Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsrente. große Witwenrente. Hinterbliebenenrente nach dem geschiedenen Ehegatten. Umwertung. Auffüllbetrag

 

Leitsatz (amtlich)

Eine nach § 49 SozPflVRV gewährte Unterhaltsrente ist von der Umwertung nach § 307a SGB VI ausgenommen, weil es im Geltungsbereich des SGB VI eine vergleichbare Rente nicht gibt.

 

Normenkette

SGB VI § 243 Abs. 2, §§ 243a, 307a, 300 Abs. 4 S. 1, § 315a; SozPflVRV § 49

 

Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 08.03.1995; Aktenzeichen L 1 An 26/94)

SG Dessau (Gerichtsbescheid vom 09.05.1994; Aktenzeichen S 2 J 31/93)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 15.01.2004; Aktenzeichen 1 BvR 936/97)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 8. März 1995 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 9. Mai 1994 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin höhere Hinterbliebenenrente nach ihrem geschiedenen Ehegatten (Versicherten) zu gewähren hat.

Die Ehe der Klägerin mit dem im Jahre 1983 verstorbenen Versicherten W.… T.… wurde im März 1970 im Beitrittsgebiet geschieden. Die Klägerin erhielt vom Versicherten aufgrund eines Vergleichs von November 1969 vor dem Kreisgericht Zerbst Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 220,00 M. Nach dem Tode des Versicherten leistete der FDGB – Verwaltung der Sozialversicherung – Unterhaltsrente in gleicher Höhe. Mit Bescheid vom 28. November 1991 wertete die BfA die Unterhaltsrente in eine große Witwenrente in Höhe von 220,01 DM monatlich – beginnend mit dem 1. Januar 1992 – um. In der Anlage 1 des Bescheides teilte die BfA erläuternd mit, daß die für Dezember 1991 gezahlte Unterhaltsrente in Höhe von 220,00 DM weitergezahlt werde, weil die maschinell verfügbaren Daten nicht ausreichten, um persönliche Entgeltpunkte im maschinellen Verfahren zu errechnen; damit ergebe sich auch kein Monatsbetrag der Rente aus Entgeltpunkten. Dieser Betrag sei um 6,84 % zu erhöhen; nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags in Höhe von 12,8 % ergebe sich der monatliche Zahlbetrag von 220,01 DM.

Den am 10. Dezember 1991 zusätzlich bei der Beklagten gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung von Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. März 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 1993 ab, weil ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach dem geschiedenen Ehegatten gemäß § 243a SGB VI nicht bestehe; die Regelung finde auf vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehen im Beitrittsgebiet keine Anwendung. Nachdem die Beklagte im Widerspruchsverfahren erstmals Kenntnis von dem Bescheid der BfA vom 28. November 1991 erlangt hatte, nahm sie diesen – nach Anhörung der Klägerin – mit Bescheid vom 18. Oktober 1993 insoweit zurück, als nach dessen Verfügungssatz eine große Witwenrente geleistet und diese umgewertet und angepaßt wird. Wegen des Bestandsschutzes der Leistungen aus dem Beitrittsgebiet gewährte sie die Unterhaltsrente zugleich als Auffüllbetrag nach § 315a SGB VI weiter.

Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 19. März 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 1993 abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 9. Mai 1994). Das LSG hat die Beklagte unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Gerichtsbescheides sowie der vorgenannten Bescheide und des weiteren Bescheides der Beklagten vom 18. Oktober 1993 verurteilt, der Klägerin große Witwenrente ab 1. Januar 1992 zu gewähren und dabei die versicherungsrechtlichen Zeiten des geschiedenen Ehemannes W…. T…. zugrunde zu legen, mindestens jedoch den Bestandsbetrag vom 235,09 DM brutto monatlich zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer anpassungsfähigen Rente beruhe auf §§ 300 Abs 4, 307a Abs 1 SGB VI, wonach persönliche Entgeltpunkte (Ost) ermittelt würden, wenn am 31. Dezember 1991 ein Anspruch auf eine nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets errechnete Rente bestanden habe. Daraus folge, daß alle Renten, auf deren Zahlung an diesem Tag ein Anspruch bestanden habe, umzuwerten seien. Die Klägerin habe aber am 31. Dezember 1991 unstreitig einen Anspruch auf Unterhaltsrente gehabt. § 300 Abs 4 Satz 1 SGB VI lege fest, daß Leistungen, auf welche am 31. Dezember 1991 ein Anspruch bestanden habe, nicht aufgrund der Regelungen des SGB VI wegfielen. Aufgrund des Leistungsgrundes der Unterhaltsrente komme nur eine Umwertung in eine große Witwenrente in Betracht. Denn die Unterhaltsrente an geschiedene Ehegatten diene der Sicherung der Unterhaltsleistung beim Tod des geschiedenen Ehegatten und stelle damit eine “Hinterbliebenenrente” dar. Der Anspruch auf die Zugrundelegung der versicherungsrechtlichen Zeiten des verstorbenen geschiedenen Ehegatten bei Berechnung der großen Witwenrente ergebe sich aus § 307a Abs 7, Abs 6 Satz 1 SGB VI.

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 307a Abs 1 bis 4 und des § 300 Abs 4 SGB VI und trägt vor: Der Bestandsschutz für die Unterhaltsrente lasse sich weder aus § 307a SGB VI noch aus § 300 Abs 4 SGB VI begründen. Einschlägig für den Bestandsschutz systemfremder Bestandteile von Renten sei vielmehr § 315a SGB VI. Wenn aber ausweislich des Willens des Gesetzgebers schon systemfremde Rentenbestandteile nicht angepaßt werden sollten, müsse dies erst recht für einen Anspruch auf Rente insgesamt gelten. Die Unterhaltsrente gemäß § 49 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom 23. November 1979 – Rentenverordnung (RentV-DDR) sei zwar am ehesten mit der Witwenrente an geschiedene Ehegatten gemäß § 243 SGB VI vergleichbar; im Gegensatz zu dieser seien Unterhaltsrenten jedoch für die Dauer der gerichtlich festgelegten Unterhaltszahlung befristet- und zwar unabhängig von der Höhe von Beitragszahlungen des Verstorbenen – geleistet worden. Aufgrund dieser Unterschiede könne nicht davon gesprochen werden, daß die Unterhaltsrente ein Pendant im SGB VI habe. Nach dem Wortlaut des § 300 Abs 4 Satz 2 SGB VI müsse aber der gleiche Sachverhalt oder Anspruch vorliegen, damit die ersetzenden Vorschriften (hier: § 243 Abs 2 SGB VI) “an die Stelle der aufgehobenen Begriffe” (hier: § 49 RentV-DDR) treten könnten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 8. März 1995 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau vom 9. Mai 1994 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision ist begründet. Das LSG hat den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG sowie die Bescheide der Beklagten vom 19. März 1992 – in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 1993 – und vom 18. Oktober 1993 zu Unrecht aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin große Witwenrente ab 1. Januar 1992 unter Zugrundelegung versicherungsrechtlicher Zeiten des geschiedenen Ehemannes W…. T…. zu gewähren. Für einen solchen Rentenanspruch der Klägerin findet sich im geltenden Recht keine Grundlage.

Anspruch auf große Witwenrente haben gemäß § 243 Abs 2 SGB VI – bei Erfüllung weiterer, hier nicht streitiger Voraussetzungen – grundsätzlich auch geschiedene Ehegatten, deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden ist, die nicht wieder geheiratet haben und die im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten Unterhalt von diesem erhalten haben oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatten. § 243 SGB VI ist jedoch nicht anzuwenden, wenn sich der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem Recht bestimmt, das im Beitrittsgebiet gegolten hat, § 243a Satz 1 SGB VI. Hiernach hat die Klägerin keinen Anspruch auf große Witwenrente. Denn ihr Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehegatten (Scheidung der Klägerin im März 1970; Tod des geschiedenen Ehegatten im Oktober 1983) bestimmte sich nach dem Recht, das im Beitrittsgebiet gegolten hat.

Eine andere Rechtsgrundlage, die den klägerischen Anspruch begründete, ist nicht ersichtlich. Insbesondere kann ein Rentenanspruch nicht aus der reinen Berechnungsvorschrift des § 307a SGB VI – der Vierte Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts im Fünften Kapitel des SGB VI betrifft nur die Rentenhöhe – hergeleitet werden. Die der Klägerin gemäß § 49 RentV-DDR gewährte Unterhaltsrente ist von der Umwertung gemäß § 307a SGB VI vielmehr ausgenommen, weil es im Geltungsbereich des SGB VI eine vergleichbare Rente nicht gibt. Entgegen der Ansicht des LSG sind nicht unterschiedslos alle Renten, auf deren Zahlung am 31. Dezember 1991 ein Anspruch bestand, umzuwerten.

Auch aus § 300 Abs 4 SGB VI ergibt sich kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer höheren, dynamisierungsfähigen Rente. Zwar entfällt der Anspruch auf eine Leistung, der am 31. Dezember 1991 bestand, gemäß § 300 Abs 4 Satz 1 SGB VI nicht allein deshalb, weil die Vorschriften, auf denen er beruht, durch Vorschriften dieses Gesetzbuchs ersetzt worden sind. § 49 RentV-DDR ist aber durch Vorschriften des SGB VI nicht ersetzt worden. Bei der Unterhaltsrente handelt es sich vielmehr um ein ganz anderes Institut der sozialen Sicherung als bei der Witwenrente an geschiedene Ehegatten. Durch die Unterhaltsrente sollte nämlich der Anspruch auf eine gerichtlich festgelegte Unterhaltszahlung auch nach dem Tode des geschiedenen Ehegatten unabhängig von den Beitragszahlungen des Verstorbenen staatlich garantiert werden. Dies ergibt sich daraus, daß Anspruch auf Unterhaltsrente auch bestand, wenn der zur Unterhaltszahlung verpflichtete geschiedene Ehegatte nur eine – beitragsunabhängige – Versorgung bezog oder einen Anspruch auf eine solche Versorgung hatte (§ 49 Abs 1 Satz 2 Buchst b RentV-DDR), es sich also nicht notwendig um eine beitragsbezogene Leistung handelte. Zudem war die Dauer der Rentenleistung durch die Dauer der gerichtlich festgelegten Unterhaltszahlung (§ 49 Abs 1 Satz 3 RentV-DDR) und die Leistungshöhe auf 330,00 M begrenzt (§ 49 Abs 2 Satz 2 RentV-DDR).

Schließlich macht der gesetzliche Anspruchsausschluß des § 243 Satz 1 SGB VI deutlich, daß eine Regelungslücke, die im Wege der Analogie gefüllt werden könnte, nicht besteht. Wenn der Gesetzgeber nämlich für Zugangsrentner den Anspruch auf eine Witwenrente an geschiedene Ehegatten ausgeschlossen hat, so kann es nicht in seiner Absicht gestanden haben, Bestandsrentnern (Beziehern einer Unterhaltsrente) den Anspruch auf eine unbefristete und dynamische Witwenrente an geschiedene Ehegatten einzuräumen (vgl Hauck/Haines/Diehl, SGB VI-Komm, RdNr 37 zu K § 307a). Diese haben vielmehr entweder einen Anspruch auf Erziehungsrente gemäß § 243a Satz 2 SGB VI oder aber – entsprechend der Regelung im Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 1993 – nach § 315a SGB VI Anspruch auf einen Auffüllbetrag. Da im Streit nur eine den Auffüllbetrag übersteigende, höhere (dynamisierungsfähige) Rentenleistung der Beklagten ist, hatte der Senat über die Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung nach § 315a SGB VI nicht zu entscheiden.

Die von der BfA im Umwertungsbescheid vom 28. November 1991 getroffene Aussage, der Klägerin werde ab 1. Januar 1992 große Witwenrente geleistet, stand hiernach im Widerspruch zum materiellen Recht. Da neben dem Auffüllbetrag keine Rente nach rentenrechtlichen Vorschriften gewährt werden kann, hat die Beklagte diesen Bescheid zu Recht insoweit zurückgenommen, als nach dem Verfügungssatz eine große Witwenrente geleistet und diese ab 1. Januar 1992 umgewertet und angepaßt wird. Die Beklagte war für die Rücknahmeentscheidung gemäß §§ 45 Abs 5, 44 Abs 3 SGB X die sachlich zuständige Behörde. Der verstorbene Versicherte war bei der Deutschen Reichsbahn versicherungspflichtig beschäftigt und bezog Altersversorgung von der Reichsbahndirektion Halle. Zuständiger Versicherungsträger für die Gewährung von Hinterbliebenenrente ist daher seit Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 die beklagte Bahnversicherungsanstalt, § 126 Abs 2 Satz 1 SGB VI. Sie konnte den Umwertungsbescheid auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, weil die Klägerin jedenfalls seit Erlaß des ablehnenden Bescheides vom 19. März 1992 wußte bzw damit hätte rechnen müssen, daß ihr der geltend gemachte Anspruch nicht zustand. Die Beklagte, die erst durch die Widerspruchsbegründung der Klägerin vom 30. März 1993, der eine Kopie des Umwertungsbescheides der BfA beigefügt war, von den Tatsachen erfahren hatte, welche die Rücknahme des Bescheides rechtfertigten, ist auch innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X am 18. Oktober 1993 tätig geworden. Sie hat ferner die Zweijahresfrist des § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X gewahrt, weil der Klägerin der Umwertungs- und Anpassungsbescheid vom 28. November 1991 erst nach diesem Termin bekanntgegeben worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 955658

BSGE, 45

SozSi 1997, 438

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