Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Januar 1989 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 9. Mai 1988 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin unter Anrechnung eines Kindererziehungsjahres gemäß § 1251a der Reichsversicherungsordnung (RVO) höheres Altersruhegeld zu zahlen hat.
Die Tochter A. … (A.) der 1921 geborenen Klägerin brachte im November 1964 einen Sohn (D.) zur Welt. Im Januar 1965 nahm sie wieder ihre bisherige Berufstätigkeit auf. Die Klägerin dagegen gab ihre Erwerbstätigkeit zum 22. Januar 1965 auf. Sie wohnte damals mit ihrer Tochter und ihrem Enkel in einem gemeinsamen Haushalt. An den Werktagen (häufig auch samstags) erfolgte die Betreuung des Kindes ausschließlich durch die Klägerin, während A. hierzu nur in geringem Umfang in der Lage war, in der Regel nur sonntags. Der Enkel blieb auch bei der Klägerin, als A. 1973 heiratete und aus der gemeinsamen Wohnung auszog.
Die Klägerin bezieht von der Beklagten Altersruhegeld. Ihren Antrag, hierfür ein Erziehungsjahr für ihren Enkel anzuerkennen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 25. September 1986, Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 1987).
Das Sozialgericht (SG) hob die Bescheide mit Urteil vom 9. Mai 1988 auf und verurteilte die Beklagte, für den Versicherungsverlauf der Klägerin Zeiten für die Erziehung des Enkels festzustellen.
Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil wies das Landessozialgericht ≪LSG≫ mit Entscheidung vom 16. Januar 1989 zurück. Zugunsten der Klägerin sei ein Jahr Kindererziehungszeit gemäß §§ 1251a, 1227a RVO anzurechnen, weil die Klägerin Pflegemutter des D. iS der §§ 1227a Abs 3 RVO, 56 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫ gewesen sei. Auch zu Enkelkindern könne ein Pflegschaftsverhältnis bestehen, wenn die leiblichen Eltern entweder tot seien oder beide sich um ihr Kind praktisch nicht kümmerten. Letzteres sei hier der Fall gewesen. Das familiäre Band zwischen D. und seiner Mutter sei zwar nicht vollständig gelöst gewesen; diese habe D. aber nur in geringem Umfang betreuen können, vielmehr habe die Klägerin ihn weitaus überwiegend erzogen. Eine Lösung des familiären Bandes – entsprechend den Voraussetzungen eines Pflegemutterverhältnisses gemäß § 2 des Bundeskindergeldgesetzes ≪BKGG≫ – sei nicht erforderlich, was sich zum einen schon aus § 1227a Abs 3 Satz 2 RVO ergebe. Zum anderen entspreche gerade der Fall der Klägerin, die zur Betreuung ihres Enkels ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben habe, dem Zweck des § 1251a RVO, einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß ein Elternteil vielfach gar nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sei, eigene Rentenansprüche aufzubauen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 1251a RVO iVm § 1227a Abs 3 RVO. Sie ist der Auffassung, die bloße Tatsache der Betreuung und Pflege eines Kindes genüge nicht, um ein Pflegekindschaftsverhältnis anzunehmen. Hierzu sei vielmehr mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ und entsprechend zu § 2 BKGG erforderlich, daß entweder die leiblichen Eltern des Kindes gestorben sind oder sich beide Elternteile um das Kind nicht kümmern. Ein Pflegekindschaftsverhältnis sei demgemäß zu verneinen, wenn das Kind von der leiblichen Mutter gemeinsam mit den Großeltern betreut werde.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Januar 1989 und des Sozialgerichts Koblenz vom 9. Mai 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die kraft Zulassung durch das Berufungsgericht statthafte, form-und fristgerecht eingelegte und damit auch zulässige Revision ist begründet. Das LSG hat zu Unrecht die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten nicht verlangen, für die Berechnung ihres Altersruhegeldes eine Kindererziehungszeit wegen der Betreuung des Enkels anzuerkennen.
Das angefochtene Urteil des LSG ist bereits deshalb fehlerhaft, weil unterlassen wurde, A. als die leibliche Mutter des D. beizuladen. Dies war gemäß § 75 Abs 2 Alternative 1 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫ notwendig. A. ist aufgrund der Regelungen in §§ 1227a, 1251a RVO, die die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für ein Kind stets nur ungeteilt bei einem Erziehenden ermöglichen, an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Die Anrechnung der umstrittenen Erziehungszeit bei der Klägerin hätte zur Folge, daß die Anrechnung zugunsten der Kindesmutter ausgeschlossen wäre, bedeutete also einen unmittelbaren Eingriff in deren Rechte. Aus gleichem Grund hat schon der 5. Senat des BSG eine notwendige Beiladung des Vaters angenommen, wenn Kindererziehungszeiten nach dem Tod der Mutter dem Vater oder der klagenden Pflegemutter zustehen konnten (BSG SozR 3-1500 § 75 Nr 3).
Das Fehlen der notwendigen Beiladung zwingt den erkennenden Senat aber nicht, auch im vorliegenden Rechtsstreit – wie bei derartigen Verfahrensmängeln in der Revisionsinstanz sonst grundsätzlich erforderlich – die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Denn das Revisionsgericht kann ausnahmsweise von einer Zurückverweisung absehen und in der Sache selbst entscheiden, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, daß die Klage in jedem Fall abgewiesen werden muß (BSGE 66, 144 = SozR 3-5795 § 6 Nr 1; BSGE 67, 251, 253; BVerwGE 74, 19, 21 ff; vgl auch BSG SozR 1500 § 75 Nr 68 und Nr 74, SozR 3-2200 § 539 Nr 9 sowie Urteil vom 31. Juli 1991 – 6 RKa 12/89, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Zweck der notwendigen Beiladung liegt nämlich vor allem darin, die Rechtskraft des Urteils auch auf den rechtlich betroffenen Drittbeteiligten zu erstrecken und somit widersprechende Entscheidungen zum selben Rechtsverhältnis zu vermeiden. Dies ist aber nicht erforderlich, wenn die Klage abgewiesen würde; denn eine gerichtliche Entscheidung, die die Ablehnung einer Sozialleistung bestätigt, greift nicht in die Rechte des Dritten ein. Außerdem wäre es aus dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie, der die Beiladung gerade dienen soll, wenig sachgerecht, wenn der Rechtsstreit aus bloß formellen Gründen zurückverwiesen würde, obwohl die materielle Erfolglosigkeit der Klage bereits feststeht (BSGE 66, 144; 67, 251; SozR 3-2200 § 539 Nr 9).
Ein derartiger Fall liegt hier vor. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen neueren Rechtsprechung des BSG ist die Klage in jedem Fall unbegründet, weil die Klägerin unter keinem Gesichtspunkt einen Anspruch auf Anerkennung einer Kindererziehungszeit für die Betreuung ihres Enkels D. hat.
Gemäß § 1251a Abs 1 Satz 1 RVO (idF des Art 6 Nr 18 Rentenreformgesetz 1992 vom 18. Dezember 1989 – BGBl I S 2261, 2360) werden Müttern und Vätern, die nach dem 31. Dezember 1920 geboren sind, Zeiten der Kindererziehung vor dem 1. Januar 1986 in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet, wenn sie ihr Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes erzogen und sich mit ihm dort gewöhnlich aufgehalten haben. Nach § 1251a Abs 3 Satz 1 iVm § 1227a Abs 3 Satz 1 RVO sind Mütter und Väter iS des Abs 1 auch Stiefmütter, Stiefväter, Pflegemütter und Pflegeväter. Die dabei in bezug genommenen Legaldefinitionen des § 56 Abs 3 Nrn 2 und 3 SGB I bezeichnen als Pflegeeltern „Personen, die den Berechtigten als Pflegekind aufgenommen haben”, und als Pflegekinder „Personen, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind”.
Nicht in der Fiktionsregelung mitgenannt und in die Verweisung einbezogen sind die in § 56 Abs 3 Nr 1 SGB I angeführten „sonstigen Verwandten der geraden aufsteigenden Linie”, im besonderen also Großmütter und Großväter. Diesen Personen können Kindererziehungszeiten demzufolge allein dann zuerkannt werden, wenn sie rechtlich als „Pflegeeltern” des betreffenden Kindes anzusehen sind. Eine solche Beurteilung ist zugunsten der Klägerin nicht möglich.
Wie der 5. Senat des BSG bereits wiederholt entschieden hat, kann ein Pflegeverhältnis im bezeichneten Sinn nur angenommen werden, wenn die Beziehung zwischen Kind und leiblicher Mutter gelöst ist (BSGE 67, 211, 213 f = SozR 3-1200 § 56 Nr 1; SozR 3-1200 § 56 Nr 2; Urteile vom 29. November 1990 – 5 RJ 35/90 -und vom 15. Mai 1991 – 5 RJ 58/90 –, nicht veröffentlicht). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an.
Wie in dem angefochtenen Urteil (das Anfang 1989 erging und die genannte Rechtsprechung des 5. Senats noch nicht berücksichtigen konnte) ausgeführt ist, war das familiäre Band zwischen D. und seiner Mutter in den Jahren 1964/1965 nicht gelöst. Das LSG hat hierzu – für den Senat gemäß § 163 SGG bindend – festgestellt, daß die Tochter der Klägerin zwar werktags und oft auch an Samstagen arbeiten mußte und deshalb nur in geringem Umfang in der Lage war, ihr Kind zu betreuen. Sie tat dies aber regelmäßig sonntags und an den übrigen, dh freien Samstagen, was dadurch erleichtert wurde, daß sie mit D. und ihrer Mutter in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Wenn die Betreuung des Kindes an den übrigen Tagen hauptsächlich in der Hand der Klägerin lag, so war dies lediglich die Folge einer notwendigen Arbeitsteilung zwischen Mutter und Großmutter, die ihren Grund in der fortdauernden Erwerbstätigkeit der Mutter hatte. Das allein aber reicht nicht aus, um eine Abkehr der A. von ihrem Kind unter vollständiger Übertragung der Obhuts- und Erziehungsbefugnis auf die Klägerin anzunehmen; die Bindung zwischen Mutter und Kind blieb vielmehr bestehen.
Auch der 5. Senat hat in einem vergleichbaren Fall (Urteil vom 29. November 1990 – 5 RJ 35/90, nicht veröffentlicht), in dem Mutter, Großmutter und betreutes Kind im selben Haus lebten und die Mutter ganztägig berufstätig war, ein Pflegekindverhältnis zur Großmutter mit dieser Begründung verneint. Andererseits ist eine Lösung von der Mutter und damit die Pflegemuttereigenschaft der Großmutter für den Fall bejaht worden, daß Eltern und Kinder voneinander getrennt lebten und der Besuch des Kindes nur gelegentlich am Wochenende erfolgte und außerdem das Kind im wesentlichen nicht von den Eltern unterhalten wurde (Urteil vom 15. Mai 1991 – 5 RJ 58/90, nicht veröffentlicht). Eine derartige Konstellation liegt aber gerade nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen