Beteiligte
6. Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. |
7. Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. |
3. Betriebskrankenkassen-Landesverband Nord |
1. AOK Schleswig-Holstein – Die Gesundheitskasse |
2. Innungskrankenkassen-Landesverband Nord |
4. Schleswig-Holsteinische Landwirtschaftliche Krankenkasse |
5. Kassenzahnärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein |
Einheitlicher Beschwerdeausschuß bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 1. August 1997 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen Aufwendungen auch für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist seit 1972 in Kiel als Zahnarzt niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seine Honorarforderungen für die Quartale II und III/1993 kürzte der Prüfungsausschuß wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise um 21.043,34 DM und 12.098,16 DM, also insgesamt um 33.141,50 DM (Bescheide vom 23. September 1994 und vom 27. Januar 1995). Die Widersprüche des Klägers wies der beklagte Beschwerdeausschuß aufgrund seiner Verhandlung vom 12. April 1995 zurück, wobei dem zurückweisenden Bescheid ein von dem Vorsitzenden und einem Ausschußmitglied unterschriebenes und mit dem Datum des 12. September 1995 versehenes Blatt beigefügt war. Die Akten enthalten den Vermerk, daß ein Bediensteter der zu 5) beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) am 12. September 1995 den Beschluß zu den Unterzeichnern in ihre Praxis in Neumünster bzw ihre Dienststelle in Kiel gebracht habe und der Beschluß „anschließend” an die Geschäftsstelle bei der KZÄV in Kiel weitergegeben worden sei. Den Empfang des Beschlusses haben der Kläger und die Beigeladene zu 5) mit Datum vom 20. September 1995 bescheinigt; auf den von den übrigen Beteiligten unterzeichneten Rückscheinen ist als Posteinlieferungsdatum jeweils der 21. September 1995 vermerkt.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 1. August 1997 den Bescheid vom 12. April 1995 aufgehoben, weil er wegen seiner verspäteten Abfassung nicht mit Gründen versehen sei. Nach der Rechtsprechung müsse der mit Gründen versehene Bescheid binnen fünf Monaten nach der Beschlußfassung zur Zustellung gegeben werden. Eine Übergabe an die Geschäftsstelle innerhalb dieser Frist reiche nicht aus.
Mit seiner (Sprung-)Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 85 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 35 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die mit Gründen versehene Entscheidung müsse binnen fünf Monaten lediglich der Geschäftsstelle übergeben werden, wie sich aus dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 ergebe (GmSOGB BVerwGE 92, 367 = SozR 3-1750 § 551 Nr 4). Diese Frist sei durch die Übergabe am 12. September 1995 eingehalten worden.
Die Beigeladene zu 5) hält ebenfalls die Fünf-Monats-Frist für gewahrt. Erst mit Urteil vom 18. Oktober 1995 (BSGE 76, 300 = SozR 3-1300 § 35 Nr 7) habe das Bundessozialgericht (BSG) ausdrücklich verlangt, daß Bescheide binnen fünf Monaten nicht nur an die Geschäftsstelle, sondern zur Zustellung gegeben werden müßten. Bis zur Verkündung dieses Urteils habe man davon ausgehen können, daß ebenso wie die früher geltende einjährige auch die fünfmonatige Frist bei Urteilen und Bescheiden in gleicher Weise zu berechnen und daher auch bei Bescheiden innerhalb der Frist nur die Übergabe an die Geschäftsstelle erforderlich sei.
Der Beklagte beantragt,
Die Beigeladene zu 5) beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 1. August 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Er tritt den Ausführungen des Beklagten entgegen und macht geltend, das Urteil des SG sei zutreffend.
Die Beigeladenen zu 4), 6) und 7) schließen sich den Ausführungen des Beklagten an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision des beklagten Beschwerdeausschusses ist unbegründet. Das SG hat dessen Bescheid zu Recht aufgehoben, denn dieser war nicht im Sinne des § 35 Abs 1 SGB X mit Gründen versehen. Hierfür wäre erforderlich gewesen, daß er binnen fünf Monaten nach der Beschlußfassung vollständig abgesetzt, unterschrieben und zum Zwecke der Zustellung herausgegeben bzw zur Post gegeben wurde.
Urteile und schriftliche Bescheide sind mit Gründen zu versehen (§ 313 Abs 1 Nr 6, Abs 3 Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫, § 117 Abs 2 Nr 5 Verwaltungsgerichtsordnung ≪ VwGO ≫, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG und § 73 Abs 3 Satz 1 VwGO, § 39 Abs 1 Verwaltungsverfahrensgesetz, § 85 Abs 3 Satz 1 SGG, § 35 Abs 1 SGB X). Dies bedeutet nicht nur, daß Urteile und Bescheide überhaupt schriftlich zu begründen sind, sondern auch, daß die schriftliche Begründung die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen erkennen lassen muß. Deren authentische Wiedergabe ist ebenso wie bei Gerichtsurteilen auch bei Verwaltungsentscheidungen, die von Kollegialorganen mit quasi-justiziellen Funktionen in Ausfüllung von Beurteilungs- und/oder Ermessensspielräumen getroffen werden, nur dann gewährleistet, wenn sie bald nach der Entscheidung niedergelegt wird (vgl § 315 Abs 2 Satz 3 ZPO, § 117 Abs 4 Satz 2 Halbs 2 VwGO: „alsbald”; gemäß § 202 SGG auch im SGG anzuwenden). Bei solchen Entscheidungen bestehen deshalb im Falle erheblicher zeitlicher Verzögerung der Bescheidabfassung Zweifel, daß die Begründung noch die für sie maßgeblich gewesenen Gesichtspunkte wiedergibt (vgl hierzu zB GmSOGB BVerwGE 92, 367, 375 f = SozR 3-1750 § 551 Nr 4 S 12 f; BSGE 72, 214, 216 bis 218 = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 S 7 bis 9). Sie gelten dann nicht mehr als mit Gründen versehen und damit als verfahrensfehlerhaft zustandegekommen.
Die Rechtsprechung war früher davon ausgegangen, daß die Begründung dann nicht mehr mit Sicherheit die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte wiedergibt, wenn die Entscheidung erst nach ungefähr einem Jahr zugestellt worden war. Diese Rechtsprechung bezog sich zunächst nur auf Urteile (vgl aus der BSG-Rechtsprechung zB BSGE 51, 122, 123 bis 125 = SozR 1750 § 551 Nr 9 S 9 bis 11; ebenso Nr 10 S 14, Nr 12 S 16 sowie SozR 3-1750 § 551 Nr 2 S 2, Nr 3 S 4). Sie ist dann vom BSG für den Bereich des Kassenarztrechts auf Bescheide der Beschwerdeausschüsse übertragen worden (BSGE 72, 214, 215/216, 217 = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 S 6, 8), weil die Gründe, die zur Fehlerhaftigkeit des Urteils bei verspäteter Absetzung der Entscheidungsgründe führen, auch auf die verspätete Begründung von Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse zutreffen.
Seit dem Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27. April 1993 fordert die Rechtsprechung, daß Urteilsbegründungen bereits binnen fünf Monaten nach der Entscheidung abgefaßt und der Geschäftsstelle übergeben werden müssen (GmSOGB BVerwGE 92, 367, 372 ff = SozR 3-1750 § 551 Nr 4 S 10 ff). Diesen Rechtsstandpunkt hat sich auch das BSG zu eigen gemacht und mehrfach bekräftigt (zB BSG SozR 3-1750 § 551 Nr 5 S 15, Nr 7 S 21 bis 23; BSGE 75, 74, 75 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12 S 43; SozR 3-1500 § 164 Nr 5 S 6, Nr 6 S 11).
Das Erfordernis, daß die schriftlichen Entscheidungsgründe schon binnen fünf Monaten abgefaßt werden müssen, hat der Senat mit Urteil vom 18. Oktober 1995 auf Bescheide der Beschwerdeausschüsse übertragen (BSGE 76, 300 = SozR 3-1300 § 35 Nr 7; bekräftigt durch Urteil vom 15. November 1995, USK 95 162). Er hat damit an das Urteil des 14a-Senats vom 21. April 1993 angeknüpft, der die Fristen für die Abfassung der Entscheidungsgründe bei Urteilen gleichermaßen für die Bescheide der Beschwerdeausschüsse hat gelten lassen (BSGE 72, 214 = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 zur damals praktizierten Jahresfrist), und entsprechend der neueren Rechtsprechung zu Urteilen (GmSOGB aaO) die Jahresfrist auf fünf Monate verkürzt. Für das Ende der Frist hat er aber nicht wie bei Urteilen auf deren Übergabe an die Geschäftsstelle abgestellt. Er hat vielmehr – vergleichbar der früheren Rechtsprechung bei der Jahresfrist – ausgeführt, daß die Entscheidung binnen fünf Monaten zum Zwecke der Zustellung herausgegeben bzw zur Post gegeben werden muß (vgl BSGE 76, 300, 302, 303 = SozR 3-1300 § 35 Nr 7 S 16 unten, 17 am Ende; BSG USK 95 162 S 885). Die Gründe für diese Besonderheit im Vergleich zur Fristbemessung bei Urteilen sind in den Senatsurteilen vom 18. Oktober und 15. November 1995 zwar nicht näher ausgeführt. Sie liegen aber auf der Hand. Im Verwaltungsverfahren kann nicht wie im Gerichtsbereich vorausgesetzt werden, daß in der Geschäftsstelle der Tag der Übergabe der vollständig abgesetzten und unterschriebenen Entscheidung beurkundet wird (zur gerichtlichen Beurkundung dieses Zeitpunktes vgl zB BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 6 S 11). Eine Gewähr für die Dokumentation eines Datums besteht im Verwaltungsverfahren erst im Zusammenhang mit der Zustellung bzw Bekanntgabe (zur Ersetzung der Zustellung durch Bekanntgabe siehe die Neufassung des § 85 Abs 3 Satz 1 SGG aufgrund des Art 1 Nr 2 des Gesetzes vom 30. März 1998, BGBl I 638). Üblicherweise vermerkt die Behörde den Tag, an dem die Entscheidung zum Zwecke ihrer Zustellung bzw Bekanntgabe herausgegeben bzw zur Post gegeben worden ist. Sollte dies nicht geschehen sein, so kann dieser Zeitpunkt anhand des Poststempels festgestellt oder aus dem Zugangszeitpunkt ermittelt werden.
Diese Unterschiede zwischen Gerichts- und Verwaltungsverfahren sind der Grund dafür, daß der Senat in seinen Urteilen vom 18. Oktober und 15. November 1995 für das Ende der fünfmonatigen Frist bei Bescheiden auf den Zeitpunkt ihrer Herausgabe zum Zwecke ihrer Zustellung bzw Bekanntgabe – und nicht wie bei Urteilen auf die Übergabe an die Geschäftsstelle – abgestellt hat. Daran hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß im Falle mehrerer Beteiligter der Tag der ersten Herausgabe zur Zustellung bzw Bekanntgabe maßgebend ist (vgl dazu BFHE 153, 497, 500/501; 171, 392, 395, jeweils aus Anlaß der Frage, wann die Entscheidung existent ist und damit grundsätzlich nicht mehr geändert werden kann).
Nach diesen Maßstäben erweist sich der vorliegend angefochtene Bescheid als rechtswidrig. Er ist nicht im Sinne des § 85 Abs 3 Satz 1 SGG, § 35 Abs 1 SGB X mit Gründen versehen. Der aufgrund des Beschlusses vom 12. April 1995 abgefaßte Bescheid wurde nach dem Inhalt der Verwaltungsakten, wie vom SG festgestellt, zwar noch am 12. September 1995 von dem Vorsitzenden und einem weiteren Mitglied des Ausschusses unterschrieben. Er ist möglicherweise auch am selben Tag an die bei der KZÄV in Kiel befindliche Geschäftsstelle des Beklagten gelangt – was allerdings nach den Verwaltungsakten nicht klar und auch vom SG nicht eindeutig festgestellt worden ist -. Die Herausgabe aus dem Geschäftsbereich zum Zwecke der Zustellung erfolgte aber erst, wie vom SG festgestellt, eine Woche später. Damit ist unzweifelhaft die bis zum 12. September 1995 dauernde fünfmonatige Frist überschritten.
Hiergegen kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, daß dem Beklagten die Fristversäumung damals noch nicht erkennbar gewesen sei. Für ihn läßt sich nichts daraus herleiten, daß der Senat erst mit seinen Urteilen vom 18. Oktober und 15. November 1995 ausdrücklich klargestellt hat, daß bei Bescheiden nicht nur die Übergabe an die Geschäftsstelle, sondern auch die Herausgabe zum Zwecke der Zustellung binnen der fünf Monate erfolgen muß. Als die Frist für die Abfassung von Gerichtsurteilen von einem Jahr auf fünf Monate reduziert wurde bei gleichzeitiger Verschiebung des maßgeblichen Zeitpunktes von der Zustellung auf die Übergabe an die Geschäftsstelle (vgl GmSOGB aaO), hat nicht darauf vertraut werden können, daß diese Maßstäbe unverändert auf Bescheide der Prüfgremien übertragen werden würden, eben weil hier die verfahrensrechtlichen Regelungen und die verfahrensmäßige Bearbeitung anders sind als bei Gericht. Bei dieser Lage kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen überhaupt schutzwürdige verfahrensrechtliche Positionen entstehen können (vgl hierzu BSG SozR 3-1750 § 551 Nr 5 S 15; BSGE 75, 74, 75 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12 S 43).
Das Fehlen einer Bescheidbegründung entsprechend § 85 Abs 3 Satz 1 SGG, § 35 Abs 1 SGB X kann nicht als unschädlich iS des § 42 Satz 1 SGB X angesehen werden. Denn es kann aufgrund der dem Beklagten bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen eingeräumten Beurteilungs- und Ermessensspielräume nicht ausgeschlossen werden, daß eine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen