Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 30.05.1990)

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.03.1988)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Mai 1990 aufgehoben, soweit es die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 23. März 1988 zurückgewiesen hat.

2. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 23. März 1988 wird aufgehoben, soweit es die Vergütungen der Kläger für die Zeit ab 15. März 1986 betrifft.

3. Die Bescheide der Beklagten vom 21. Juni und 10. Juli 1986 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23. bzw 13. Januar 1987 werden aufgehoben, soweit sie sich auf Leistungen beziehen, die auf Überweisung der Polikliniken der Universität Marburg erbracht werden, und die Zeit ab 15. März 1986 betreffen.

4. Die Bescheide der Beklagten vom 30. Januar, 4. März, 4. November 1987 13. Januar, 3. Juni, 21. September, 20. Oktober 1988 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1. Oktober 1987, 29. Januar, 17. Oktober 1988 bzw 5. April 1989 werden aufgehoben, soweit sie sich auf Leistungen beziehen, die auf Überweisung der Polikliniken der Universität Marburg erbracht wurden.

5. Die Beklagte wird verurteilt, die in den unter 3. und 4. genannten Bescheiden als nicht vergütungsfähig abgesetzten Leistungen der Kläger, die ab 15. März 1986 auf Überweisung der Polikliniken der Universität Marburg erbracht wurden, zu vergüten.

6. Die Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Kläger verlangen von der Beklagten weiterhin die Vergütung kassen- und vertragsärztlicher Leistungen, die sie aufgrund von Überweisungen durch Ärzte der Polikliniken der Universität Marburg in den Quartalen I/86 (ab 15. März 1986) bis II/88 erbrachten.

Der Kläger zu 1) ist seit Februar 1983 als Radiologe in Marburg niedergelassen, als Kassenarzt zugelassen und als Vertragsarzt beteiligt. Der Kläger zu 2) ist mit ihm in Gemeinschaftspraxis niedergelassen; er wurde mit Beschluß vom 4. Februar 1986 als Kassenarzt zugelassen und mit Beschluß vom 26. Februar 1986 als Vertragsarzt beteiligt.

Mit Bescheid vom 11. März 1986 berichtigte die Beklagte die Honorarforderung des Klägers zu 1) für das Quartal IV/85 ua dergestalt, daß alle Leistungen, die der Kläger zu 1) auf Überweisung aus dem Bereich der Polikliniken der Universität Marburg abrechnete, abgesetzt wurden. Sie begründete dies damit, daß mit den Pauschalen, die nach den bestehenden Poliklinik-Verträgen gezahlt würden, nicht nur die Leistungen im Klinikum selbst, sondern auch die von den Polikliniken veranlaßten Leistungen abgegolten seien. Die vom Kläger zu 1) erbrachten Leistungen müßten direkt mit dem Universitätsklinikum abgerechnet werden.

Mit Bescheid vom 10. Juli 1986 berichtigte die Beklagte die Honorarforderung des Klägers zu 1) für das Quartal I/86 in gleicher Weise durch Streichung aller Leistungen auf Überweisung durch die Polikliniken der Universität Marburg für die Zeit bis zum Eintritt des Klägers zu 2) in die Gemeinschaftspraxis (hinsichtlich RVO-Kassen bis 3. Februar, hinsichtlich Ersatzkassen bis 25. Februar 1986).

Die vom Kläger zu 1) gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Bescheid vom 13. Januar 1987 zurück. Hiergegen erhob der Kläger zu 1) am 9. Februar 1987 Klage (S-5/Ka-408/87).

Durch Bescheid vom 21. Juni 1986 berichtigte die Beklagte die Honorarforderung der Kläger für das Quartal I/86 bezüglich der Zeit ab Eröffnung der Gemeinschaftspraxis (dh hinsichtlich RVO-Kassen ab 4. Februar, hinsichtlich Ersatzkassen ab 26. Februar 1986) wiederum in der Weise, daß alle auf Überweisung der Polikliniken der Universität Marburg erbrachten Leistungen gestrichen wurden. Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte mit Bescheid vom 23. Januar 1987 zurück. Die Kläger erhoben hiergegen am 9. Februar 1987 Klage (S-5/Ka-409/87).

Für das Quartal II/86 berichtigte die Beklagte mit Bescheid vom 24. November 1986 die Honorarforderung der Kläger bezüglich der Leistungen auf Überweisungen durch die Polikliniken der Universität Marburg in derselben Weise wie bisher. Die nach erfolglosem Widerspruch (Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 1987) erhobene Klage (S-5/Ka-1810/87) nahmen die Kläger mit Rücksicht auf § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wieder zurück.

Für die Quartale III/86 bis II/88 berichtigte die Beklagte die Honorarforderung der Kläger wiederum durch Streichung aller Leistungen, die auf Überweisungsscheinen der Polikliniken der Universität Marburg abgerechnet waren (Bescheide vom 30. Januar, 4. März, 4. November 1987, 13. Januar, 3. Juni, 21. September, 20. Oktober 1988). Die von den Klägern jeweils dagegen erhobenen Widersprüche blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 1. Oktober 1987, 29. Januar, 17. Oktober 1988, 5. April 1989).

Die von den Klägern erhobenen und zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 23. März 1988 abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 30. Mai 1990 das Urteil des SG abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1987 aufgehoben, soweit die Beklagte die Abrechnung von Leistungen generell verweigert, die auf Überweisung durch die Polikliniken der Universität Marburg vom Kläger zu 1) erbracht wurden, ferner den Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 1987 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1987 für die Zeit bis zum 14. März 1986 aufgehoben, soweit die Beklagte die Abrechnung von Leistungen generell verweigert, die auf Überweisung durch die Polikliniken der Universität Marburg von den Klägern zu 1) und 2) bzw von dem Kläger zu 1) erbracht wurden, und die Beklagte verurteilt, den Klägern hinsichtlich der entsprechenden Überweisungsscheine eine Abrechnung zu erteilen. Im übrigen hat das LSG die Berufung der Kläger zurückgewiesen.

Für die Abrechenbarkeit der Leistungen hat es zwischen der Zeit bis zum 14. März 1986 und der Zeit ab 15. März 1986 unterschieden und dazu ausgeführt: Die Beklagte habe lediglich für die bis zum 14. März 1986 erbrachten Leistungen eine Abrechnung zu erteilen. Nach den maßgebenden Poliklinik-Verträgen würden alle bei der poliklinischen Untersuchung und Behandlung entstehenden Kosten einschließlich derjenigen, die auf Veranlassung der Ärzte der Polikliniken bei anderen Stellen entstehen, durch eine vierteljährliche Kostenpauschale (pro Behandlungsfall) abgegolten. Kraft dieser vertraglichen Regelung seien die von den Klägern seit dem 15. März 1986 erbrachten Leistungen nicht gesondert von der Beklagten zu vergüten. Die Poliklinik-Verträge eröffneten den Polikliniken nicht die Möglichkeit, einen Teil der Behandlungskosten durch die Verwendung von Überweisungsscheinen abzuwälzen. Die Verträge seien insoweit eindeutig und nicht in dem von den Klägern gewünschten Sinn auslegungsfähig. Es handele sich nicht um unzulässige Verträge zu Lasten Dritter. Die Beklagte habe als Körperschaft des öffentlichen Rechts für ihre Mitglieder, zu denen die Kläger gehörten, zur Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben ua auch Poliklinik-Verträge zu schließen. Es sei nicht zu beanstanden, daß sie hierbei die nach § 368n Abs 3 Satz 6 Reichsversicherungsordnung (RVO) aF mögliche Vereinbarung von Pauschsätzen getroffen und die Abgeltung sog Auftragsleistungen durch andere Stellen mit einbezogen habe. Die Verträge seien gemäß § 5 Abs 1 der Satzung der Beklagten für deren Mitglieder verbindlich, weil sie vom Vorstand der Beklagten im Rahmen des gesetzlichen Auftrages geschlossen worden seien. Soweit die Kläger ihren Anspruch auf Honorierung aus der Verwendung von offiziellen Überweisungsscheinen der Beklagten herleiteten, könne dies jedenfalls nicht für die Zeit ab 15. März 1986 gelten. Auch wenn es sich dabei um iS des § 8 Abs 8 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) zu Unrecht ausgestellte Krankenscheine gehandelt haben sollte, habe der Vergütungsanspruch spätestens mit dem Tag der Kenntnis vom Fehlen eines Honoraranspruchs geendet. Durch den Bescheid der Beklagten vom 11. März 1986, der nach § 37 Abs 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) als mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post – dh am 14. März 1986 -als bekanntgegeben gelte, hätten die Kläger Kenntnis von der fehlenden Abrechnungsmöglichkeit gegenüber der Beklagten auch bei Verwendung von Überweisungsscheinen durch die Polikliniken der Universität Marburg gehabt. Aufgrund des von den Polikliniken verwendeten Kassenarztstempels sei es für die Kläger ein Leichtes gewesen, Überweisungsscheine der Polikliniken als solche zu erkennen und eine entsprechende Auftragsleistung abzulehnen. Eine solche Ablehnung sei auch rechtlich möglich gewesen. Für die Zeit bis 14. März 1986 dagegen hätten die Kläger einen Anspruch auf Abrechnung der von den Polikliniken ausgestellten Überweisungsscheine. Die Polikliniken der Universität Marburg hätten von der Beklagten eine Kassenarztnummer mit der Berechtigung, einen Kassenarztstempel zu führen, sowie Vordrucke „Überweisungsschein” bzw die Berechtigung, solche Vordrucke zu verwenden, erhalten. Die Kläger seien von der Beklagten weder in allgemeiner noch in spezieller Form über das Bestehen bzw den konkreten Inhalt der Poliklinik-Verträge informiert worden. Die Beklagte habe nicht dartun können, daß der Kläger zu 1) für die Zeit vor dem Quartal IV/85 entsprechende Hinweise erhalten habe oder bereits eine Ablehnung entsprechender Honorarforderungen erfolgt sei. Dem Grunde nach ergebe sich der Honoraranspruch daraus, daß die Versicherten bei den Polikliniken aufgrund eines gültigen Krankenscheines in Behandlung gewesen seien und die kassenärztliche bzw vertragsärztliche Behandlung grundsätzlich auch die Möglichkeit der Überweisung umfasse, soweit dies nicht im speziellen Fall aus besonderen Gründen ausgeschlossen sei. Soweit eine Weiterüberweisung, wie im vorliegenden Fall, ausgeschlossen sei, verliere der Arzt, der sich auf die Gültigkeit des Überweisungsscheines verlasse, dadurch nicht den Honoraranspruch gegen die Beklagte. Entsprechend dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben müßten den Klägern auch die in der Zeit bis zum 14. März 1986 von den Polikliniken der Universität Marburg auf offiziellen Überweisungsscheinen in Auftrag gegebenen (und erbrachten) Leistungen von der Beklagten honoriert werden.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzungen des § 368n Abs 3 RVO und des Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG). Die abgeschlossenen Poliklinik-Verträge seien, soweit sie eine Abgeltung aller bei der poliklinischen Untersuchung und Behandlung entstehenden Kosten einschließlich derjenigen, die auf Veranlassung der Poliklinikärzte bei anderen Stellen entstehen, durch Pauschbeträge vorsähen, inhaltlich nicht durch § 368n Abs 3 RVO gedeckt. Sie seien deshalb auch nicht kraft der Satzung der Beklagten für sie (Kläger) verbindlich. Art 103 Abs 1 GG sei wegen der Annahme des Berufungsgerichts, sie (Kläger) hätten Kenntnis von der fehlenden Abrechnungsmöglichkeit bereits am 14. März 1986 gehabt, verletzt. Der Vertrauensschutz eines Bürgers könne nicht mit dem Zeitpunkt enden, in dem ihm ein Verwaltungsakt zugestellt werde oder als zugestellt gelte. Er müsse in einem derartigen Fall die Möglichkeit haben, eine Behördenentscheidung durch die Gerichte überprüfen zu lassen, und dürfe jedenfalls bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung, die gegen ihn spreche, auf die Richtigkeit seiner Ansicht vertrauen.

Die Kläger beantragen,

  1. die Urteile der Vorinstanzen insoweit aufzuheben, als dort nur der Bescheid der Beklagten vom 21. Juni 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 1987 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1987 für die Zeit bis zum 14. März 1986 aufgehoben und der Bescheid der Beklagten vom 11. März 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1987 aufgehoben und die Beklagte verurteilt wurde, hinsichtlich der entsprechenden Überweisungsscheine eine Abrechnung zu erteilen

    und

    die Bescheide der Beklagten vom 24. November 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 1987, vom 30. Januar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 1988 aufzuheben, als Leistungen betroffen sind, die auf Überweisung der Polikliniken der Universitäten erbracht wurden,

    und

    die Bescheide der Beklagten vom 4. März 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1987, vom 4. November 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 1988, vom 13. Januar 1988 und vom 3. Juni 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 1988 und die Bescheide vom 21. September 1988 und vom 20. Oktober 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 1989 aufzuheben,

  2. die Beklagte zu verurteilen, die in den genannten Bescheiden als nicht vergütungsfähig abgesetzten Leistungen auf Überweisung der Polikliniken der Universität Marburg abzurechnen und zu vergüten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung sind aufgrund des § 368n Abs 3 Satz 3 bis 7 RVO aF die Partner der Poliklinik-Verträge nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, in den Verträgen die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen außerhalb der Polikliniken zu regeln, soweit die an den Polikliniken tätigen Ärzte solche Drittleistungen zur Durchführung ihrer Aufgaben in Forschung und Lehre benötigten. Hinzu komme, daß die von ihr (Beklagten) mit den Trägern der Universitätspolikliniken abgeschlossenen Verträge nur für den Bereich des Berufungsgerichtes gälten, so daß deren Inhalt durch das Berufungsgericht festzustellen und verbindlich auszulegen gewesen sei. Die von den Klägern erhobene Rüge einer Verletzung des Art 103 Abs 1 GG könne nicht durchgreifen.

Die Beigeladenen zu 1) bis 7) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie treten im Ergebnis der Auffassung des LSG und der Beklagten bei.

Der Beigeladene zu 8) stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Kläger ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht ihre Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, soweit dieses bezüglich der Honorarforderungen für die Zeit ab 15. März 1986 die Klage abgewiesen hat. Die Kläger haben für die Leistungen, die sie ab diesem Zeitpunkt auf Überweisungen der Polikliniken der Universität Marburg erbracht haben, gegen die Beklagte einen Anspruch auf Vergütung. Die dem entgegenstehenden Berichtigungen in den Honorarbescheiden der Beklagten für die Quartale I/86 bis II/88 in der Fassung der jeweiligen Widerspruchsbescheide sind rechtswidrig und aufzuheben. Soweit das SG sie bestätigt hat, ist sein Urteil ebenfalls aufzuheben.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits sind allein die Vorschriften der RVO in ihrer bis zum 31. Dezember 1988 gültigen Fassung maßgebend. Die ab Inkrafttreten des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) am 1. Januar 1989 geltende Rechtslage ist für die Ansprüche der Kläger ohne Belang; hierauf ist deshalb nicht einzugehen.

Rechtsgrundlagen des Anspruchs eines gemäß § 368a RVO zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen und gemäß §§ 5, 6 des Arzt-Ersatzkassenvertrages (EKV-Ärzte; hier mit nachfolgenden Änderungen maßgebend in der bis zum 30. September 1990 geltenden Fassung vom 20. Juli 1963) an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Arztes gegen die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) auf Honorierung kassen- bzw vertragsärztlicher Leistungen waren § 368f Abs 1 Sätze 2 ff RVO für den Bereich der Primärkassen und § 9 Nr 1 EKV-Ärzte iVm § 525c Abs 2 RVO für den Bereich der Ersatzkassen. Voraussetzung der Befugnis und Verpflichtung des Kassen- bzw Vertragsarztes zur Behandlung der Versicherten mit daran anknüpfender Berechtigung zur Abrechnung der erbrachten Leistungen war gemäß § 8 BMV-Ä vom 28. August 1978 und gemäß § 8 EKV-Ärzte die Vorlage eines gültigen Krankenscheins. Ihm stand aufgrund vertraglicher Bestimmungen (§ 8 Abs 1 BMV-Ä; § 8 Nr 10 EKV-Ärzte) der Überweisungsschein gleich. Bei Vorlage eines gültigen Überweisungsscheins war daher der Arzt, an den ein Versicherter überwiesen worden war, sowohl zu dessen Behandlung nach Maßgabe der Überweisung (vgl § 19 Abs 3 BMV-Ä; Nr 3 der Richtlinien für die Überweisungstätigkeit/Ersatzkassen) berechtigt und verpflichtet als auch zur Abrechnung der erbrachten Leistungen gegenüber der KÄV befugt.

Alle hiernach für einen Honoraranspruch gegen die Beklagte erforderlichen Tatbestandsmerkmale waren bei den Leistungen, die die Kläger in der Zeit ab 15. März 1986 auf Überweisung durch Ärzte der Polikliniken der Universität Marburg erbrachten, erfüllt. Daß die Kläger diese Leistungen als ordnungsgemäß zugelassene bzw beteiligte Ärzte erbrachten und die Leistungen als solche der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung dienten, ist von keinem der Beteiligten in Zweifel gezogen worden. Strittig ist lediglich, ob die von den Versicherten vorgelegten Überweisungsscheine der Polikliniken den Klägern die Befugnis gaben, die jeweilige Behandlung finanziell zu Lasten der Beklagten vorzunehmen. Dies ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zu bejahen. Die von den Klägern zur Abrechnung eingereichten Überweisungsscheine der Polikliniken waren gültige Überweisungsscheine im Sinn der erwähnten vertraglichen Bestimmungen.

Voraussetzung für die Gültigkeit eines Überweisungsscheins war neben Anforderungen in formaler und inhaltlicher Beziehung (vorgeschriebenes Überweisungsformular, § 19 Abs 9 BMV-Ä bzw § 8 Nrn 1 und 10 EKV-Ärzte; Angaben zur Behandlung iS des § 19 Abs 2 Satz 3, Abs 3 Satz 2 BMV-Ä und der Nr 6 der Richtlinien für die Überweisungstätigkeit/Ersatzkassen), daß der Überweisende nach seiner Aufgabe und Stellung im Rahmen der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung überhaupt zur Überweisung befugt war. Zutreffend hat das LSG in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Berechtigung zur kassen-bzw vertragsärztlichen Behandlung grundsätzlich auch die Befugnis umschloß, den Patienten zur Durchführung bestimmter ärztlicher Leistungen, zur Mitbehandlung, zur Weiterbehandlung oder zu einer konsiliarischen Beratung einem anderen Kassen- bzw Vertragsarzt, einem ermächtigten Arzt, einer ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtung oder einer sonstigen berechtigten Stelle (kasseneigenes Institut, poliklinische Einrichtung einer Hochschule) zu überweisen (§ 19 Abs 1 Satz 1 BMV-Ä; Nr 1 der Richtlinien für die Überweisungstätigkeit/Ersatzkassen). Zwar galt dies, wie der Wortlaut der zitierten Regelungen zeigt, in erster Linie für niedergelassene Kassen- und Vertragsärzte. Jedoch konnten auch die poliklinischen Einrichtungen der Hochschulen nach und aufgrund ihrer Einbeziehung in die kassen- und vertragsärztliche Versorgung prinzipiell zu derartigen Überweisungen befugt sein. Für die poliklinischen Einrichtungen der Hochschulen bestand kein eigenes Leistungssystem neben der kassenärztlichen Versorgung; vorausgesetzt war vielmehr, daß sie durch die Poliklinikverträge zur Teilnahme an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung in gleicher Weise wie niedergelassene Ärzte berechtigt und verpflichtet waren (vgl BSG SozR 2200 § 368e Nr 10 S 18; BSGE 68, 195, 197 = SozR 3-2500 § 106 Nr 5 S 18).

Grundlage für die Einbeziehung der poliklinischen Einrichtungen der Hochschulen in die kassen- und vertragsärztliche Versorgung waren § 368n Abs 3 Sätze 3 bis 7 RVO und § 4 Nr 4 Satz 2, § 5 Nr 4 EKV-Ärzte. Diese Vorschriften eröffneten die Möglichkeit, außer den Ärzten, die nach der allgemeinen Regelung des § 368a RVO, § 5 Nr 1, § 6 EKV-Ärzte an der kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung teilnahmen, eine weitere Gruppe von Ärzten bzw ärztlich geleiteten Einrichtungen durch entsprechende Verträge mit der Behandlung von Versicherten zu betrauen. Gesetzessystematisch wurde damit neben die drei in § 368a RVO normierten Teilnahmeformen eine weitere vierte Beteiligungsart gesetzt. Zwar wurde der zusätzlichen Kategorie teilnehmender Ärzte bzw ärztlich geleiteter Einrichtungen die Aufgabe der kassenärztlichen Versorgung nur in einem gegenständlich auf die „Durchführung ihrer Lehr- und Forschungsaufgaben” beschränkten Umfang (§ 368n Abs 3 Satz 4 RVO) übertragen, die Befugnis zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung also von vornherein inhaltlich enger bestimmt als die parallele grundsätzliche Behandlungsberechtigung niedergelassener Kassen-und Vertragsärzte (vgl BSGE 56, 222, 226 = SozR 2200 § 368n Nr 30 S 93). Soweit danach aber eine Befugnis zur Behandlung von Versicherten bestand, waren die betreffenden Ärzte zu denselben Einzelmaßnahmen kassenärztlicher Versorgung befugt wie niedergelassene Ärzte bei sachlich kongruenter ärztlicher Tätigkeit. Mangels ausdrücklicher Regelung hierzu in den zitierten Vorschriften ließ sich mit Rücksicht auf deren erwähnte gesetzessystematische Parallelität zu § 368a RVO insofern die Vorschrift des § 368a Abs 8 Satz 3 RVO entsprechend anwenden, wonach die gemäß § 368a Abs 8 Satz 1 RVO einbezogenen Ärzte „für die Dauer und den Umfang ihrer Beteiligung … die Rechte und Pflichten der Kassenärzte” hatten. Die Wendung „Rechte und Pflichten” umfaßte neben anderem die vom LSG zutreffend herausgestellte, oben schon erwähnte Befugnis, bei Vorlage eines gültigen Krankenscheins den Versicherten selbst zu behandeln oder ihn an andere Ärzte zu überweisen.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffen worden und daher gemäß § 163 SGG für den Senat bindend sind, lagen für den Bereich sowohl der Primär- als auch der Ersatzkassen Verträge zwischen den gemäß § 368n Abs 3 Satz 3 RVO, § 4 Nr 4 Satz 2, § 5 Nr 4 EKV-Ärzte dafür zuständigen Vertragspartnern vor, durch die die Polikliniken der Universität Marburg zur kassenärztlichen Versorgung in dem durch § 368n Abs 3 Satz 4 RVO vorgegebenen Rahmen und zur vertragsärztlichen Versorgung befugt wurden. Bei Vorlage gültiger Krankenscheine waren die Polikliniken dementsprechend im Umfang ihrer spezifischen Behandlungsermächtigung nicht nur zu eigener ärztlicher Tätigkeit, sondern auch zur Überweisung der betreffenden Versicherten an niedergelassene Kassen- oder Vertragsärzte berechtigt. Das Berufungsgericht ist, soweit es der Klage stattgegeben hat, in der Begründung hierfür von der – den Senat wiederum nach § 163 SGG bindenden -Feststellung ausgegangen, daß die Versicherten bei den Polikliniken aufgrund eines gültigen Krankenscheines in Behandlung waren. Ebenfalls als festgestellt sind die Tatsachen anzusehen, daß die Überweisungen der Polikliniken an die Kläger in den hier maßgebenden Quartalen sowohl auf offiziellen Überweisungsscheinformularen der Beklagten erfolgt als auch diese Scheine formal und inhaltlich ordnungsgemäß ausgefüllt worden waren. Damit lagen die grundsätzlichen Erfordernisse für gültige, die Honorierungspflicht der Beklagten auslösende Überweisungen der Polikliniken an die Kläger vor.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war die Pflicht der Beklagten, die auf ordnungsgemäße Überweisungen erbrachten Leistungen der Kläger zu honorieren, nicht durch konkrete abweichende Regelung in den Verträgen über die Teilnahme der Polikliniken an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen. Zwar hat das LSG in der Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, daß nach den Verträgen alle bei der poliklinischen Untersuchung und Behandlung entstehenden Kosten einschließlich derjenigen, die auf die Veranlassung der Ärzte der Polikliniken bei anderen Stellen entstünden, durch eine vierteljährliche Kostenpauschale (pro Behandlungsfall) abgegolten würden und damit eine vertragliche Regelung getroffen worden sei, die dazu führe, daß die von den Klägern erbrachten Leistungen nicht gesondert von der Beklagten zu vergüten seien. Die Möglichkeit der Überweisung und damit der Abwälzung eines Teils der durch die Behandlung entstandenen Kosten seitens der Polikliniken der Universität Marburg eröffneten die Poliklinikverträge nicht. Den Klägern sei die Rechtswidrigkeit der Verwendung von Überweisungsscheinen für die Zeit ab 15. März 1986 bekannt gewesen.

Soweit es sich hierbei um tatsächliche Feststellungen handelt, ist der erkennende Senat, da zulässige und begründete Verfahrensrügen insofern nicht erhoben worden sind, gemäß § 163 SGG daran gebunden. Soweit es sich um Ausführungen zum Normgehalt der Verträge und damit um rechtliche Erwägungen handelt, ist dem Senat die Überprüfung gemäß § 162 SGG verwehrt. Die Verträge galten lediglich für die Universitäten des Landes Hessen; sie gehörten damit weder zum Bundesrecht noch gingen sie in ihrem Geltungsbereich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus. In ihrer auf diese Weise dem Revisionsgericht vorgegebenen Interpretation verstießen die Verträge aber im kassenärztlichen Bereich gegen § 368n Abs 3 Sätze 3 bis 7 RVO und im vertragsärztlichen Bereich gegen § 5 Nr 4 EKV-Ärzte. Einen derartigen Verstoß gegen Bundesrecht festzustellen und bei der Entscheidung des anhängigen Rechtsstreits zu berücksichtigen, ist das Revisionsgericht nach § 162 SGG befugt.

Die den Vertragspartnern der Poliklinikverträge durch § 368n Abs 3 Sätze 3 bis 7 RVO verliehene Regelungsbefugnis bezog sich lediglich auf den Umfang der Untersuchungen und Behandlungen sowie auf die Höhe der Vergütung „für Behandlung von Versicherten in den poliklinischen Einrichtungen” (Satz 3 aaO) bzw „für die von den poliklinischen Einrichtungen erbrachten Leistungen” (Satz 5 aaO). Ebenso war nach § 5 Nr 4 EKV-Ärzte allein die Behandlung der Versicherten „in Universitätspolikliniken” im Einvernehmen zwischen der zuständigen KÄV und dem Beigeladenen zu 1) zu regeln. Schon eine weitergehende Befugnis der Vertragspartner der Poliklinikverträge, die aus den bereits dargelegten Gründen mit der Teilnahme an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung grundsätzlich verbundene Befugnis zur Überweisung an andere Ärzte auszuschließen, ließ sich aus den genannten Vorschriften nicht herleiten. Erst recht war ihnen nicht zu entnehmen, daß ein solcher Ausschluß auch mit Rechtswirkung gegen die Ärzte, an welche die Patienten überwiesen wurden, vereinbart und somit für den Fall einer Rechts- bzw Vertragswidrigkeit dieser Überweisung ein Vergütungsanspruch der aufgrund der Überweisung tätig gewordenen Ärzte ausgeschlossen werden konnte. Der Ausschluß einer Überweisung an niedergelassene Kassen- bzw Vertragsärzte seitens der Polikliniken der Universität Marburg, wie ihn nach der Interpretation des Berufungsgerichts die Poliklinikverträge enthielten, konnte deshalb zumindest im Verhältnis zu den Ärzten, an welche die Überweisungen gerichtet waren, deren Wirksamkeit nicht berühren und damit einen Vergütungsanspruch der aufgrund der Überweisung tätig gewordenen Ärzte gegen die Beklagte nicht ausschließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174337

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