Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Syndikusrechtsanwalt, der für eine Behörde auftritt. Nutzung des besonderen elektronischen Behördenpostfachs zur Dokumentübermittlung. Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Verlegung. stationäre Aufnahme iS einer organisatorischen Eingliederung in das spezifische Versorgungssystem des aufnehmenden Krankenhauses
Leitsatz (amtlich)
1. Syndikusrechtsanwälte, die für eine Behörde auftreten, können für die Übermittlung elektronischer Dokumente das besondere elektronische Behördenpostfach nutzen.
2. Eine Verlegung im Sinn der Fallpauschalenvereinbarung erfordert eine stationäre Aufnahme im Sinn einer organisatorischen Eingliederung als Patient in das spezifische Versorgungssystem des aufnehmenden Krankenhauses.
Normenkette
SGG § 65d; SGB V § 109 Abs. 4 S. 3; KHG § 17b Abs. 1; KHEntgG § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; FPVBG § 1 Abs. 1; FPVBG 2015 § 1 Abs. 1; FPVBG § 1 Abs. 5; FPVBG 2015 § 1 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Mai 2022 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1123,04 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung und in diesem Zusammenhang über den Anfall eines Verlegungsabschlages.
Das klagende Universitätsklinikum (im Folgenden: Universitätsklinikum) behandelte einen bei der beklagten Krankenkasse (im Folgenden: KK) versicherten Säugling vom 19. bis 20.9.2015 vollstationär. Der Versicherte war zuvor am 17.9.2015 im Krankenhaus N geboren worden und wurde am Tag der Entlassung aus dem Universitätsklinikum mit der Diagnose Z76.2 (Gesundheitsüberwachung und Betreuung eines anderen gesunden Säuglings und Kindes) erneut in dieses Krankenhaus aufgenommen, wo sich seine Mutter nach wie vor in stationärer Behandlung befand. Das Universitätsklinikum rechnete für die Behandlung des Versicherten 2221,20 Euro nach Maßgabe der Fallpauschale P67C ab und berücksichtigte dabei keinen Verlegungsabschlag. Die KK beglich die Rechnung zunächst und verrechnete am 29.12.2016 einen Betrag in Höhe von 1123,04 Euro mit anderen unstreitigen Forderungen des Universitätsklinikums. Sie machte geltend, es sei ein Verlegungsabschlag zu berücksichtigen.
Das SG hat die KK zur Zahlung des verrechneten Betrages nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 30.12.2016 verurteilt (Urteil vom 8.10.2020). Die hiergegen gerichtete Berufung der KK hat das LSG unter Verweis auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen. Zwar sei der Tatbestand einer Verlegung nach dem isolierten Wortlaut des § 1 Abs 1 Satz 4 Fallpauschalenvereinbarung (FPV) 2015 erfüllt. Die Auslegung der Vorschrift nach dem isolierten Wortlaut reiche bereits deshalb nicht aus, weil hieraus nicht hervorgehe, welche Person beziehungsweise in welchem Erkrankungs-, Gesundheits- oder Behandlungsstatus dies von der Vorschrift gemeint sei. Es werde nicht geregelt, ob die verlegte Person stationär behandlungsbedürftig sein müsse oder nicht, also etwa auch eine Begleitperson Regelungssubjekt sein könne. Die deshalb ergänzend vorzunehmende systematische Betrachtung zeige, dass sich die Regelung ausschließlich auf (stationär) behandlungsbedürftige Personen beziehe. Das LSG hat mit Einverständnis der Beteiligten durch den Vorsitzenden und Berichterstatter als Einzelrichter entschieden und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (Urteil vom 24.5.2022).
Mit ihrer Revision rügt die KK sinngemäß die Verletzung von § 1 Abs 1 Satz 4 FPV 2015. Eine Verlegung setze nach dem Wortlaut dieser Regelung und der Systematik nur voraus, dass ein Versicherter innerhalb von 24 Stunden aus einem Krankenhaus entlassen und in einem anderen Krankenhaus aufgenommen wird. Auf die stationäre Behandlungsbedürftigkeit komme es insoweit nicht an.
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Die Beklagte beantragt, |
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die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Mai 2022 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. Oktober 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
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Die Klägerin beantragt, |
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die Revision zurückzuweisen. |
Sie ist der Ansicht, die Revision sei über das elektronische Postfach für den Datenaustausch zwischen Behörden und Gerichten (beBPo) bereits nicht wirksam eingereicht worden, weil für Rechtsanwälte eine aktive Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) bestehe. Im Übrigen hält sie die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der beklagten KK ist zulässig (dazu 1.) aber unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG; dazu 3.). Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen (dazu 2.).
1. Die Revision der KK ist zulässig. Sie ist insbesondere formwirksam eingelegt worden. Der für die KK auftretende Syndikusrechtsanwalt konnte die Revisionsschrift wirksam über das beBPo der KK einreichen und musste hierfür nicht das für ihn persönlich eingerichtete beA nutzen.
a) Ab dem 1.1.2022 sind insbesondere Rechtsanwälte und Behörden verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln (vgl § 65d Satz 1 SGG idF von Art 4 Nr 4 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013, BGBl I 3786 sowie BT-Drucks 17/12634 S 27 - zu Nr 4). Das elektronische Dokument muss von der verantwortenden Person entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) versehen worden sein (§ 65a Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGG) oder von ihr (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 65a Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGG). Zu den sicheren Übermittlungswegen zählen nach § 65a Abs 4 Nr 2 und 3 SGG ua die Übersendung aus dem beA nach § 31a Bundesrechtsanwaltsordnung und aus dem beBPo. Im Falle der Übersendung auf einem sicheren Übermittlungsweg bedarf es grundsätzlich keiner qeS (vgl BSG vom 27.9.2022 - B 7 AS 60/22 B - juris RdNr 8; BVerwG vom 4.5.2020 - 1 B 16.20 ua - Buchholz 310 § 55a VwGO Nr 4 = juris RdNr 5).
b) Ob und unter welchen Voraussetzungen die Verpflichtung zur elektronischen Einreichung nach § 65d Satz 1 SGG auch für Syndikusrechtsanwälte gilt, kann vorliegend dahingestellt bleiben (vgl dazu BAG vom 23.5.2023 - 10 AZB 18/22 - juris RdNr 9 ff mwN zum Streitstand; ferner Gädeke in jurisPK-ERV, 2. Aufl, § 65d SGG RdNr 21 ff, Stand 24.3.2023; H. Müller in jurisPK-ERV, 2. Aufl, § 65a SGG RdNr 278 ff, Stand 6.6.2023; Elking, NZA 2022, 1009 ff).
Denn ungeachtet der Frage, ob sich die aktive Nutzungspflicht vorliegend daraus ergab, dass die beklagte KK eine Behörde ist oder daraus, dass für diese ein Syndikusrechtsanwalt aufgetreten ist, verlangt § 65d Satz 1 SGG in beiden Fällen lediglich eine Übermittlung "als elektronisches Dokument", dh unter Nutzung entweder einer qeS oder eines sicheren Übermittlungsweges. Welcher der in § 65a Abs 4 SGG geregelten sicheren Übermittlungswege zu nutzen ist, schreibt die Vorschrift dagegen nicht vor. Syndikusrechtsanwälte, die - wie hier - für eine Behörde auftreten, können daher für die Übermittlung zumindest auch das beBPo der Behörde nutzen. Das steht auch im Einklang mit dem Normzweck des § 65d SGG, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Niederschlag gefunden hat. Danach soll die aktive Nutzungspflicht sicherstellen, dass der elektronische Rechtsverkehr (ua) durch Rechtsanwälte und Behörden genutzt wird und den Gerichten hierdurch soweit wie möglich Druck- und Scanaufwände durch den Medienbruch erspart bleiben (vgl BT-Drucks 17/12634 S 27 zu § 130d ZPO; vgl dazu auch BGH vom 24.11.2022 - IX ZB 11/22 - juris RdNr 19; BAG vom 23.5.2023 - 10 AZB 18/22 - juris RdNr 34). Dieser Zweck wird unabhängig davon erreicht, welcher der zugelassenen Wege für die Übermittlung elektronischer Dokumente genutzt wird.
2. An einer Sachentscheidung ist der Senat nicht dadurch gehindert, dass das LSG über die Berufung der Beklagten gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG durch den konsentierten Einzelrichter entschieden und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Zwar ist in der Rechtsprechung des BSG überwiegend anerkannt, dass es grundsätzlich ermessensfehlerhaft ist, wenn das LSG durch den Einzelrichter entscheidet und selbst die Revision zum BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der entschiedenen Rechtssache zulässt. Die Entscheidung solcher Rechtssachen soll grundsätzlich dem LSG-Senat in seiner vollen Besetzung und mit ehrenamtlichen Richtern (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGG) vorbehalten sein (vgl ua BSG vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 22; BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - juris RdNr 14 ff; BSG vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 13 ff; BSG vom 1.6.2022 - B 3 KS 1/21 R - juris RdNr 9; BSG vom 27.9.2022 - B 7/14 AS 59/21 R - juris RdNr 16; BSG vom 21.12.2022 - B 9 SB 3/20 R - juris RdNr 8; BSG vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R - juris RdNr 8).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist aber ua für den Fall anerkannt, dass die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung in Kenntnis der beabsichtigten Zulassung der Revision erklärt haben (vgl BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7 f; BSG vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 18 mwN; BSG vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R - juris RdNr 9). Dies war vorliegend der Fall. Der Senatsvorsitzende und Berichterstatter des Berufungsverfahrens hat mit der Anfrage an die Beteiligten, ob sie mit einer Entscheidung durch ihn als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind, zugleich darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, die Revision zur weiteren Klärung des Begriffs der Verlegung in der FPV zuzulassen und dass durch die Zustimmung eine zeitnahe Entscheidung möglich werde.
3. Die vom Universitätsklinikum erhobene (echte) Leistungsklage ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig und begründet (vgl zur Zulässigkeit zB BSG vom 16.12.2008 - B 1 KN 1/07 KR R - BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9 mwN, stRspr). Der mit der Klage geltend gemachte - unstreitige - Vergütungsanspruch des Universitätsklinikums ist nicht durch die Aufrechnung mit einem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden Gegenanspruch erloschen (vgl zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris RdNr 11 mwN, stRspr; vgl zur Aufrechnung BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 9/16 R - SozR 4-5562 § 11 Nr 2 und BSG vom 25.10.2016 - B 1 KR 7/16 R - SozR 4-7610 § 366 Nr 1). Dem Universitätsklinikum stand der Vergütungsanspruch für die Behandlung des Versicherten in der geltend gemachten Höhe zu. Die KK hat diese daher nicht ohne Rechtsgrund geleistet.
a) Rechtsgrundlage des vom Universitätsklinikum wegen der stationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG). Das Gesetz regelt in diesen Vorschriften die Höhe der Vergütung der zugelassenen Krankenhäuser bei stationärer Behandlung gesetzlich Krankenversicherter und setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V zu gewähren (§ 109 Abs 4 Satz 2 SGB V), dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus. Der Anspruch wird durch Vereinbarungen auf Bundes- und Landesebene konkretisiert. Die Zahlungsverpflichtung der KK entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 10, 12 f mwN). Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Nach dem Gesamtzusammenhang der vom LSG getroffenen und (über § 153 Abs 2 SGG) in Bezug genommenen Feststellungen, die die KK nicht angegriffen hat und die deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), war die stationäre Behandlung des Versicherten im Universitätsklinikum medizinisch erforderlich. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
b) Das Universitätsklinikum hat die Höhe der Vergütung auf Grundlage des tatsächlichen Geschehensablaufs auch zutreffend sachlich-rechnerisch berechnet.
aa) Die Krankenhausvergütung bemisst sich nach Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage (vgl dazu BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 14 ff). Das Universitätsklinikum rechnete den Behandlungsfall zutreffend nach Maßgabe der Fallpauschale P67C ab (German Diagnosis Related Group Version 2015 ≪G-DRG≫, Neugeborenes, Aufnahmegewicht ≫ 2499 g ohne signifikante OR-Prozedur, ohne Beatmung ≫ 95 Stunden, mit anderem Problem, mehr als ein Belegungstag oder mit nicht signifikanter OR-Prozedur, ohne komplizierende Diagnose). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
bb) Der sich daraus ergebende Vergütungsbetrag des Universitätsklinikums war nicht um einen Verlegungsabschlag zu kürzen.
Nach § 1 Abs 1 Satz 2 FPV 2015 rechnet im Falle der Verlegung in ein anderes Krankenhaus jedes beteiligte Krankenhaus eine Fallpauschale ab. Diese wird nach Maßgabe des § 3 FPV 2015 um die dort geregelten Abschläge gemindert (§ 1 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 1 FPV 2015). § 3 FPV 2015 sieht grundsätzlich Abschläge sowohl für das verlegende (Abs 1) als auch für das aufnehmende Krankenhaus (Abs 2) vor. Eine Ausnahme hiervon gilt für Fallpauschalen, die im Fallpauschalen-Katalog als Verlegungs-Fallpauschalen gekennzeichnet sind (§ 1 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 2 iVm Abs 3 FPV 2015). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die DRG P67C ist in der Spalte 12 des Fallpauschalen-Katalogs 2015 nicht als Verlegungs-Fallpauschale gekennzeichnet.
Entscheidend für den Anfall des Verlegungsabschlages ist danach allein, ob eine Verlegung stattgefunden hat. Hierfür kommt es - entgegen der Ansicht des LSG - nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Entlassung und/oder der nachfolgenden Aufnahme in das andere Krankenhaus tatsächlich eine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen hat (dazu ≪1≫ und ≪2≫). Erforderlich ist aber eine stationäre Aufnahme, dh eine organisatorische Eingliederung als Patient in das spezifische Versorgungssystem des aufnehmenden Krankenhauses (dazu ≪3≫). Daran fehlt es vorliegend (dazu ≪4≫).
(1) Abrechnungsbestimmungen sind wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und allenfalls unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG vom 16.7.2020 - B 1 KR 16/19 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 16 RdNr 17, jeweils mwN).
Der Begriff der Verlegung wird in § 1 Abs 1 Satz 4 FPV 2015 definiert und setzt lediglich voraus, dass der Patient innerhalb von 24 Stunden aus einem Krankenhaus entlassen und in ein anderes Krankenhaus aufgenommen wurde (vgl BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 12/20 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 18 RdNr 15 ff; BSG vom 27.10.2020 - B 1 KR 8/20 R - juris RdNr 11 ff; BSG vom 7.3.2023 - B 1 KR 4/22 R - juris RdNr 18). Von weiteren Voraussetzungen machen die vorgenannten Regelungen der FPV 2015 die getrennte Abrechnung eines Verlegungsfalles durch das verlegende und das aufnehmende Krankenhaus nicht abhängig, insbesondere nicht von einer medizinischen Notwendigkeit oder einer Zweckmäßigkeit der Verlegung (BSG vom 7.3.2023, aaO), und auch nicht von einer tatsächlich bestehenden stationären Behandlungsbedürftigkeit im Zeitpunkt der Aufnahme in das andere Krankenhaus.
(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelungssystematik (vgl auch BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 10/08 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 14 RdNr 18; BSG vom 7.3.2023 - B 1 KR 4/22 R - juris RdNr 19).
(a) Das in der FPV geregelte Recht der Vergütung nach Fallpauschalen behandelt als öffentlich-rechtliches Preisrecht die Maßstäbe zur Ermittlung der Höhe der Krankenhausvergütung sowie Einzelheiten ihrer Abrechnung, nicht aber den Rechtsgrund für die Pflicht, die Entgelte zahlen zu müssen (vgl BSG vom 8.10.2019 - B 1 KR 2/19 R - SozR 4-5562 § 6 Nr 3 RdNr 31 f). Dieser ergibt sich für gesetzlich Versicherte vielmehr aus § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Die Zahlungsverpflichtung der KK entsteht unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch Versicherte kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (siehe RdNr 16).
Für den Sonderfall der Entbindung sind die den Vergütungsanspruch des Krankenhauses begründenden Grundvoraussetzungen des Sachleistungsanspruchs der versicherten Mutter und des Neugeborenen in § 24f SGB V geregelt. Die Versicherte hat danach Anspruch auf ambulante oder stationäre Entbindung (Satz 1). Wird sie zur stationären Entbindung in einem Krankenhaus oder in einer anderen stationären Einrichtung aufgenommen, hat sie für sich und das Neugeborene Anspruch auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung (Satz 3). Für diese Zeit besteht kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung (Satz 4). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um eine unkomplizierte Entbindung ohne Krankheitswert handelt oder ob es sich aufgrund einer "Regelwidrigkeit" bei der Entbindung zugleich auch um die Behandlung einer Krankheit handelt (vgl BSG vom 18.6.2014 - B 3 KR 10/13 R - SozR 4-2500 § 275 Nr 17 RdNr 23; ferner BSG vom 8.10.2014 - B 3 KR 7/14 R - BSGE 117, 65 = SozR 4-5560 § 17c Nr 2, RdNr 17; Wahl in jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 39 RdNr 64, Stand 2.3.2021; aA Pitz in jurisPK-SGB V, 4. Aufl, § 24f RdNr 8, Stand 15.6.2020).
(b) In beiden Fällen, dh sowohl bei einer stationären Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V als auch bei einer stationären Entbindung nach § 24f SGB V, richtet sich die Höhe des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses nach den vertraglich vereinbarten Fallpauschalen (vgl für die stationäre Entbindung § 107 Abs 1 Nr 1 Alt 2 und Nr 3 SGB V; § 2 Nr 1 KHG; § 1 Abs 1, § 2 Abs 1 Satz 1 und 2 KHEntgG).
Die Abrechnung erfolgt sowohl bei kranken als auch bei gesunden Neugeborenen einheitlich nach Maßgabe des Fallpauschalen-Katalogs (vgl § 1 Abs 5 FPV 2015). Dabei unterscheiden § 1 Abs 5 Satz 3 bis 5 FPV 2015 hinsichtlich der Abrechnung (lediglich) insoweit zwischen gesunden und kranken Neugeborenen, als die Fallpauschale für das gesunde Neugeborene mit dem für die Mutter zuständigen Kostenträger abzurechnen ist und die Fallpauschale für das krankheitsbedingt behandlungsbedürftige Neugeborene mit dessen Kostenträger. Dies entspricht der gesetzlichen Vorgabe des § 24f Satz 3 SGB V, wonach Anspruchsinhaberin auch hinsichtlich der Unterkunft, Pflege und Verpflegung des Neugeborenen die Mutter ist (siehe RdNr 26). Nicht krankheitsbedingt behandlungsbedürftig sind nach § 1 Abs 5 Satz 6 FPV 2015 alle Neugeborenen, für welche die DRG-Fallpauschale P66D oder P67D abgerechnet werden kann.
§ 1 Abs 5 Satz 8 FPV 2015 stellt klar, dass im Fall einer Verlegung des Neugeborenen Abs 1 Sätze 2 bis 4 entsprechend gelten. Die Verweisung enthält keine Einschränkung dahingehend, dass die Regelungen zur Verlegung nur gelten sollen, wenn das Neugeborene bei der Aufnahme in das Krankenhaus, in dem sich die Mutter befindet, tatsächlich stationär behandlungsbedürftig ist.
(3) Allerdings erstreckt sich die Verweisung in § 1 Abs 5 Satz 8 FPV 2015 ausdrücklich auch auf die in Abs 1 Satz 4 enthaltene Legaldefinition der Verlegung (siehe dazu auch RdNr 23). Voraussetzung einer Verlegung ist danach ua die "Aufnahme in einem anderen Krankenhaus". Den Begriff der Aufnahme definiert die FPV 2015 selbst nicht. Er findet sich aber in § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V und es ist insofern davon auszugehen, dass § 1 Abs 1 Satz 4 FPV 2015 dasselbe Begriffsverständnis zugrunde liegt (vgl in diesem Sinne auch Gerlach, NZS 2023, 228; allgemein zur Auslegung von Vergütungsregelungen durch ein implizit einbezogenes, an anderer Stelle normativ determiniertes Begriffsverständnis BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 11/21 R - SozR 4-5562 § 9 Nr 21 RdNr 7). Dafür spricht auch, dass § 1 Abs 1 Satz 1 FPV 2015 von der "voll- oder teilstationären Aufnahme" spricht.
Die Aufnahme in das Krankenhaus iS des § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V kennzeichnet den Beginn der (voll-)stationären Krankenbehandlung und meint die organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses (stRspr; vgl BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 11/20 R - BSGE 132, 137 = SozR 4-2500 § 109 Nr 85, RdNr 11 mwN). Die Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes auf der Basis eines entsprechenden Behandlungsplans wird nach außen regelmäßig durch die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes oder das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen und Ähnliches dokumentiert (vgl BSG, aaO, RdNr 12 mwN). Nicht entscheidend ist insofern, ob die der Aufnahmeentscheidung zugrunde liegende Prognose des Krankenhauses zur stationären Behandlungsbedürftigkeit objektiv zutreffend war, oder ob sie sich nachträglich als unzutreffend herausstellte und tatsächlich keine stationäre Behandlungsbedürftigkeit vorlag (vgl BSG, aaO, RdNr 11 mwN).
Die Versorgung gesunder Neugeborener, denen nach der Geburt auf der Grundlage von § 24f Satz 3 SGB V Unterkunft, Pflege und Verpflegung gewährt wird, stellt danach ebenso wenig eine Aufnahme iS des § 1 Abs 1 Satz 4 FPV 2015 dar, wie die in § 11 Abs 3 SGB V geregelte Mitaufnahme einer Begleitperson oder einer Pflegekraft. In beiden Fällen handelt es sich lediglich um eine Nebenleistung zur Entbindung und/oder Krankenhausbehandlung der Mutter bzw des eigentlichen Patienten, die auch über den für diese/n zuständigen Kostenträger abzurechnen ist. Im Falle der Mitaufnahme einer Begleitperson oder Pflegekraft erfolgt dies über einen Zuschlag (vgl § 17b Abs 1a Nr 7 KHG; § 2 Abs 2 Satz 2 Nr 3 KHEntgG; § 1 Abs 5 Satz 9 FPV 2015), im Falle der Versorgung eines gesunden Neugeborenen gemäß § 1 Abs 5 FPV 2015 durch Bildung eines eigenen Falles und Abrechnung einer eigenen Fallpauschale, ohne dass das Neugeborene dadurch selbst als Patient zur stationären Behandlung "aufgenommen" wird.
(4) Nach dem Gesamtzusammenhang der vom LSG getroffenen bzw in Bezug genommenen (vgl § 153 Abs 2 SGG) Feststellungen, die die KK nicht angegriffen hat und die deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), wurde der Versicherte nach der Entlassung aus dem Universitätsklinikum nicht in dem vorgenannten Sinne in das Krankenhaus N zur stationären Behandlung aufgenommen. Der Versicherte wurde nicht zur eigenen stationären Behandlung in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses organisatorisch eingegliedert, sondern er war gesund und es erfolgte lediglich eine "Gesundheitsüberwachung und Betreuung eines anderen gesunden Säuglings und Kindes" (ICD-10 GM Z76.2). Diese wurde entsprechend der Vorgabe des § 1 Abs 5 Satz 6 FPV 2015 für gesunde Neugeborene auf der Grundlage der Fallpauschale DRG P67D (Neugeborener Einling, Aufnahmegewicht ≫ 2499 g ohne OR-Prozedur, ohne Beatmung ≫ 95 Stunden, ohne schweres Problem, ohne anderes Problem oder ein Belegungstag) mit der KK der Mutter abgerechnet. Sofern das LSG in diesem Zusammenhang den Begriff "aufgenommen" verwendet, ist damit nur die tatsächliche Verbringung des Neugeborenen in das Krankenhaus N umschrieben.
4. Der Zinsanspruch des Krankenhauses ergibt sich aus § 13 Abs 7 des Niedersächsischen Vertrags zu den Bereichen des § 112 Abs 2 Ziff 1, 2, 4 und 5 SGB V.
Fundstellen
Haufe-Index 15858503 |
SGb 2023, 569 |
Breith. 2024, 468 |
KRS 2023, 326 |