Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Revision betrifft einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 1. März bis 25. April 1994. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Gesamtguthaben per 1. März 1994 in Höhe von 21.948, 98 DM von drei in den Jahren 1964, 1979 und 1986 geschlossenen Bausparverträgen bei der Bedürftigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist.
Der 1937 geborene Kläger bezieht "seit vielen Jahren" (jedenfalls seit 1984) Alhi. Dabei blieb sein Bausparvermögen zunächst unberücksichtigt. Den Antrag auf Fortzahlung der Alhi für den am 1. März 1994 beginnenden Bewilligungsabschnitt lehnte die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) mit Bescheid vom 28. April 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. September 1994 für die Zeit vom 1. März bis 23. Mai 1994 ab. Nach Abzug des Freibetrages sei das Bausparguthaben verwertbar und die Verwertung zumutbar.
Das Sozialgericht (SG) hat die BA zur Zahlung im streitigen Zeitraum verurteilt, weil sie durch die Leistung während früherer Bewilligungsabschnitte beim Kläger den Eindruck erweckt habe, sie werde das Bausparvermögen auch später nicht anrechnen. Nach Treu und Glauben könne sie 1994 einen anderen Standpunkt nicht mehr vertreten (Urteil vom 4. April 1995).
Mit dem während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 24. Mai 1995 hat die BA von dem angerechneten Bausparguthaben Verbindlichkeiten des Klägers von 4.4424, 29 DM abgesetzt und die Ablehnung der Leistung wegen mangelnder Bedürftigkeit auf die Zeit vom 1. März bis 25. April 1994 beschränkt.
Die Berufung der BA hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Es ist der Rechtsansicht des SG entgegengetreten, hat aber ausgeführt, das Bausparvermögen schließe die Bedürftigkeit des Klägers nicht aus, weil die Verwertung nach "verallgemeinerungsfähigen Rechtsprechungsvorgaben" des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zumutbar sei. Bei der Vermögensanrechnung müsse auf die persönlichen Lebensumstände des einzelnen Leistungsempfängers, die Quelle seines Vermögenszuwachses und seine zukünftige Finanzlage nach Verbrauch des Vermögens Rücksicht genommen werden. Der Kläger habe als Dauerarbeitsloser bei seinem Lebensalter keine realistische Möglichkeit zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben. Er habe sein Vermögen teilweise unter Konsumverzicht (Bausparvertrag 1986) angespart. Nach Aufzehrung dieses Vermögens werde er der Allgemeinheit in noch größerem Umfang als bisher zur Last fallen. Da die Vermögensverwertung billigerweise nicht zumutbar sei, habe auch vom 1. März bis 25. April 1994 Bedürftigkeit bestanden. Dem Kläger stehe für diesen Zeitraum Alhi zu, weil die übrigen Leistungsvoraussetzungen unstreitig seien.
Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die BA die Verletzung des § 137 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) i.V.m. § 6 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) sowie der §§ 128, 136 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dem angefochtenen Urteil seien nicht die Feststellungen zu entnehmen, die nach den vom LSG aufgestellten Grundsätzen ergäben, daß die Verwertung des Bausparguthabens für den Lebensunterhalt nicht zumutbar sei. Diese rechtliche Würdigung des LSG sei nicht gerechtfertigt. Die Verwertung des Vermögens sei zumutbar, weil der Auszahlungsbetrag über dem Betrag der eingezahlten Beiträge liege und der Rückzahlungsbetrag nach Abzug von Gebühren für die Kündigung den eingezahlten Betrag nicht um mehr als 10 v.H. unterschreite. Da das LSG auch eine Zweckbindung i.S. der negativen Regelbeispiele des § 6 Abs. 3 Satz 2 AlhiV nicht festgestellt habe, sei das Bausparguthaben als verwertbares Vermögen bei der Feststellung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. November 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 4. April 1995 aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
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Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten
II
Die Revision der BA hat im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung Erfolg. Das Urteil des LSG verletzt § 137 Abs. 2 AFG i.V.m. § 6 Abs. 3 AlhiV. Für eine abschließende Entscheidung des Senats über den Anspruch des Klägers auf Alhi vom 1. März bis 25. April 1994 - allein dieser Zeitraum ist Gegenstand des Revisionsverfahrens - reichen die dem LSG vorbehaltenen tatsächlichen Feststellungen nicht aus.
Bedürftig i.S. des § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG ist nach § 137 Abs. 1 AFG ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das zu berücksichtigen ist, den Anspruch auf Alhi nicht dem Grunde nach ausschließt. Anhaltspunkte für den Zufluß von Einkommen in einem den Anspruch auf Alhi dem Grunde nach ausschließendem Umfang während des streitigen Zeitraums bestehen nicht.
Nicht bedürftig ist nach § 137 Abs. 2 AFG ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen oder das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt ist. Dieses Merkmal wird aufgrund der Ermächtigung des § 137 Abs. 3 AFG durch die §§ 6ff. AlhiV konkretisiert. Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten ist zu berücksichtigen, soweit es verwertbar, die Verwertung zumutbar und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar ist, jeweils 8.000, 00 DM übersteigt (§ 6 Abs. 1 AlhiV). Diese Voraussetzungen lassen sich für den Senat in der Zeit vom 1. März bis 25. April 1994 nicht abschließend beurteilen, weil die individuellen Verhältnisse des Klägers, von denen die Zumutbarkeit der Verwertung seines Vermögens abhängt, nicht festgestellt sind.
Das Bausparguthaben ist - ähnlich wie Bankguthaben (BSGE 49, 30, 32 = SozR 4220 § 6 Nr. 3) - nach § 6 Abs. 2 AlhiV verwertbar, soweit es Verbindlichkeiten des Klägers und den Freibetrag von 8.000, 00 DM übersteigt, weil es verbraucht, übertragen oder belastet werden kann. Verfügungsbeschränkungen des Klägers bestehen nicht. Auch aus § 7 AlhiV ergeben sich hier keine Ausnahmen von der Verwertbarkeit. Darüber besteht auch zwischen den Beteiligten kein Streit.
Zumutbar ist die Verwertung von Vermögen nach § 6 Abs. 3 Satz 1 AlhiV nur, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann (vgl. dazu: BSGE 49, 30, 32f. = SozR 4220 § 6 Nr. 3). Nach diesen Merkmalen läßt sich die Zumutbarkeit der Verwertung des Bausparvermögens nicht beurteilen, weil das angefochtene Urteil keinerlei Anhaltspunkte für die Lebensverhältnisse des Klägers und Folgen einer Vermögensverwertung enthält. Die Begründungen, mit denen das LSG die Verwertung des Bausparvermögens ausgeschlossen hat, halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Sie sind mit den Regelungen des § 137 AFG und § 6 AlhiV sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des BSG nicht zu vereinbaren. Auch finden sie in der vom LSG herangezogenen Urteilsanmerkung keine Stütze. Dort ist vielmehr ausdrücklich betont, daß "verallgemeinerungsfähige Rechtsprechungsvorgaben des BSG" nur im Rahmen der im Einzelfall zu konkretisierenden Tatbestände der AlhiV bedeutsam sein können (Fuchs SGb 1994, 292f.). Auch die dem Schreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 9. Juli 1985 zu entnehmende Erwägung, die Verwertung von Bausparvermögen sei unzumutbar, soweit es aus den nach dem Wohnungsbauprämiengesetz begünstigten Höchstbeträgen herrührt, findet im geltenden Recht keine Grundlage. Sind konkrete Anhaltspunkte, die die Verwertung "offensichtlich unwirtschaftlich" erscheinen oder "billigerweise" nicht erwarten lassen, nicht festzustellen, so steht sie - vorbehaltlich der negativen Regelbeispiele des § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 - 7 AlhiV - der Inanspruchnahme von Alhi entgegen. Diese Folge kennzeichnet die Alhi als gegenüber anderen Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, subsidiäre Sozialleistung (§ 137 Abs. 1 AFG). Die Annahme des LSG, unter Konsumverzicht erworbenes Vermögen sei nicht zu verwerten, hat - wie das BSG schon entschieden hat - im Gesetz keine Grundlage (BSGE 49, 30, 32 = SozR 4220 § 6 Nr. 3). Daran ist nach erneuter Prüfung festzuhalten.
Die Regelbeispiele des § 6 Abs. 3 Satz 2 AlhiV, mit denen der Verordnungsgeber die Zumutbarkeit negativ konkretisiert hat, stützen die Entscheidung des LSG nicht.
Nicht zumutbar ist nach § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 7 AlhiV Vermögen, das nachweislich zum alsbaldigen Erwerb eines eigenem Wohnbedarf dienenden Grundstücks oder einer solchen Eigentumswohnung bestimmt ist. Diese Voraussetzung für die Annahme von Schonvermögen ist aber nur erfüllt, wenn zum Zeitpunkt des Antrags auf Alhi konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Kläger das Vermögen in naher Zukunft in eine Eigentumswohnung oder ein Hausgrundstück umwandeln wird (BSGE 49, 30, 33 = SozR 4220 § 6 Nr. 3). Dazu hat das LSG keine Feststellungen getroffen. In Betracht zu ziehen ist auch der Aufbau oder die Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung nach § 6 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AlhiV. Voraussetzung dieser Merkmale, die die Verwertung des Bausparguthabens unzumutbar machen können, ist eine entsprechende Zweckbestimmung des Vermögens durch den Kläger selbst. Auch dazu hat das LSG Feststellungen nicht getroffen (vgl. dazu BSG Urteil vom 17. Oktober 1996 - 7 RAr 2/96 - und Urteil des Senats vom 29. Januar 1997 - 11 RAr 21/96 - jeweils zur Veröffentlichung vorgesehen). Zutreffend ist das LSG von der Rechtsprechung des BSG ausgegangen, wonach die Beurteilung der Zumutbarkeit der Verwertung von Vermögen nach den persönlichen Lebensumständen des einzelnen Leistungsempfängers, der Quelle seines Vermögenszuwachses und seiner künftigen Finanzlage nach Verbrauch des Vermögens zu beurteilen ist (BSGE 68, 149, 154 = SozR 3-4100 § 138 Nr. 5; BSGE 72, 248, 251 = SozR 3-4100 § 137 Nr. 4; vgl. ferner: Urteil vom 17. Oktober 1996 - 7 RAr 2/96 - und Urteil des Senats vom 29. Januar 1997 - 11 RAr 21/96 - jeweils m.w.N.). Das LSG hat es aber versäumt, zu diesen Lebensumständen konkrete Feststellungen zu treffen. Zwar ist es naheliegend, daß der 1937 geborene Kläger als Dauerarbeitsloser bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage kaum noch eine Möglichkeit zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben hat. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Schlußfolgerung des LSG, der Kläger werde nach Aufzehrung des Bausparvermögens, das übrigens nach der Regelung über die Dauer der Berücksichtigung (§ 9 AlhiV) nicht zu besorgen ist, in noch größerem Umfang als bisher der Allgemeinheit zur Last fallen. Vor einer solchen Schlußfolgerung wären konkrete Feststellungen über die Alterssicherung des Klägers zu treffen, die dieser möglicherweise schon im April 1997 in Anspruch nehmen kann. Mit der Subsidiarität der Alhi wären - über die geregelten Fälle des Schonvermögens hinaus - Rückstellungen für künftige Bedarfslagen nicht zu vereinbaren.
Die Annahme von Vertrauensschutz des Klägers aufgrund der Sachbehandlung seit 1984 ist - wie das LSG zutreffend hervorgehoben hat - mit der abschnittsweisen Bewilligung von Alhi nach § 139a AFG, die die Anspruchsvoraussetzungen jeweils ohne Rücksicht auf ihre Beurteilung in vorausgegangenen Bewilligungsabschnitten vorzunehmen hat, nicht zu vereinbaren (vgl. dazu: BSG SozR 3-4100 § 139a Nr. 1). Auch setzt eine Änderung der Weisungslage im Rahmen des Beurteilungsspielraums unbestimmter Rechtsbegriffe eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht voraus. Die Ansicht, Beträge von 20.000, 00 DM seien zur Alterssicherung im Rahmen der Alhi nicht anrechenbar, ist von einer entsprechenden - bisher nicht festgestellten - Zweckbestimmung abhängig und in dieser Form weder mit der Freibetragsregelung des § 6 Abs. 1 AlhiV, noch mit dem Negativbeispiel des § 6 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV vereinbar, wonach angemessene Alterssicherung die Unzumutbarkeit der Vermögensverwertung begründet.
Da das Urteil des LSG aus den vorgenannten Gründen aufzuheben und zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist, kommt es auf die Frage nicht mehr an, ob die angeblichen Verfahrensmängel der §§ 128, 136 SGG hinreichend gerügt und begründet sind (vgl. dazu: Urteil des Senats vom 29. Januar 1997 - 11 RAr 21/96 -).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird vom LSG zu treffen sein.11 RAr 63/96
BUNDESSOZIALGERICHT
Verkündet am 29. Januar 1997
Fundstellen