Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. August 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin verlangt von der beklagten Berufsgenossenschaft (BG), ihren Unfall vom 20. Mai 1988 als Arbeitsunfall zu entschädigen.
Die Klägerin war als Verkäuferin in einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Sie war Mitglied der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen und Vorsitzende der Betriebsgruppe dieser Gewerkschaft in dem Unternehmen; als solche war sie gleichzeitig Mitglied des Bezirksfachgruppenvorstandes Einzelhandel der zuständigen Bezirksverwaltung der Gewerkschaft.
Am 20. Mai 1988 verließ die Klägerin gegen 6.45 Uhr ihre Wohnung und fuhr mit ihrem Pkw in die ihrem Beschäftigungsort entgegengesetzte Richtung nach Ludwigshafen. Dort holte sie aus der Geschäftsstelle der Gewerkschaft Flugblätter ab, die im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen des Jahres 1988 verteilt werden sollten. Auf dem Rückweg von Ludwigshafen zu ihrem Beschäftigungsort überreichte sie unterwegs einen Teil der Flugblätter einem Kollegen an einer verabredeten Stelle. Dann setzte sie ihre Fahrt fort, um durch ihren Wohnort hindurch zu ihrem Beschäftigungsort zu fahren und dort ihre Verkaufstätigkeit aufzunehmen. Noch bevor die Klägerin auf diesem Weg wieder ihren Wohnort erreicht hatte, steuerte sie ihren Pkw versehentlich auf den rechten unbefestigten Seitenstreifen, der Wagen schleuderte und prallte dann auf den angrenzenden Weinberg. Dabei erlitt die Klägerin Knochenbrüche, Prellungen und kleine Schnittwunden, die nach einem fachchirurgischen Gutachten einen rentenberechtigenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bedingten.
Die beigeladene BG hielt den inneren Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Handlung und dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin nicht für gegeben und leitete die Unterlagen an die für die Gewerkschaft zuständige Beklagte weiter. Diese lehnte es ab, den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall zu entschädigen (angefochtener Bescheid vom 1. Februar 1989, Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 1990).
Während das Sozialgericht (SG) Speyer die Beklagte verurteilt hat, den Unfall der Klägerin vom 20. Mai 1988 als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 4. Dezember 1990), hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz die Klage abgewiesen, auch soweit sie hilfsweise auf Verurteilung der Beigeladenen gerichtet gewesen ist (Urteil vom 7. August 1991). Die Klägerin habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Bei ihren Verrichtungen für die Gewerkschaft, zu denen auch die unfallbringende Handlung gehöre, sei sie weder nach § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) noch in Verbindung damit nach Abs 2 aaO versichert gewesen. Vielmehr sei die Klägerin zur Erfüllung mitgliedschaftlicher Aufgaben für die Gewerkschaft tätig geworden und habe dabei den streitigen Unfall erlitten. Dafür aber sei der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht gegeben.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO.
Im Gegensatz zu der Meinung des LSG sei sie auf der unfallbringenden Fahrt nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versichert gewesen. Es treffe zu, daß ihr als Gewerkschaftsmitglied im Rahmen von Streikmaßnahmen während der Tarifrunde des Jahres 1988 die Aufgabe übertragen worden sei, Flugblätter in der Geschäftsstelle abzuholen und sie Mitarbeitern anderer Betriebe zu übergeben. Die Durchführung dieser Streikmaßnahmen habe von den Verwaltungsangestellten der Gewerkschaft einen über das zu erwartende Maß hinausgehenden Arbeitseinsatz abverlangt. Es sei verständlich, daß sich die Anzahl der bei den einzelnen Geschäftsstellen der Gewerkschaft beschäftigten Arbeitnehmer zunächst an den in der Regel durchzuführenden Aufgaben orientiere. Dies müsse dann aber notwendigerweise bei Streikmaßnahmen zu personellen Engpässen führen, weil hier der Umfang der Aufgaben um ein Vielfaches zunehme. Diesem personellen Engpaß habe die Gewerkschaft dadurch zu begegnen versucht, daß sie neben den Verwaltungsangestellten freiwillige Mitarbeiter unter ihren Mitgliedern angeworben habe. Eine den Interessen der Mitglieder dienende Streikmaßnahme während einer Tarifrunde sei nur durchführbar, wenn zusätzlich Helfer zur Verfügung ständen, die die Arbeit der Verwaltungsangestellten verrichteten. In dieser Weise habe auch sie geholfen, die Arbeit der Verwaltungsangestellten zu erledigen. Dabei sei sie verunglückt. Die von ihr verrichtete Tätigkeit sei ureigenste Verwaltungsaufgabe der Gewerkschaft. Das gelte insbesondere für das Transportieren der Flugblattkartons an den jeweiligen Bestimmungsort. Möge vielleicht auch etwas anderes gelten, wenn nach der Übergabe der Pakete an die Betriebe die Arbeitnehmer der jeweiligen Firma die einzelnen Flugblätter an die dort Beschäftigten verteilten. Im vorliegenden Fall habe sie jedenfalls eine ansonsten den Angestellten der Gewerkschaft obliegende Tätigkeit übernommen.
Sie habe zudem eine umfangreiche Tätigkeit ausgeübt, die schon allein wegen ihres Ausmaßes über die Grenzen mitgliedschaftlicher Verpflichtung hinausgegangen sei. Das LSG hätte sich im Rahmen der Sachaufklärung (§ 103 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) gedrängt fühlen müssen, ihr noch beabsichtigtes Vorhaben im Rahmen der Tarifrunde 1988 als Gesamtbild zu prüfen. Dann wäre es zu der Feststellung gelangt, daß sie sich noch mehrere Male an der Flugblattaktion „Tarifrunde 1988” beteiligt hätte mit dem Ergebnis, daß der Umfang dieser Tätigkeiten nicht geringfügig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das angefochtene Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin sei bei der unfallbringenden Handlung nicht nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versichert gewesen. Nach den Feststellungen des LSG habe es sich dabei um eine Tätigkeit gehandelt, die die Gewerkschaft von jedem Ihrer Mitglieder erwarten könne und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet würden.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag, weil die Klägerin im Revisionsverfahren auch nicht mehr ihre Zuständigkeit annehme.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Arbeitsunfall erlitten, weil sie im Unfallzeitpunkt nicht gegen Arbeitsunfall versichert gewesen ist, weder nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO, wie auch die Revision nicht verkennt, noch, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nach Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO.
Bei der unfallbringenden Handlung erfüllte die Klägerin vielmehr auf der Grundlage ihrer Mitgliedschaft zur Gewerkschaft Aufgaben, die ihr als ehrenamtliche Funktionärin der Gewerkschaft oblagen. Diese Tätigkeit wird nicht von dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfaßt.
Zwar schließt die Mitgliedschaft zu einem Verein nicht von vornherein die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) und damit auch nicht von vornherein eine versicherte Tätigkeit wie eine Beschäftigte iS des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO aus (BSG Urteil vom 24. Januar 1992 – 2 RU 23/91 – mwN in HV-Info 1992, 850 = BAGUV RdSchr 16/92). Die Anwendung dieser Vorschrift setzt aber voraus, daß die Person wie eine in einem Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis Stehende tätig wird. Ist dafür kein Raum, weil die Tätigkeit im Rahmen der Mitgliedschaft zu einem privatrechtlichen Verein auf Grund von Mitgliedspflichten ausgeübt worden ist, so entfällt die Möglichkeit, § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unmittelbar oder in Verbindung mit dessen Abs 2 anzuwenden (BSG aaO mwN). Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ist damit ua bei allen Tätigkeiten für einen – rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen – Verein grundsätzlich nicht gegeben, die der mitgliedschaftsgebundenen Erfüllung der Vereinsaufgaben seiner Repräsentanten dienen, zB die Teilnahme an Organsitzungen, Tagungen und ähnlichen Veranstaltungen, bei denen sich die teilnehmenden Repräsentanten der Willensbildung und der Zielsetzung des Vereins widmen (BSG aaO mwN). Darüber hinaus stellen sich die Verrichtungen eines jeden Vereinsmitglieds für den Verein als Ausfluß seiner Mitgliedschaft jenseits des öffentlich-rechtlichen Bereichs der gesetzlichen Unfallversicherung dar, wenn das Mitglied in Erfüllung mitgliedschaftlicher Vereinspflichten gehandelt hat. Entscheidend für diese Beurteilung ist die Vereinswirklichkeit, in der Satzung, Organbeschlüsse und allgemeine Vereinsübung übereinstimmen. Zu den auf allgemeiner Übung beruhenden Mitgliedspflichten zählen geringfügige Tätigkeiten, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet werden. Dabei wird eine allgemeine Vereinsübung, Mitglieder zu Arbeitsleistungen heranzuziehen, nicht dadurch in Frage gestellt, daß nicht alle Vereinsmitglieder, sondern nur ein Teil davon die für bestimmte Tätigkeiten erforderliche persönliche oder fachliche Eignung besitzt. Wesentlich ist allein, ob der Verein erwarten kann, daß bestimmte Aufgaben von geeigneten Mitgliedern wahrgenommen werden und Geeignete regelmäßig der Erwartung des Vereins auch nachkommen (BSG Urteil vom 22. September 1988 – 2/9b RU 78/87 -mwN in HV-Info 1988, 2178 = BAGUV RdSchr 71/88).
Das LSG hat, ohne daß die Klägerin dagegen zulässig und begründet Verfahrensrügen erhoben hat, für den Senat bindend festgestellt (§ 163 SGG), daß die Klägerin Mitglied der Gewerkschaft war, das mitgliedschaftsgebundene Amt der Vorsitzenden der Betriebsgruppe ihrer Gewerkschaft in ihrem Beschäftigungsbetrieb innehatte und als solche neben anderen Betriebsgruppenvorsitzenden dem Fachgruppenvorstand Einzelhandel der Bezirksverwaltung ihrer Gewerkschaft angehörte. Zu den von der Gewerkschaft vorgesehenen, unentgeltlich zu erfüllenden Aufgaben des Fachgruppenvorstandes gehörte es ua, für die sachgerechte Verbreitung der im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen vorbereiteten Flugblätter der Gewerkschaft zu sorgen. Das geschah jeweils praktisch auf die Weise, daß der Fachgruppenvorstand aus seinem Kreise der Reihe nach Mitglieder bestimmte, die neben hauptamtlich angestellten Gewerkschaftsangehörigen Flugblätter in der Bezirksgeschäftsstelle abholten, das Material zu weiteren Mitgliedern weitertransportierten, welche ihrerseits für die Verteilung in den Betrieben sorgten, und daß schließlich der Transporteur den Rest des Materials im eigenen Beschäftigungsbetrieb verteilte. Und so, wie die Gewerkschaft das von den als Funktionären herausgehobenen Mitgliedern des Fachgruppenvorstandes erwartete, hatten diese sich bisher ebenso wie die Klägerin immer dazu bereit gefunden. Die Klägerin hätte das zwar im Einzelfall aus persönlichen Gründen zu Lasten anderer unentgeltlich im Fachgruppenvorstand tätiger Gewerkschaftsmitglieder ablehnen können, aber weder eine hauptamtlich angestellte noch eine andere bezahlte Kraft oder ein anderes Gewerkschaftsmitglied außerhalb des Fachgruppenvorstandes wäre dafür anstelle der Klägerin herangezogen worden. Die Aufgabe, die der Fachgruppenvorstand der Klägerin gestellt hatte und die sie am Unfalltag erledigen wollte, hätte sie insgesamt drei bis vier Stunden bei einer Gesamtfahrleistung von etwa 100 km in Anspruch genommen. Die Klägerin hatte sich auch zu weiteren Flugblätterverteilaktionen der Tarifrunde 1988 bereiterklärt. Soweit die Revision abweichend davon vorträgt, die von ihr zur Unfallzeit verrichtete Arbeit, insbesondere das Transportieren der Flugblattkartons an den jeweiligen Bestimmungsort, sei ureigenste Aufgabe der hauptamtlichen Gewerkschaftsangestellten, kann die Klägerin damit im Revisionsverfahren nicht mehr gehört werden.
Danach hat das LSG ohne Rechtsfehler erkannt, daß die Arbeitsleistung, die die Klägerin ihrer Gewerkschaft erbracht hat und in deren Rahmen sie die unfallbringende Handlung vornahm, als unmittelbarer Ausfluß ihrer Mitgliedschaft zur Gewerkschaft zu werten ist. Die Klägerin hat mitgliedschaftliche (Vereins-)Pflichten ihrer Gewerkschaft gegenüber erfüllt, als sie den streitigen Unfall erlitt. Als ehrenamtliche Funktionärin ihrer Gewerkschaft hat sie zweckentsprechende (Vereins-)Aufgaben ihrer Gewerkschaft wahrgenommen, die nach allgemeiner (Vereins-)Übung von Funktionären wie der Klägerin auf Grund ihrer Mitgliedschaft zum Verein, dh zur Gewerkschaft, verrichtet werden. Dabei handelt es sich um geringfügige Arbeitsleistungen, die ein Verein von jedem seiner geeigneten Mitglieder erwarten kann und Geeignete regelmäßig einer solchen Erwartung entsprechend auch erbringen. Dem steht nicht entgegen, daß dies nicht auf alle Mitglieder des betreffenden Gewerkschaftsbezirks, sondern nur auf die geeigneten Mitglieder der Fachgruppenvorstände, also ehrenamtliche Funktionäre wie die Klägerin, zutrifft. Wenn ein Verein bestimmte Mitglieder dadurch aus dem Kreis der anderen Mitglieder heraushebt, daß er ihnen ehrenamtliche Vereinsfunktionen überträgt, dann treffen diese Funktionäre auch qualitativ und quantitativ andere Mitgliedschaftspflichten als einfache Vereinsmitglieder. Dementsprechend ist hier die Frage nach Mitgliedschaftspflichten auf Grund allgemeiner Vereinsübung auf den Fachgruppenvorstand und seine ehrenamtlichen Mitglieder zu beschränken. Nach dem – vom LSG festgestellten – tatsächlichen Organisationsplan der Gewerkschaftstätigkeit in dem für die Klägerin zuständigen Bezirk ihrer Gewerkschaft, also der Vereinswirklichkeit, hob sich die hier zu beurteilende Arbeitsleistung der Klägerin nicht erkennbar von dem Maß vergleichbarer Aktivität ab, das Mitglieder des Fachgruppenvorstands üblicherweise für die Gewerkschaft aufwenden (s BSG SozR 2200 § 539 Nr 101), zB die Teilnahme an Organ- oder Fachausschußsitzungen bei der Bezirksverwaltung. Das gilt gleichermaßen für die vom LSG festgestellte Flugblätterverteilaktion an dem Unfalltag, die bei einer Fahrleistung von 100 km insgesamt drei bis vier Stunden in Anspruch genommen hätte (s BSG Urteil vom 22. September 1988 – 2/9b RU 78/87 – mwN aaO), wie für die Tatsache, daß sich die Klägerin zu weiteren gleichartigen Aktionen der Tarifrunde 1988 bereiterklärt hatte.
Danach ist die Klägerin bei der unfallbringenden Handlung auch nicht nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO versichert gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen