Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung von Umschulungskosten. Belehrungs- und Beratungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Zeigt ein arbeitsloser Umgeschulter an, daß er beabsichtige, eine auf Dauer berechnete selbständige Tätigkeit aufzunehmen, hat ihn das Arbeitsamt darüber zu belehren, daß damit die Pflicht entstehen kann, die Umschulungsleistungen zurückzuzahlen.
2. Ist diese Belehrung unterblieben, kann die Bundesanstalt für Arbeit nicht geltend machen, der Umgeschulte hätte in absehbarer Zeit in eine der Umschulung entsprechende beitragspflichtige Beschäftigung vermittelt werden können.
Normenkette
AFG § 46 Abs 2 S 2; SGB 1 § 14
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 20.07.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 981/87) |
SG Gießen (Entscheidung vom 31.07.1987; Aktenzeichen S 14 Ar 284/85) |
Tatbestand
Die Beklagte fordert vom Kläger Unterhaltsgeld (Uhg) und Umschulungsleistungen (§ 45 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-) zurück. Der Kläger erhielt diese Leistungen während einer Umschulung zum Fliesenleger in der Zeit vom 6. November 1978 bis 5. November 1980 nach § 46 Abs 2 AFG aF. Er hatte sich zuvor schriftlich verpflichtet, innerhalb von vier Jahren nach Abschluß der Maßnahme mindestens drei Jahre lange eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung auszuüben und die Leistungen zuzuzahlen, wenn er ohne wichtigen Grund dieser Verpflichtung nicht nachkomme. Er war vom 5. Januar 1981 bis 30. November 1982 und vom 31. März 1983 bis 5. April 1983 als Fliesenleger beschäftigt und bezog vom 12. November 1980 bis 7. Dezember 1980, vom 1. Dezember 1982 bis 29. Januar 1983 und vom 8. April 1983 bis 27. Juni 1983 Arbeitslosengeld (Alg). Seit dem 27. Juni 1983 ist er selbständig tätig. Die Beklagte forderte mit Bescheid vom 13. Juni 1985 Leistungen und Beiträge in der Gesamthöhe von 18.752,66 DM zurück. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage gegen diesen Verwaltungsakt und gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. August 1985 zurückgewiesen (Urteil vom 31. Juli 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 20. Juli 1988). Das Gericht hält die Rückforderung für begründet, weil der Kläger ohne wichtigen Grund nicht die Mindestbeschäftigungszeit innerhalb von vier Jahren nach der Umschulungsmaßnahme erreicht habe. Er habe sich zuletzt nicht in der gebotenen Weise von sich aus um eine beitragspflichtige Beschäftigung bemüht und nicht beim Arbeitsamt gemeldet. Die Zeiten seiner Arbeitslosigkeit hätten nicht eine weitere Beschäftigung aussichtslos erscheinen lassen. Die Rückforderung sei nicht ins Ermessen der Beklagten gestellt.
Der Kläger beanstandet mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision die Rückforderung als rechtswidrig. Ein wichtiger Grund iS des § 46 Abs 2 AFG, der ihn berechtigt habe, sich selbständig zu machen, habe darin bestanden, daß das Arbeitsamt ihm keinen dauerhaften Arbeitsplatz habe vermitteln können. Das Gegenteil habe die Beklagte nicht aufgezeigt. Außerdem hätte es ihn nach Treu und Glauben aufgrund einer vertraglichen Übereinkunft viele Jahre nach dem Unterschreiben der Vereinbarung darauf hinweisen müssen, daß er zur Rückzahlung verpflichtet sei, wenn er sich selbständig mache. Die Vereinbarung sei im übrigen sittenwidrig, weil die Beklagte ihm einseitig sämtliche Kosten der Maßnahmen aufbürde, und verstoße gegen das Grundrecht auf Arbeit sowie gegen die Berufsfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit. Die Rückforderung sei auch unverhältnismäßig, weil er von den notwendigen 36 Monaten ca 35 Monate lang beschäftigt oder arbeitslos gewesen sei. Schließlich erhebe er die Einrede der Verjährung, die sich entsprechend § 45 Abs 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) bestimme.
Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte die Rückforderung von Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen fallengelassen und den Rückzahlungsbetrag auf 13.177,95 DM ermäßigt.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG zu ändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 1985 und den Widerspruchsbescheid vom 23. August 1985 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
Entgegen den Entscheidungen der Vorinstanzen hat der Kläger die Kosten seiner Umschulung nicht nach § 46 Abs 2 Satz 2 AFG (in der hier maßgebenden Fassung vom 25. Juni 1969 - BGBl I 582 -/18. Dezember 1975 - BGBl I 3113 -/26. April 1985 - BGBl I 712 -; jetzt § 46 Abs 3 Satz 2 idF des Gesetzes vom 20. Dezember 1985 - BGBl I 2484) an die Beklagte zurückzuzahlen.
Die Umschulung hatte die Beklagte dem Kläger, der eine der üblichen Voraussetzungen nicht erfüllte, und zwar eine notwendige Vorbeschäftigung, dh eine mindestens zweijährige beitragspflichtige Beschäftigung (§§ 168, 169 AFG) binnen der letzten drei Jahre vor der Umschulung, oder einen Arbeitslosengeld- (Alg) Bezug aufgrund eines Anspruchs für mindestens 156 Tage (§ 46 Abs 1 Satz 1 AFG), nur unter der Voraussetzung zu gewähren, daß er sich zu einer mindestens dreijährigen Nachbeschäftigung innerhalb von vier Jahren nach der Umschulung verpflichtete (§ 46 Abs 2 Satz 1 AFG). Der Kläger hat diese Verpflichtung nicht erfüllt. Er war nach der im November 1980 beendeten Umschulung nur insgesamt 25 Monate in seinem Umschulungsberuf als Fliesenleger beschäftigt. Nach § 46 Abs 2 Satz 2 AFG müßte er die Umschulungsaufwendungen zurückzahlen, falls er innerhalb der vierjährigen Rahmenfrist ohne wichtigen Grund nicht die Mindestbeschäftigungszeit erreichte. In den Zeiten von insgesamt fünfeinhalb Monaten, in denen er arbeitslos war und Alg bezog, war er schuldlos gehindert, jene Verpflichtung zu erfüllen. Das stand, wie auch die Beklagte annimmt, einer Rückzahlungspflicht entgegen (zur Veröffentlichung bestimmtes Urteil des Senats vom 28. März 1990 - 9b/11 RAr 91/88).
Durch das vorzeitige Überwechseln in eine selbständige Tätigkeit wurde der Kläger gehindert, die restliche notwendige Beschäftigung von etwas mehr als fünf Monaten in seinem Umschulungsberuf auszuüben. Ob er allein wegen anhaltender Arbeitslosigkeit oder einer bloß unterwertigen Beschäftigungsmöglichkeit, die ihn zum Ausweichen in eine selbständige Existenz hätte veranlassen können, von der Rückzahlungspflicht freizustellen ist (vgl dazu Urteil in der Sache 9b/11 RAr 91/88), kann offenbleiben. Jedenfalls muß sich die Beklagte einen wichtigen Grund im Sinne des § 46 Abs 2 Satz 2 AFG wegen einer Verletzung ihrer Belehrungspflicht entgegenhalten lassen und kann deshalb die Rückzahlung der Umschulungsaufwendungen nicht verlangen.
Solange der Kläger nicht umschulungsgerecht beschäftigt war, hätte er sich beim Arbeitsamt melden müssen, damit das Arbeitsamt ihn entsprechend vermittelte (§§ 13 ff AFG) oder die Voraussetzungen für einen wichtigen Grund aufgrund seiner Kenntnisse des Arbeitsmarktes nach aktuellem Stand feststellen konnte (Urteil in der Sache 9b/11 RAr 91/88). Diese Nebenpflicht oder Obliegenheit hat der Kläger nicht anschließend an seine letzte Arbeitslosigkeit erfüllt, seit er sich selbständig gemacht hat. Dies ist ihm aber nicht mit der Folge anzulasten, daß er die Umschulungsaufwendungen deshalb zurückzahlen müßte, weil das Fehlen einer umschulungsgerechten Beschäftigungsmöglichkeit oder ein sonstiger wichtiger Grund nicht erwiesen ist. Er hat zweimal dem Arbeitsamt angekündigt, er wolle sich selbständig machen (Aktenvermerke und darauf beruhende Begründung des Widerspruchsbescheides). Dies und der vorausgegangene Umschulungsvorgang hätten den zuständigen Bediensteten veranlassen müssen, den Kläger - über die allgemeine Belehrungspflicht nach einer Umschulung hinaus (vgl dazu Urteil in der Sache 9b/11 RAr 91/88) - in dieser besonderen Lage gezielt zu belehren. Er hätte den Kläger durch eine rechtliche Beratung davon abhalten müssen, sich selbständig zu machen, solange die Rahmenfrist noch lief (vgl zB BSGE 62, 179, 182 = SozR 4100 § 125 Nr 3; SozR 4100 § 44 Nr 9; 2200 § 1286 Nr 3; USK 80292 S 312). Vom Kläger, der nicht im Sozialrecht rechtskundig ist, war eine Erfüllung seiner Nebenpflicht oder Obliegenheit nicht ohne eine solche gezielte vorausgegangene Belehrung zu erwarten.
Wenn dem für die Alg-Bewilligung zuständigen Bediensteten die mit der Umschulung zusammenhängende Verpflichtung des Klägers nicht bekannt gewesen sein sollte, so wäre dies durch einen Organisationsmangel verursacht worden, den die Beklagte zu vertreten hat.
Nur weil die Beklagte den Kläger nicht ausreichend beraten und belehrt hat, läßt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, ob der Kläger seine Pflicht zur Ausübung einer Nachbeschäftigung in zumutbarer Weise hätte erfüllen können oder nicht. Es besteht kein Anhalt dafür, daß der Kläger eine entsprechende Belehrung durch das Arbeitsamt mißachtet hätte. Das Aufklärungshindernis stammt deshalb in erster Linie aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten. Bei dieser Sachlage verlagert sich die Beweislast dafür, ob der Kläger einen wichtigen Grund zur Nichteinhaltung seiner Verpflichtung gehabt hat, vom Kläger auf die Beklagte. Eine solche Beweislastverlagerung auf denjenigen, der für die Beweisnot verantwortlich ist, ist auch auf anderen Rechtsgebieten anerkannt (vgl etwa bei mangelhafter ärztlicher Dokumentation: BGHZ 72, 138; NJW 1983, 333; Haftung des Kassenbeamten bei unaufklärbaren Kassenfehlbeständen: BVerwGE 37, 199; 52, 260). Ist danach davon auszugehen, daß der Kläger seine restliche Pflicht zur beitragspflichtigen Beschäftigung nicht mehr in zumutbarer Weise erfüllen konnte, so hatte er zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit einen wichtigen Grund.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen