt.
Der Beklagte beantragt (sinngemäß),
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 2003 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Münster vom 18. Juli 2001 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend. Ergänzend führt sie aus: Der Anspruch auf BErzg nach deutschem Recht ergebe sich für sie als Familienangehörige eines Grenzgängers aus Art 73 EWGV 1408/71. Dem stehe ihr Beschäftigungsverhältnis in den Niederlanden nicht entgegen. Das Verhältnis von Art 13 und 73 EWGV 1408/71 werde dadurch geprägt, dass Art 73 EWGV 1408/71 als Bestandteil des besonderen Titels III, lex specialis gegenüber Art 13 EWGV 1408/71 sei; er verdränge ihn daher. Dieses habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) insbesondere in der Rechtssache McMenamin (Urteil vom 9. Dezember 1992) herausgestellt. Es verbleibe zwar dabei, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich nur den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates unterliege. Dieses Prinzip könne jedoch für einzelne Leistungen durchbrochen werden, wenn besondere Vorschriften der EWGV eine solche Regelung träfen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat der Klägerin BErzg dem Grunde nach zu Recht für den Zeitraum vom 19. April 1999 bis zum 18. Januar 2000 (Ende des ersten Lebensjahres deren Sohnes Carlo) zugesprochen. Die Gewährung von BErzg für die Zeit vom 18. Januar 1999 bis 18. April 1999 ist auf Grund der insoweit erklärten Klagerücknahme nicht mehr Streitgegenstand des Revisionsverfahrens.
Das LSG konnte über den nunmehr begrenzten Streitgegenstand – BErzg ohne Berücksichtigung der bis zum 18. April 1999 erfolgten, ggf anrechenbaren niederländische Wochengeldzahlung – auch durch Grundurteil (§ 130 Abs 1 SGG) entscheiden. Nach den Feststellungen des LSG ergibt sich unter Berücksichtigung der aktenkundigen maßgeblichen Einkommensverhältnisse nach § 6 BErzGG für den allein noch streitigen Zeitraum mit Wahrscheinlichkeit ein Zahlbetrag auf BErzg (vgl zu den Voraussetzungen eines Grundurteils: Bundessozialgericht ≪BSG≫ in BSGE 66, 44, 47; SozR 1500 § 141 Nr 12, S 15 unter Hinweis auf SozR Nr 2, 3 und 4 zu § 130 SGG). Der Beklagte hat die dem zu Grunde liegenden Tatsachenfeststellungen nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG); der Senat ist demnach dran gebunden (§ 163 SGG).
Der so bestimmte Leistungsanspruch der Klägerin ergibt sich zwar nicht allein aus innerstaatlichem deutschen Recht – hier: BErzGG – (A), jedoch in Verbindung mit den Regelungen des europäischen Gemeinschaftsrechts (B).
(A) Die Klägerin erfüllt im streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 BErzGG allein nach nationalem Recht nicht. Gemäß § 1 Abs 1 BErzGG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24. März 1997 (BGBl I, 594, gültig vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2000) hat Anspruch auf BErzg, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, 2. mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG sind hier nicht gegeben. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hat die Klägerin ihren Wohnsitz in den Niederlanden.
Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften (EG) können jedoch nach § 1 Abs 4 Nr 1 BErzGG einen Anspruch auf BErzg unter Außerachtlassung des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts begründen, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 2 bis 4 BErzGG erfüllen und ein Arbeitsverhältnis im Geltungsbereich des BErzGG haben, bei dem die wöchentliche Arbeitszeit die Grenze der Geringfügigkeit nach § 8 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) übersteigt. Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Klägerin, die die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt, übte nach den bindenden Feststellungen des LSG seinerzeit in Deutschland keine Beschäftigung aus; sie ging vielmehr seit dem 19. April 1999 in den Niederlanden (16 Stunden wöchentlich) einer Erwerbstätigkeit nach.
Die Klägerin kann ihren Anspruch ebenso wenig auf § 1 Abs 7 BErzGG idF des 3. Gesetzes zur Änderung des BErzGG vom 12. Oktober 2000 (BGBl I, 1426) stützen. Danach ist zwar nunmehr auch anspruchsberechtigt unter den Voraussetzungen des Abs 1 Nr 2 bis 4 BErzGG, wer als 1. EU-…Bürger mit dem Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union … in Deutschland … ein Arbeitsverhältnis mit einer mehr als geringfügigen Beschäftigung hat. Ferner ist der in einem anderen EU-… Gebiet wohnende Ehegatte des in Satz 1 genannten EU-Bürgers anspruchsberechtigt, wenn er die Voraussetzungen des Abs 1 Nr 2 bis 4 sowie die in den EWGV 1408/71 und 574/782 niedergelegten Voraussetzungen erfüllt. Diese Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs des BErzGG gilt nach § 24 Abs 1 Satz 1 BErzGG jedoch erst für Kinder, die nach dem 31. Dezember 2000 geboren sind (vgl zur ausnahmsweisen Rückwirkung: Entscheidung des BSG vom 11. Dezember 2003 – B 10 EG 4/02 R –, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
(B) Gleichwohl ist die Klägerin unter Berücksichtigung von europäischem Gemeinschaftsrecht auch für ihr bereits im Januar 1999 geborenes Kind in den Kreis der Anspruchsberechtigten nach dem BErzGG einbezogen. Grundlage hierfür ist § 1 BErzGG iVm Art 42 EGVtr idF des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ex-Art 51) und Art 4 iVm Art 1 sowie Art 13, 73 EWGV 1408/71 (ABl Nr L 149/2, mit späteren Berichtigungen und Änderungen; hier im Wesentlichen in der aktualisierten Fassung vom 2. Dezember 1996, ABl 1997 Nr L 28). Die innerstaatlichen Vorschriften werden, was der Gesetzgeber ab dem Jahr 2001 in nationales Recht umgesetzt hat, durch das Gemeinschaftsrecht ergänzt. Entsprechend der Vorgabe des EGVtr, die Arbeitnehmerfreizügigkeit zu gewährleisten (Art 39 f EGVtr), entterritorialisiert die – nach Maßgabe des Art 42 EGVtr erlassene – EWGV 1408/71 die nationalen Anspruchsvoraussetzungen. Der Wohnsitz der Klägerin in den Niederlanden wird einem Wohnsitz in Deutschland, also im Geltungsbereich des BErzGG iS der Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG, gleichgestellt.
Die Klägerin und ihr Ehemann erfüllen die für die Gleichstellung erforderlichen Voraussetzungen der EWGV 1408/71. Die begehrte Leistung unterfällt dem sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung (1). Die EWGV 1408/71 ist auf den Ehemann der Klägerin und – zumindest für die Leistung des BErzg – auch auf die Klägerin anwendbar (persönlicher Geltungsbereich). Hieraus folgend ist auf Grund der Vorschriften über die Koordinierung der betroffenen nationalen Rechtsordnungen (Kollisionsnormen) im konkreten Fall auf die deutschen Rechtsvorschriften – BErzGG – abzustellen (2). Die Beschäftigung der Klägerin in den Niederlanden steht dem nicht entgegen (3).
(1) Die hier im Streit stehende Leistung des BErzg wird nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH von der EWGV 1408/71 erfasst. Der EuGH hat mit Urteil vom 10. Oktober 1996 (Rechtssache ≪Rs≫ Hoever/Zachow, Slg 1996, I-4895 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8, bekräftigt durch Urteil vom 12. Mai 1998, Rs Maria Martinez Sala, Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22) ua entschieden: “Eine Leistung wie das BErzg nach dem BErzGG, die unabhängig von jeder auf Ermessensausübung beruhenden Einzelfallbeurteilung der persönlichen Bedürftigkeit ohne weiteres den Personen gewährt wird, die bestimmte objektive Voraussetzungen erfüllen, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, ist einer Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h ≪Anmerkung: iVm Art 1 Buchstabe u Ziff i≫ EWGV 1408/71 gleichzustellen” (vgl auch BSG in SozR 3-7833 § 8 Nr 3). Das BSG ist dem unter Hinweis auf die für alle Mitgliedstaaten der EG und ihre Behörden verbindliche Interpretation des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH gefolgt (BSGE 80, 288 = SozR 3-7833 § 8 Nr 4; vgl auch zur Bindungswirkung von Vorabentscheidungen des EuGH: Urteil des Senats vom 18. Februar 2004 – B 10 EG 10/03 R –, JURIS, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Es ist im Übrigen nicht von der Hand zu weisen, dass das BErzg im Ergebnis nicht nur dem Antragsteller, sondern der gesamten Familie zu Gute kommt, indem es zur Minderung des Familienaufwandes beiträgt und die soziale Lage der Familie verbessert.
(2) Ob die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmerin dem persönlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 (Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71) unterfällt, kann hier dahinstehen. Die Vermittlung des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnung über ihren Ehemann ist ausreichend. Aus dessen Beschäftigung in Deutschland folgt im Rahmen der Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften nach Art 13, 73 EWGV 1408/71 die Anwendung des BErzGG, auch zur Begründung des Anspruchs der Klägerin.
Der Ehemann der Klägerin unterfällt als Arbeitnehmer dem persönlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71. Der grenzüberschreitende Bezug ergibt sich aus seiner Beschäftigung in Deutschland und seinem Wohnsitz in den Niederlanden. Nach Art 2 Abs 1 EWGV 1408/71 gilt die Verordnung ua für Arbeitnehmer …, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind, sowie für ihre Familienangehörigen. Das LSG hat für den Senat bindend festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin in Deutschland Arbeitnehmer iS der Verordnung ist. Diese Tatsachenfeststellung beinhaltet zwar eine rechtliche Wertung. Der Beklagte hat jedoch die Tatsachen, die der Einordnung des Ehemannes der Klägerin als Arbeitnehmer zu Grunde liegen, nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen (§§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG).
Die kollisionsrechtliche Entscheidung, welche Rechtsordnung zur Anwendung gelangt – die des Wohnsitzlandes Niederlande oder des Beschäftigungslandes Deutschland –, fällt alsdann nach Art 13 EWGV 1408/71 zu Gunsten der Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaates Deutschland. Art 13 Abs 2 Buchstabe a EWGV 1408/71 räumt dem Beschäftigungslandprinzip den Vorrang gegenüber dem Wohnortprinzip ein, wenn die betreffende Person Arbeitnehmer iS der Verordnung ist.
Dass ein Familienwohnsitz in den Niederlanden der Inanspruchnahme von BErzg nicht entgegensteht, folgt aus Art 73 EWGV 1408/71. Danach hat ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt … für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten. Der Begriff des Arbeitnehmers in dieser Vorschrift unterscheidet sich zwar von dem allgemeinen Arbeitnehmerbegriff des Art 2 EWGV 1408/71, der zur Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der Verordnung führt. Arbeitnehmer im Sinne von Art 73 EWGV 1408/71 ist nach Art 1 Buchstabe a iVm Anhang I Teil I Abschnitt C – Deutschland – EWGV 1408/71 nämlich nur, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist oder im Anschluss an diese Versicherung Krankengeld oder entsprechende Leistungen erhält. Davon ist jedoch bei dem Ehemann der Klägerin nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ebenfalls auszugehen, zumal der Beklagte nichts Gegenteiliges geltend gemacht hat.
Die mit Art 73 EWGV 1408/71 bewirkte Gleichstellung des ausund inländischen Wohnsitzes (Äquivalenznorm) gilt nicht nur für Ansprüche des Arbeitnehmers selbst, sondern auch für die seiner Familienangehörigen. Bei Familienleistungen ist nach der Rechtssprechung des EuGH (Rs Hoever/Zachow) die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten nicht angebracht. Zweck des Art 73 EWGV 1408/71 ist es nämlich, zu Gunsten der Familienangehörigen, die in einem anderen (hier den Niederlanden) als dem zuständigen Mitgliedstaat (hier Deutschland) wohnen, die Gewährung der nach den anwendbaren Rechtsvorschriften vorgesehenen Familienleistungen sicherzustellen; also zu garantieren, dass diese Leistungen ihrer Zweckbestimmung entsprechend der Familie zu Gute kommen. Insoweit ist es auch ohne Bedeutung, welcher Elternteil die Leistung in Anspruch nehmen will (vgl BSG Urteil vom 10. Juli 1997, BSGE 80, 288 = SozR 3-7833 § 8 Nr 4, im Anschluss an das Urteil des EuGH in der Rs Hoever/Zachow); die Familie ist mithin als Einheit zu betrachten. Anknüpfend an diese Einheit erfolgt die Einbeziehung der Familienangehörigen in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung und die Anwendung der (die begehrte Leistung gewährenden) jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften, vermittelt durch den dort Beschäftigten.
Diese rechtliche Konstruktion begründet sich unmittelbar durch den Art 73 EWGV 1408/71 maßgeblich prägenden Gedanken der Arbeitnehmerfreizügigkeit des EGVtr. Es soll nämlich erreicht werden, dass ein Arbeitnehmer nicht an der Wahrnehmung seines Rechts auf Freizügigkeit gehindert wird, weil ein nationaler Gesetzgeber den Anspruch auf eine Leistung an den innerstaatlichen Wohnsitz knüpft. Um die Freizügigkeit des Arbeitnehmers als Wanderarbeitnehmer oder Grenzgänger effektiv gewährleisten zu können und mittelbaren Hindernissen durch Beschränkungen bei den Leistungen für Familienangehörige entgegenzutreten, ist es erforderlich, auch die Familienangehörigen von dem nationalen Wohnsitzerfordernis freizustellen. Der in einem Mitgliedstaat wohnende, nicht oder nur eingeschränkt iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG berufstätige Familienangehörige (hier die Klägerin) steht deshalb insoweit bei der Geltendmachung eines originären Anspruchs auf Familienleistungen in dem anderen Mitgliedstaat dem dort beschäftigten Familienangehörigen (Arbeitnehmer) gleich.
(3) Selbst wenn die Klägerin auf Grund ihres Beschäftigungsverhältnisses in den Niederlanden als Arbeitnehmerin dem persönlichen Geltungsbereich EWGV 1408/71 unterfallen sollte und daraus folgend für sie Art 13 Abs 2 Buchstabe a EWGV 1408/71 einschlägig wäre, ändert sich an dem gefundenen Ergebnis nichts. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass nach Art 13 Abs 1 EWGV 1408/71 eine Person, für die die Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen soll; hier also die Klägerin nach Art 13 Abs 2 Buchstabe a EWGV 1408/71 den niederländischen Rechtsvorschriften. Die Klägerin leitet ihren Anspruch auf BErzg jedoch nicht aus dem eigenen Beschäftigungsverhältnis ab, sondern erhält als Familienangehörige vermittelt über den Ehemann Zugang zu den deutschen Rechtsvorschriften und zum Anspruch auf BErzg.
Art 13 EWGV 1408/71 schließt ein solches Nebeneinander bei der Anwendung von Kollisionsvorschriften des Titels II und besonderer Vorschriften für einzelne Leistungen aus dem Titel III nicht aus (EuGH Urteil vom 9. Dezember 1992, Rs Una McMenamin, Slg 1992, S I – 6393). Insbesondere gilt dies für Art 73 EWGV 1408/71 als besonderer Vorschrift für Familienleistungen, die insoweit den Regelungen des Art 13 Abs 1 und 2 Buchstabe a EWGV 1408/71 vorgeht. Da Familienleistungen der Familie insgesamt zu Gute kommen sollen und um die Freizügigkeit des Arbeitnehmers zu gewährleisten, wird die Möglichkeit, die Anspruchsvoraussetzungen hierfür zu erfüllen, über den Arbeitnehmer hinaus auf die Familienangehörigen ausgedehnt und damit insoweit auch die Kollisionsentscheidung von einem etwa bestehenden inländischen Beschäftigungsverhältnis des Familienangehörigen abgekoppelt.
Der Senat teilt die Bedenken des Beklagten nicht, das Verhältnis von Kollisions- (hier: Art 13 EWGV 1408/71) zu Äquivalenznorm (hier: Art 73 EWGV 1408/71) werde dadurch systemwidrig verschoben. Die Regelungen des Titel II der Verordnung – Bestimmungen der anzuwendenden Rechtsvorschriften – gelten nur insoweit, als die besonderen Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten, die den Titel III bilden, nicht etwas anderes bestimmen (EuGH Urteil vom 27. Mai 1982, Rs Francis Aubin, Slg 1982, S 1191). Art 73 EWGV 1408/71 hat unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH in der Rs Hoever/Zachow (Slg 1996, I-4895 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8) nicht nur den Charakter einer Äquivalenznorm, sondern verschafft Familienangehörigen, vermittelt durch den Arbeitnehmer, der dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung und der Vorschrift unterliegt, für Familienleistungen Zugang zu einer anderen nationalen Rechtsordnung als der des Wohnsitzstaates. Die Norm beinhaltet daher nicht nur ein Gleichstellungsgebot, sondern trifft im Hinblick auf die anzuwendenden Rechtsvorschriften eine besondere Regelung für die Inanspruchnahme von Familienleistungen durch Familienangehörige.
Eine Durchbrechung des Beschäftigungslandprinzips folgt hieraus nicht. Sofern die Klägerin dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung als Arbeitnehmerin unterfallen sollte, wäre auf das Beschäftigungsverhältnis ausschließlich niederländisches Recht anzuwenden. Gleiches würde für Sozialleistungen gelten, die in Anknüpfung an dieses Beschäftigungsverhältnis gewährt werden. Erst wenn gleichzeitig Ansprüche auf Familienleistungen – die dem Kumulierungsverbot unterliegen – aus den Rechtsvorschriften des Beschäftigungslandes des Familienangehörigen und der des Beschäftigungslandes des Ehegatten durch Anwendung von Art 73 EWGV 1408/71 folgen, ist das Verhältnis der beiden Leistungen und der Zahlungsanspruch an sich nach den Kumulierungsvorschriften – also insbesondere Art 76 EWGV 1408/71 oder Art 12 EWGV 1408/71 ggf iVm Art 10 EWGV 574/72 – zu klären. Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorschrift des Art 13 EWGV 1408/71 bei Familienleistungen haben die Antikumulierungsvorschriften im Gegensatz zu der von dem Beklagten vertretenen Auffassung daher nicht.
Da der erkennende Senat die Frage des Verhältnisses von Art 13 zu Art 73 EWGV 1408/71 bezogen auf die vorliegende Fallgestaltung als durch den EuGH bereits hinreichend geklärt ansieht, besteht für ihn keine Veranlassung, der Anregung des Beklagten nachzukommen, den Rechtsstreit im Hinblick auf zurzeit beim EuGH anhängige Verfahren zum Ruhen zu bringen (vgl § 202 SGG iVm § 251 Zivilprozessordnung).
Art 73 EWGV 1408/71 bewirkt für den Familienangehörigen nur den Zugang zu der Rechtsordnung des Beschäftigungslandes des Ehegatten und die Gleichstellung des ausländischen Wohnsitzes mit einem inländischen (hier § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG). Darüber hinaus ist für die Anspruchsbegründung erforderlich, dass der Familienangehörige die Tatbestandsvoraussetzungen der begehrten Leistung in eigener Person erfüllt (vgl EuGH, Rs Hoever/Zachow). Dieses ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG im Hinblick auf die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 2 bis 4 BErzGG der Fall. Der Beklagte hat auch insoweit keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben (§§ 163, 164 Abs 2 Satz 3 SGG).
Für eine nach gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu lösende Leistungskumulierung ist im vorliegenden Fall kein Raum. Das LSG hat festgestellt, dass dem deutschen Erziehungsgeld vergleichbare niederländische Leistungen nicht existieren. Hieran ist der Senat gebunden, da es sich um Feststellungen zum nicht reversiblen ausländischen Recht (vgl § 162 SGG) sowie daraus ihm gezogene Schlussfolgerungen handelt (vgl BSGE 68, 184,187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 mwN; BSGE 80, 295, 300 = SozR 3-4100 § 142 Nr 1 und BSGE 81, 134, 143 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2 mwN; zuletzt: BSG Beschluss vom 4. Januar 2001, – B 11 AL 167/00 B –; JURIS) und der Beklagte auch diese nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffen hat (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Gleiches gilt für ggf anrechenbare Sozialleistungen oder weiteres zu berücksichtigendes Einkommen nach nationalem Recht. Weder nach dem Vortrag des Beklagten noch dem Akteninhalt gibt es Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger Sachverhalte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE 2005, 35 |
BSGE 93, 35 |
SGb 2005, 169 |
SozR 4-7833 § 1, Nr.3 |
JWO-FamR 2004, 260 |