Entscheidungsstichwort (Thema)
Praktikum. Berufsausbildung iS von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 BKGG
Leitsatz (amtlich)
Eine berufspraktische Tätigkeit, durch welche die Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme in eine Fachoberschule erreicht werden sollen, ist keine Berufsausbildung iS von § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG.
Normenkette
BKGG § 2 Abs 2 S 1 Nr 1; BBiG §§ 4, 19
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 05.10.1988; Aktenzeichen L 6 Kg 836/87) |
SG Gießen (Entscheidung vom 16.06.1987; Aktenzeichen S 12 Kg 28/84) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für seine damals 19jährige Tochter Dagmar Kindergeld für die Dauer eines einjährigen Praktikums in der Altenpflege zusteht. Sozialgericht -SG- (Urteil vom 16. Juni 1987) und Hessisches Landessozialgericht -LSG- (Urteil vom 5. Oktober 1988) haben dies angenommen.
Die Tochter Dagmar des Klägers hatte nach dem Besuch einer zweijährigen Berufsfachschule eine einjährige Ausbildung zur Kinderpflegerin absolviert. Sie beabsichtigte den Besuch einer Fachoberschule in der Organisationsform B (Schwerpunkt Sozialwesen). Zur Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen leistete sie ein Praktikum beim Kreisverband F. des Deutschen Roten Kreuzes in der Zeit vom 1. August 1984 bis zum 31. Juli 1985 ab. Für ihre Tätigkeit erhielt sie eine monatliche Vergütung von 600,-- DM brutto.
Durch den hier angefochtenen Bescheid vom 6. Juli 1984 hob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes für Dagmar ab 1. August 1984 mit der Begründung auf, bei dem fraglichen Praktikum handele es sich nicht um eine Ausbildung im Sinne der Vorschriften des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. August 1984).
Das SG hat diese Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung von Kindergeld verurteilt. Es hat die Berufung zugelassen. Diese ist von dem LSG durch Urteil vom 5. Oktober 1988 zurückgewiesen worden. Das LSG hat die Revision zugelassen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Praktikantenzeit im Einzelfall einer Schul- oder Berufsausbildung zugerechnet werden, auch wenn sie nur zur Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen für eine weitergehende Ausbildung dient und alternativ zu einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit gefordert wird. Es handele sich dann um eine notwendige Voraussetzung für die Fortführung der Ausbildung. Eine schulische Ausbildung habe in der fraglichen Zeit nicht stattgefunden, weil das Praktikum auf arbeitsvertraglicher Grundlage durchgeführt worden sei. Es habe sich auch um kein Ausbildungsverhältnis im eigentlichen Sinne gehandelt. Vielmehr habe Dagmar in einem sonstigen Ausbildungsverhältnis im Sinne von § 19 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) gestanden. Nach der Auskunft der Ausbildungsstätte sei es darum gegangen, Dagmar eine Vorstellung darüber zu vermitteln, welche Arbeiten in einem Pflegeheim anfallen. Daß sie in erster Linie bei der Erledigung solcher Arbeiten mitgeholfen habe, stehe dem Ausbildungscharakter des Praktikums nicht entgegen. Zwischen dem Praktikum und dem damals noch beabsichtigten Fachoberschulbesuch habe ein Bildungszusammenhang bestanden.
Nach Auffassung der Beklagten im Revisionsverfahren stand Dagmar in keinem Berufsausbildungsverhältnis; auch ein Ausbildungsverhältnis im Sinne von § 19 BBiG habe nicht bestanden. Das Kind habe im wesentlichen praktische Arbeiten geleistet. Es habe sich um ein nicht vorgeschriebenes und damit auch nicht zur Berufsausbildung gehörendes Praktikum gehandelt. Dies folge ua aus der Tatsache, daß das Praktikum nur alternativ zu nicht fachspezifischen anderen vorbereitenden Tätigkeiten gefordert werde. Das Praktikum sei nur als persönlicher Test für die Eignung von Dagmar in dem damals angestrebten Beruf gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts Darmstadt vom 5. Oktober 1988 - L 6/Kg 836/87 - aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Gießen - S 12/Kg 28/84 - abzuändern.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Überzeugung stand Dagmar in der fraglichen Zeit in einem sonstigen Ausbildungsverhältnis im Sinne von § 19 BBiG. Es sei um das Kennenlernen der in der Altenpflege anfallenden Arbeiten und um den Erwerb sozialpflegerischer Kenntnisse und Fertigkeiten gegangen. Die Tätigkeit sei nicht vergleichbar gewesen mit einer solchen während einer Überbrückungszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten. Es habe sich um eine Art Vorpraktikum gehandelt. Das Praktikum sei die notwendige Voraussetzung für die Fortführung der damals beabsichtigten Ausbildung gewesen. Das Praktikum sei demgemäß sowohl Zugangsvoraussetzung für die eigentlich beabsichtigte Ausbildung als auch eine Tätigkeit mit Ausbildungscharakter gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung über die Revision der Beklagten entschieden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die bei Beginn des Praktikums in der Altenpflege bereits 19jährige Tochter Dagmar des Klägers kann als Kind bei der Kindergeldgewährung nicht berücksichtigt werden, weil die Voraussetzungen nach § 2 Abs 2 BKGG für das Ausbildungskindergeld nicht vorlagen. Zutreffend hat das LSG überprüft, ob - die übrigen Alternativen dieser Vorschrift liegen offensichtlich nicht vor - die Tochter Dagmar sich in der Zeit vom 1. August 1984 bis zum 31. Juli 1985 in Schul- oder Berufsausbildung befand (§ 2 Abs 2 Nr 1 BKGG). Mit Recht hat es die Frage verneint, ob das Praktikum als Schulausbildung angesehen werden kann. In der Regel wird unter einer Schulausbildung der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender und weiterführender Schulen verstanden, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen für öffentliche Schulen gestaltet wird (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 32 mwN). Daß diese Voraussetzungen während der Tätigkeit von Dagmar beim Deutschen Roten Kreuz nicht vorgelegen haben, braucht nicht weiter dargelegt zu werden. Nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verrichtete das Kind vielmehr die in dem Alten- und Pflegeheim anfallenden Arbeiten, ohne daß irgendein Unterricht erteilt wurde.
Der erkennende Senat vermag die Auffassung des Berufungsgerichts und des SG nicht zu teilen, wonach die Tätigkeit von Dagmar während des Praktikums in der Altenpflege als Berufsausbildung anzusehen ist. Zum Begriff der Berufsausbildung hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß sie nur gegeben ist, wenn im Rahmen einer Tätigkeit Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die die Ausübung des zukünftigen Berufs ermöglichen sollen (SozR 5870 § 2 Nrn 39, 53 und 58 mwN und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 23. August 1989 - 10 RKg 12/88 -). Bei dem fraglichen Praktikum ging es aber nicht um die Hinführung zu einem bestimmten Beruf. Vielmehr beabsichtigte Dagmar, sich durch die Ableistung des Praktikums in der Altenpflege die Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme in eine Fachoberschule zu verschaffen. Damit blieb auch nach der Ableistung des Vorpraktikums weiterhin offen, welchen Beruf Dagmar nach dem Besuch der Fachoberschule ergreifen würde. Unter diesen Umständen vermag der erkennende Senat die Auffassung des LSG nicht zu teilen, daß das Praktikum Ausbildungscharakter gehabt haben könne, obwohl ein Berufsziel der "Ausbildung" noch nicht ins Auge gefaßt war.
Der Senat kann offen lassen, ob es sich bei dem Praktikum von Dagmar um ein sonstiges Ausbildungsverhältnis im Sinne von § 19 BBiG gehandelt hat. Er hat nämlich bereits entschieden, daß es das Ziel des BBiG ist, einen umfassenden und einheitlichen Rahmen für die berufliche Bildung zu schaffen; hingegen soll mit dem BBiG weder der Begriff der Berufsausbildung im Sinne von § 2 BKGG bestimmt oder über §§ 4, 19 BBiG eine bestimmte Form der Regelung des Ausbildungsverhältnisses vorgeschrieben werden (SozR 5870 § 2 Nr 58). Nur so ist die Rechtsprechung des Senats zu begründen und zu verstehen, daß unter bestimmten Voraussetzungen Vorpraktika, welche nicht im Rahmen des BBiG oder einer Ausbildungsordnung geleistet werden, als Berufsausbildung im Sinne von § 2 BKGG gewertet werden können (BSG SozR 5870 § 2 Nr 53).
Im vorliegenden Falle kann das Praktikum von Dagmar in der Altenpflege jedoch nicht als Berufsausbildung im Sinne dieser Rechtsprechung angesehen werden. Abgesehen davon, daß auch weitere Merkmale nach den Feststellungen des LSG nicht gegeben sind, fehlt hier die Voraussetzung, daß bei Beginn des Praktikums von Dagmar ein Ausbildungsvertrag mit der Fachoberschule vorlag oder eine Zusage für die Aufnahme in diese Anstalt gegeben war.
Nach alledem liegen die Voraussetzungen, unter denen Dagmar als Kind nach § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG in der Zeit vom 1. August 1984 bis zum 31. Juli 1985 hätte berücksichtigt werden können, nicht vor. Vielmehr verschaffte die Tochter des Klägers sich in dieser Zeit durch praktische, lernende Tätigkeit die Voraussetzungen dafür, daß sie in einem weiteren Ausbildungsabschnitt die Voraussetzungen für das Erlernen eines bestimmten Berufes erwerben konnte.
Die Urteile des LSG und des SG waren aufzuheben, weil der angefochtene Bescheid sich als rechtmäßig erwies.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen