Entscheidungsstichwort (Thema)
Theorie der wesentlichen Bedingung. wesentliche Mitursache. Adäquanztheorie. hypothetischer Kausalverlauf. überholende Kausalität. unfallbedingte Verhinderung einer rechtzeitigen Diagnosestellung. Lebensverkürzung um mindestens 1 Jahr
Leitsatz (amtlich)
Ein hypothetisches unfallbezogenes Geschehen ist auch dann nicht als Ursache im Rechtssinne zu werten, wenn es dem tatsächlichen Schadensereignis vorangestellt wird.
Orientierungssatz
Zur Frage des Anspruchs auf Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn der Versicherte auch bei rechtzeitiger Entdeckung einer bestehenden Geschwulstkrankheit eine das Leben um zumindest ein Jahr verlängernde Amputation des linken Vorfußes wegen der Unfallfolgen verweigert hätte.
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1, § 589 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 26.02.1987; Aktenzeichen L 7 U 900/85) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 28.11.1984; Aktenzeichen S 10 U 3167/82) |
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch auf Witwenrente und Überbrückungshilfe sowie Waisenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Kläger zu 2) und 3) sind die Kinder des am 15. Oktober 1933 geborenen und am 18. Juni 1982 verstorbenen W. B. (B).
Die beklagte Berufsgenossenschaft erkannte ein am 13. Juli 1977 eingetretenes Ereignis als Arbeitsunfall an und gewährte wegen der Unfallfolgen "Verlust des rechten Unterschenkels mit zur Zeit noch nicht günstigen Stumpfverhältnissen und Knochenstumpfveränderungen" vom 6. Februar 1978 an Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Hundert (vH). B. wurde mit einer Unterschenkelprothese versorgt. Die ungünstigen Stumpfverhältnisse machten eine Stumpfrevision notwendig. Auch späterhin traten stärkere Beschwerden im Bereich des rechten Stumpfes auf, die ärztliche Behandlungen bei dem Orthopäden Dr. L. erforderlich machte. Dieser behandelte B. auch wegen einer am 3. Juli 1979 diagnostizierten "statischen Insuffizienz links bei Senk-Spreizfuß, Amputation des rechten Unterschenkels". Die Behandlung wegen des angenommenen Überlastungsschadens wurde fortgesetzt, obwohl zwischenzeitlich Dr. F. als Urlaubsvertreter Dr. L. bei der Röntgenuntersuchung des linken Fußes am 17. August 1979 eine "Deformierung mit Knochensubstanzdefekt 5. Mittelfußknochen" festgestellt hatte. Am 4. Februar 1980 wurde am linken Vorfuß ein histologisch gesichertes synoviales Sarkom entfernt. B. unterzog sich einer Chemotherapie, lehnte aber eine Vorfußamputation unter Ausbildung eines Pirogoff-Stumpfes ab. Am 18. Juni 1982 verstarb B. nach zunehmender Tumorprogredienz, Lungenmetastasierung beiderseits und Pleurabefall links infolge Herz- und Kreislaufversagens.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12. August 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 1982 die Gewährung von Witwenrente, Überbrückungshilfe und Sterbegeld an die Klägerin zu 1) sowie Waisenrente an die Kläger zu 2) und 3) ab.
Klage und Berufung der Kläger sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts vom 28. November 1984 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 26. Februar 1987) . Das LSG hat zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung unter anderem ausgeführt: Das für den Tod verantwortliche Sarkom sei unabhängig von den Unfallfolgen entstanden und habe allein zum Ableben geführt. Zwar seien die Unfallfolgen ausschlaggebend für die Entscheidung B's gewesen, der im Februar 1980 vorgeschlagenen Amputation des linken Vorfußes nicht zuzustimmen. Darauf habe es aber nicht anzukommen, weil nicht mit Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, daß B. zumindest ein Jahr länger gelebt hätte. Bei rechtzeitiger Diagnostizierung des synovialen Sarkoms aufgrund der vorhandenen Röntgen-befunde im August 1979 wäre eine Lebensverlängerung um mindestens ein Jahr erreicht worden. Die Folgen des Arbeitsunfalles hätten indessen die Symptome im Bereich des linken Fußes nicht überdeckt und seien deshalb nicht für das verspätete Erkennen der zum Tode führenden unfallunabhängigen Geschwulsterkrankung verantwortlich. Ebensowenig sei ein rechtlich beachtlicher Zusammenhang gegeben, wenn man davon auszugehen habe, daß B. bei Entdeckung des Geschwulstleidens im August 1979 aus unfallbedingten Gründen - rechtsseitige Unterschenkelamputation und dadurch bedingte körperliche Behinderung - eine lebensrettende, das Leben zumindest aber um ein Jahr verlängernde Amputation des linken Vorfußes verweigert hätte. Denn das Erkennen des Sarkoms erst im Februar 1980 sei Folge einer unfallunabhängigen falschen Diagnose der behandelnden Ärzte.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügen die Kläger eine Verletzung materiellen Rechts (§§ 589 ff Reichsversicherungsordnung -RVO-). Das Berufungsgericht habe - meinen die Kläger - den nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Ursachenbegriff verkannt. Ein Ursachenzusammenhang im Sinne des im Unfallrecht herrschenden Grundsatzes der wesentlichen Bedingung sei auch dann gegeben, wenn die Unfallfolgen die rechtzeitige Diagnose einer unfallunabhängigen Erkrankung verhindert hätten. Die fehlerhafte Diagnose eines Überlastungsschadens stehe in einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsunfall; sie sei durch die Unterschenkelamputation hervorgerufen worden. Reizerscheinungen und Überlastungsschaden seien typische Amputationsfolgen, die letztlich zur Mißdeutung geführt hätten. Die Unfallfolgen seien mithin kausal für den Irrtum der behandelnden Ärzte. Eine solche zurechenbare Verursachung sei auch nach der für den Bereich des zivilen Schadensersatzrechtes entwickelten Kausallehre (Adäquanztheorie) anzunehmen. Im übrigen hätte B. nach den Feststellungen des LSG bei Entdeckung des Geschwulstleidens schon im August 1979 eine das Leben um zumindest ein Jahr verlängernde Amputation des linken Vorfußes verweigert. Nach diesem auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannten hypothetischen Kausalverlauf sei der Tod letztendlich durch den Unfall verursacht, so daß es auf das Fehlverhalten der Ärzte nicht ankomme.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 26. Februar 1987 und des SG Stuttgart vom 28. November 1984 sowie unter Abänderung des Bescheids vom 12. August 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 1982 zu verurteilen, den Klägern die begehrten Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Kläger zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist nicht begründet. Der Klägerin zu 1) steht der Anspruch auf Witwenrente und Überbrückungshilfe (§ 589 Abs 1 Nr 3 und 4 RVO in der vor dem 1. Januar 1986 geltenden Fassung; § 590 RVO) sowie den Klägern zu 2) und 3) ein Anspruch auf Waisenrente (§ 595 RVO) nicht zu. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall des B. und dessen Tod nicht besteht.
Hinterbliebenenrente und die sonstigen Leistungen nach § 589 Abs 1 RVO iVm § 590 und § 595 RVO sind zu gewähren, wenn der Arbeitsunfall kausal für das Todesgeschehen gewesen ist (BSGE 50, 133, 135 = SozR 2200 § 589 Nr 3). An einer solchen direkten kausalen Verknüpfung zwischen der als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannten Unterschenkelamputation rechts und dem zum Tode führenden synovialen Sarkom fehlt es. Nach den Feststellungen des LSG, die von der Revision nicht angegriffen und somit für das Revisionsgericht verbindlich sind (§ 163 SGG), ist B. nicht an einer Krankheit verstorben, die unmittelbare Folge des Arbeitsunfalles war.
Die Unfallfolge braucht indessen nicht alleinige Ursache des Todes gewesen zu sein, wovon das LSG zutreffend ausgeht. Bei mehreren Ursachen gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung der maßgebende Ursachenbegriff der wesentlichen Bedingung oder der wesentlichen mitwirkenden Ursache (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band II, 1. Aufl Seite 480 ff mit zahlreichen Nachweisen), der übrigens auch in anderen Sozialversicherungszweigen sowie auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Anwendung findet (Krasney in Entwicklung des Sozialrechts, Aufgabe der Rechtsprechung, Festgabe aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, Seite 355, 361 mwN); so zum österreichischen Unfallversicherungsrecht (Tomandl, Festschrift für Gerhard Weißenberg, 1980 Seite 417, 432). Danach ist bei einer Konkurrenz zweier selbständiger Leiden - unfallbedingt und unfallunabhängig - Ursache diejenige, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat.
Das LSG hat in diesem Sinne geprüft, ob gegebenenfalls eine unfallbedingte Mitursache des Todes darin bestehen könnte, daß B. nach den Feststellungen des LSG wegen der mit der Amputation verbundenen Komplikationen eine ihm im Februar 1980 vorgeschlagene Vorfußamputation verweigert hatte. Ob dieser Entschluß, sich nicht amputieren zu lassen, einer normalen Reaktion entsprach oder ob ein anderer an seiner Stelle bei gleicher Situation anders gehandelt hätte, ist dabei rechtlich bedeutungslos. Bei der Kausalitätsfrage ist allein zu prüfen, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade auf die in Betracht kommende Einzelpersönlichkeit mit ihrer jeweils gegebenen Struktureigenart im körperlich-seelischen Bereich gehabt hat (BSGE 28, 14 = SozR Nr 10 zu § 548 RVO mwN). Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG eine wesentliche Bedingung im Rechtssinne auch gegeben, wenn bei einem Geschädigten, der an einer vom Arbeitsunfall unabhängigen, zum Tode führenden Krankheit leidet, die Unfallfolgen den Tod um mindestens etwa ein Jahr beschleunigt haben (BSGE 40, 273, 274 = SozR 2200 § 589 Nr 2 mwN; BSGE 62, 220, 223). Das ist indessen nach dem Berufungsgericht nicht der Fall. Nach den auf dem Sachverständigengutachten des Professor Dr. S. vom 13. August 1986 beruhenden Feststellungen des LSG, denen die Revision nicht mit Rügen begegnet ist, ist eine solche unfallbedingte Lebensverkürzung um etwa ein Jahr nicht wahrscheinlich.
Selbst wenn aber das Sarkom anläßlich der Röntgenuntersuchung im August 1979 erkannt worden wäre, ist mit dem LSG ein Kausalzusammenhang zwischen den Unfallfolgen und dem Tod des B. nicht gegeben. Richtig ist zwar der Hinweis der Revision, daß nach dem im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Ursachenbegriff der wesentlichen Bedingung ein Ursachenzusammenhang auch dann zu bejahen ist, wenn die Unfallfolgen eine rechtzeitige Diagnose einer unfallunabhängigen Erkrankung verhindert haben. Der Kausalzusammenhang bestände hier nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats, wenn der Tod durch diese unfallunabhängige Erkrankung und infolge des vorgenannten Ereignisses um ein Jahr früher eingetreten wäre. (BSGE 40, 273, 275 = SozR 2200 § 589 Nr 2 mwN). Die Voraussetzungen einer nicht rechtzeitigen Diagnosestellung sowie eines dadurch um zumindest ein Jahr verfrühten Todeseintrittes sieht das Berufungsgericht als erfüllt an. Es verneint eine wesentliche unfallbedingte Mitverursachung aber deswegen, weil die Unfallfolgen die Symptome des Sarkoms nicht überdeckt hätten. Für das verspätete Erkennen der zum Tode führenden Erkrankung sei allein das Fehlverhalten der den B. behandelnden Orthopäden verantwortlich. Insoweit beruft sich das LSG auf die Bekundung des ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. , wonach durch den im August 1979 erhobenen Röntgenbefund "Deformierung mit Knochensubstanzdefekt 5. Mittelfußknochen" die zunächst durchaus naheliegende Diagnose eines Überlastungsschadens eindeutig widerlegt war. Dennoch setzte der behandelnde Orthopäde unter Nichtbeachtung dieses Untersuchungsergebnisses die Behandlung wegen eines tatsächlich nicht vorhandenen Überlastungsschadens fort und verhinderte damit eine rechtzeitige Diagnosestellung. Soweit aufgrund des Verhaltens dieses Dritten das LSG eine wesentliche unfallbedingte ursächliche Beziehung verneint, hat es damit eine im Rahmen der Kausalitätsprüfung gebotene abwägende Bewertung vorgenommen (Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969 S 115 f).
Die mit der Revision hiergegen vorgebrachten Rügen sind nicht begründet. Bei der Kausalitätsbeurteilung dieses Streitfalles hat es nicht darauf anzukommen, ob im allgemeinen Reizerscheinungen und Überlastungsschaden typische Amputationsfolgen sind, die zu Mißdeutungen Anlaß geben können. Vielmehr ist entscheidend, daß der behandelnde Orthopäde eine Behandlung wegen eines Überlastungsschadens selbst dann noch fortsetzte, als nach dem Röntgenbefund ein Überlastungsschaden auszuschließen war, und sich gerade eine andere Krankheitsursache aufdrängte. Diesen auf den Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Professor Dr. S. beruhenden Feststellungen des LSG (§ 128 Abs 1 SGG) sind die Kläger nicht mit formgerechten Verfahrensrügen begegnet. Die Folgerungen des LSG, durch das Verhalten eines Dritten sei die unfallbedingte Ursachenkette unterbrochen, steht mit dem im gesetzlichen Unfallrecht herrschenden Ursachenbegriff der wesentlichen Bedingung im Einklang.
Unerheblich ist hingegen die Meinung der Revision, daß auch nach der im Zivilrecht angewandten Adäquanztheorie ein unfallbedingter ursächlicher Bezug zu bejahen sei. Rechtsprechung und Schrifttum gehen übereinstimmend davon aus, daß diese Theorie für die gesetzliche Unfallversicherung schon von ihrem Ansatzpunkt her unbrauchbar ist (Krasney aa0 Seite 362; Brackmann aaO S 480 k II f; Gitter aaO S 110 f). Der Unterschied zwischen der Adäquanztheorie und der Theorie der wesentlichen Bedingung besteht vornehmlich darin, daß die Adäquanztheorie danach fragt, ob eine Bedingung "im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen" zur Herbeiführung des Erfolges geeignet ist, während die Theorie der wesentlichen Bedingung darauf abstellt, ob eine Bedingung im Einzelfall wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat. Die Kausalitätsbetrachtung des Zivilrechts ist damit eine abstrahierende und generalisierende, die der gesetzlichen Unfallversicherung eine individualisierende und konkretisierende. Sie ist darauf angelegt, die besonderen Umstände des Einzelfalles und der Einzelpersönlichkeit zu erfassen und zu bewerten, während die Adäquanztheorie die Bedingungen danach beurteilt, ob sie erfahrungsgemäß unter gleichen Umständen bei anderen Personen den gleichen Erfolg herbeigeführt hätten (Gitter aa0 Seite 110 f). Zudem kommt es als weiteres Unterscheidungskriterium im Rahmen der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht auf die Erkennbarkeit und Voraussehbarkeit aller im Zeitpunkt des Eintritts der Begebenheit vorliegenden Umstände an, sondern es hat allein eine nachträgliche Wertung der einzelnen Bedingungen in ihrer Beziehung zum Erfolg stattzufinden. Darauf hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum abgehoben.
Ebensowenig läßt sich der Leistungsanspruch der Kläger darauf stützen, daß B. auch bei rechtzeitiger Entdeckung der Geschwulstkrankheit im August 1979 eine das Leben um zumindest ein Jahr verlängernde Amputation des linken Vorfußes wegen der Unfallfolgen verweigert hätte. Der Meinung der Kläger, nach diesem auch in der zivilrechtlichen Rechtsprechung anerkannten hypothetischen Kausalverlauf sei der Tod letztendlich durch den Arbeitsunfall verursacht, weshalb das Fehlverhalten der behandelnden Orthopäden unbeachtlich sei, ist nicht beizupflichten. Nach der seit der Entscheidung RGZ 141, 365 ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts war die bloße hypothetische Schadensursache, die mit dem schadenstiftenden Vorgang nicht im Zusammenhang stand, außer Betracht zu lassen. In Abkehr von dieser reichsgerichtlichen Rechtsprechung haben in der Nachkriegszeit einzelne Oberlandesgerichte und der Oberste Gerichtshof für die britische Zone (OGHZ 1, 308) der hypothetischen Schadensursache bei der Ermittlung des Schadens Bedeutung beigemessen. Dem ist der BGH gefolgt (BGHZ 10, 6). Danach handelt es sich im Zivilrecht nicht etwa, was offenbar die Revision irrtümlich annimmt, um das Problem des Kausalzusammenhangs, sondern um das der Schadensermittlung. Es geht bei dem hypothetischen Schadensverlauf hier nicht um die Beziehung zwischen dem die Haftung begründenden Ereignis und dem Erfolg, sondern darum, ob dieser Erfolg jetzt, nach Eintritt der hypothetischen Schadensursache, fernerhin überhaupt noch als "Schaden" betrachtet werden kann (Larenz, NJW 1950, 487, 488).
Gleichermaßen ist im Recht der Sozialversicherung der hypothetische Geschehensverlauf, der hier unter der mißverständlichen Begriffsbezeichnung "verdrängende", "überholende" oder "hypothetische Kausalität" gebräuchlich ist und zuweilen auch Reserveursache genannt wird, nicht ein Fall der Kausalität (Brackmann, aa0 Seite 480 d mit zahlreichen Nachweisen). Demgemäß berührt es die Leistungspflicht eines Versicherungsträgers nicht, wenn der durch einen Arbeitsunfall verursachte Schaden durch ein anderes Ereignis in gleicher oder sogar noch erschwerender Weise entstanden wäre. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die in der gesetzlichen Unfallversicherung herrschende Theorie der wesentlichen Bedingung nicht anders zu beurteilen, wenn sich nachträglich feststellen läßt, daß der unfallbedingte Erfolg zu einem späteren Zeitpunkt auch durch eine andere Bedingung und einen anderen Kausalablauf ausgelöst worden wäre (BSGE 14, 172, 176 = SozR Nr 11 zu § 62 BVG; BSGE 17, 114, 116 f = SozR Nr 15 zu § 30 BVG).
Ebenso ist es zu beurteilen, wenn man mit der Revision von einem hypothetischen Geschehen ausgeht, das dem tatsächlichen Ereignis vorangestellt wird. Bei dieser Rechtsfrage, mit der sich das BSG - soweit ersichtlich - bisher noch nicht befaßt hat, geht es ebenfalls um einen gedachten, nicht realisierten bzw realisierbaren Verlauf. Auch hier ist, wie bei der sogenannten überholenden Kausalität, nur das Schadensereignis Ursache im Rechtssinne, das zum Arbeitsunfall und dessen Folgen geführt hat und nicht das hypothetische Ereignis. Demzufolge ist das hypothetische Geschehen gleichfalls nicht als Ursache im Rechtssinne zu werten. Es bleibt somit festzuhalten, daß in allen Fällen eines hypothetischen Verlaufs - und zwar gleichgültig, ob vor oder nach dem tatsächlich eingetretenen Ereignis angesiedelt - die Kausalität nicht beeinträchtigt werden kann (Staudinger, Recht der Schuldverhältnisse 10./11. Auflage, Teil Ic, Vorbemerkung zu § 249 Rdnr 47 - auch Rdnr 64; s auch Brackmann aaO 480d). Auf den gegenwärtigen Streitfall übertragen ist selbst dann, wenn man davon auszugehen hätte, daß B. auch bei rechtzeitiger Diagnosestellung einer Geschwulstkrankheit im August 1979 der zumindest um ein Jahr lebensverlängernden Vorfußamputation nicht zugestimmt hätte, nicht dadurch der Tod unfallbedingt eingetreten. Vielmehr ist das vorzeitige Ableben allein auf das Fehlverhalten des Orthopäden, nämlich einer fehlerhaften Diagnose, zurückzuführen. Allein darauf hat es bei der Beurteilung, ob der beklagte Versicherungsträger leistungspflichtig ist, anzukommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1666648 |
BSGE, 277 |