Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Auszahlungsanspruch. Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers für die Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber der BA. Aufzahlungsfall. Berechnung der Erstattungsforderung. monatsweise Gegenüberstellung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Nachrangigkeit einer Leistung besteht in Höhe der vorrangigen Leistung auch, wenn die Höhe der nachrangigen Leistung (hier: Arbeitslosengeld II) die der vorrangigen Leistung (hier: Arbeitslosengeld) übersteigt (sog Aufzahlungsfälle).
2. Bei der Erstattung von Arbeitslosengeld II durch den SGB III-Träger ist auf den Monat als Bezugsgröße und nicht auf Teilzeiträume abzustellen.
Normenkette
SGB 2 § 40a S. 1, § 41 Abs. 1 Sätze 1-3; SGB III § 154 Sätze 1-2, § 337 Abs. 2 Fassung: 2013-04-03; SGB X § 104 Abs. 1 Sätze 1-3, Abs. 3, § 107 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit ist die Auszahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015, das die Beklagte wegen eines Erstattungsanspruchs des beigeladenen Jobcenters einbehalten hat.
Der 1989 geborene Kläger bezog vom Beigeladenen während seiner bis zum 10.6.2015 dauernden Ausbildung bis Mai 2015 aufstockend Arbeitslosengeld II (Alg II) iHv monatlich 378,39 Euro (Bescheid vom 18.12.2014). Für Juni 2015 bewilligte ihm der Beigeladene Alg II iHv insgesamt 555,35 Euro (Bescheid vom 10.7.2015).
Der Kläger meldete sich bei der Beklagten bereits am 3.9.2013 arbeitsuchend und am 27.4.2015 arbeitslos mit Wirkung zum 11.6.2015. Diese bewilligte ihm Alg auf Grundlage einer fiktiven Bemessung für die Dauer von 300 Tagen ab dem 11.6.2015 (Bescheid vom 1.7.2015). Den täglichen Leistungsbetrag setzte sie für die Zeit vom 11.6. bis 31.7.2015 unter Hinweis auf einen vorläufigen Erstattungsanspruch eines Leistungsträgers auf Null Euro, für die Zeit ab dem 1.8.2015 auf 26,38 Euro fest. Den vom Beigeladenen geltend gemachten Erstattungsanspruch iHv 527,60 Euro für Juni 2015 (Schreiben vom 10.7.2015) erkannte die Beklagte an (Schreiben an Beigeladenen vom 16.7.2015) und teilte dem Kläger mit, dass er für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 wegen der Zahlung des Alg II und des Erstattungsanspruchs eines anderen Leistungsträgers keinen Anspruch auf Alg habe (Bescheid vom 16.7.2015). Gleichzeitig setzte sie den täglichen Leistungsbetrag bereits ab dem 11.6.2015 auf 26,38 Euro fest und führte aus, für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 seien dem "Berechtigten" 527,60 Euro ausgezahlt worden (Änderungsbescheid vom 16.7.2015). Die vom Kläger erhobenen Widersprüche gegen die beiden Bescheide blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13.10.2015).
Das SG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Alg iHv 26,38 Euro pro Tag für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 verurteilt (Urteil vom 7.3.2017). Der Ausschlusstatbestand des § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X greife ein. Es fehle an einem Rangverhältnis, weil eine eigene Leistungspflicht des "nachrangig" verpflichteten Trägers neben der des "vorrangig" verpflichteten Trägers bestehe.
Das LSG hat nach Zulassung der Berufung der Beklagten das Jobcenter beigeladen und die Klage unter Aufhebung des Urteils des SG abgewiesen (Urteil vom 11.3.2021). Der Anspruch des Klägers sei wegen der Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs 1 SGB X erloschen. § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X habe dem Erstattungsanspruch des Beigeladenen nicht entgegengestanden, da die Alg II-Leistung nachrangig sei. Der Erstattungsanspruch sei nicht auf den Betrag beschränkt, den der Beigeladene für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 geleistet habe (370,23 Euro), denn Zweck von § 104 SGB X sei es, den nachrangig verpflichteten Leistungsträger so zu stellen, als wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger rechtzeitig geleistet habe.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger, die vom LSG vorgenommene Auslegung und Anwendung von § 104 SGB X verletze - auch im Kontext mit der Verweisung in § 40a SGB II - materielles Recht. Das LSG übersehe, dass es sich um einen "Aufzahlungsfall" handele und hinsichtlich dieser "Aufzahlung" keine nachrangige Leistung vorliege. Es fehle an einem Vorrang-/Nachrangverhältnis. Hilfsweise macht der Kläger geltend, der Erstattungsanspruch sei - wenn er bestanden habe - nach einer kalendertäglichen Übereinstimmung für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 zu ermitteln und betrage daher lediglich 370,23 Euro, sodass er jedenfalls noch einen Auszahlungsanspruch iHv 157,37 Euro habe. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richte sich nach den Vorschriften des SGB III, und Alg werde gemäß § 154 Satz 1 SGB III nach Kalendertagen berechnet und geleistet. Auch § 41 Abs 1 Satz 1 SGB II sehe vor, dass Leistungen anteilig zu erbringen seien, wenn diese nicht für einen vollen Monat zustünden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. März 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie verweist auf den Zweck der gesetzlichen Regelung der Erstattungsansprüche, wonach der nachrangig verpflichtete Leistungsträger so zu stellen sei, als wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger rechtzeitig von Anfang an geleistet hätte.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag und verweist auf die Ausführungen des LSG.
Entscheidungsgründe
Die vom LSG zugelassene und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Auszahlung von Alg für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 zusteht, denn der Anspruch gilt aufgrund eines Erstattungsanspruchs des Beigeladenen als erfüllt.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben der vorinstanzlichen Entscheidung die Bescheide der Beklagten vom 16.7.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2015, mit denen die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger das für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 bewilligte Alg auszuzahlen. Wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, ist der Alg-Anspruch dem Grunde und der Höhe nach nicht angefochten und damit nicht Streitgegenstand (vgl BSG vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 12).
Zutreffende Klageart ist die - vom Kläger auch erhobene - kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG), gerichtet auf die Aufhebung des Bescheids vom 16.7.2015, die Abänderung des Änderungsbescheids vom 16.7.2015 - beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2015 - und die Verurteilung der Beklagten zur Auszahlung des ihm für den streitigen Zeitraum bewilligten Alg iHv 26,38 Euro pro Tag, zumindest aber iHv insgesamt 157,37 Euro.
Die Bescheide vom 16.7.2015 ersetzen den ersten Bewilligungsbescheid vom 1.7.2015, durch den für Juni und Juli 2015 zunächst nur ein täglicher Leistungsbetrag von Null Euro unter Hinweis auf einen vorläufigen Erstattungsanspruch festgesetzt war. Mit dem Änderungsbescheid vom 16.7.2015 sind dem Kläger Alg-Leistungen auch für Juni und Juli 2015 bewilligt worden, gleichzeitig hat die Beklagte sowohl im Änderungsbescheid als auch im Bescheid vom 16.7.2015 einen Auszahlungsanspruch des Klägers für den streitigen Zeitraum vom 11.6. bis 30.6.2015 verneint, unter Hinweis auf die vom Kläger bezogenen Alg II-Leistungen und den Erstattungsanspruch des Beigeladenen. Den beiden aufeinander bezogenen Bescheiden vom 16.7.2015 ist zu entnehmen, dass die Beklagte eine (belastende) rechtsverbindliche Feststellung mit Regelungscharakter zu dem aus ihrer Sicht nicht bestehenden Auszahlungsanspruch mit Ablehnung der Auszahlung getroffen hat (vgl zuletzt BSG vom 7.4.2022 - B 5 R 24/21 R - RdNr 11 ff - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 24.10.2013 - B 13 R 31/12 R - juris RdNr 16).
Mit seinen Widersprüchen hat sich der Kläger sowohl gegen die Erstattung an sich als auch gegen die Erstattungshöhe gewandt. Zu Recht sind SG und LSG davon ausgegangen, dass sich der Widerspruchsbescheid inhaltlich auf beide Widersprüche bezieht - und nicht etwa nur auf den mit Geschäftszeichen aufgeführten Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.7.2015. Das folgt insbesondere aus der Bezeichnung im Rubrum des Widerspruchsbescheids "gegen die Bescheide vom 16. Juli 2015" sowie aus den Ausführungen zu der Höhe der Erstattung, die sich allein aus dem Änderungsbescheid ergibt.
2. Die angefochtenen Bescheide vom 16.7.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.10.2015 sind formell rechtmäßig. Insbesondere durfte die Beklagte durch Verwaltungsakt feststellen, dass der ihr gegenüber bestehende Alg-Anspruch des Klägers für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 erloschen war. Diese Befugnis ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes und der Eigenart des Rechtsverhältnisses (siehe BSG vom 7.4.2022 - B 5 R 24/21 R - RdNr 23 mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die Erfüllungsfiktion in § 107 Abs 1 SGB X tritt kraft Gesetzes ein und verklammert rechtssystematisch die Erstattungsansprüche der §§ 102 bis 105 SGB X mit dem Anspruch des Leistungsberechtigten. Soweit in diesem Dreiecksverhältnis ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger kraft gesetzlicher Fiktion als erfüllt (stRspr; vgl BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12; BSG vom 28.3.2017 - B 1 KR 15/16 R - BSGE 123, 10 = SozR 4-1300 § 107 Nr 7 RdNr 16 mwN; zuletzt BSG vom 7.4.2022 - B 5 R 24/21 R - RdNr 24 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Im Rahmen des Subordinationsverhältnisses zwischen Kläger und Beklagte wird die konkrete Rechtsfolge (Nichtauszahlung wegen Erfüllung) erst durch die Entscheidung der Beklagten bewirkt, den Erstattungsanspruch des anderen Leistungsträgers in einer bestimmten Höhe anzuerkennen und zu erfüllen.
3. Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig. Die Beklagte kann dem Anspruch des Klägers den Einwand der Erfüllungsfiktion entgegenhalten, denn der Anspruch des Klägers auf Alg für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 iHv 527,60 Euro ist aufgrund des in dieser Höhe bestehenden Erstattungsanspruchs des Beigeladenen erloschen.
Gemäß § 107 Abs 1 SGB X gilt der Anspruch des (Leistungs-)Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Dies ist hier der Fall, denn der Beigeladene hat gegen die Beklagte wegen der Zahlung von Alg II einen Erstattungsanspruch aus § 40a Satz 1 SGB II iVm § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X.
Nach § 40a Satz 1 SGB II (rückwirkend zum 1.1.2009 durch das Achte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Ergänzung personalrechtlicher Bestimmungen vom 28.7.2014, BGBl I 1306 eingeführt) steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Voraussetzungen des § 104 SGB X gegen den anderen Sozialleistungsträger ein Erstattungsanspruch zu, wenn einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach diesem Buch erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt wird. § 40a Satz 1 SGB II enthält - anders als Satz 2 - nur eine klarstellende Rechtsgrundverweisung auf § 104 SGB X, regelt jedoch keinen eigenen Erstattungsanspruch (Pattar in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020, § 40a RdNr 29; Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, § 40a RdNr 16, Stand Mai 2021; Bienert, info also 2019, 118, 119; vgl auch Kallert in BeckOGK, § 40a SGB II RdNr 31, Stand 1.5.2020; weiter differenzierend Blüggel in Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Aufl 2021, § 40a RdNr 19 ff). Entgegen der Auffassung der Revision ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung "für denselben Zeitraum" in § 40a Satz 1 SGB II bezogen auf die Voraussetzung der Zeitidentität von bestehenden erstattungsrechtlichen Grundsätzen abweichen wollte (Pattar in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl 2020 § 40a RdNr 33 ff; Bienert, info also 2019, 118, 121). In den Gesetzesmaterialien ist durchgehend von einer "Klarstellung" die Rede (vgl BT-Drucks 18/1311 S 1, 11).
Gemäß § 104 Abs 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (Satz 3). Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 104 Abs 3 SGB X).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs gemäß § 40a Satz 1 SGB II iVm § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X liegen nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 SGG), vor. Die Beklagte und der Beigeladene sind Leistungsträger iS von § 104 Abs 1 SGB X iVm § 12 SGB I, und der Beigeladene hat entsprechend dem für ihn geltenden Leistungsrecht zu Recht Alg II-Leistungen erbracht. Der Kläger hatte gegen den Beigeladenen trotz Bewilligung von Alg durch die Beklagte für Juni 2015 (Änderungsbescheid vom 16.7.2015) weiterhin einen Leistungsanspruch auf Alg II für Juni 2015, schon weil ihm wegen seines am 10.6.2015 endenden Ausbildungsverhältnisses geringeres Einkommen als in den anderen Monaten zugeflossen ist und die Beklagte das Alg zu diesem Zeitpunkt noch nicht gezahlt hatte. Der Anspruch des Klägers auf Alg II ist nicht nachträglich durch die Bewilligung von Alg entfallen, sondern bestand wegen der vorrangigen Pflicht der Beklagten zur Gewährung von Alg nur nachrangig, sodass die Voraussetzungen des § 103 SGB X nicht vorliegen. Die nach § 104 SGB X erforderliche sachliche Kongruenz (vgl zur erforderlichen Gleichartigkeit der Leistungen Senatsurteil vom 12.10.2017 - B 11 AL 20/16 R - SozR 4-4300 § 56 Nr 1 RdNr 19 f) von Alg II und Alg liegt jedenfalls deswegen vor, da beide Leistungen der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts des Leistungsberechtigten dienen. Die Leistungen sind auch in zeitlicher (Juni 2015; siehe zum Monatsprinzip 4.) und persönlicher (Leistung an den Kläger) Hinsicht kongruent.
Der Beigeladene als Grundsicherungsträger ist im Verhältnis zur Beklagten vorliegend der nachrangig verpflichtete Leistungsträger iS von § 104 SGB X (zur Anwendbarkeit des § 104 SGB X bei Vorleistung des Grundsicherungsträgers vgl Senatsurteile vom 23.2.2011 - B 11 AL 15/10 R - SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15 und vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 14; BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18), was bereits die Rechtsgrundverweisung in § 40a Satz 1 SGB II, die Nachrang-Vorschrift des § 5 Abs 1 SGB II (vgl BSG vom 6.11.2008 - B 1 KR 37/07 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 15 RdNr 16) sowie die Anrechnung des Alg als Einkommen nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II (vgl BSG vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 15) deutlich machen.
Die Voraussetzungen des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X liegen ebenfalls vor. Wäre es zu einer rechtzeitigen Auszahlung des Alg im streitigen Zeitraum gekommen, hätte wegen dessen Berücksichtigung als Einkommen eine Verpflichtung des Beigeladenen zur Erbringung von Alg II-Leistungen nicht in der gewährten Höhe bestanden, denn dann wäre Alg dem Kläger noch im Juni 2015 zugeflossen. Dabei kommt es - anders als das LSG meint - nicht darauf an, dass dies der üblichen Zahlungspraxis der Beklagten entspricht, sondern aufgrund der gesetzlichen Regelung geboten ist. Alg-Leistungen werden nach § 337 Abs 2 SGB III - hier in der Fassung vom 3.4.2013 - in Abweichung von § 41 SGB I "monatlich nachträglich ausgezahlt". Nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck des Alg als für einen konkreten Monat ausgezahlte Leistung muss es den Leistungsempfängern am Ende des betreffenden Monats noch zufließen (siehe auch BT-Drucks 15/1831 S 6; BT-Drucks 17/3283; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 RdNr 499 mit Verweis auf die fachlichen Hinweise der BA zu § 11 SGB II, Stand Dezember 2019). Soweit vertreten wird, Alg müsse erst am Tag nach dem Monatsende auf dem Konto der Leistungsberechtigten verfügbar sein (vgl Kallert in BeckOGK, § 337 SGB III RdNr 26, Stand 1.12.2019; Luik in Eicher/Schlegel, SGB III, § 337 RdNr 40, Stand April 2017; Schaumberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 337 RdNr 86) steht dem entgegen, dass § 337 Abs 2 SGB III die Formulierung "nach Ablauf des Zahlungszeitraums" der Vorgängervorschrift des § 122 AFG (außer Kraft am 1.1.1998 durch Art 82 Abs 1 des Gesetzes vom 24.3.1997, BGBl I 594), nicht beibehalten hat, was entstehungsgeschichtlich auf einen geforderten Auszahlungszeitpunkt schon am Monatsende hindeutet. § 337 SGB III entspricht damit auch nicht mehr § 614 Satz 2 BGB, wonach im Arbeitsverhältnis eine Vergütung, die nach Zeitabschnitten bemessen ist, (erst) nach dem Ablauf dieses Zeitabschnitts zu entrichten ist.
Entgegen der Auffassung der Revision entfällt die Nachrangigkeit der Leistungen des Beigeladenen nicht dadurch, dass die Höhe der zu beanspruchenden Alg II-Leistungen vorliegend die Höhe des Alg übersteigt, der Kläger also zusätzlich zu seinem Alg "aufstockend" einen Anspruch auf Alg II hat. Die Ausnahmeregelung des § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X, nach der ein Erstattungsanspruch nicht besteht, "soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen", greift vorliegend nicht. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, wird bereits aus dem Wort "soweit" deutlich, dass lediglich in Höhe der Differenz der beteiligten Leistungsansprüche kein Rangverhältnis besteht (so auch Böttiger in LPK-SGB X, 5. Aufl 2019, § 104 RdNr 30; Roos in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 104 RdNr 16). Damit bewirkt die Regelung eine Begrenzung des Umfangs des Erstattungsanspruchs in den sogenannten Aufzahlungs- oder Aufstockerfällen, sodass hinsichtlich des Aufzahlungsbetrags weiterhin ein Anspruch des Leistungsempfängers gegen den nachrangigen Leistungsträger besteht (vgl Senatsurteil vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 17; BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18). § 104 Abs 1 Satz 3 SGB X bezieht sich allein auf die - hier nicht gegebene - Situation unabhängig voneinander bestehender Leistungspflichten, bei denen kein Fall des doppelten Bezugs von kongruenten Leistungen vorliegt (so beispielsweise bei einem Anspruch auf Sozialgeld anstelle des gezahlten Alg II, vgl BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 9/12 R - SozR 4-1300 § 104 Nr 5 RdNr 44 f).
4. Der Erstattungsanspruch des Beigeladenen besteht auch - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - in Höhe der vollständigen von der Beklagten für die Zeit vom 11.6. bis 30.6.2015 bewilligten Alg-Leistungen (527,60 Euro).
Der Umfang der Erstattungsansprüche der §§ 102 ff SGB X wird von zwei "Eckpfeilern" bestimmt: Zum einen soll der erstattungsberechtigte Leistungsträger im Wege des Erstattungsanspruchs nicht mehr erhalten können, als er selbst dem Sozialleistungsempfänger an Leistungen erbracht hat, und zum anderen soll der erstattungspflichtige Leistungsträger nicht mehr erstatten müssen, als er nach dem für ihn maßgebenden Recht zu leisten gehabt hätte (vgl § 103 Abs 2, § 104 Abs 3, § 105 Abs 2 und § 106 Abs 3 SGB X). Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist demnach begrenzt durch das, was der erstattungspflichtige Träger jeweils selbst unmittelbar dem Berechtigten gegenüber zu leisten gehabt hätte (vgl BSG vom 22.5.1985 - 1 RA 45/84 - BSGE 58, 128, 133 = SozR 1300 § 103 Nr 4 S 20; BSG vom 30.5.2006 - B 1 KR 17/05 R - SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 45; Kater in BeckOGK, § 104 SGB X RdNr 53, Stand 1.8.2022; Roos in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 104 RdNr 20; P. Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 104 RdNr 76, Stand Juli 2021).
Gemäß § 104 Abs 3 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Der nachrangig verpflichtete Leistungsträger hat im Hinblick auf § 104 Abs 3 SGB X grundsätzlich die Entscheidung des vorrangigen Leistungsträgers nach Grund und Höhe zu akzeptieren (BSG vom 25.1.1994 - 7 RAr 42/93 - BSGE 74, 36, 39, 43 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8 S 18, 23), die sich nach dessen Bewilligungsbescheid gegenüber dem Leistungsempfänger bestimmt und vorliegend im streitigen Zeitraum 26,38 Euro pro Tag, dh insgesamt 527,60 Euro beträgt.
Soweit der Umfang des Erstattungsanspruchs auch durch die Zeitdauer bestimmt wird, für die er besteht (Überschneidungszeitraum), ist bei der Erstattung von Alg II-Leistungen auf den Monat als Bezugsgröße abzustellen. Dem steht nicht entgegen, dass Alg nach § 154 Satz 1 SGB III für Kalendertage berechnet und geleistet wird, denn die Auszahlung erfolgt nach § 154 Satz 2 iVm § 337 Abs 2 SGB III monatsweise. Aus dem Verweis auf § 104 Abs 3 SGB X lässt sich damit - entgegen der Auffassung der Revision - nicht zwingend auf eine klar aus dem Wortlaut des § 104 Abs 1 und 3 SGB X folgende tageweise Betrachtungsweise bei der Erstattung von Alg II durch die Beklagte schließen. Die für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften des SGB III umfassen sowohl das Kalendertagsprinzip (Berechnung und Leistung) als auch das Monatsprinzip (Auszahlung). So hat das BSG eine monatsweise Gegenüberstellung auch bei Renten und Kinderzuschüssen angenommen, die als Jahresbeträge errechnet und in monatlichen Teilbeträgen zu zahlen waren (vgl BSG vom 22.5.1985 - 1 RA 45/84 - BSGE 58, 128, 132 = SozR 1300 § 103 Nr 4 S 20).
Kein anderes Ergebnis ergibt sich aus dem Umstand, dass der Alg-Anspruch hier nur für einen Teil des Monats besteht und damit im streitigen Zeitraum abweichende Zeiteinheiten (Tage/Monate) vorliegen. Eine Berechnung der Erstattungshöhe nach der kleineren Einheit (vgl Lehmann, info also 2021, 250, 252 ff; P. Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Vorbemerkungen zu §§ 102 bis 114 RdNr 71, Stand August 2022; Kater in BeckOGK, § 104 SGB X RdNr 56, Stand 1.8.2022) folgt daraus nicht. Die Regelung des § 104 Abs 3 SGB X zielt darauf ab, die Höhe des Erstattungsanspruchs auf den Leistungsumfang festzulegen bzw zu begrenzen, den der erstattungspflichtige Träger jeweils selbst hätte erbringen müssen (BT-Drucks 9/95 S 25 zu § 110). Der von der Beklagten zu leistende Betrag bleibt sowohl bei einer tageweisen als auch bei einer monatsweisen Gegenüberstellung gleich. Allerdings hätte eine tageweise Gegenüberstellung zur Folge, dass die von den §§ 102 ff SGB X bezweckte Vermeidung von Doppelleistungen insoweit unterlaufen würde, als der Kläger Leistungen (hier iHv 157,37 Euro) erhielte, die ihm bei rechtzeitiger Leistung der Beklagten nicht zugestanden hätten. Wie sich aus dem Wortlaut des § 104 Abs 1 Satz 2 SGB X ergibt, soll demgegenüber aber der nachrangig verpflichtete Leistungsträger - hier der Beigeladene - im Nachhinein so gestellt werden, wie er gestanden hätte, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger - hier die Beklagte - rechtzeitig von Anfang an geleistet hätte (vgl Bienert, info also 2019, 118, 121). Das für die Leistungsberechnung nach dem SGB II geltende Monatsprinzip (§ 41 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB II), bei dem auch ein nur für einen Teilzeitraum des Monats bezogenes Einkommen für den Bedarf des gesamten Monats berücksichtigt wird (§ 11 Abs 2 SGB II), muss deshalb nach dem Normzweck des § 104 SGB X auch für die "Rückabwicklung" im Rahmen des Erstattungsanspruchs gelten, da nur so nachträglich die Berücksichtigung des Alg entsprechend den §§ 11 ff SGB II als Einkommen erfolgen kann.
5. Wegen dieses Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X sind die Alg II-Leistungen des Beigeladenen - auch in der von der Beklagten angenommenen Höhe von 527,60 Euro - als rechtmäßige Zahlung von Alg anzusehen (vgl BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 20), sodass der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte nach § 107 SGB X als erfüllt gilt und kein Anspruch des Klägers auf Auszahlung von weiterem Alg besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG.
Meßling B. Schmidt Söhngen
Fundstellen
BSGE 2024, 143 |
SGb 2023, 44 |
SGb 2023, 585 |
Breith. 2023, 1002 |
info-also 2023, 128 |
info-also 2023, 284 |