Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Erstattungspflicht des Arbeitgebers. keine pauschale Befreiung nach bereits abgeschlossenem Personalabbau. Erledigung des Ablehnungsbescheides durch Erstattungsbescheid. Einbeziehung der Erstattungsbescheide nach § 96 SGG. Anwendung des § 330 Abs 4 SGB 10. kein Vertrauensschutz bei rechtswidriger Verwaltungspraxis. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Feststellungsklage. Rechtsschutzbedürfnis. Voraussetzungen für das Offenlassen der Zulässigkeit der Klage
Leitsatz (amtlich)
1. Nach Abschluss personeller Abbaumaßnahmen besteht kein gesetzlich geregelter Anspruch auf eine pauschale Befreiung des Arbeitgebers von der Pflicht zur Erstattung des Arbeitslosengelds für ältere Arbeitnehmer, die im Rahmen der Personalreduzierung ausgeschieden sind.
2. Ein Bescheid, der einen entsprechenden Antrag ablehnt, erledigt sich schon mit Erlass eines Erstattungsbescheids.
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen einen die generelle Befreiung nach § 128 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AFG ablehnenden Bescheid wird die Anfechtungsklage unzulässig, wenn zwischenzeitlich auf Einzelpersonen bezogene Erstattungsbescheide ergangen sind, denn diese sind nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden (st.Rspr.; vgl. BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 2 S 22; BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 4 S 35) und erledigen den Bescheid, mit dem die Beklagte den Antrag auf generelle Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG abgelehnt hat, und zwar unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit; er wird durch die Erstattungsbescheide gegenstandslos (vgl. BSGE 84, 75, 76), weil in einem Abrechnungs- bzw Erstattungsbescheid zumindest konkludent auch eine Entscheidung über den Ausschlusstatbestand des § 128 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AFG enthalten ist (vgl. BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 2 S 22).
2. Die Zulässigkeit einer Klage darf im Hinblick auf den Umfang der Rechtskraft idR nicht offen gelassen werden. Ausnahmsweise darf die Zulässigkeit aber dann offen bleiben, wenn den Beteiligten hierdurch keine Nachteile entstehen können.
3. Für den Arbeitgeber besteht weder ein Anspruch noch ein Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Entscheidung über eine Befreiung nach § 128 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 AFG. Einem etwaigen Bedürfnis, Klarheit zu schaffen, ob eine bestimmte Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Erstattungspflicht nach § 128 AFG auslöst, kann auf seinen Antrag hin durch eine Vorab-Entscheidung nach § 128 Abs. 7 AFG Rechnung getragen werden. Ist eine solche nicht mehr möglich, weil die zur Erstattungspflicht führenden Personalmaßnahmen durchgeführt sind, ist es dem Arbeitgeber zuzumuten, etwaige Erstattungsbescheide abzuwarten und dagegen vorzugehen.
Orientierungssatz
1. Einer (Vorab-)Entscheidung über einen Befreiungstatbestand nach § 128 Abs 1 S 2 AFG bedarf es für die Anwendung der durch § 330 Abs 4 SGB 3 modifizierten Zugunstenregelung nicht.
2. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann sich wegen der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art 20 Abs 3 GG) nicht auf eine rechtswidrige Verwaltungspraxis gründen. Einen "Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht" kennt die Rechtsordnung nicht.
3. Der (hilfsweisen) Feststellungsklage stehen bestandskräftige Erstattungsbescheide ebenso wie der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage entgegen. Für den Arbeitgeber besteht idR auch kein Rechtsschutzinteresse für eine isolierte Entscheidung über eine Befreiung nach § 128 Abs 1 S 2 Nr 6 AFG.
Normenkette
AFG § 128 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1995-12-15, S. 2 Nr. 6 Fassung: 1995-12-15, Abs. 7 S. 2 Fassung: 1995-12-15; SGB 3 § 330 Abs. 4 Fassung: 2003-12-24; SGB 10 § 39 Abs. 2 Fassung: 1980-08-18; SGG §§ 54-55, 77, 96; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese eine pauschale "Befreiung" von der Erstattungspflicht für im Jahr 1995 ausgeschiedene Arbeitnehmer nach § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) abgelehnt hat.
Die Beklagte beschäftigte zu Beginn des Jahres 1995 175 Arbeitnehmer, davon 24 Arbeitnehmer, die am 1. Januar 1995 bereits das 56. Lebensjahr vollendet hatten. Mit Ablauf des Jahres 1995 wurde bei der Klägerin der Bereich Telekommunikation ausgegliedert. Die Mitarbeiter des Telekommunikationsdienstes (77 Arbeitnehmer) wurden ab dem 1. Januar 1996 von dem neu gegründeten Unternehmen K. GmbH & Co KG ( K.) übernommen. Neben diesen 77 Arbeitnehmern schieden im Laufe des Jahres 1995 17 Arbeitnehmer aus dem Betrieb der Klägerin aus. Hiervon hatten elf das 56. Lebensjahr bereits vollendet. Gleichzeitig stellte die Klägerin im Jahr 1995 18 Mitarbeiter neu ein.
Am 30. Januar 1996 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag, sie von der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG für Arbeitnehmer, die das 56. Lebensjahr bereits vollendet hatten und im Jahr 1995 bei ihr ausgeschieden waren, pauschal zu befreien, soweit an diese Arbeitslosengeld (Alg) gezahlt würde. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, in dem Betrieb der Klägerin habe es im Jahr 1995 keine Personalreduzierung im Sinne von § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG gegeben. Die 77 von der K. übernommenen Arbeitnehmer seien nicht als ausgeschiedene Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Es liege kein tatsächliches Ausscheiden aus dem Betrieb, sondern ein Betriebsübergang nach § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor (Bescheid vom 23. Mai 1996; Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 1999). In der Folgezeit ergingen verschiedene Erstattungsbescheide (nach einer von der Klägerin vorgelegten Liste fünf), die von der Klägerin weder gesondert noch im vorliegenden Verfahren angegriffen wurden.
Die gegen die Ablehnung einer pauschalen Befreiung von der Erstattungspflicht für das Jahr 1995 erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 8. Februar 2001). Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin zurückgewiesen (Urteil vom 29. April 2005). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf den Erlass eines Bescheides, mit dem die Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG festgestellt werde. Erst mit der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs durch die Beklagte sei im Einzelnen zu prüfen, ob und in welchem Umfang eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers eingetreten sei, bzw ob die Voraussetzungen für den Nichteintritt der Erstattungspflicht vorlägen. Im Übrigen könnten die 77 von der K. übernommenen Arbeitnehmer nach Sinn und Zweck von § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG nicht als ausscheidende Arbeitnehmer angesehen werden. Die Regelung solle einen Personalabbau älterer Arbeitnehmer auf Kosten der Arbeitslosenversicherung verhindern. Im Fall der 77 von der K. übernommenen Arbeitnehmer handele es sich aber nicht um einen Personalabbau, sondern um eine Umstrukturierung und Ausgliederung eines bestimmten Betriebsbereichs bzw um einen Betriebsübergang nach § 613a BGB. Von einem Ausscheiden iS von § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG könne in diesem Fall nicht gesprochen werden.
Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG sowie eine Verletzung von Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG). Zur Begründung führt sie aus, das LSG habe verkannt, dass § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG eine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Befreiung von der Erstattungspflicht darstelle (Anspruch des Arbeitgebers auf eine Pauschalentscheidung), die konstitutive, nicht etwa nur deklaratorische, Wirkung habe. Auch habe das Berufungsgericht verkannt, dass es ein Feststellungsinteresse des Arbeitgebers auf pauschale Befreiung von der Erstattungspflicht gebe, und zwar unabhängig von der Frage, ob Erstattungsbescheide erlassen worden seien oder noch erlassen würden. Ein Feststellungsinteresse bei noch nicht erlassenen Erstattungsbescheiden folge daraus, dass durch die Befreiung schon der Erlass des Erstattungsbescheides verhindert werden könne. Bei erlassenem Erstattungsbescheid resultiere das Feststellungsinteresse aus der Regelung des § 330 Abs 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III), aus dem sich ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides für die Vergangenheit ergebe. Eine isolierte Anfechtung der einzelnen Erstattungsbescheide erübrige sich hierdurch. Im Übrigen entspreche es der Verwaltungspraxis der Beklagten, Bescheide über die Befreiung von der Erstattungspflicht zu erlassen. Entgegen der Auffassung des LSG lägen auch die Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG vor.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Mai 1999 aufzuheben, und die Beklagte zu verurteilen, sie für die im Jahr 1995 aus ihrem Betrieb ausgeschiedenen Arbeitnehmer nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG von der Erstattungspflicht zu befreien,
hilfsweise festzustellen, dass sie für die im Jahr 1995 ausgeschiedenen Arbeitnehmer nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG von der Erstattungspflicht befreit ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das LSG habe unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend entschieden.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 23. Mai 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 1999 (§ 95 SGG), gegen den sich die Klägerin in ihrem Hauptantrag mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wendet. Zumindest die Anfechtungsklage ist unzulässig geworden und die Revision insoweit schon deshalb unbegründet; denn die mittlerweile ergangenen Erstattungsbescheide sind nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden (BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 2 S 22; BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 4 S 35; Pawlak in Eicher/Schlegel, SGB III, § 147a Rn 357, Stand April 2002) und erledigen den Bescheid, mit dem die Beklagte den Antrag auf generelle Befreiung von der Erstattungspflicht nach § 128 AFG für im Jahr 1995 ausgeschiedene Arbeitnehmer durch Ersetzung abgelehnt hat, und zwar unabhängig von seiner Rechtmäßigkeit; er wird durch die Erstattungsbescheide gegenstandslos (vgl BSGE 84, 75, 76 = SozR 3-4100 § 128 Nr 6 S 53), weil in einem Abrechnungs- bzw Erstattungsbescheid zumindest konkludent auch eine Entscheidung über den Ausschlusstatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG enthalten ist (vgl BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 2 S 22). Deshalb entfaltet der Bescheid vom 23. Mai 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 1999 bereits mit Erlass nur eines Erstattungsbescheides keine Wirkung mehr (§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ≪SGB X≫). Das LSG hat allerdings die ergangenen Erstattungsbescheide entsprechend dem Willen der Klägerin tatsächlich nicht in das Verfahren einbezogen. Dies wurde von der Klägerin im Revisionsverfahren folgerichtig nicht gerügt. Ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 96 SGG stellt ohnedies keinen in der Revisionsinstanz fortwirkenden und dort von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel dar.
Ob sich auch die mit der Anfechtungsklage verbundene Verpflichtungsklage erledigt hat, kann dahinstehen; eine pauschale Befreiung von der Erstattungspflicht für das Jahr 1995 widerspräche den einer solchen Feststellung entgegenstehenden (auf Grund der Klagebeschränkung) bestandskräftigen Erstattungsbescheiden und könnte schon deshalb nicht mehr ausgesprochen werden. Einer abschließenden Entscheidung hierzu bedarf es jedoch nicht; denn die Beklagte hat den Antrag auf Befreiung von der Erstattungspflicht im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Zwar darf die Zulässigkeit einer Klage im Hinblick auf den Umfang der Rechtskraft idR nicht offen gelassen werden. Die Zulässigkeit darf aber ausnahmsweise offen bleiben, wenn den Beteiligten hierdurch keine Nachteile entstehen können (Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, Vor § 143 RdNr 2a mwN). So liegt der Fall hier, weil der Senat mangels Anspruchsgrundlage (s unten) für den von der Klägerin begehrten Bescheid keine Entscheidung zu den Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Nr 6 AFG trifft und deshalb weder der Klägerin noch der Beklagten aus der Ungewissheit hinsichtlich des Umfangs der Rechtskraft ein Nachteil erwachsen kann.
Nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG (in der Normfassung des Gesetzes vom 15. Dezember 1995 - BGBl I 1824 - in Kraft getreten am 1. Januar 1996) erstattet der Arbeitgeber der Beklagten vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen, längstens für 624 Tage. Nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG tritt die Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 Satz 1 AFG nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass sich die Zahl der Arbeitnehmer in dem Betrieb, in dem der Arbeitslose zuletzt mindestens zwei Jahre beschäftigt war, um mehr als 3 vH innerhalb eines Jahres vermindert und unter den in diesem Zeitraum ausscheidenden Arbeitnehmern der Anteil der Arbeitnehmer, die das 56. Lebensjahr vollendet haben, nicht höher ist als es ihrem Anteil an der Gesamtzahl der im Betrieb Beschäftigten zu Beginn des Jahreszeitraums entspricht (Satz 1). Vermindert sich die Zahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum um mindestens 10 vH, verdoppelt sich der Anteil der älteren Arbeitnehmer, der bei der Verminderung der Zahl der Arbeitnehmer nicht überschritten werden darf.
Für eine isolierte Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG fehlt es im Rahmen des § 128 AFG an einer speziellen Anspruchsgrundlage. Ein Anspruch auf Befreiung von der Erstattungspflicht durch Verwaltungsakt oder auf Erlass eines Bescheides, mit dem die Voraussetzungen für den Nichteintritt der Erstattungspflicht bindend festgestellt werden, stünde im Widerspruch zu Wortlaut, systematischem Aufbau und zur Zielsetzung der Vorschrift des § 128 AFG.
§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG regelt - wie jede andere negative Tatbestandsvoraussetzung - nur eine Ausnahme, bei deren Vorliegen die Erstattungspflicht des Arbeitgebers entgegen der Regel des § 128 Abs 1 Satz 1 AFG nicht eintritt und deshalb der Erlass eines Erstattungsbescheides ausscheidet. § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG gibt dem Arbeitgeber aber gerade keinen "Anspruch auf Befreiung" von der Erstattungspflicht bzw auf eine entsprechende Feststellung der BA durch Verwaltungsakt (Ausnahme: § 128 Abs 7 AFG; s unten; vgl zum Grundlagenbescheid: BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 4 S 35 f). Die BA hat unter Berücksichtigung der Ausschlusstatbestände des § 128 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 AFG sowie einer etwaigen Minderung der Erstattung nach § 128 Abs 3 AFG vielmehr allein zu prüfen, ob und in welchem Umfang eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers eingetreten ist, und ggf eine Entscheidung über Grund und Höhe der Erstattung des Alg zu treffen (vgl BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 4 S 37). Gegen einen etwaigen Erstattungsbescheid, der konkludent oder ausdrücklich auch die Tatbestandsvoraussetzungen eines Ausschlusstatbestandes negiert, kann der Arbeitgeber mit Widerspruch und (Anfechtungs-)Klage vorgehen. Im Rahmen dieses Verfahrens prüfen die Gerichte auch, ob ein Ausschlusstatbestand vorliegt.
§ 128 Abs 7 Satz 2 AFG verdeutlicht die vom Senat vertretene Auffassung. Danach entscheidet das Arbeitsamt auf Antrag des Arbeitgebers im Voraus, ob die Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 oder 7 AFG erfüllt sind. Die Regelung ermöglicht es dem Arbeitgeber, zum Zwecke vereinfachter Kalkulierbarkeit und Planungssicherheit (BT-Drucks 12/3423 S 58) vor einem beabsichtigten Personalabbau von der Erstattungszahlung entbunden zu werden. Sind die personellen Maßnahmen indes bereits vorgenommen worden, bedarf es einer solchen "Vorabentscheidung" naturgemäß nicht mehr. Vielmehr ist es dann Aufgabe der Beklagten, gegebenenfalls einen Erstattungsanspruch geltend zu machen und dabei zu prüfen, ob ein solcher auf Grund eines Befreiungstatbestandes ausgeschlossen ist. Aus dieser sich auf das Vorfeld personeller Maßnahmen beziehenden Regelung kann deshalb gerade nicht auf einen Anspruch des Arbeitgebers geschlossen werden, im Nachgang zu personellen Abbaumaßnahmen durch Bescheid von der Erstattungspflicht befreit zu werden (vgl BSG SozR 3-4100 § 128 Nr 4 S 39 f). § 330 Abs 4 SGB III (früher § 152 Abs 4 AFG) steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift sieht bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Rücknahme eines Verwaltungsaktes, mit dem ein Anspruch auf Erstattung des Alg gegen Arbeitgeber geltend gemacht wird, in Abweichung zu § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X auch für die Vergangenheit eine gebundene Entscheidung vor und stellt die Erstattungsbescheide auf diese Weise Beitragsbescheiden gleich. Einer (Vorab-)Entscheidung über einen Ausschlusstatbestand nach § 128 Abs 1 Satz 2 AFG bedarf es für die Anwendung der durch § 330 Abs 4 SGB III modifizierten Zugunstenregelung nicht.
Eine etwaige davon abweichende Verwaltungspraxis der Beklagten steht der hier vorgenommenen Auslegung des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG auch im Hinblick auf Art 3 GG nicht entgegen. Eine solche Verwaltungspraxis ist jedenfalls vorliegend rechtswidrig, weil sie die Bestandskraft von Erstattungsbescheiden missachtet. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann sich wegen der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG) nicht auf eine rechtswidrige Verwaltungspraxis gründen. Einen "Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht" kennt die Rechtsordnung nicht (BVerfGE 50, 142, 166; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 S 10 und zuletzt BSG SozR 4-5533 Nr 40 Nr 2), zumal die Beklagte nach ihrem Vortrag die frühere Verwaltungspraxis im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 17. Dezember 1997 (SozR 3-4100 § 128 Nr 4) eingestellt hat (vgl zur Änderung der Verwaltungspraxis allgemein: BSG SozR 3-8575 Art 2 § 31 Nr 1 S 10; BSG, Beschluss vom 9. Dezember 1999 - B 9 V 61/99 B - SozSich 2001, 179 f). Da die Klägerin zudem die ergangenen Erstattungsbescheide mit Rechtsbehelfen angreifen und ggf den Rechtsweg bestreiten kann, ist es im Hinblick auf ihr eigentliches Ziel, nämlich wegen der Zahlung von Alg nicht in Anspruch genommen zu werden, auch nicht ersichtlich, dass ihr der Rechtsweg abgeschnitten wäre oder ihr ein wirtschaftlicher Nachteil erwachsen könnte. Inwieweit der geltend gemachte Verstoß gegen Art 12 GG vorliegen soll, ist nicht erkennbar. Die Klägerin hat jederzeit die Möglichkeit, gegen Erstattungsbescheide der Beklagten vorzugehen und hier den von ihr geltend gemachten Ausschlusstatbestand prüfen zu lassen.
Nichts anderes als das zur Verpflichtungsklage Gesagte gilt für die von der Klägerin hilfsweise beantragte Feststellung. Ihr stehen - ebenso wie der Verpflichtungsklage - die bindenden Erstattungsbescheide (§ 77 SGG) entgegen, die auch der Senat zu beachten hat. Eine Feststellung, dass die Klägerin für 1995 ausgeschiedene Arbeitnehmer pauschal von der Erstattungspflicht befreit ist, ist mit bestandskräftigen Erstattungsbescheiden nicht zu vereinbaren (s o). Im Übrigen besteht für den Arbeitgeber idR auch kein Rechtsschutzinteresse für eine isolierte Entscheidung über eine Befreiung nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 6 AFG. Einem etwaigen Bedürfnis, Klarheit zu schaffen, ob eine bestimmte Form der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Erstattungspflicht nach § 128 AFG auslöst, kann auf seinen Antrag hin durch eine Vorab-Entscheidung nach § 128 Abs 7 AFG Rechnung getragen werden. Ist eine solche nicht mehr möglich, weil die zur Erstattungspflicht führenden Personalmaßnahmen durchgeführt sind, ist es dem Arbeitgeber zuzumuten, etwaige Erstattungsbescheide abzuwarten und dagegen vorzugehen. Sind - wie hier - Erstattungsbescheide bereits ergangen, bleibt für eine Feststellungsklage überhaupt kein Raum mehr (Subsidiarität der Feststellungsklage). Im Rahmen einer dann möglichen Anfechtungsklage ist auch der behauptete Ausschlusstatbestand zu prüfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1982741 |
SGb 2008, 174 |