Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.04.1992) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. April 1992 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Fortzahlung einer bisher als vorläufige Rente gewährten Verletztenrente über den 31. Dezember 1988 hinaus als Dauerrente.
Während das Sozialgericht (SG) Duisburg der Klage stattgegeben hat (Urteil vom 29. November 1990), hat das Landessozialgericht (LSG) ua aufgrund eines von ihm eingeholten fachchirurgischen Gutachtens vom 10. Januar 1992 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. April 1992).
Das Urteil des LSG ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung erfolgt, die das LSG am anberaumten Verhandlungstag um 11.00 Uhr ohne den Kläger oder einen Vertreter des Klägers durchgeführt und in der es das Urteil noch vor 11.30 Uhr verkündet hat. Die Beteiligten sind jedoch zu 11.30 Uhr geladen gewesen. Als der Kläger um diese Zeit pünktlich zur Verhandlung erschienen ist, hat der Vorsitzende nur noch zu Protokoll feststellen können, daß der Fehler auf einem falschen Terminsvermerk in der Sitzungsliste des Gerichts beruht. In einem Entschuldigungsund Erläuterungsschreiben hat der Vorsitzende des LSG den Kläger darauf hingewiesen, daß eine Wiederholung der mündlichen Verhandlung in Anwesenheit des Klägers zwar wegen der bereits erfolgten Urteilsverkündung ausgeschlossen gewesen, aber aller Voraussicht nach auf dem Wege über die Nichtzulassungsbeschwerde zu erreichen sei.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger ua als Verfahrensfehler, daß das LSG die mündliche Verhandlung vor dem in der Ladung anberaumten Termin durchgeführt habe, ohne daß er anwesend oder vertreten gewesen sei. Ihm sei es deshalb insbesondere nicht möglich gewesen, dem LSG darzulegen, daß die vom LSG abgelehnten Voraussetzungen des § 581 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) in seinem Falle doch erfüllt seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf den Beschluß des Senats vom 29. September 1992 (2 BU 100/92) über die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers und erklärt, im Hinblick auf die durch das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde bekannte Sach- und Rechtslage gebe sie keine Stellungnahme ab.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.
Da der Kläger durch das Terminsversehen des LSG daran gehindert worden ist, an der entscheidenden mündlichen Verhandlung vor der Urteilsverkündung teilzunehmen, ist nicht nur sein Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden (Art 103 Grundgesetz, § 62 iVm §§ 153, 165 SGG), sondern er war auch in der mündlichen Verhandlung “nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten” iS des unbedingten Revisionsgrundes der Nr 5 des § 551 Zivilprozeßordnung (ZPO), der in Verbindung mit § 202 SGG auch im Verfahren vor den Sozialgerichten Anwendung findet.
Der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat bereits entschieden, daß unter diese Vorschrift nicht nur der Mangel einer ordnungsgemäßen Ladung fällt, sondern auch der vorliegende Fall einer mündlichen Verhandlung vor dem in der Ladung anberaumten Termin, wenn deshalb weder der Beteiligte selbst noch sein Bevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnten (Urteil vom 10. Dezember 1992 – 11 RAr 81/92 – mwN). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Er pflichtet dem 11. Senat auch darin bei, daß es beim Vorliegen eines unbedingten Revisionsgrundes iS des § 551 ZPO keiner Revisionsbegründung mehr darüber bedarf, warum das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensfehler beruhen kann; dieses wird von Gesetzes wegen (§ 551 Halbsatz 1 ZPO) vermutet (aaO mwN).
Das angefochtene Urteil, dessen bisherige tatsächliche Feststellungen eine dem Sachantrag des Klägers entsprechende abschließende Revisionsentscheidung nicht rechtfertigen, war schon aus diesem Grunde aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Im übrigen ist beim Vorliegen eines unbedingten Revisionsgrundes iS § 551 ZPO die Vorschrift des § 170 Abs 1 Satz 2 SGG nicht anwendbar (s auch das oa Urteil des 11. Senats des BSG unter Hinweis insbesondere auf BSGE 63, 43, 45).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen