Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 31.07.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 31. Juli 1991 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um das Recht der Beklagten, die Verletztenrente der Klägerin wegen einer wesentlichen Besserung der als Berufskrankheit (BK) festgestellten Hauterkrankung zu entziehen.
Die am 23. August 1960 geborene Klägerin erlernte von 1976 bis 1979 das Friseurhandwerk und erwarb dabei eine Kontaktsensibilisierung gegen bestimmte Allergene.
Mit Bescheid vom 18. August 1981 stellte die Beklagte fest, daß die Klägerin an einem „Ekzem beider Hände bei Überempfindlichkeit gegen Haarfärbemittel und Dauerwellenlösung” infolge einer Hautkrankheit als BK iS der Nr 5101 der Anlage zur Berufskrankenheiten-Verordnung (BKVO) leide und gewährte ihr vom 23. August 1979 an Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 vH; zugleich entschied sie, daß die Nickelallergie der Klägerin mit der BK nicht in einem ursächlichen Zusammenhang stehe. Diese Rente entzog die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. September 1988 für die Zeit vom 1. November 1988 an.
Während die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Lübeck ohne Erfolg geblieben ist (Urteil vom 4. Januar 1990), hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das angefochtene Urteil des SG sowie den angefochtenen Entziehungsbescheid der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 31. Juli 1991). Zwar sei aufgrund der Empfehlung für die Einschätzung der MdE bei BK'en nach Nr 5101 der BKVO vom 31. März 1977 (Berufsdermatosen 25, 131 – 1977) nach Auffassung von Prof. Dr. S. …, Arzt für Dermatologie an der Universität K., bei Verlust der Sensibilisierung sowie einer nur noch gering ausgeprägten Hauterkrankung allenfalls eine MdE von 10 vH anzuerkennen. Jedoch sei dabei nicht berücksichtigt, daß der Klägerin der Zugang zu sogenannten hautbelastenden Berufen insgesamt verwehrt sei. Ihr sei nicht nur das Berufsfeld der Friseurin verschlossen, sondern bei Aufnahme einer anderen hautbelastenden Tätigkeit bestehe darüber hinaus ein konkretes Risiko, daß die berufsbedingte Hauterkrankung wiederauftrete. Denn nach wie vor liege im Bereich der linken Hand ein Ekzem vor. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in BSGE 63, 207 entschieden, auch bei der Frage nach den durch die Hauterkrankung verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten handele es sich in erster Linie um eine auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet liegende Beurteilung. Wenn Prof. S. … unter Berücksichtigung des Umfangs des verschlossenen Arbeitsfeldes die MdE mit 20 vH bewertet habe, so erscheine dies überzeugend.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch, Verwaltungsverfahren (SGB X). Nach ihrer Meinung reichten die gutachtlichen Befunde und Bewertungen aus, um festzustellen, daß die Folgen der BK der Klägerin keine MdE rentenberechtigenden Grades mehr bedingten. Soweit das LSG dies nicht festgestellt habe, sei von ihm eine § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzende fehlerhafte Beweiswürdigung vorgenommen worden. Zumindest aber habe das LSG den Sachverhalt ungenügend aufgeklärt. Es fehlten konkrete und differenzierte Feststellungen, die die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung ermöglichten.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das angefochtene Urteil des SG zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Tatbestand trage auch die Entscheidungsgründe. Die Folgen ihrer BK verwehrten ihr den Zugang zu allen hautbelastenden Berufen. Es gebe überhaupt keinen Beruf, den sie trotz der MdE infolge der BK mit Eignung und Neigung ausüben könne.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist in dem Sinne begründet, daß das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Es fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen darüber, in welchem Umfang das bei der Klägerin noch festgestellte leichte Handekzem wesentlich von der festgestellten BK verursacht wird in Abgrenzung zu den davon unabhängigen Bedingungen und wie – konkret – der Kreis der Arbeitsmöglichkeiten gekennzeichnet ist, der der Klägerin wesentlich durch die BK und ihre Folgen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens über den 31. Oktober 1988 hinaus verschlossen ist.
Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG in dem angefochtenen Urteil einschließlich des in Bezug genommenen Gutachtens des Prof. Dr. S. … vom 31. Juli 1991 (Bl 112 bis 120 LSG-A) leidet die Klägerin seit dem 1. November 1988 nur noch an einem leichten Handekzem der linken Hand, das lediglich in Intervallen auftritt. Während bei der Untersuchung durch die Assistenzärztin Sch. … am 11. Januar 1989 kein Handekzem mehr nachweisbar war, fand Prof. S. … im Juli 1991 an der linken Hand im Bereich des vierten Fingers eine Schuppenbildung, Krustenauflagerungen sowie feine Einrisse; ähnliche Hautveränderungen zeigten sich in den Fingerzwischenräumen III und IV. Die rechte Hand war frei von Hauterscheinungen. Die Sensibilisierung gegen Haarfärbemittel und Dauerwellenlösungen hatte sich zurückgebildet. Die Epicutantestungen, die bei der Untersuchung der Klägerin in der Zeit vom 27. Januar bis zum 4. Februar 1988 in der Universitätshautklinik zu Lübeck noch positive Reaktionen auf Nickelsulfat, Kobaltchlorid, Expoxidharze und Hydrazin zeigten, ergaben im Juli 1991 nur noch positive Reaktionen auf Kobaltchlorid und Kobaltsulfat; dabei wurde auf eine erneute Nickeltestung verzichtet.
Zur Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 48 SGB X stellt es das LSG im vorliegenden Fall zutreffend auf die Veränderungen des Grades der MdE ab. Das LSG erkennt auch zu Recht, daß der für den Rentenanspruch maßgebende Grad der MdE von der Schwere des noch vorhandenen Krankheitszustandes und dem Umfang der dem Erkrankten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten abhängt. Weitere Voraussetzung ist allerdings, daß es sich jeweils um Folgen der festgestellten BK handelt. Das aber läßt sich aufgrund der vom LSG getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend entscheiden.
Das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob das noch vorhandene leichte, in Intervallen auftretende Ekzem der linken Hand immer noch wesentlich durch die BK und ihre Folgen verursacht wird und welche Bedeutung in diesem Ursachenzusammenhang die als berufskrankheitsunabhängig eingestufte Nikelallergie, die Sensibilisierung auf Kobaltchlorid und Kobaltsulfat sowie die von der Beklagten als anlagebedingt gewertete Minderung der Alkaliresistenz haben. Insoweit besteht Ungewißheit über die Schwere des durch die BK und ihre Folgen verursachten Krankheitszustandes. Dasselbe gilt aber auch für die Frage nach dem Umfang der der Klägerin dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Der Senat hat in seinem vom LSG inhaltlich nur unzureichend zitierten Urteil vom 30. Mai 1988 (BSGE 63, 207) vorangestellt, daß ärztliche Meinungsäußerungen über die durch allergische Hautkrankheiten verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten weitgehend auch zwar keine verbindliche Kraft haben, aber doch eine wichtige und oft unentbehrliche Grundlage sind (aaO S 209). Des näheren hat der Senat ausgeführt, daß das besonders im einzelnen Krankheitsfalle nicht nur für den Grad der Sensibilisierung, sondern auch für die Frage der Häufigkeit des Allergens in krankheitsauslösender Form gilt (aaO S 210). Dieses letztgenannte Kriterium zielt vor allem auf einen Punkt, der allen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens gemeinsam ist, die der an der entsprechenden Allergie leidenden Patientin verschlossen sind. Darauf stellen wesentlich auch die „Empfehlung für die Einschätzung der MdE bei BK'en nach der Nr 5101 der BKVO” vom 31. März 1977 (Mitteilung der Arbeitsgemeinschaft Berufsdermatologie der DDG in Berufsdermatosen 25, 131 – 1977) ebenso ab, wie deren Neufassung als „Empfehlung für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Hauterkrankungen nach der Berufskrankheitenverordnung (Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO) Stand: 24. Oktober 1986” (Dermatosen in Beruf und Umwelt 1987, 103 f).
Das LSG hat es ebenso wie Prof. S. … unterlassen, Feststellungen zu allen Kategorien der in den Empfehlungen aufgestellten Tabelle zu treffen (BSG aaO S 211), insbesondere fehlen auch solche zu der Häufigkeit des Allergens oder der Allergene unter dem Gesichtspunkt ihrer Verbreitung und ihrer Vorkommen im allgemeinen Arbeitsleben (Dermatosen in Beruf und Umwelt 1987, 104 Nr 3.1.3.). Das Zwischenergebnis der MdE-Bewertung durch das LSG, „bei Verlust der Sensibilisierung sowie einer nur gering ausgeprägten Hauterkrankung allenfalls eine MdE von 10 vH anzuerkennen” (S 6 des LSG-Urteilsabdrucks), ist schon deshalb nicht nachprüfbar. Vollends fehlt es an der Nachprüfbarkeit, soweit das LSG als Endergebnis die MdE durch die festgestellte BK und ihre Folgen mit insgesamt 20 vH bewertet. Das LSG begründet dieses Endergebnis damit, daß der Klägerin dadurch nicht nur das Berufsfeld der Friseurin, sondern noch mehr Arbeitsmöglichkeiten verschlossen seien, weil bei Aufnahme einer anderen hautbelastenden Tätigkeit darüber hinaus ein konkretes Risiko bestehe, daß die berufsbedingte Hauterkrankung wieder auftrete. Vor allem hat es das LSG unterlassen festzustellen, welche konkreten Tätigkeiten mit „hautbelastenden Tätigkeiten” gemeint sind, die der Klägerin verwehrt sein sollen. Das LSG hat auch nicht festgestellt, in welchem Verhältnis das Kriterium „Häufigkeit des Allergens” zu dem Kriterium „hautbelastende Tätigkeit” steht, um konkret den Kreis der Arbeitsmöglichkeiten zu umreißen, die der Klägerin verschlossen sind. Auch dem Gutachten des Prof. S. …, auf den sich das LSG beruft, ist das nicht zu entnehmen. In jedem Falle gilt darüber hinaus, daß auch Feststellungen dazu fehlen, welche Bedeutung die Folgen der BK einerseits und welche die davon unabhängigen Hautgesundheitsstörungen für die Einschränkung der Klägerin auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens haben.
Dem LSG bleibt es überlassen, auf welche Weise es feststellen will, in welchem Ausmaß die Klägerin durch die Berufskrankheitsfolgen in ihrer Fähigkeit gehindert ist, Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen, die ihr vor Eintritt des Versicherungsfalls offenstanden (BSGE 63, 207, 209). Wenn es sich dafür allerdings der oa Empfehlungen bedienen will, hat es Feststellungen zu allen Kategorien der darin aufgestellten Tabelle zu treffen. Dasselbe gilt für alle zusätzlichen Tatsachen, die in den Empfehlungen nicht berücksichtigt sind, welche das LSG aber im Falle der Klägerin zusätzlich für ausschlaggebend hält, um den Kreis der Arbeitsmöglichkeiten zu beschreiben, die ihr verschlossen sind.
Das LSG wird alle diese Feststellungen zumindest mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen nachzuholen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen