Beteiligte
Gmünder Ersatzkasse (GEK) – Pflegekasse |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1999 und des Sozialgerichts Freiburg vom 26. November 1997 (S 5 P 2271/97 und S 5 P 3547/97) geändert.
Die Klagen werden abgewiesen.
Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Gründe
I
Es ist streitig, ob dem Kläger zu 1. (im folgenden: der Kläger) Pflegegeld nach der Pflegestufe I und der Klägerin zu 2. (im folgenden: die Klägerin) Pflegegeld nach der Pflegestufe II zusteht.
Der 1986 geborene Kläger und die 1991 geborene Klägerin sind im Rahmen der Familienversicherung bei der Beklagten gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Sie sind Schüler und leben mit zwei nicht erkrankten Geschwistern im elterlichen Haushalt. Seit ihrer Geburt leiden sie an der sehr seltenen, in Krisensituationen lebensbedrohlichen sog Ahornsirupkrankheit. Es handelt sich um eine angeborene Störung im Stoffwechsel beim Abbau der Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin. Die Kläger haben deswegen strenge Diätvorschriften einzuhalten.
Am 11. April 1996 beantragten die Kläger Pflegegeld. Sie trugen vor, die dreimal täglich mit einer Gesamtmenge von je 0,2 l einzunehmenden Aminosäuremischungen hätten auch bei Zugabe mildernder Zutaten (zB Zucker) einen unangenehmen Geschmack, so daß wegen der vorgeschriebenen lebensnotwendigen Einnahme ständig Zuspruch, Überwachung und ggf auch Zwang erforderlich sei. Neben der Spezialdiät dürften nur eiweißarme oder eiweißfreie Lebensmittel verzehrt werden. Der dabei zu beachtende Gehalt an bestimmten Aminosäuren ändere sich je nach dem Ergebnis der Blutspiegelbestimmung in der Kinderklinik in Freiburg wöchentlich, zum Teil auch in kürzeren Abständen. Die Überwachung der Ernährung und des Stoffwechsels erfolge durch die Eltern, die geschult seien, frühzeitig eventuelle Stoffwechselentgleisungen zu erkennen und abzufangen. Sie entnähmen auch einmal wöchentlich, bisweilen öfter, Blutproben, schickten diese zur Untersuchung nach Freiburg und setzten die telefonisch mitgeteilten Untersuchungsergebnisse um. Falls es zu Stoffwechselentgleisungen komme, müsse ihnen von den Eltern eine nasogastrale Verweilsonde gelegt und hochkalorische Sondernahrung per Infusomat verabreicht werden.
Die Beklagte hat die Anträge abgelehnt (Bescheide vom 21. Mai 1996; Widerspruchsbescheide vom 1. Juli 1997): Die bei den Klägern krankheitsbedingt erforderlichen Stoffwechselkontrollen und Venenpunktionen sowie das Legen der nasogastralen Verweilsonde seien der Behandlungspflege zuzuordnen. Die aufwendige Zubereitung der Diätnahrung sei Teil der hauswirtschaftlichen Versorgung. Bei den Verrichtungen der Grundpflege gebe es nur einen Hilfebedarf bei der Ernährung (Nahrungsaufnahme), also nicht – wie erforderlich – bei mindestens zwei Verrichtungen der Grundpflege. Zudem übersteige der durchschnittliche tägliche Grundpflegebedarf denjenigen gesunder gleichaltriger Kinder nicht um 45 Minuten.
Das Sozialgericht (SG) hat den Klagen stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Pflegegeld nach der Pflegestufe I (Urteil vom 26. November 1997 – S 5 P 2271/97) und der Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe II ab 11. April 1996 zu gewähren (Urteil vom 26. November 1997 – S 5 P 3547/97). Das Landessozialgericht (LSG) hat beide Verfahren miteinander verbunden und die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 17. Dezember 1999): Der Kläger habe einen täglichen Grundpflegebedarf von 60 Minuten und einen hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf von ebenfalls 60 Minuten. Die „Portionierung” der zuvor zubereiteten speziellen Aminosäurengemische und der Spezialdiät sei der mundgerechten Nahrungszubereitung (15 Minuten) zuzurechnen. Die intensive Kontrolle der Nahrungsaufnahme erfordere über den Tag hinweg insgesamt weitere 15 Minuten. Der deutlich erhöhte Grundpflegebedarf bei den regelmäßig etwa einmal monatlich auftretenden Stoffwechselentgleisungen mache auf jeden Tag eines Jahres umgerechnet zusätzlich 30 Minuten aus. Bei der Klägerin sei der Grundpflegebedarf auf täglich 130 Minuten zu bemessen, weil die Kontrolle der Nahrungsaufnahme bei ihr noch deutlich zeitaufwendiger sei (55 Minuten) und die Stoffwechselentgleisungen vermehrt vorkämen (zusätzlicher Grundpflegebedarf auf jeden Tag umgerechnet 60 Minuten). Der Hilfebedarf bei der mundgerechten Nahrungszubereitung sei demgegenüber nicht erhöht (15 Minuten); auch der hauswirtschaftliche Versorgungsbedarf entspreche dem ihres Bruders (60 Minuten).
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 14 Abs 4 und 15 Abs 1 und 3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI): Die Zusammenstellung, Herstellung und Zuteilung jeder Form von Diätnahrung sei allein der Verrichtung Kochen und damit der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen. Ein vermehrter Hilfebedarf bei der Grundpflege im Falle gesundheitlicher Krisen dürfe nur berücksichtigt werden, wenn die Krisen regelmäßig mindestens einmal wöchentlich auftreten. Damit reduziere sich der Grundpflegebedarf beim Kläger auf täglich nur 15 Minuten, was schon in zeitlicher Hinsicht für die Pflegestufe I nicht ausreiche. Die Klägerin habe zwar einen für die Pflegestufe I ausreichenden Grundpflegebedarf von 55 Minuten; dieser Bedarf bestehe aber wie bei ihrem Bruder ausschließlich bei nur einer Verrichtung der Grundpflege, nämlich der Nahrungsaufnahme. Die Pflegestufe I verlange aber einen täglichen Hilfebedarf bei wenigstens zwei Verrichtungen der Grundpflege.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1999 und des SG Freiburg vom 26. November 1997 zu ändern und die Klagen abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil als zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, weil beide Kläger nicht, wie nach § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI gefordert, einen täglichen Hilfebedarf bei wenigstens zwei Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI) aufweisen.
A)Kläger G. S.
Der Anspruch auf Pflegegeld, den der Kläger seit dem 11. April 1996, also einem Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 1. April 1995 (Art 68 Abs 2 des Pflege-Versicherungsgesetzes ≪PflegeVG≫ vom 26. Mai 1994, BGBl I, 1014) geltend macht, setzt gemäß § 37 Abs 1 SGB XI voraus, daß Pflegebedürftigkeit iS des § 14 SGB XI vorliegt. Nach § 14 Abs 1 SGB XI sind pflegebedürftig iS des SGB XI solche Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer zumindest in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Zu berücksichtigen ist mithin ausschließlich der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen, die Abs 4 der Vorschrift in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Grundpflege) sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufteilt. Nach § 15 Abs 1 Nr 1 SGB XI in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl I, 1014), der durch das 1. SGB XI-Änderungsgesetz (1. SGB XI-ÄndG) vom 14. Juni 1996 (BGBl I, 830) zu § 15 Abs 1Satz 1 Nr 1 SGB XI geworden ist, setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) voraus, daß er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Dabei gehören zum Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- und Blasenentleerung, zum Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung und zum Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (§ 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI). Bei Kindern ist für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf (Mehrbedarf) gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend (§ 15 Abs 2 SGB XI).
Das LSG hat zu Unrecht angenommen, daß der Kläger einen Hilfebedarf bei zwei Verrichtungen aus dem Bereich der Ernährung habe. Hilfebedarf besteht lediglich bei der Verrichtung „Nahrungsaufnahme” im wesentlichen in der Form der genauen Kontrolle, nicht aber bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung.
1. Das vom Kläger geltend gemachte aufwendige diätgerechte Zusammenstellen, Zubereiten und Zuteilen der Nahrung gehört nicht zur Grundpflege. Im Bereich der Ernährung unterscheidet § 14 Abs 4 SGB XI zwischen der mundgerechten Zubereitung und der Aufnahme der Nahrung einerseits, wobei ein Hilfebedarf bei diesen Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) zuzuordnen ist, und den Verrichtungen „Einkaufen” und „Kochen” andererseits, die dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI) zugewiesen sind. Die Vorschrift differenziert allein nach dem äußeren Ablauf der Verrichtungen; sie knüpft nicht an das mit der Verrichtung angestrebte Ziel an. Bezogen auf den Lebensbereich „Ernährung” bedeutet dies, daß nicht umfassend alle Maßnahmen einzubeziehen sind, die im konkreten Einzelfall im weitesten Sinn dem Ernährungsvorgang zugeordnet werden können. Zur Grundpflege gehört nach § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI vielmehr nur die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme selbst sowie die letzte Vorbereitungsmaßnahme, soweit eine solche nach der Fertigstellung der Mahlzeit krankheits- oder behinderungsbedingt noch erforderlich wird (BT-Drucks 12/5262, S 96, 97; Wilde in: Hauck/Wilde, SGB XI, § 14 RdNr 34b). Dies schließt, wie vom Senat bereits entschieden (Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 3/97 R – BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2), bei an Stoffwechselstörungen leidenden Personen die Einbeziehung solcher Hilfen in die Grundpflege aus, die nur dazu dienen, die Verträglichkeit der Nahrung sicherzustellen (zB durch besonderes Einkaufen, Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen), wenn derartige Maßnahmen nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit den im Katalog aufgeführten Verrichtungen der Grundpflege vorgenommen werden müssen. Der Senat folgt nicht der Auffassung, wonach bei einem an einer diätpflichtigen Stoffwechselstörung leidenden Kind das Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Mahlzeiten zum „mundgerechten Zubereiten” der Nahrung gehöre, weil dem Kind eine Mahlzeit nur dann „munden” könne, wenn sie mit Hilfe aufwendiger Vorbereitungen genau berechnet sowie zubereitet sei, und es andernfalls durch die Nahrung in Lebensgefahr gebracht werde (vgl Urteil vom 17. Juni 1999 – B 3 P 10/98 R – SozR 3-3300 § 15 Nr 7). Diese Auslegung wird den Vorgaben des Gesetzes nicht gerecht, weil sie sich von dem äußeren Ablauf der Pflegemaßnahmen löst und statt dessen auf die individuelle Bedeutung einzelner Hilfeleistungen abstellt.
In den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen über die Abgrenzung der Merkmale der Pflegebedürftigkeit und der Pflegestufen sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit (Pflegebedürftigkeits-Richtlinien ≪PflRi≫) vom 7. November 1994 idF vom 21. Dezember 1995 sind die Vorgaben des Gesetzes in bezug auf den Lebensbereich „Ernährung” (Ziff 3.4) zutreffend erläutert. Danach zählt die gesamte Vorbereitung der Nahrungsaufnahme nicht zur Grundpflege, sondern zum Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Das im Gesetz ausdrücklich erwähnte Einkaufen umfaßt zB auch den Überblick, welche Lebensmittel wo eingekauft werden müssen, sowie die Kenntnis der Genieß- bzw Haltbarkeit von Lebensmitteln; zum ebenfalls erwähnten Kochen gehört auch das Vor- und Zubereiten der Bestandteile der Mahlzeiten. Die PflRi gehen zutreffend davon aus, daß der Begriff „Kochen” den gesamten Vorgang der Nahrungszubereitung – und zwar warme und kalte Speisen und Getränke gleichermaßen – umfaßt. Hierzu zählen somit auch Vorbereitungsmaßnahmen wie die Erstellung eines Speiseplans unter Berücksichtigung individueller, unter Umständen auch krankheitsbedingter Besonderheiten. Daraus folgt, daß die Tätigkeiten des Berechnens, Abwiegens, Zusammenstellens und Zubereitens der Speisen zur Herstellung der für den Kläger erforderlichen Diät zur Nahrungszubereitung zählen und damit der Verrichtung „Kochen” im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen sind. Zum Zusammenstellen und Zubereiten der Speisen zählt – als Abschluß der Verrichtung „Kochen” – auch das anhand der Diätvorschriften vorzunehmende Bemessen und Zuteilen der zubereiteten Nahrung bzw einzelner Nahrungsbestandteile. Dieser Vorgang stellt – entgegen der Ansicht des LSG und des Klägers – nicht bereits die „portionsgerechte Vorgabe” der zubereiteten Nahrung dar, die gemäß Ziff 3.4.2 der PflRi sowie Abschnitt D Ziff 5.2 (8) der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien ≪BRi≫) vom 21. März 1997 zur Verrichtung der mundgerechten Zubereitung der Nahrung gerechnet wird. „Portionsgerechte Vorgabe” bzw „Portionierung” der zubereiteten Nahrung kann nur bedeuten, daß die bereits zubereitete Nahrung am Eßtisch – ggf mit der Unterstützung des Pflegebedürftigen durch eine Pflegeperson im Rahmen der aktivierenden Hilfe (§ 28 Abs 4 Satz 1 SGB XI) – so „mundgerecht” vorbereitet wird, daß der Pflegebedürftige sie durch den Mund aufnehmen kann (zB Zerkleinern der Nahrung; Trennung nicht eßbarer Bestandteile der zubereiteten Nahrung wie etwa Heraustrennen eines Knochens und Entfernen von Gräten; Einfüllen von Getränken in Trinkgefäße bei Funktionsstörungen oder Fehlen der Hände; Einweichen von harter Nahrung bei Kaustörungen). Die Einbeziehung auch der Bemessung und Zuteilung der zubereiteten Diätnahrung würde nicht hinreichend berücksichtigen, daß § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI ausdrücklich nur die „mundgerechte Zubereitung” der Nahrung als Grundpflege beschreibt, es dort also nicht allgemein um die „Zubereitung” oder um die „krankheitsgerechte Zubereitung” geht.
2. Die wöchentliche Entnahme der Blutproben zur Blutspiegelbestimmung zählt ebenfalls nicht zur Grundpflege. Es sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Behandlungspflege), die nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie einer der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen zugerechnet werden können (BSG Urteile vom 19. Februar 1998 – B 3 P 3/97 R – BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2 und – B 3 P 11/97 R – SozVers 1998, 253). Daran fehlt es. Die Blutspiegelbestimmungen dienen als Vorbereitungshandlungen dem oben erwähnten Berechnen, Zusammenstellen, Abwiegen und Zuteilen der Mahlzeiten. Die Entnahme der Blutproben ist zeitlich zu weit vom Vorgang des Essens entfernt, um noch unter „Aufnahme der Nahrung” (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) subsumiert zu werden; es handelt sich somit um eine selbständige Maßnahme der Behandlungspflege ohne Bezug zu einer der Verrichtungen des Katalogs in § 14 Abs 4 SGB XI (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 7).
3. Im Bereich der Grundpflege weist der Kläger somit nur einen regelmäßigen täglichen Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme auf. Bei sonstigen Verrichtungen der Grundpflege besteht kein Hilfebedarf, der über denjenigen gleichaltriger gesunder Kinder (§ 15 Abs 2 SGB XI) hinausgeht. Dies gilt auch für die krisenhaften Zeiten der Stoffwechselentgleisungen. Der Hilfebedarf ist in diesen Zeiten zwar deutlich erhöht, beschränkt sich aber nach den nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden Feststellungen des LSG auch hier nur auf den Bereich der Nahrungsaufnahme, die über eine nasogastrale Verweilsonde erfolgt.
Auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung, daß Hilfebedarf bei „wenigstens zwei Verrichtungen” bestehen muß, kann nicht verzichtet werden, wie vom Senat bereits entschieden worden ist (BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 7). Der Einwand, angesichts der in § 15 Abs 3 SGB XI aufgestellten detaillierten zeitlichen Voraussetzungen für die einzelnen Pflegestufen müsse allein dieser Zeitfaktor als maßgeblich für den Pflegebedarf angesehen werden, so daß es nicht darauf ankommen könne, ob ein Pflegebedarf von beispielsweise 60 Minuten bei einer, zwei oder mehr Verrichtungen der Grundpflege anfalle, greift nicht durch. Zwar hätte der Gesetzgeber aufgrund des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums die Frage des Pflegebedarfs auch allein anhand zeitlicher Kriterien regeln können. Dies hat er jedoch nicht getan. Die Pflegebedürftigkeit wurde von Anfang an aufgrund einer Kombination von zeitlichen (§ 15 Abs 3 SGB XI) und verrichtungsbezogenen Anforderungen (§ 15 Abs 1 SGB XI) definiert, und zwar – in unterschiedlicher Ausprägung – für alle drei Pflegestufen. Die in der Zeit seit dem Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 1. April 1995 bis zum 25. Juni 1996 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. SGB XI-ÄndG, vgl dessen Art 8 Abs 1) geltende ursprüngliche Fassung des SGB XI enthielt zwar die jetzt in § 15 Abs 3 SGB XI detailliert aufgeführten zeitlichen Voraussetzungen noch nicht. § 15 Abs 3 SGB XI aF ermächtigte seinerzeit aber die Spitzenverbände der Pflegekassen bzw das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, den in den einzelnen Pflegestufen jeweils mindestens erforderlichen zeitlichen Pflegeaufwand in den Pflegerichtlinien nach § 17 SGB XI bzw in der Verordnung nach § 16 SGB XI zu regeln. Die PflRi vom 7. November 1994 haben diese Ermächtigung umgesetzt und in Ziff 4.1.1, 4.1.2 und 4.1.3 zeitliche Staffelungen vorgesehen, die inhaltlich im wesentlichen mit der zum 25. Juni 1996 geschaffenen gesetzlichen Regelung der zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufen I, II und III in § 15 Abs 3 SGB XI nF übereinstimmten. Der Gesetzgeber hat also nicht erst durch die Neuregelung des § 15 Abs 3 SGB XI zum 25. Juni 1996, sondern auch schon durch die vorher geltende Ermächtigung in § 15 Abs 3 SGB XI aF zum Ausdruck gebracht, daß für ihn die Frage der Pflegebedürftigkeit und der Zuordnung zu den verschiedenen Pflegestufen allein aus einer Kombination von zeitlichen und verrichtungsbezogenen Kriterien zu beantworten ist und nicht schon die Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen ausreicht. Der Verzicht auf die Streichung des Tatbestandsmerkmals des Hilfebedarfs bei „wenigstens zwei Verrichtungen” der Pflegestufe I in § 15 Abs 1 Nr 1 SGB XI im Zuge der Einfügung der zeitlichen Voraussetzungen für die Pflegestufen in § 15 Abs 3 SGB XI nF kann nicht als bloßes gesetzgeberisches Versehen eingestuft werden, sondern entspricht dem Willen des Gesetzgebers und steht mit der Aufrechterhaltung verrichtungsbezogener Kriterien auch für die Pflegestufen II und III in Einklang.
4. Da verfassungsrechtliche Bedenken gegen die bestehende Regelung nicht erkennbar sind, scheitert der Anspruch des Klägers also bereits daran, daß sein Hilfebedarf sich auf nur eine Verrichtung der Grundpflege beschränkt. Die Frage, ob der Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme vom LSG mit 45 Minuten (15 + 30 Minuten) zutreffend ermittelt worden ist und dabei der zusätzliche Bedarf bei der Bewältigung der Stoffwechselentgleisungen überhaupt berücksichtigt werden durfte, kann daher offenbleiben. Ebenso ist es unerheblich, ob der Kläger einen so großen Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung hat, daß dieser zusammen mit dem Hilfebedarf bei der Grundpflege mindestens 90 Minuten ausmacht; denn auch bei Kindern kann ein unzureichender Hilfebedarf bei der Grundpflege nicht durch einen erhöhten Bedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ausgeglichen werden (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2).
B)Klägerin L. S.
Nach vorstehenden Ausführungen ist auch die Klage der Klägerin unbegründet, obgleich sie im Bereich der Grundpflege zum Zeitpunkt der zweitinstanzlichen Entscheidung Ende 1999 einen durchschnittlichen täglichen Hilfebedarf von mindestens 55 Minuten, also – wie erforderlich – von „mehr als 45 Minuten” (§ 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI) aufwies. Denn auch bei der Klägerin beschränkt sich der Hilfebedarf auf nur eine Verrichtung der Grundpflege, nämlich die Nahrungsaufnahme. Demgemäß erfüllt auch sie nicht die Voraussetzungen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI, wonach schon die Pflegstufe I einen täglichen Hilfebedarf bei wenigstens zwei Verrichtungen der Grundpflege erfordert. Da nicht einmal die Voraussetzungen der Pflegestufe I vorliegen, kam auch eine Einordnung in die von ihr geltend gemachte Pflegestufe II nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen