Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.02.1964) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Februar 1964 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung einer von der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) gegenüber der Klägerin erhobenen Nachforderung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung und Arbeitslosenversicherung der Beigeladenen zu 3) bis 8).
Die Klägerin gewährte im Jahre 1955 den als Angestellten bei ihr beschäftigt gewesenen Beigeladenen zu 3) bis 7) und im Jahre 1956 dem ebenfalls als Angestellten bei ihr beschäftigt gewesenen Beigeladenen zu 8) die im Tarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe vereinbarten Gehälter und außerdem Sonderzuwendungen, auf die ein Rechtsanspruch nicht bestand, deren Zahlung jedoch seit Jahren üblich war. Die zwischen 500,– DM und 600,– DM liegenden monatlichen Tarifgehälter setzten sich aus einem 500 DM nicht übersteigenden Grundgehalt und aus Haushalts- und Kinderzulagen zusammen. Die Sonderzuwendungen bestanden aus einer im April gezahlten sogenannten Mai-Gratifikation oder Urlaubsbeihilfe in Höhe eines halben Monatsgehalts, einer im November gezahlten Weihnachtsgratifikation in Höhe eines halben Monatsgehalts und einer im Dezember gezahlten Weihnachts-Sondergratifikation in Höhe eines viertel Monatsgehalts.
Die beiden Ersatzkassen, Beigeladenen zu 9) und 10), bei denen die Beigeladenen zu 3) bis 8) seit Jahren versichert waren, rechneten weder die Haushalts- und Kinderzulagen noch die Weihnachtsgratifikationen und Weihnachts-Sondergratifikationen oder Urlaubsbeihilfen für die Jahresarbeitsverdienstgrenze an. Sie bejahten deshalb für die hier streitigen Jahre 1955 bzw. 1956 weiterhin die Krankenversicherungspflicht der beigeladenen Angestellten, hielten sich demzufolge wie bisher für den Einzug der Beiträge zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung für zuständig und berechneten diese Beiträge aus einem monatlichen Entgelt von 500 DM.
Bei einer im August 1956 durchgeführten Prüfung der Nürnberger Bezirksdirektion der Klägerin kam die beklagte AOK zu der Auffassung, daß die Maigratifikation bei der Errechnung der Jahresarbeitsverdienstgrenze zu berücksichtigen und daß die Beigeladenen zu 3) bis 7) ab 1. April 1955 sowie der Beigeladene zu 8) ab 1. April 1956 nicht mehr krankenversicherungspflichtig seien. Sie hielt sich deshalb von diesem Zeitpunkt an für die Einziehung der Angestellten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge für zuständig und verlangte am 28. August 1956 von der Klägerin die Nachzahlung von Beiträgen zu diesen beiden Versicherungszweigen in Höhe von 692,54 DM mit der Begründung, daß die Beiträge für die Beigeladenen zu 3) bis 7) seit dem 1. April 1955 und für den Beigeladenen zu 8) seit dem 1. April 1956 wegen Überschreitens der in der Krankenversicherung geltenden Jahresarbeitsverdienstgrenze von 6000,– DM nicht mehr nach dem für die Krankenversicherung maßgebenden Grundlohn, sondern nach einem dem wirklichen Arbeitsverdienst entsprechenden Grundlohn zu berechnen gewesen seien.
Den Widerspruch wies die Beklagte am 5. August 1958 zurück. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben.
Gegen dieses Urteil haben die Beklagte, die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) Berufung eingelegt mit dem Ziel der Klageabweisung. Die Beklagte hat außerdem im Wege der Widerklage beantragt festzustellen, daß die Beigeladenen zu 3) bis 7) vom 1. April 1955 an und der Beigeladene zu 8) vom 1. April 1956 an nicht mehr versicherungspflichtige Mitglieder der Beigeladenen zu 9) und 10) seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat in Abänderung des sozialgerichtlichen Urteils die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide hänge davon ab, ob die Maigratifikation auf den Jahresarbeitsverdienst anzurechnen sei. Dies sei der Fall, denn sie sei ein Entgelt, das regelmäßig gewährt werde. Die Nichtanrechnung von Zuwendungen auf den Jahresarbeitsverdienst sei durch Abschnitt II Absatz 1 Nr. 1 des Erlasses des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 6. Januar 1943 (AN 1943 S. 6) ausdrücklich auf Weihnachts-Gratifikationen, die in der Zeit vom 25. November bis 24. Dezember gewährt würden, beschränkt; dieser Erlaß könne nicht auf Mai-Gratifikationen entsprechend angewandt werden.
Ein formeller Hinderungsgrund für die Durchführung des Beitragseinzugs durch die Beklagte bildeten freilich die Bescheinigungen der beigeladenen Ersatzkassen gemäß §§ 517, 518 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Diese müßten jedoch auf die Widerklage hin aufgehoben werden, weil die Beigeladenen nicht mehr pflichtversichert seien Daher sei der Weg für den Beitragseinzug durch die Beklagte frei. Die Klägerin könne sich auch nicht unter Berufung auf § 521 Abs. 1 Satz 3 RVO gegen einen Beitragseinzug durch die Beklagte zur Wehr setzen, weil diese Vorschrift den Arbeitgeber nur gegen den Einzug der Krankenversicherungsbeiträge, nicht aber gegen den Einzug der Beiträge zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung schütze. Desgleichen liege in der Nachforderung der Beiträge kein Verstoß gegen den im öffentlichen Recht gültigen Grundsatz von Treu und Glauben; denn es sei nicht bei dem Schuldner die Erwartung hervorgerufen worden, es werde keine Erhebung von Beiträgen mehr stattfinden. Schließlich sei der Einwand der beigeladenen Ersatzkassen, die Nachentrichtung der streitigen Beiträge wirke sich auf künftige Rentenleistungen nicht aus, ohne Bedeutung. Die Beklagte sei daher befugt, gegen die Klägerin die Ansprüche auf die Beitragsnachzahlung geltend zu machen. Revision ist zugelassen worden.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.
Sie trägt vor, die Widerklage sei unzulässig, es fehle an einem rechtlichen Zusammenhang zwischen der Klage und der Widerklage. Auch wenn zwischen den Beteiligten ein Dreiecksverhältnis bestehe, so erzeuge dies keineswegs unmittelbare Rechtsverhältnisse zwischen der Klägerin, der Beklagten und den Beigeladenen. Auch ein Feststellungsinteresse sei zu verneinen. Bei der Erhebung der Widerklage habe das LSG die §§ 104, 106 und 136 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.
Das LSG habe im Wege der Rechtsschöpfung die Lücke ausfüllen müssen, die darin bestehe, daß der Gesetzgeber keine ausdrücklichen Vorschriften über die Nichtanrechnung von Mai-Gratifikationen getroffen habe; es hatten hier die für die Weihnachts-Gratifikation geltenden Vorschriften angewandt werden müssen. So habe die Praxis verfahren, diese Handhabung sei auch von dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung gebilligt worden. Das LSG habe auch nicht berücksichtigt, daß derartige Zuwendungen ohne schriftliche Vereinbarung den Geschenkcharakter nicht völlig abgelegt hätten und daß deshalb die Versicherten nicht wegen solcher Zahlungen des Schutzes der Sozialversicherung verlustig gehen dürften. Sine solche Handhabung würde zum Nachteil der Angestellten gehen.
Schließlich habe das LSG auch den Begriff der Verwirkung verkannt, die Klägerin habe sich nicht nur auf die Entscheidungen der beigeladenen Ersatzkassen verlassen dürfen, sondern die Beklagte selbst habe bei den Prüfungen in den Jahren 1951, 1953 und 1954 keine Beanstandungen erhoben.
Die Klägerin beantragt,
das urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. Februar 1964 aufzuheben, die Widerklage der Beklagten abzuweisen, unter Aufrechterhaltung des Urteils des SG Köln vom 21. April 1960 den Bescheid der Beklagten vom 28. August 1956 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 5. August 1958 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladene Deutsche Angestellten-Krankenkasse beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die beigeladene BfA, die beigeladene BfArb und die beigeladene Hanseatische von 1826 und Merkur-Ersatzkasse stellen keinen Antrag.
Die beigeladenen Arbeitnehmer sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Gegen die Zulässigkeit der Widerklage, die sinngemäß auf Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten als Einzugsstelle gerichtet ist, bestehen keine Bedenken. Nach BSG 17 S. 139 kann der Beklagte eine Widerklage gegen einen Versicherungsträger richten, der am Verfahren als notwendig Beigeladener beteiligt ist. Das ist hier der Falle Denn es kann hier nur einheitlich entschieden werden, welche der Krankenkassen für den Einzug der Beiträge zur Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung zuständig ist.
Nach § 100 SGG kann bei dem Gericht der Klage eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch mit dem in der Klage geltend gemachten Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln zusammenhängt. Ein solcher Zusammenhang ist hier ebenfalls gegeben. Es handelt sich hier darum, ob die beigeladenen Versicherten noch versicherungspflichtig in der Krankenversicherung sind oder nicht. Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wird, ist die Zuständigkeit der beklagten Ortskrankenkasse oder der beiden beigeladenen Ersatzkassen für den Einzug der Beiträge gegeben zur Renten- und Arbeitslosenversicherung (vgl. § 2 der Verordnung zur Durchführung der 2. Lohnabzugsverordnung vom 15. Juni 1942 – RGBl I S. 403 –, § 145 Abs. 1 Nr. 2 AVAVG aF: für Versicherte, die rentenversicherungspflichtig, aber nicht krankenversicherungspflichtig sind, sind die Beiträge an die Krankenkasse abzuführen, bei der sie ohne Rücksicht auf die Mitgliedschaft bei einer Ersatzkasse krankenversicherungspflichtig wären.
Für die Widerklage ist ein Feststellungsinteresse (§ 55 Nr. 1 SGG) zu bejahen. Ihrer Erhebung steht auch nicht die Bescheinigung der Ersatzkasse nach §§ 517, 518 RVO entgegen; diese ist zwar ein Verwaltungsakt, der nach der Rechtsprechung des Senats durch die RVO-Kasse im Wege der Klage angefochten werden kann, wenn sie der Auffassung ist, daß die betreffenden Versicherten nicht bei der Ersatzkasse, sondern bei ihr versichert bzw. die Beiträge an sie abzuführen sind. Denn die RVO-Kasse wird durch eine solche Bescheinigung nicht gebunden (vgl. SozR RVO § 518 Nr. 1 und 2, sowie Urteil des Senats vom 27. April 1966 – 3 RK 4/63 –).
Die Widerklage ist auch zulässig erhoben; denn sie ist schriftlich eingereicht worden und nicht nur mündlich in der letzten mündlichen Verhandlung erhoben (vgl. BSG 15 S. 83).
Die von der Klägerin gegen die Zulässigkeit der Widerklage erhobenen verfahrensrechtlichen Bedenken greifen nicht durch.
Zunächst ist ein Verstoß gegen § 104 SGG zu verneinen; hiernach hat der Vorsitzende eine Abschrift der Klage an die übrigen Beteiligten zu übersenden und sie aufzufordern, sich schriftlich zu äußern; dabei kann eine Frist gesetzt werden, die nicht kürzer als ein Monat sein soll. Diese Vorschrift gilt nach ihrer Systematik nur für die Klage, aber nicht für eine im Termin erhobene Widerklage. Auch ein Verstoß gegen § 106 SGG ist zu verneinen. Der Vorsitzende hatte keinen Anlaß zu irgendwelchen Hinweisen an die übrigen Beteiligten, weil die Widerklage zulässig erhoben war; ein Vertagungsantrag war von keiner Seite gestellt worden.
Wenn der Kläger weiter rügt, es liege auch ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGG vor, weil die beigeladenen Ersatzkassen nicht im Rubrum des Urteils als Widerbeklagte aufgeführt seien, handelt es sich dabei um keinen wesentlichen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften.
Im übrigen wären Verstöße gegen §§ 104, 106 SGG nach § 202 SGG i.V.m. § 295 SGG geheilt, weil sie von der Klägerin nicht vor dem LSG gerügt worden sind.
Materiell hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob die von der Klägerin an die Beigeladenen gezahlten Mai-Gratifikationen auf die Jahresarbeitsverdienstgrenze anzurechnen sind, ggf. in welchem Umfang. Nach Abschnitt II 1 Nr. 1 des Erlasses des RAM vom 6. Januar 1943 betreffend eiserne Sparbeträge, Weihnachtszuwendungen und Überstunden in der Sozialversicherung (AN 1943 S. 6) werden für die Jahresarbeitsverdienstgrenze in der Kranken- und Angestelltenversicherung nicht angerechnet Weihnachtszuwendungen, die in der Zeit vom 25. November bis zum 24. Dezember gewährt werden und nicht in einer Tarif-, Betriebs- oder Dienstordnung oder in einem schriftlichen Vertrag festgelegt sind, soweit sie das Gehalt oder den Lohn für einen Monat nicht übersteigen. Dieser Erlaß bezieht sich nur auf Weihnachtsgratifikationen in der Zeit vom 25. November bis 24. Dezember, nicht aber auf andere Gratifikationen. Er kann auch nicht entsprechend auf die Mai-Gratifikationen angewandt werden. Schon der Wortlaut und die zeitliche Begrenzung in dem genannten Erlaß sprechen dagegen. Es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift, die auf der Erwägung beruht, daß derartige Weihnachtszuwendungen Geschenke zu diesem Fest seien. Dies trifft aber bei Zahlungen in anderen Zeiträumen nicht zu. Des weiteren würde, wenn man eine analoge Anwendung zulassen wollte, die Schwierigkeit bestehen, daß dann bei Zahlungen zu Weihnachten und im Mai zweimal eine Nichtanrechnung stattfinden müßte, auch würde es an Anhaltspunkten dafür fehlen, welcher Zeitraum anstelle des im Erlaß genannten (25. November bis 24. Dezember) zu treten hätte. Eine analoge Anwendung auf andere Zahlungen geht also über den Sinn und Zweck des genannten Erlasses hinaus. Daher müssen die Mai-Gratifikationen auf den Jahresarbeits-Verdienst angerechnet werden, wenn nach bisheriger längerer Übung mit der Zahlung zu rechnen war (BSG 24, 262), wie es hier der Fall, ist.
Die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sind daher nach den oben genannten Vorschriften an die beklagte AOK abzuführen. Eine Verwirkung dieser Forderung hat das LSG zutreffend verneint.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen