Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für die Anlage und die laufenden Gebühren eines drahtlosen Telefons
Beteiligte
27. November 1990 … Klägerin und Revisionsklägerin |
Barmer Ersatzkasse,Wuppertal 2, Untere Lichtenplatzer Straße 100 - 102, Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten für die Anlage und die laufenden Gebühren eines drahtlosen Telefons Marke "Sinus".
Die bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet unter einer chronisch progredienten multiplen Sklerose. Ohne Hilfe kann sie nicht mehr gehen; zur Fortbewegung in ihrer Wohnung ist sie auf einen Rollstuhl angewiesen. Ihr Ehemann ist berufstätig. Zu ihrer Pflege stehen ihr für 16 Stunden in der Woche Pflegekräfte auf Kosten der Beklagten, im übrigen ihre Mutter und die Gemeindeschwester zur Verfügung.
Wegen der bestehenden schweren Behinderung hielt die behandelnde Nervenärztin der Klägerin die Anschaffung eines drahtlosen Telefons für erforderlich und ärztlich angezeigt. Einen entsprechenden Antrag der Klägerin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. Februar 1987 mit der Begründung ab, die Ausstattung und der behinderungsgerechte Umbau von Wohnungen und Häusern gehörten nicht zum Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 6. April 1987 zurück mit der Begründung, bei dem drahtlosen Telefon handele es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts -SG- Lübeck vom 15. März 1988 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts -LSG- vom 4. Oktober 1988). Zur Begründung führt das LSG im wesentlichen aus, das drahtlose Telefon Marke "Sinus" sei als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen; es diene nicht vorrangig dazu, Menschen, die an einer bestimmten Krankheit litten, eine besondere Hilfestellung zu geben, sondern ermögliche allgemein jedem Telefonbenutzer eine bequemere Art des Umgangs mit dem Telefonnetz der Bundespost. Mit der Anlage des drahtlosen Telefons werde keine durch die Gesundheitsstörungen ausgefallene körperliche Funktion ersetzt.
Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie trägt vor, das drahtlose Telefon sei kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, weil es nicht zur standardmäßigen Ausstattung eines Haushaltes gehöre. Es komme auch nicht auf die allgemeine Zielrichtung eines Gegenstandes für die Eigenschaft als Hilfsmittel an, sondern auf die konkrete Anwendung im Einzelfall. Diese bestehe darin, daß sie (Klägerin) bei Gehversuchen außerhalb ihres Rollstuhles stets der Gefahr eines Sturzes ausgesetzt sei und sich dann nicht aus eigener Kraft erheben könne. Mit dem drahtlosen Telefon könne sie fremde Hilfe herbeirufen. Die Hilfsmitteleigenschaft des drahtlosen Telefons liege darin, daß sich bei jedem Sturz die medizinisch gegebene Behinderung konkretisiere; durch das drahtlose Telefon werde sie (Klägerin) sodann in die Lage versetzt, diese Behinderung auszugleichen.
Die Klägerin beantragt,1) das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 4. Oktober 1988 - L 5 Kr 23/88 - aufzuheben;
2) das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 15. März 1988 - S 7 Kr 23/87 - abzuändern;
3) die Beklagte zu verurteilen, ihr (der Klägerin) die Kosten für die Installation eines drahtlosen Telefons Marke Sinus in Höhe von DM 65,-- zu erstatten sowie die laufenden zusätzlichen Gebühren für dieses Gerät in Höhe von monatlich DM 38,-- ab dem 17. November 1989 zu tragen.
Die Beklagte beantragt,die Revision gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 4. Oktober 1988 - L 5 Kr 23/88 - zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden; das hier in Streit stehende drahtlose Telefon ist kein Hilfsmittel im Sinne des § 182b Reichsversicherungsordnung (RVO), § 33 Abs 1 Sozialgesetzbuch/Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt.
Als Hilfsmittel kommen nur sächliche Mittel in Betracht, die zum Ausgleich eines körperlichen Funktionsdefizits - hier die fehlende Fähigkeit der Klägerin zum Aufstehen nach einem Sturz - geeignet und notwendig sind, wobei es genügt, wenn der Gegenstand die beeinträchtigte Körperfunktion ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt (BSG SozR 2200 § 182b Nr 29 § 74 mwN).Nicht zu den Hilfsmitteln gehören persönliche Dienstleistungen (BSG SozR 2200 § 182b Nr 31). Im vorliegenden Fall benötigt die Klägerin, um sich nach einem Sturz erheben zu können, die mit Hilfe des Telefons angeforderten persönlichen Dienstleistungen. Hierin liegt die eigentliche Ausgleichsleistung für das körperliche Funktionsdefizit. Dem drahtlosen Telefon kommt daher in diesem Sinne keine selbständige Erfüllung des auf einen Funktionsausgleich gerichteten Hilfsmittelzweckes zu. Es ist somit kein gesetzliches Hilfsmittel, weil es als solches nicht geeignet ist, die körperlichen Funktionseinbußen der Klägerin auszugleichen, sondern auf eine pflegerische Leistung zielt (Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juni 1990 - 3 RK 39/89 -; Teilnahme an einem Nothilfsdienst).
Der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des erkennenden Senats vom 12. Oktober 1988 (SozR 2200 § 182b Nr 37 - Baby-Rufanlage -) geht fehl. In dem dort entschiedenen Fall wurde der Anspruch einer erheblich hörbehinderten Mutter auf Einrichtung einer Baby-Rufanlage als Hilfsmittel bejaht mit der Begründung, die Anlage diene dem Grundbedürfnis der Mutter, für ihr neugeborenes Kind zu sorgen. Entscheidend war hierbei, daß die Baby-Rufanlage allein ohne Einschaltung von Pflegeleistungen Dritter bestimmt und geeignet war, die Folgen einer Behinderung (Schwerhörigkeit) auszugleichen. Eine derartige Ausgleichsfunktion kann im vorliegenden Fall das drahtlose Telefon allein nicht erfüllen; der Schwerpunkt des Ausgleiches der bei der Klägerin bestehenden Behinderung nach einem Sturz liegt in der Dienstleistung eines Dritten, die nicht in der Bedienung des Hilfsmittels besteht.
Pflegeleistungen dieser Art können unter die §§ 53 ff SGB V fallen. Hiernach erhalten Schwerpflegebedürftige, bei denen die (weiteren) Anspruchsvoraussetzungen des § 54 SGB V gegeben sind, häusliche Pflegehilfe bzw ein Pflegegeld ab 1. Januar 1991. Ob und inwieweit diese Voraussetzungen für die Klägerin zutreffen, war indessen nicht Gegenstand dieses Rechtsstreites.
Kann nach alledem die Klägerin eine Übernahme der Kosten für die Anlage des drahtlosen Telefons nicht beanspruchen, besteht auch eine Verpflichtung der Beklagten zur Tragung der laufenden Gebühren nicht.
Nach allem war die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen