Entscheidungsstichwort (Thema)

Höhe der Zuzahlung zu einer stationären Heilbehandlung

 

Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Zuzahlung zu einer stationären Heilbehandlung.

Der Kläger leidet an Psoriasis vulgaris, wegen der er sich auf Kosten der Krankenversicherung in den Jahren 1981 bis 1985 jeweils stationären Heilbehandlungen in Davos/Schweiz unterzog. 1986 bewilligte ihm die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) antragsgemäß eine Heilbehandlung in einer Klinik für Dermatologie in Davos, die er vom 6. August bis 16. September 1986 durchführte.

Mit dem streitigen Bescheid vom 2. Dezember 1986, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 25. März 1987, setzte die Beklagte den vom Kläger zu den Aufwendungen der stationären Heilbehandlung zu zahlenden Betrag auf 420,-- DM (42 Tage zu 10,-- DM) fest. Die Heilbehandlung sei nicht einer Krankenhauspflege vergleichbar gewesen, so daß die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), wonach lediglich 5,-- DM pro Kalendertag für längstens 14 Tage pro Kalenderjahr hätten zugezahlt werden müssen, nicht erfüllt seien.

Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts -SG- Frankfurt vom 12. September 1988 und des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 11. Juli 1989). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, bei der Krankenhauspflege stehe im Verhältnis zu anderen Formen stationärer Behandlung die intensive ärztliche Behandlung im Vordergrund. Eine stationäre Heilbehandlung sei deshalb einer Krankenhauspflege nur dann vergleichbar, wenn bei den Betreuten schwerwiegende Befunde vorlägen, die eine wenigstens krankenhausähnliche Behandlung erforderten. Dabei komme es auf die Art der gestellten Diagnose, die festgestellten Befunde sowie die Art und die Notwendigkeit einer Therapie an. Bei dem Heilverfahren des Klägers in Davos habe nicht die intensive Behandlung im Vordergrund gestanden, so daß die Heilbehandlung nicht der der Krankenhauspflege vergleichbar gewesen sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 20 Abs. 2 AVG, 184 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des Art 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Wegen der zwischen Heilbehandlung und Krankenhauspflege in Zielrichtung und Behandlungsart bestehenden Ungleichheit müsse die Heilbehandlung der Krankenhauspflege nicht entsprechen. Der Gesetzgeber habe mit der in § 20 Abs. 2 AVG vorausgesetzten Vergleichbarkeit gerade geringere Anforderungen an die Heilbehandlung gestellt. Damit die Vorschrift des § 20 Abs. 2 AVG nicht leerlaufe, könnten bei der Prüfung der Vergleichbarkeit die grundsätzlichen Unterschiede der Maßnahmen wie das Erfordernis der fortlaufenden intensiven und ärztlichen Behandlung und der anstaltsmäßigen Pflege nicht von entscheidender Bedeutung sein. Bei dem Psoriasisschub, den er in 1986 erlitten habe, habe es sich um eine so schwerwiegende Erkrankung gehandelt, daß seine Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet bzw. gemindert gewesen sei. Dies werde durch die ärztliche Einweisung zur Krankenhauspflege sowie durch die jährliche Bewilligung der Rehabilitationsmaßnahme in Davos belegt, deren Gewährung nur zulässig gewesen sei, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen dringend erforderlich gewesen seien. Seine Erkrankung habe nicht durch eine ambulante Behandlung und auch nicht durch die zunächst von der Beklagten vorgesehene stationäre Heilbehandlung in Bad Aibling, sondern allein durch seine Anwesenheit an einem bestimmten Ort wie Davos gebessert werden können. Maßgebend für die Beurteilung der Vergleichbarkeit sei somit nicht die erfolgte ärztliche Behandlung, sondern allein das Krankheitsbild und die Möglichkeit der Heilung durch die Behandlung. Diese Voraussetzungen seien bei der stationären Heilbehandlung in Davos erfüllt gewesen, so daß er nicht den Betrag von 10,-- DM pro Kalendertag zuzahlen müsse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Juli 1989 und das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 12. September 1988 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. März 1987 insoweit zu ändern, als er zu einer höheren Zuzahlung als 70,-- DM für die in Davos durchgeführte medizinische Rehabilitationsmaßnahmen verpflichtet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt vertiefend aus, die Erkrankung, an der der Kläger leidet, könne zwar eine Krankenhauspflege, die durch die intensive ärztliche Behandlung akut kranker Personen gekennzeichnet sei, erforderlich machen. Ein derartiges Krankheitsgeschehen habe beim Kläger aber nicht vorgelegen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Er ist, wie das LSG zutreffend entschieden hat, zur Zuzahlung von 10,-- DM kalendertäglich zu den Kosten seiner stationären Heilbehandlung in Davos verpflichtet.

Ermächtigungsgrundlage für den von der Beklagten gegenüber dem Kläger, dessen Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zulässig war (BSG SozR 1500 § 149 Nrn. 11 und 12), geltend gemachten Zuzahlungsanspruch ist § 20 AVG (= § 1243 RVO). Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift, die Mit Wirkung vom 1. Januar 1981 durch Art 20 Nr. 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1857) eingefügt worden ist, zahlt der Versicherte zu den Aufwendungen einer stationären Heilbehandlung, die der Rentenversicherungsträger für ihn durchführt, für jeden Kalendertag der Heilbehandlung 10,-- DM zu. Sinn dieser Regelung ist es, den Versicherten, weil er eigene Aufwendungen erspart, in vertretbarem Umfang an den Kosten der Rehabilitationsmaßnahme zu beteiligen und dadurch den Maßnahmeträger zu entlasten (vgl. Begr RegEntw, BT-Drucks 9/2074 S. 101, zu Nr. 25 i.V.m. S. 99, zu Nr. 5). Die Zuzahlung verringert sich auf 5,-- DM pro Kalendertag für höchstens 14 Tage pro Jahr, wenn sich der Betreute in einer stationären Heilbehandlung befindet, die der Krankenhauspflege vergleichbar ist oder sich an diese anschließt (§ 20 Abs. 2 AVG i.V.m. §184 Abs. 3 RVO in der bis zum 31 Dezember 1988 geltenden, hier maßgebenden Fassung). Der Gesetzgeber hat diese Regelung nach der sich eine Pflicht zur Zuzahlung wie bei der Krankenhauspflege ergibt, aus Gründen der Gleichbehandlung eingeführt, um die in stationären Heilbehandlungen der Rentenversicherungsträger medizinisch zu den in der Pflege befindlichen Versicherten nicht schlechter zu stellen (vgl. Begr RegEntw, a.a.O., S. 101, zu Nr. 25).

Die stationäre Heilbehandlung muß demnach, um die Rechtsfolge der verminderten Zuzahlung gem. § 20 Abs. 2 AVG auszulösen, der Krankenhauspflege vergleichbar, ihr also angenähert sein. Sie muß ihr jedoch wegen bestehender Unterschiede in Behandlungsanlaß, Behandlungsziel, Ausstattung der Einrichtungen sowie der notwendigen Betreuung und Einbeziehung der Versicherten nicht entsprechen. Dieser Gesichtspunkt kommt auch in der Begründung des RegEntw (a.a.O. S. 101, zu Nr. 25) zum Ausdruck, in der ausgeführt wird, die Rentenversicherungsträger erbrächten medizinische Rehabilitationsleistungen in Kur- und Spezialeinrichtungen und würden eine Krankenhauspflege als Leistungsart nicht kennen, so daß die Rehabilitationsleistungen nicht der Krankenhauspflege entsprechen müßten.

Im Hinblick auf die aufgezeigten Unterschiede verbleibt somit als Ansatzpunkt für die Prüfung der Vergleichbarkeit der Maßnahmen allein die erforderliche Intensität der ärztlichen Behandlung bei dem jeweiligen Betreuten: Die ärztliche Behandlung ist nämlich das die Krankenhauspflege kennzeichnende Merkmal.

Nach der Rspr des BSG kann von einer Krankenhauspflege i.S.d. hier noch heranzuziehenden § 184 Abs. 1 RVO nur dann ausgegangen werden, wenn es sich um eine medizinische Behandlung handelt, die den Einsatz der besonderen - apparativen und personellen - Mittel eines Krankenhauses erfordert. ZU den letzteren gehört die ärztliche Behandlung. Dieses Merkmal setzt voraus, daß ein jederzeit rufbereiter Arzt im Rahmen der laufenden Behandlung benötigt wird (BSG SozR 2200 § 184 Nr. 28, S. 42). Steht hingegen eine intensive ärztliche Behandlung nicht im Vordergrund, weil es ausreichend ist, einen Arzt nur gelegentlich hinzuzuziehen, hat die ärztliche Behandlung mithin nur noch einen die stationäre Versorgung und die pflegerischen und sonstigen Maßnahmen begleitenden Charakter, kann nicht mehr von Krankenhauspflege gesprochen werden (BSG a.a.O.; BSGE 51, 44, 46 = SozR 2200 § 184a Nr. 4; vgl. auch BSGE 59, 116, 119 = SozR 2200 § 184 Nr. 27).

Die Legaldefinitionen der Begriffe "Krankenhäuser" und "Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen" in § 107 Abs. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) bestätigen nunmehr die von der Rspr bereits bisher anhand der Intensität der ärztlichen Behandlung vorgenommene Differenzierung zwischen Krankenhauspflege (bzw. -behandlung) und anderen Behandlungen. So ist danach für die Einordnung als Krankenhaus u.a. erforderlich (§ 107 Abs. 1 Nr. 3 a.a.O.), daß die Einrichtung mit Hilfe von jederzeit medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet ist, vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistungen Krankheiten der Patienten zu erkennen und zu behandeln. Bei den Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen wird weder jederzeit verfügbares ärztliches Personal noch vorausgesetzt, daß vorwiegend ärztliche Hilfeleistung einzusetzen ist. Ausreichend ist vielmehr, daß die Einrichtung fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal u.a. darauf eingerichtet ist, den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln und anderer Hilfen zu verbessern (§ 107 Abs. 2 Nr. 2 a.a.O.).

Die Prüfung der Vergleichbarkeit i.S.d. § 20 Abs. 2 AVG reduziert sich somit auf die Frage, ob die Heilbehandlung von der Intensität ihrer ärztlichen Behandlung her der Krankenhauspflege gleicht (im Ergebnis ebenso BSG-Urteil vom 11. Dezember 1989 - 1 RA 3/89). Dabei kann von Vergleichbarkeit nicht erst bei täglicher ärztlicher Behandlung, die auch in einer Kontrolle des Zustandes des Patienten liegen kann, ausgegangen werden; denn die Heilbehandlung muß auch insoweit nicht der Krankenhauspflege, bei der eine ärztliche Behandlung üblich ist, entsprechen. Die stationäre Heilbehandlung ist vielmehr schon dann der Krankenhauspflege vergleichbar, wenn Art oder Schwere der Erkrankung des Betreuten wöchentlich mehrfach, d.h. also mindestens zweimal, eine ärztliche Behandlung erforderlich macht und diese auch durchgeführt worden ist. Hierfür ist eine Prüfung im jeweiligen Einzelfall geboten, weil nur aufgrund seiner konkreten Umstände die aufgezeigte Voraussetzung festgestellt werden kann.

Dem steht nicht entgegen, daß in der amtlichen Begründung der maßgebenden Vorschriften (BT-Drucks. 9/2074, S. 101, zu Nr. 25; entsprechend auch die Begründung zu § 184a RVO - a.a.O. S. 99, zu Nr. 6) - neben der ausdrücklich in § 20 Abs. 2 AVG erfaßten Anschlußheilbehandlung - mit der Behandlung wegen aktiver Tuberkulose oder der Behandlung Abhängigkeitskranker Beispiele für Krankheitsbilder angeführt sind, bei denen typischerweise von einer Vergleichbarkeit der stationären Heilbehandlung mit der Krankenhauspflege ausgegangen werden kann. Denn auch insoweit müssen die aufgezeigten Mindestanforderungen der Vergleichbarkeit jeweils im Einzelfall erfüllt sein (zumindest mißverständlich insofern VerbKomm, § 1243 RVO, RdNr. 8, wo beim Vorliegen bestimmter Krankheiten generell eine Vergleichbarkeit der Maßnahmen angenommen wird).

In Anwendung der aufgezeigten Grundsätze war die vom Kläger in Davos durchgeführte stationäre Heilbehandlung einer Krankenhauspflege nicht vergleichbar. Nach den - den Senat bindenden (§ 163 SGG) - Feststellungen des LSG litt er während dieser Zeit nicht an einer Erkrankung, die ihrer Art oder Schwere nach eine intensive ärztliche Behandlung im Sinne einer mehrmaligen ärztlichen Behandlung mit Salben und Helio-Therapie unter der begünstigenden Einwirkung des Höheklimas. Bei dieser Behandlung hatte die ärztliche Tätigkeit nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG somit nur begleitenden Charakter. Das reicht nicht aus, von einer Vergleichbarkeit gemäß § 20 Abs. 2 AVG auszugehen.

Die Revision des Klägers war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1991, 2375

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