Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Landessozialgericht Berlin vom 27. März 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 1994 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1992 wird aufgehoben, soweit darin die Bewilligung einer befristeten erweiterten Versorgung für die Zeit vom 1. Dezember 1991 bis zum 31. März 1992 aufgehoben und dem Kläger aufgegeben worden ist, 6.428,00 DM zu erstatten. Ferner wird die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. März 1995 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des erstinstanzlichen und des Berufungsverfahrens zu einem Drittel und diejenigen des Revisionsverfahrens in vollem Umfang zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob die Beklagte die Bewilligung einer befristeten erweiterten Versorgung (beV) rückwirkend zum 1. Dezember 1991 aufheben und dem Kläger aufgeben durfte, den Wert der seitdem bis einschließlich März 1992 überwiesenen Rentenbeträge von insgesamt 6.428,00 DM zurückzuzahlen.
Der im Mai 1937 geborene Kläger leistete von Mai 1955 bis September 1958 Wehrdienst bei der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) N., trat zum 1. August 1959 in den Dienst der Kriminalpolizei des Ministeriums des Innern (MdI) der früheren DDR und war dort bis zu seinem Ausscheiden am 31. August 1990, zuletzt als Kriminaloberrat, beim Zentralen Kriminalamt der früheren DDR beschäftigt. Seit Mai 1955 war er ferner für das MfS bis zu dessen Auflösung tätig, und zwar seit dem 28. Januar 1960 als Offizier in besonderem Einsatz (OibE) mit dem Dienstgrad eines Oberstleutnants; seine MfS-Dienststelle war die Hauptabteilung VII (Abwehrarbeit MdI/DVP).
Der Bundesminister des Innern (BMI) bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 29. Oktober 1990 rückwirkend zum 1. September 1990 eine beV in Höhe von monatlich 1.607,00 DM.
Mit Anschreiben vom 12. November 1991 forderte der BMI den Kläger unter Hinweis auf das vom Deutschen Bundestag am 7. November 1991 beschlossene Gesetz zur Änderung des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) u.a. auf zu erklären, ob er für das MfS/Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) als hauptberuflicher Mitarbeiter, z.B. als OibE tätig gewesen sei. In dem Anschreiben heißt es, der BMI mache „darauf aufmerksam, daß die Gewährung der Versorgungsleistung unter dem Vorbehalt der termingemäßen Rücksendung der Anlage und der Richtigkeit der vom Kläger gemachten Angaben erfolge”. Ferner heißt es in dem Fragebogen, daß „die weitere Gewährung der Versorgungsleistung unter dem Vorbehalt der Richtigkeit der gemachten Angaben erfolge”. Unter dem 25. November 1991 verneinte der Kläger eine hauptberufliche Tätigkeit als OibE für das MfS. Bei einem Anhörungsgespräch am 13. Februar 1992 räumte der Kläger ein, beim MdI als OibE eingesetzt worden und dabei Angehöriger des MfS mit allen Rechten und Pflichten geblieben zu sein.
Der BMI verfügte mit dem streitigen Bescheid vom 28. Februar 1992, der dem Kläger am 3. März 1992 bekanntgegeben wurde, die beV werde mit Wirkung ab 1. Dezember 1991 eingestellt, der Rentenbescheid vom 29. Oktober 1990 mit Wirkung ab 1. Dezember 1991 aufgehoben und die Überzahlung von Dezember 1991 bis März 1992 in Höhe von 6.428,00 DM zurückgefordert. Zur Begründung verwies die Beklagte auf § 13 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebietes (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz ≪AAÜG≫) i.d.F. des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des RÜG (RÜG-ÄndG) vom 18. Dezember 1991 (BGBl. I 2207).
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat durch Urteil vom 11. August 1994 den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1992 insoweit aufgehoben, als mit ihm eine Rückforderung in Höhe von 6.428,00 DM geltend gemacht wird, und die Klage im übrigen abgewiesen. Die Einstellung der Zahlung sei nach der verfassungsgemäßen Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG nicht zu beanstanden. Der Erstattungsbescheid sei hingegen rechtswidrig, weil die Beklagte trotz des Wortlauts des § 50 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht von einer Ermessensausübung befreit gewesen sei, Ermessen jedoch nicht betätigt habe. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen dahingehend geändert, daß die Klage gegen den Bescheid vom 28. Februar 1992 auch insoweit abgewiesen wird, als darin die Rückforderung der beV für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1992 geltend gemacht wird. Im übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 27. März 1995). Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Berufung der Beklagten sei hinsichtlich der Rückforderung für den Monat Dezember 1991 unbegründet, weil die Einstellung nicht rückwirkend ab 1. Dezember 1991 habe erfolgen dürfen. § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG schreibe die Einstellung der Leistungen erst ab 1. Januar 1992 vor und biete im übrigen keine Rechtsgrundlage für eine Rückforderung. § 50 SGB X und die anderen Vorschriften dieses Gesetzbuches seien nicht anwendbar; das gelte auch für den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch. Von der Ermächtigung in § 16 Abs. 3 AAÜG hätten die Verordnungsgeber erst mit der Verordnung über nicht überführte Leistungen der Sonderversorgungssysteme der DDR (SVersLV) vom 26. Juni 1992 (BGBl. I 1174) mit Wirkung ab 1. Juli 1992 Gebrauch gemacht. Hingegen sei die Zahlungseinstellung ab 1. Januar 1992 rechtmäßig. Insoweit dürfe die Beklagte die Überzahlungen auch zurückfordern, weil sie die beV ab Januar 1992 nur unter Vorbehalt gewährt habe. Sie sei berechtigt gewesen, im Schreiben vom 6. November 1991 zu verfügen, daß die Leistung künftig unter dem Vorbehalt der Richtigkeit der vom Kläger gemachten Angaben erfolge. Die Rückforderung stelle auch keine unbillige Härte dar.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision begehrt der Kläger eine Überprüfung des Urteils des LSG, soweit dieses die Aufhebung der Leistungsbewilligung und die Festsetzung der zu erstattenden Leistung für den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1992 für rechtmäßig erachtet hat. Er meint, der Bewilligungsbescheid vom 29. Oktober 1990 sei nicht kraft Gesetzes, sondern durch den streitigen Bescheid aufgehoben worden. Gleichwohl seien auch bei zwingender Anwendung des § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG die Grundsätze des § 48 SGB X einzuhalten gewesen. Diese Vorschrift sei anwendbar, wie sich auch der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entnehmen lasse. Die Voraussetzung für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung, d.h. für Bezugszeiten bis zum 31. März 1992, finde jedoch in § 48 SGB X keine Stütze. Die Anordnung eines Vorbehaltes sei rechtswidrig gewesen und könne den streitigen Bescheid nicht tragen. Im übrigen sei zu berücksichtigen, daß der Kläger rechtzeitig Arbeitslosengeld beantragt und erhalten hätte, falls ihm die Entziehung der beV ab Januar 1992 rechtsverbindlich früher mitgeteilt worden wäre. Wegen des Vorbringens des Klägers im übrigen wird auf den Schriftsatz vom 15. Mai 1995 (Bl 8 bis 21 BSG-Akte) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 27. März 1995 und des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 1994 abzuändern und den streitigen Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1992 aufzuheben, soweit darin die Bewilligung einer befristeten erweiterten Versorgung vom 29. Oktober 1990 für Bezugszeiten auch vom 1. Januar 1992 bis zum 31. März 1992 aufgehoben und angeordnet worden ist, der Kläger müsse für diese Zeit 6.428,00 DM erstatten.
Ferner beantragt der Kläger,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Revision vor, das Urteil des LSG verletze § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG und die §§ 45 ff SGB X. Entgegen der Ansicht des LSG schreibe § 13 Abs. 1 AAÜG zwingend vor, die Zahlungen rückwirkend zum 1. Dezember 1991 einzustellen. Unzutreffend sei das LSG auch davon ausgegangen, die Vorschrift böte keine Grundlage für die Rückforderung. Der vom BSG für die §§ 10, 11 AAÜG anerkannte Regelungszweck liege auch dem § 13 AAÜG zugrunde. Eine vom Gesetzgeber beabsichtigte materiell-rechtliche Anpassung solle uneingeschränkt zu einem bestimmten Zeitpunkt wirksam gemacht werden. Dies könne nicht erreicht werden, wenn § 13 AAÜG nicht auch als Grundlage für die Rückforderung gleichwohl überzahlter Beträge in Betracht komme. Andernfalls müsse § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X angewandt werden. Die Unanwendbarkeit von § 48 SGB X bleibe unberührt. Ermessens- oder Billigkeitserwägungen, wie sie in § 9 SVersLV vorgesehen seien, hätten nicht angestellt werden müssen, weil die Verordnung erst zum 1. Juli 1992 in Kraft getreten sei. Schließlich greife auch der vom Kläger mit seiner Unterschrift unter dem Fragebogen vom 25. November 1991 anerkannte Vorbehalt ein.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. März 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 1994 abzuändern und die Klage gegen den Bescheid vom 28. Februar 1992 in vollem Umfang abzuweisen,
ferner,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revisionen sind zulässig, die des Klägers ist begründet, diejenige der Beklagten hingegen nicht.
A: Im Rahmen beider Revisionen hat das BSG beide vom Kläger zur gerichtlichen Entscheidung gestellten Streitgegenstände in vollem Umfang zu prüfen. Sein – prozeßrechtlich maßgebliches (§ 123 SGG) – Klagebegehren war darauf gerichtet, das SG solle die für die Erstattungspflicht vorgreifliche Entscheidung der Beklagten über die Aufhebung der Bewilligung der beV für den noch streitigen Zeitraum vom 1. Dezember 1991 bis zum 31. März 1992 und das hiervon abhängige Gebot, 6.428,00 DM zu erstatten, aufheben. Die vorinstanzlichen Urteile lassen erkennen, daß über beide Streitgegenstände entschieden worden ist. Gegen die Zulässigkeit der beiden in statthafter Klagehäufung erhobenen isolierten Anfechtungsklagen bestehen keine Bedenken.
Gegenstände (i.S. von § 95 SGG) revisionsgerichtlicher Prüfung sind die beiden in dem streitigen Bescheid vom 28. Februar 1992 enthaltenen Verwaltungsakte. Die in der Kompetenz des Revisionsgerichts liegende Auslegung des rechtlichen Gehalts dieses Schreibens der Beklagten ergibt nämlich, daß sie zwei rechtliche Regelungen und außerdem eine Verhaltensankündigung verlautbart hat. Mit der Erklärung, sie werde die Zahlung der Rente „einstellen”, hat sie lediglich ein schlichtes Verwaltungshandeln angekündigt, nämlich ein „reales Unterlassen”; dieses besteht nur darin, die für die Überweisung des Geldbetrages erforderlichen Handlungen nicht mehr vorzunehmen. Insoweit liegt kein Verwaltungsakt i.S. von § 31 SGB X vor (ständige Rechtsprechung, stellvertretend BSGE 75, 262, 269 = SozR 3-8560 § 26 Nr. 2). Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 29. Oktober 1990 ist ein – belastender – Verwaltungsakt. Schließlich verdeutlicht die Formulierung, die sich aus der Aufhebung der Rentenbewilligung „ab Dezember 1991 bis März 1992 ergebende Überzahlung in Höhe von 6.428,00 DM werde zurückgefordert”, daß dies keine – rechtlich unverbindliche – bloße Zahlungsaufforderung, sondern eine Verfügung, d.h. das Gebot ist, 6.428,00 DM an die Beklagte zu zahlen.
B: Die Beklagte war zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 29. Oktober 1990 nur für – nicht mehr streitige – Bezugszeiten ab April 1992 ermächtigt:
Sie hat als zuständiger Versorgungsträger (§ 8 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 9 Abs. 3 Satz 1 und 2 AAÜG) den Verwaltungsakt nach der gebotenen (ständige Rechtsprechung seit BSGE 72, 50, 57 = SozR 3-8570 § 10 Nr. 1) Anhörung gemäß § 24 SGB X und ohne die Aufhebbarkeit des Verwaltungsaktes nach § 42 Satz 1 SGB X bewirkende Verfahrensfehler formgerecht durch „Bescheid”, d.h. in Schriftform, erlassen. Für die Aufhebung der Rentenbewilligung als Eingriff in ein zuerkanntes Recht bedurfte sie wegen des hierfür gültigen rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehaltes sowie der einfachgesetzlichen Vorbehalte aus § 77 SGG und § 31 SGB X einer gesetzlichen Ermächtigung (stellvertretend BSGE 72, 50, 55, 59 m.w.N.).
Einzig anwendbare Ermächtigungsgrundlage ist § 48 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift muß der zuständige Verwaltungsträger einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dem Erlaß des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt; nur unter den Voraussetzungen des Satzes 2 Nrn 1 bis 4 a.a.O. soll der Verwaltungsakt (höchstens) mit Wirkung vom. Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden.
1. Das Erste Kapitel des SGB X ist anwendbar. Hierfür war eine ausdrückliche Anordnung im AAÜG nicht erforderlich. Nach dem Einigungsvertrag (EinigVtr – im folgenden: EV) Anl. I Kap VIII Sachgebiet D Abschn. III Nr. 2 gilt das Erste Kapitel des SGB X – jedenfalls – seit dem 1. Januar 1991 u.a. für den Sachbereich der Rentenversicherung i.S. des EV. Hierzu zählen nach ständiger Rechtsprechung des BSG (seit BSGE 72, 50) alle – aus der Sicht des Bundesrechts – öffentlich-rechtlichen Regelungen, die thematisch dem Rentenversicherungsrecht des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) entsprechen oder vom EV in einen inneren, sachlichen Zusammenhang mit diesem gestellt worden sind. Dies gilt insbesondere für Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, die im EV Anl. II Kap VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 9 (EV Nr. 9) geregelt worden sind. EV Nr. 9 Buchst. e hat einen inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den nicht in die Rentenversicherung des SGB VI überführbaren Versorgungsansprüchen (z.B. Übergangsrenten, befristete erweiterte Versorgung) und den Ansprüchen wegen Alters, verminderter Erwerbsfähigkeit und Todes hergestellt. EV Nr. 9 bestimmt ferner, daß die Versorgungssysteme und ihre leistungsrechtlichen Regelungen von den „jeweiligen Funktionsnachfolgern gemäß Art. 13 EV” (für eine Übergangszeit) weitergeführt werden sollen. Dadurch waren auch diejenigen Versorgungsträger, die bei der Verwaltung ihrer übrigen Aufgaben nicht an das SGB X gebunden waren, bei Erfüllung ihrer Aufgaben als Funktionsnachfolger in den Versorgungssystemen dem Verfahrensrecht des SGB X unterstellt. Das AAÜG hat auch den Versorgungsträgern, die im übrigen nicht an das SGB X gebunden waren, die Entscheidung über Vorfragen der eigentlichen Rentenüberleitung (sog Feststellung und Begrenzung der Arbeitsentgelte – § 8 Abs. 2 und 3 AAÜG) oder über die Kürzung zuerkannter Ansprüche (§ 10 Abs. 5 und § 11 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 Satz 5 AAÜG) sowie die Verwaltung von Versorgungsleistungen übertragen, die nicht in die Rentenversicherung überführt werden konnten. Das Verwaltungsverfahrensrecht des Ersten Kapitels des SGB X unterscheidet sich von dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und den entsprechenden Regelungen der Länder vor allem in den Bestimmungen über die Anhörung vor Erlaß eingreifender Verwaltungsakte sowie über die Aufhebung von Verwaltungsakten und die Erstattung von zu Unrecht erbrachten Leistungen. Mit dem Gebot gleicher Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz ≪GG≫) wäre es unvereinbar gewesen, die Versorgungsberechtigten je nach dem zuständigen Versorgungsträger inhaltlich unterschiedlichem Verwaltungsverfahrensrecht sowie materiell unterschiedlich ausgestalteten Eingriffsermächtigungen zu unterwerfen. Folgerichtig wurde in §§ 8 Abs. 3 Satz 2, 10 Abs. 5, 11 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 Satz 5 AAÜG insoweit ausdrücklich die Anwendung des SGB X für alle Versorgungsträger vorgeschrieben. Das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vom 23. Juni 1994 (BGBl. I 1311) hat die Maßgeblichkeit des SGB X für das Verfahrens- und Eingriffsrecht der Versorgungsträger i.S. von § 8 Abs. 4 AAÜG durch Einfügung des Satzes 2 in § 9 Abs. 1 AAÜG bestätigt. Nach dieser Vorschrift sind für die in die Rentenversicherung nicht überführten Versorgungsleistungen „die Vorschriften des Ersten Buches Sozialgesetzbuch entsprechend anzuwenden”. Somit gilt auch § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) „entsprechend”. Danach gelten das SGB I und das SGB X für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuches, soweit sich aus den übrigen Büchern Abweichendes nicht ergibt. Die Anordnung „entsprechender” Anwendung u.a. des SGB X berücksichtigt sachlich zutreffend, daß die in § 9 AAÜG geregelten Versorgungsleistungen aus dem SGB nicht begründbar, sondern nur auf der Grundlage der nachgehenden Fürsorgepflicht der Funktionsnachfolger bundesrechtlich anerkannt sind (vgl. BSGE 72, 50, 56).
2. Zu Unrecht meint die Beklagte, § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG habe – als eine § 48 Abs. 1 SGB X verdrängende Spezialvorschrift – sie ermächtigt, die Bewilligungen von Versorgungsleistungen i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 1 a.a.O. – rückwirkend zum 1. Dezember 1991 – aufzuheben, oder diese sogar – sich selbst vollziehend – unmittelbar außer Kraft gesetzt. Beides ist nicht der Fall. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG (Nr. 4 eingefügt durch Art. 1 des RÜG-ÄndG) gilt: „Vom Ersten des auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalendermonats an wird die Zahlung folgender Leistungen eingestellt: Versorgungsleistungen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 a.a.O., denen auch Zeiten einer verdeckten Tätigkeit als hauptberuflicher Mitarbeiter des MfS/AfNS zugrunde liegen; (Nr. 3 2. Halbsatz gilt entsprechend)”.
a) Der Wortlaut des Gesetzes enthält keine Andeutung, dieses selbst solle wirksame Verwaltungsakte aufheben oder die Versorgungsträger, die Adressaten der Norm, dazu ermächtigen. Dem möglichen Wortsinn kann nur die an den Versorgungsträger gerichtete Anordnung entnommen werden, vom Ersten des auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalendermonats an Versorgungsleistungen nicht mehr zu zahlen, falls diese die in Nr. 4 genannten Voraussetzungen erfüllen. § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG enthält darüber hinaus keine Regelung, die sich selbst vollziehen könnte. Dies setzte voraus, daß das, was im Einzelfall zwischen dem Verwaltungsträger und dem Bürger konkret verbindlich gelten soll, sich jedenfalls für die Betroffenen offensichtlich aus dem Gesetzestext ergibt, also keines die besonderen Umstände des Einzelfalles prüfenden Erkenntnisprozesses mehr bedarf. Dies ist schon wegen der Formulierung des Gesetzes zumindest fraglich. Vor allem aber gibt das Gesetz auf, zwischen den Versorgungsberechtigten, welche die ihnen zuerkannte Versorgungsleistung behalten dürfen, und denjenigen zu unterscheiden, die aufgrund ihrer Beschäftigungszeiten/Beschäftigungsart künftig die Leistung nicht mehr erhalten sollen. Es kommt also entscheidend auf individuelle Umstände des Einzelfalles an. Sie festzustellen und die Rechtsfolge verbindlich festzusetzen, ist der Verwaltung vorbehalten. Die Rechtsfolge ergibt sich jedenfalls nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Darüber hinaus ist in verfassungsorientierter Auslegung zu beachten, daß die verbindliche Festsetzung dessen, was im Einzelfall zwischen Bürger und Verwaltung rechtens sein soll, im gewaltenteiligen Rechtsstaat der Verwaltung vorbehalten ist und zum Kernbereich dieser Staatsfunktion gehört. Die im Rechtsstaat gebotene Rechtsklarheit und Rechtssicherheit verlangt grundsätzlich eine Konkretisierung des gesetzlich gestalteten Verwaltungsrechtsverhältnisses durch Verwaltungsakt (oder Vertrag – vgl. schon BSG SozR 1300 § 48 Nr. 57 S 173 f; BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 13 S 19; BSGE 75, 226, 266 = SozR 3-8560 § 26 Nr. 2 S 16; Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, § 12 l Rdnr 5, S 243 ff; Badura, in: Erichsen, a.a.O., § 33 l 1 Rdnr 2, S 417; Maurer, DVBl 1989, 798, 806, jeweils m.w.N.). Nur in Ausnahmefällen, die einer verfassungskräftigen Rechtfertigung bedürfen, sind die Organe der Gesetzgebungsfunktion kompetent, unmittelbar durch Gesetz konkrete Rechte und Pflichten bestimmter Bürger in ihren Rechtsverhältnissen zu bestimmten Verwaltungsrechtssubjekten festzusetzen. Hingegen müssen sie schon bei der Wahl der Handlungsform des Gesetzes die Gleichbehandlung aller Bürger und deren Interesse an einer effektiven Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Rechte, also an effektivem Rechtsschutz, beachten (Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 GG; BVerfGE 49, 252, 257; BVerfGE 44, 302, 306; Papier, in: Isensee/Kirchhof ≪Hrsg.≫, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 154 Rdnr 14 ff; Lorenz, AöR 105 ≪1980≫ 623, 639). Da eine solche verfassungsrechtliche Rechtfertigung hier nicht ersichtlich und auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien im Gesetzgebungsverfahren nicht geprüft worden ist, scheidet eine Auslegung des Gesetzes als eine sich selbst vollziehende Aufhebung von Verwaltungsakten aus (vgl. schon zu § 10 Abs. 1 AAÜG: BVerfG, Beschluß der 3. Kammer des 1. Senats vom 4. Mai 1992 – 1 BvR 1815/91 und Senatsurteil vom 27. Januar 1973, BSGE 72, 50, 57). Einen Selbstvollzug des Gesetzes gibt es auch im Sozialverwaltungsrecht grundsätzlich nicht (näher dazu Senatsurteil vom 16. November 1995 – 4 RK 1/94, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Weil sich die Rentenbewilligung vom 29. Oktober 1990 also nicht „kraft Gesetzes” (und auch nicht auf sonstige Weise) „erledigt” hat, also nicht unwirksam (d.h. nichtig) geworden ist i.S. von § 39 Abs. 2 SGB X, greift die Ermächtigung zur Feststellung der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes und der Beseitigung des durch ihn veranlaßten Rechtscheins aus § 40 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X nicht zugunsten der Beklagten ein. Denn § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG hat die Bewilligung vom 29. Oktober 1990 weder aufgehoben noch außer Kraft gesetzt.
b) Der Wortlaut der Vorschrift enthält ferner keine Andeutung, den Versorgungsträgern solle die Befugnis erteilt werden, Bewilligungen von Versorgungsleistungen i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 1 AAÜG aufzuheben. Denn die Anordnung; bewilligte Ansprüche auf Versorgungsleistungen bei Vorliegen der in Nr. 4 a.a.O. genannten Voraussetzungen nicht mehr zu erfüllen, bedeutet weder nach allgemeinem noch nach juristischem Sprachgebrauch die Zuweisung der Rechtsmacht, die sich aus dem begünstigenden Verwaltungsakt ergebenden Ansprüche durch Aufhebung des Verwaltungsaktes zu vernichten. Es bedarf keiner Darlegung, daß in dem dem rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalt unterliegenden Eingriffsrecht nicht von der gesetzlichen Zuweisung einer Aufgabe auf die Verleihung einer Ermächtigung zu Eingriffen geschlossen werden darf (Verbot des Schlusses von der Aufgabe auf die Befugnis). Erst recht scheidet eine richterrechtliche Begründung von Eingriffsermächtigungen aus.
§ 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG hat vielmehr ausschließlich materiell-rechtliche Bedeutung, d.h. er ändert die gesetzliche Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Versorgungsleistung. Ansprüche und Anwartschaften auf Versorgungsleistungen, welche die Voraussetzungen der Nr. 4 a.a.O. erfüllen, aber – anders als im vorliegenden Fall – durch Verwaltungsakt (oder Vertrag) noch nicht konkretisiert worden sind, werden „eingestellt”, d.h. unmittelbar durch Gesetz aufgehoben (so schon der Senat in BSGE 72, 50, 61). Die Änderung oder Aufhebung einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage hat jedoch keine Auswirkung auf die Wirksamkeit eines begünstigenden Verwaltungsaktes (oder eines verwaltungsrechtlichen Vertrages), der auf der Grundlage des bislang maßgeblichen materiellen Rechts wirksam erlassen worden ist. Wie gerade auch die Regelungen der §§ 44 ff, insbesondere des § 48 SGB X zeigen, bildet der Verwaltungsakt eine wirksame und rechtsbeständige Anspruchsgrundlage gerade auch dann, wenn die ihm zugrundeliegende materiell-rechtliche Norm nachträglich geändert wird. Der mit ihm bewilligte Anspruch bleibt grundsätzlich – mit der Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) durchsetzbar – bestehen, solange und soweit der begünstigende Verwaltungsakt nicht wirksam aufgehoben wird. § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG beschränkt sich also darauf, die materiell-rechtlichen Bestimmungen über die Gewährung der dort genannten Versorgungsleistungen zu ändern. Das AAÜG hat – entgegen der Ansicht der Beklagten – den Versorgungsträgern für die Umsetzung dieser materiell-rechtlichen Änderungen keine besonderen Eingriffsbefugnisse verliehen. Anders als in den vergleichbaren materiell-rechtlichen Regelungen (z.B. in § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 AAÜG) hat das Gesetz dem § 13 AAÜG keine der besonderen Eingriffsermächtigung in § 10 Abs. 5 AAÜG entsprechende Regelung beigefügt und auch nicht, anders als in § 11 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 Satz 5 a.a.O., auf § 10 Abs. 5 AAÜG verwiesen. Dies bekräftigt, daß § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG nur eine materiell-rechtliche Regelung enthält, für deren Umsetzung der Verwaltung die ihr allgemein zugewiesenen gesetzlichen Eingriffsermächtigungen zur Verfügung stehen.
§ 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG verdrängt also § 48 Abs. 1 SGB X als Eingriffsermächtigung nicht.
3. Der BMI war auch nicht aufgrund des von ihm angesprochenen Vorbehaltes in seinem Schreiben vom 12. November 1991, das der Kläger am 25. November 1991 – unwahr – beantwortet hat, zur Aufhebung der Rentenbewilligung befugt:
Die Auslegung des rechtlichen Gehalts des Schreibens des BMI ergibt, daß es sich um eine – inhaltlich unzutreffende – Wissensmitteilung, nicht um die ihrer Rechtsnatur nach den Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes darstellende nachträgliche Beifügung einer Nebenbestimmung handelt. Die Beklagte hat nämlich den Kläger „darauf aufmerksam” gemacht, die Gewährung der Versorgung stehe unter dem Vorbehalt der termingemäßen Rücksendung der Anlage und der Richtigkeit der Angaben. In keinem dem Kläger zuvor erteilten Bescheid gab es einen derartigen Vorbehalt. Aus der hier maßgeblichen Sicht eines verständigen, an Treu und Glauben orientierten Adressaten, der im Zweifel davon ausgeht, daß die Behörde sich rechtmäßig verhalten will, liegt es nahe, dem Schreiben die Bedeutung zu entnehmen, der BMI wolle keine Regelung i.S. eines belastenden Verwaltungsaktes treffen; anzunehmen ist, die Behörde habe nur auf die Rechtslage „aufmerksam machen”, d.h. über die bestehende Rechtslage belehren wollen. Würde hingegen dieser Hinweis als nachträgliche Änderung der Rentenbewilligung durch Beifügung eines Rücknahmevorbehalts verstanden, wäre dieser Verwaltungsakt nach ständiger Rechtsprechung des BSG, deren Maßgeblichkeit für den gesamten Bereich des Rentenüberleitungsrechts (EV Nr. 9) der Senat bereits betont hat (BSGE 72, 50, 55 durch Bezugnahme u.a. auf BSG SozR 3-1300 § 32 Nrn 2, 4; SozR 3-1200 § 42 Nr. 2) offensichtlich rechtswidrig.
Für diesen belastenden Verwaltungsakt gäbe es keine Ermächtigungsgrundlage. § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG verleiht als ausschließlich materiell-rechtliche Regelung keine Eingriffsbefugnisse. Spezielle Eingriffsermächtigungen gibt es nicht. Da auf beV ein Rechtsanspruch besteht, durften gemäß § 32 Abs. 1 SGB X dem Rentenbewilligungsbescheid Nebenbestimmungen nur beigefügt werden, wenn sie unter Wahrung des Zweckes der Rentenbewilligung (Abs. 3 a.a.O.) sicherstellen sollen, daß die Bewilligung bei Eintritt ihrer inneren Wirksamkeit mit der Rechtsordnung übereinstimmt. Nach Erlaß eines solchen Verwaltungsaktes, d.h. also nach Eintritt seiner äußeren Wirksamkeit mit seiner Bekanntgabe, darf einem solchen Verwaltungsakt eine Nebenbestimmung deswegen nur noch bis zum Eintritt seiner inneren Wirksamkeit beigefügt werden. Wird hingegen die Nebenbestimmung erst beigefügt, wenn der Regelungsinhalt des Verwaltungsaktes in Kraft getreten ist, bedeutet dies die Aufhebung des Verwaltungsaktes und seinen Wiedererlaß mit der Nebenbestimmung (so auch Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rdnr 64; HJ Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, § 47 Rdnr 25). Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil der einem leistungsbewilligenden Verwaltungsakt rechtswidrig beigefügte Vorbehalt nicht zu Lasten des Begünstigten vollzogen werden darf (BSG SozR 3-1300 § 32 Nr. 2 S 23 m.w.N.).
Der vom BMI angesprochene Vorbehalt kann somit die Anwendung von § 48 Abs. 1 SGB X nicht hintanhalten.
4. Auch § 9 SVersLV vom 26. Juni 1992 (BGBl. I S 1174) enthält keine, insbesondere keine spezielle oder sonst vorrangige Ermächtigungsgrundlage zur Aufhebung der Bewilligung vom 29. Oktober 1990. Diese Rechtsverordnung ist am 30. Juni 1992 im BGBl. verkündet worden und gemäß § 11 a.a.O. mit Wirkung vom 1. Juli 1992 in Kraft getreten; sie hat sich keine Rückwirkung beigelegt. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SVersLV sind zuviel gezahlte Versorgungsleistungen zu erstatten. In Satz 2 a.a.O. werden Regelbeispiele für zuviel gezahlte Versorgungsleistungen und darunter (Nr. 2 a.a.O.) auch Versorgungsleistungen genannt, die nach § 13 AAÜG einzustellen sind. Nach § 9 Abs. 2 SVersLV kann in den Fällen des Abs. 1 „von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der jeweils zuständigen obersten Dienstbehörde oder einer von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden”. Augenfällig enthält diese Verordnung nähere Regelungen nur über die Rückforderung von Versorgungsleistungen. Versorgungsleistungen, die aufgrund wirksam gebliebener Verwaltungsakte erbracht worden sind, sind aber, solange der begünstigende Verwaltungsakt nicht aufgehoben worden ist, niemals zuviel gezahlt worden. § 9 SVersLV enthält also schon nach seinem thematischen Geltungsbereich keine Ermächtigung zur Aufhebung von Versorgungsleistungen bewilligenden Verwaltungsakten. § 48 Abs. 1 SGB X wird also nicht verdrängt.
5. Die Beklagte war nach Maßgabe von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur befugt (und verpflichtet), die Bewilligung der beV mit Wirkung für die Zukunft, d.h. für Bezugszeiten nach Bekanntgabe des streitigen Bescheides (am 3. März 1992), also ab April 1992, aufzuheben. Darüber streiten die Beteiligten nicht. Hingegen war sie nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht ermächtigt, die Bewilligung der beV rückwirkend, d.h. für die streitigen Bezugszeiten vom 1. Dezember 1991 bis zum 31. März 1992, aufzuheben.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X lagen zum 1. Januar 1992 vor:
a) Mit Ablauf des 31. Dezember 1991 ist gegenüber den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses des begünstigenden Verwaltungsaktes nachträglich eine wesentliche materiell-rechtliche Änderung eingetreten. Denn ab 1. Januar 1992 konnten die in § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG genannten Versorgungsleistungen (auf gesetzlicher Grundlage) nicht mehr beansprucht werden, falls ihnen „auch Zeiten einer verdeckten Tätigkeit als hauptberuflicher Mitarbeiter des MfS/AfNS zugrunde lagen”.
aa) Diese Rechtsänderung ist – entgegen der Ansicht der Beklagten – zum 1. Januar 1992 eingetreten:
Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 6 Buchst. c RÜG-ÄndG in das AAÜG eingefügt. Äußere Wirksamkeit erlangte dieses Gesetz und damit die in Nr. 4 a.a.O. geregelte Ergänzung des § 13 AAÜG zum Zeitpunkt der Verkündung des RÜG-ÄndG im BGBl. am 24. Dezember 1991. Nach Art. 3 RÜG-ÄndG trat dieses Gesetz (mit Ausnahme des Art. 1 Nr. 5 Buchst. a) „mit Wirkung vom 1. Dezember 1991 in Kraft”. Dies bedeutet aber nicht, daß auch § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG in „echter Rückwirkung”, d.h. unter „Rückbewirkung von Rechtsfolgen”, zum 1. Dezember 1991 (oder sogar zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG zum 1. August 1991) innere Wirksamkeit erlangt hätte. Rechtsnormen werden nämlich erst zum Zeitpunkt ihrer Verkündung existent; sie ist letzter und unverzichtbarer Akt des Rechtsetzungsverfahrens (BVerfGE 63, 343, 353 f; 72, 200, 241; BSG SozR 3-4100 § 45 Nr. 3). Sie erlangen erst mit der amtlichen Bekanntgabe des Gesetzeswortlautes durch die Ausgabe des Gesetzblattes und dem Inverkehrbringen des ersten Stücks der jeweiligen Nr. des Gesetzblattes äußere Wirksamkeit (BVerfGE 87, 48, 60; 63, 343, 353; 16, 6, 16). Erst dann können die Betroffenen sich verläßlich Kenntnis vom Gesetzesinhalt verschaffen (BVerfGE 65, 283, 291).
Die Auffassung der Beklagten von der („echt”) rückwirkenden Inkraftsetzung des Gesetzes zum 1. Dezember 1991 ist unvereinbar mit der spezialgesetzlichen Inkraftsetzung in § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG selbst und der gebotenen verfassungsorientierten Auslegung des Gesetzes. Art. 3 RÜG-ÄndG enthält eine allgemeine, d.h. für alle Regelungen in diesem Gesetz grundsätzlich geltende Inkraftsetzung zum 1. Dezember 1991. In § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG ist aber spezialgesetzlich auf den Ersten des auf die Verkündung dieses Gesetzes folgenden Kalendermonats abgestellt. Da Nr. 4 a.a.O. erstmals durch das am 24. Dezember 1991 verkündete Gesetz Gesetzeskraft erlangen konnte, hat diese Regelung mit Beginn des Folgemonats materiell-rechtliche, d.h. innere Wirksamkeit erlangt. Damit knüpft das Gesetz – vertragstreu – an EV Nr. 9 Buchst. e an; dort war einem näher umgrenzten Kreis von Berechtigten, die u.a. Ansprüche auf die jetzt in §§ 9 Abs. 1, 13 Abs. 1 AAÜG erfaßten Leistungen hatten, durch bundesrechtliches Übergangsrecht zugesichert worden, diese Leistungen würden bis zur Überführung der in die Rentenversicherung überführbaren Versorgungsansprüche am 31. Dezember 1991 (ohne sog Zahlbetragsgarantie) weitergewährt. Die verfassungsorientierte Gesetzesauslegung hat davon auszugehen, daß dem Deutschen Bundestag vor Augen stand, durch diese Vorschrift werde er die gesetzlichen Grundlagen für im Einzelfall nach Bundesrecht bindend zuerkannte Versorgungsansprüche umgestalten. Für den Fall, daß das Parlament gleichwohl die Rechtsfolgen der neuen Regelung rückwirkend für Zeiten vor der Verkündung dieses Gesetzes hätte in Kraft setzen wollen, wäre es rechtsstaatlich verpflichtet gewesen, zwischen Rechtssicherheit und insbesondere schutzwürdigem Vertrauen auf bindende Verwaltungsakte einerseits und dem vom Gesetz verfolgten Interesse an der Leistungsbegrenzung für OibE abzuwägen. Den Gesetzesmaterialien ist keine Andeutung zu entnehmen, die Gesetzgebungsorgane hätten die rechtsstaatlich gebotenen Abwägungen vorgenommen.
bb) Mit Ablauf des 31. Dezember 1991 hatten Ansprüche auf die von § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG erfaßten Versorgungsleistungen keine gesetzliche Grundlage mehr, falls diesen auch Zeiten einer verdeckten Tätigkeit als hauptberuflicher Mitarbeiter des MfS zugrunde lagen. Wenn diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt waren, waren die Versorgungsträger gesetzlich angewiesen, die neue Rechtslage mit den ihnen im übrigen zur Verfügung gestellten Eingriffsermächtigungen möglichst weitgehend umzusetzen. Deshalb war diese Rechtsänderung seither immer „wesentlich” i.S. von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
b) Die Beteiligten streiten nicht darüber, daß die Beklagte im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen ist, bei dem Kläger sei diese wesentliche Änderung eingetreten. Allerdings bedarf der Wortlaut des Gesetzes einer am Zweck der Vorschrift orientierten Einengung. Denn der beV, die dem Kläger am 29. Oktober 1990 bewilligt worden ist, lag seine – verdeckende – Tätigkeit beim Zentralen Kriminalamt zugrunde; die bundesrechtlich anerkannten Versorgungsleistungen an verdeckte Mitarbeiter des MfS waren ausschließlich nach Maßgabe der Sonderversorgungsordnungen für die in Anl. 2 Nrn 1 bis 3 AAÜG verrichteten Tätigkeiten, also den verdeckenden Beschäftigungen, begründet. „Zeiten” einer Tätigkeit für das MfS waren für diese Versorgungsleistungen nach Grund und Höhe ohne Belang. Aus dem insoweit irreführenden Wortlaut wird aber noch hinreichend klar, daß der Deutsche Bundestag Sonderversorgungsleistungen nicht mehr zuerkennen wollte, soweit sie auf einer verdeckenden Tätigkeit, inhaltlich aber auf einer verdeckten Tätigkeit als hauptberuflicher Mitarbeiter des MfS/AfNS beruhten. Dabei ging er davon aus, es sei der Allgemeinheit nicht mehr zumutbar, diesen Sonderversorgungsberechtigten aus Steuermitteln besondere Übergangsleistungen zu erbringen, weil sie nach den Wertmaßstäben des GG eine Unrechtstätigkeit (dazu stellvertretend Vorlagebeschluß des Senats vom 14. Juni 1995 – 4 RA 54/94) verrichtet haben. Denn das alltägliche, berufsmäßige und von konkreten Gefahren nicht veranlaßte Ausspionieren von (scheinbaren) Arbeitskollegen und Arbeitsbereichen im Auftrag einer die Gesellschaft durchdringenden Überwachungsorganisation greift derart in die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) ein, daß es weder durch das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) noch durch die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 Halbsatz 2 Regelung 3 GG) geschützt wird. Die Beendigung gesetzlicher Ansprüche auf Übergangsleistungen, die auf dieser Unrechtstätigkeit der verdeckt tätigen Stasi-Offiziere beruhen, ist auch im übrigen nicht verfassungswidrig. Diese Versorgungsleistungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AAÜG/EV Nr. 9 Buchst. e) sind Fürsorgeleistungen, die den aus dem aktiven Dienst entlassenen Offizieren einen Teil der Differenz zwischen ihrem bisherigen Gehalt und den Einkünften aus ihrer Zivilbeschäftigung oder aus Erwerbsersatzeinkommen ausgleichen (stellvertretend hierzu BSG SozR 3-8570 § 11 Nr. 2). Ein sachlicher Grund, die von § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG erfaßten Stasi-Mitarbeiter von dieser fürsorgenden Vergünstigung auszuschließen, liegt vor. Die Regelung ist nicht unverhältnismäßig. Soweit die bislang Berechtigten in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert oder wegen Alters außerstande sind, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu bestreiten, stehen ihnen seit dem 1. Januar 1992 nach den Vorschriften des SGB VI Ansprüche auf entsprechende Renten zu; soweit sie krank und arbeitsunfähig sind, werden sie gemäß § 309 Abs. 2 ff Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geschützt (stellvertretend BSG SozR 3-8570 § 12 Nr. 1); soweit sie arbeitslos, aber arbeitsfähig und arbeitswillig sind, können ihnen Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz zustehen.
Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG war der Kläger von 1960 bis 1990 hauptberuflicher Mitarbeiter des MfS und für dieses zuletzt als Kriminaloberrat beim Zentralen Kriminalamt verdeckt tätig.
6. Die Beklagte durfte jedoch ihren Bewilligungsbescheid vom 29. Oktober 1990 nicht rückwirkend aufheben:
Liegen – wie hier – die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor, soll nach Satz 2 a.a.O. der Verwaltungsakt mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit einer der in Satz 2 Nrn 1 bis 4 a.a.O. genannten Tatbestände erfüllt ist. Keiner Darlegung bedarf, daß die Tatbestände nach Satz 2 Nr. 1 (Änderung zugunsten des Betroffenen) oder Nr. 3 (anzurechnendes Einkommen oder Vermögen) nicht in Betracht kommen.
Obwohl der Kläger in seiner Antwort vom 25. November 1991 auf das Schreiben der Beklagten vom 12. November 1991 offensichtlich vorsätzlich die Unwahrheit über seine Tätigkeit für das MfS gesagt und die Wahrheit erst im Anhörungstermin am 13. Februar 1992 eingeräumt hat, sind weder der Tatbestand von Satz 2 Nr. 2 (Mitteilungspflichtverletzung) noch derjenige der Nr. 4 a.a.O. (bösgläubige Berufung auf den Verwaltungsakt) erfüllt.
a) Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X soll der Verwaltungsakt rückwirkend aufgehoben werden, soweit „der Betroffene eine durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist”:
aa) Voraussetzung ist also, daß der Betroffene gesetzlich verpflichtet war, die (objektiv wesentliche und für ihn nachteilige) Änderung i.S. von § 48 Abs. 1 Satz 1 a.a.O. dem Verwaltungsträger mitzuteilen; ferner muß er diese Pflicht (Obliegenheit) verletzt, d.h. ohne rechtfertigenden Grund nicht erfüllt haben; weiterhin muß das ungerechtfertigte Unterlassen der gesetzlich gebotenen Mitteilung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen; darüber hinaus muß der so qualifizierte Pflichtverstoß wesentliche Bedingung dafür geworden sein, daß der Leistungsträger die Anpassung des Verwaltungsaktes (bei vorhersehbaren Änderungen) nicht rechtzeitig ab Eintritt der Änderung bzw. (bei überraschenden Änderungen) nicht rechtzeitig zum nächstmöglichen Zeitpunkt vornehmen konnte.
Eine gesetzliche Pflicht des Bürgers, einem Verwaltungsträger mitzuteilen, ein diesen betreffendes verwaltungsrechtliches Gesetz habe sich zum Nachteil des Bürgers verändert, gibt es im SGB nicht. Der Kläger hat schon deswegen insoweit im Blick auf das Inkrafttreten des § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG keine Pflicht zur Mitteilung verletzt.
bb) § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X ist jedoch sinngemäß auch in den Fällen anwendbar, in denen die Verwaltung aufgrund einer Änderung des dem Dauerverwaltungsakt zugrundeliegenden Gesetzes verpflichtet ist zu prüfen, ob dadurch entscheidungserheblich gewordene tatsächliche Umstände vorliegen, welche nach der neuen Rechtslage die Aufhebung oder Anpassung des Dauerverwaltungsaktes rechtfertigen. Dann sind die Berechtigten zur wahrheitsgemäßen Antwort verpflichtet, falls eine Rechtsvorschrift ihnen die Angabe entscheidungserheblicher Tatsachen vorschreibt (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I). Andernfalls würde entgegen dem Konzept der §§ 45 Abs. 2 Satz 3 und 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X das nicht schutzwürdige Bestandsinteresse auch desjenigen Begünstigten dem öffentlichen Interesse an der Abänderung des Dauerverwaltungsaktes vorgezogen, der durch eine Verletzung seiner Mitteilungspflicht u.a. i.S. von § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I den Verwaltungsträger von der Anwendung des § 48 SGB X abhält. Der Kläger hat aber auch nach dem Maßstab dieser – verfassungsrechtlich zulässigen – Konkretisierung des gesetzlichen Konzepts der Eingriffsermächtigungen in den §§ 45, 48 SGB X den Rückwirkungstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht erfüllt:
b) Als er das Schreiben der Beklagten vom 12. November 1991 am 25. November 1991 unzutreffend beantwortete, bestand für ihn keine durch Rechtsvorschrift vorgeschriebene Pflicht zur Mitteilung an den Versorgungsträger, daß er hauptberuflich als Mitarbeiter des MfS verdeckt tätig gewesen war. Nach dem auf die hier streitige Versorgungsleistung entsprechend anzuwendenden § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I hat u.a. derjenige, der die Versorgungsleistung erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind. Weder am 12. November 1991 noch am 25. November 1991 waren die von der Beklagten verlangten Auskünfte jedoch „für die Versorgungsleistung erheblich” (zur Entscheidungserheblichkeit i.S. der Mitwirkungspflichten: BSGE 76, 16 ff = SozR 3-1200 § 66 Nr. 3). Denn § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG ist – wie ausgeführt – erst am 24. Dezember 1991 verkündet und damit äußerlich wirksam geworden. Frühestens zu diesem Zeitpunkt konnten überhaupt Mitwirkungspflichten (Obliegenheiten) des Klägers entstehen, dem Versorgungsträger Auskünfte der begehrten Art zu geben. Da die vollziehende Gewalt vor dem Zeitpunkt der Verkündung eines Gesetzes nicht befugt ist, die Bürger über Umstände zu befragen, die erst aufgrund dieses Gesetzes entscheidungserheblich werden, bedarf keiner Darlegung, daß sie rechtswidrige Auskunftsersuchen der Verwaltung nicht beantworten müssen. Schon deswegen ist nicht darauf einzugehen, daß das Schreiben der Beklagten die Grenzen der Mitwirkungslast i.S. von § 65 SGB I möglicherweise nicht beachtet hat und wegen des unrichtigen Hinweises auf einen nicht bestehenden Vorbehalt i.V.m. der gesetzlich nicht gerechtfertigten Androhung einer Entziehung der Versorgungsleistung bei unrichtiger oder unvollständiger Antwort auch nicht aus anderen Gründen wahrheitsgemäß beantwortet werden mußte.
Der Kläger hat also schon den objektiven Tatbestand einer Mitteilungspflichtverletzung mangels Mitteilungspflicht nicht erfüllt. Bei der Anhörung am 13. Februar 1992 hat er die Wahrheit gesagt.
Die Beklagte war also nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht ermächtigt, die Bewilligung der beV rückwirkend für Zeiten vor der Bekanntgabe des Bescheides vom 28. Februar 1992 aufzuheben.
7. Im Ergebnis dasselbe ergibt sich auch bei Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Nach dieser Vorschrift soll der Dauerverwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Dieser Rückwirkungstatbestand setzt objektiv voraus, daß der sich aus dem Dauerverwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Nachteil des Berechtigten geändert worden ist. Subjektiv wird verlangt, daß der Berechtigte dies weiß oder nur deshalb nicht weiß, weil er die ihm gegenüber dem Leistungsträger mögliche, gebotene und erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße, d.h. grob fahrlässig (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X), verletzt hat.
a) Schon der objektive Tatbestand ist in direkter Anwendung des Wortlauts der Vorschrift nicht erfüllt. Denn der sich aus dem Verwaltungsakt der Rentenbewilligung ergebende Anspruch des Klägers ist durch die materiell-rechtliche Änderung der gesetzlichen Anspruchsgrundlage weder zum Ruhen gebracht noch ganz oder teilweise weggefallen. Gerade im Regelungszusammenhang des § 48 Abs. 1 SGB X unterscheidet das SGB X zwischen den Ansprüchen aus Gesetz, aus Vertrag und aus Dauerverwaltungsakt. Während Ansprüche aus verwaltungsrechtlichem Vertrag nur in den Grenzen des § 59 SGB X abgeändert werden dürfen, führt eine bloße Abänderung des gesetzlichen Anspruchs gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur zur Aufhebung des Dauerverwaltungsaktes mit Wirkung für die Zukunft. Wäre demgegenüber – entgegen dem Wortlaut von Nr. 4 a.a.O. – der objektive Rückwirkungstatbestand immer schon dann erfüllt, wenn der sich aus dem Gesetz ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Nachteil des Bürgers abgeändert worden ist, so wäre der objektive Rückwirkungstatbestand in Nr. 4 a.a.O. mit dem objektiven Tatbestand von Satz 1 a.a.O. insoweit deckungsgleich und deshalb überflüssig. Für die Rückwirkungsermächtigung käme es dann allein auf den subjektiven Tatbestand an.
Demgegenüber ist mit dem Wortlaut des Gesetzes darauf abzustellen, daß der objektive Rückwirkungstatbestand grundsätzlich nur erfüllt ist, wenn speziell der sich aus dem Dauerverwaltungsakt ergebende Anspruch, also nicht bloß der Anspruch aus Gesetz (oder aus Vertrag), gerade „kraft Gesetzes” (also nicht durch Verwaltungsakt) zum Ruhen gekommen ist. Da aber – wie ausgeführt – es den Organen der gesetzgebenden Gewalt nur ausnahmsweise und nur bei besonderer verfassungsrechtlicher Rechtfertigung (z.B. bei Funktionsausfall der vollziehenden Gewalt) erlaubt ist, eine durch Verwaltungsakt zuerkannte günstige Rechtsposition „kraft Gesetzes” zu entziehen oder nachteilig zu verändern, hat der Rückwirkungstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X nur einen engen Anwendungsbereich.
Im Falle des Klägers ist der objektive Tatbestand nicht erfüllt. Der Anspruch, der sich für ihn aus der Bewilligung der beV ergibt, ist durch die bloß materiell-rechtliche Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG nicht „kraft Gesetzes” entfallen, sondern kann nur durch aufhebenden Verwaltungsakt wegfallen. Daher bedarf keiner Darlegung, daß der subjektive Rückwirkungstatbestand nicht erfüllt ist.
b) Gleichwohl ist eine sinngemäße Anwendung dieser Rückwirkungsermächtigung über ihren sehr begrenzten unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus (vgl. BSGE 65, 185, 189 = SozR 1300 § 48 Nr. 57; BSG DRV 1986, 638) in eng begrenztem Umfang auch auf solche Fallgestaltungen geboten, bei denen lediglich der dem Dauerverwaltungsakt zugrundeliegende gesetzliche Anspruch zum Ruhen gekommen oder weggefallen ist, ohne daß der sich aus dem Verwaltungsakt selbst ergebende Anspruch kraft Gesetzes dasselbe Schicksal erfahren hätte:
Nr. 4 a.a.O. erfaßt in der wortlautgemäßen Anwendung Fälle, in denen der Berechtigte weiß (oder nur grob fahrlässig nicht weiß), daß der ihn begünstigende materielle Verwaltungsakt durch das Gesetz selbst unwirksam gemacht worden ist; falls er gleichwohl wegen der verbliebenen Handlungsform „Verwaltungsakt” noch auf diesen vertraut, ist dies nicht mehr schutzwürdig. Eine in allen wesentlichen Punkten vergleichbare Lage kann aber auch dann eintreten, wenn der durch den Dauerverwaltungsakt Begünstigte weiß (oder grob fahrlässig nicht weiß), daß der ihm erteilte Verwaltungsakt von einem bestimmten Zeitpunkt an in einem eindeutig bestimmten Umfang in Widerspruch zur materiellen Rechtslage geraten ist; auch dann kann es treuwidrig sein, wenn der Berechtigte sich auf den (formellen und materiellen) Verwaltungsakt bösgläubig beruft.
Im einzelnen hierzu: Hierbei ist das grundsätzliche rechtsstaatliche Verbot der rückwirkenden Anpassung (Verbot der Rückbewirkung von Rechtsfolgen durch die vollziehende Gewalt) zu beachten, das der Wertung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zugrunde liegt. Danach ist der Vertrauensschutz des Bürgers auf den Bestand der im Dauerverwaltungsakt zugesagten Begünstigung grundsätzlich und in aller Regel höher einzuschätzen als das öffentliche Interesse daran, den Verwaltungsakt möglichst zum Zeitpunkt des Eintritts einer wesentlichen Änderung der materiellen Rechtslage anzupassen. Eine rückwirkende Anpassung zum Machteil des Bürgers ist (abgesehen von der Einkommens- oder Vermögensanrechnung nach Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 a.a.O.) überhaupt nur zulässig, wenn der Begünstigte sich – unter Berücksichtigung seiner persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten – in grober Weise treuwidrig verhalten hat und dies für die Verzögerung der Anpassungsentscheidung wesentliche Bedingung war. Insbesondere ist bei der sinngemäßen Anwendung der Nr. 4 a.a.O. immer zu beachten, daß der Verwaltungsakt, nicht das abstrakte und generelle Gesetz, die individuelle Rechtsposition des Betroffenen gegenüber dem Verwaltungsträger bestimmt. Der Verwaltungsakt entlastet den Bürger von eigener Rechtskenntnis; er entbindet ihn davon, die sich ständig ändernde Vielzahl der das tägliche Leben regelnden verwaltungsrechtlichen Gesetzesvorschriften zu verfolgen und ständig selbst zu prüfen, was er von der Verwaltung zu Recht beanspruchen kann. Deshalb brauchte der aus einem Dauerverwaltungsakt Berechtigte grundsätzlich nicht nachzuhalten, ob sein sich aus dem Verwaltungsakt ergebender Anspruch „kraft Gesetzes” nachträglich entfallen oder zum Ruhen gekommen ist. Insbesondere wird er nicht schon durch die Publikation eines auf Verwaltungsvollzug angelegten Gesetzes (z.B. § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG) „bösgläubig”. Er kann weiterhin und sogar dann auf seinen Verwaltungsakt vertrauen, wenn seine Unkenntnis davon, daß der verwaltungsaktliche Anspruch nicht mehr mit der materiellen Gesetzeslage übereinstimmt, nur auf einfacher Fahrlässigkeit beruht.
Die sinngemäße Anwendung der Rückwirkungsermächtigung in Nr. 4 a.a.O. ist daher nur dann erlaubt, wenn positiv festgestellt ist, daß der aus dem Dauerverwaltungsakt Berechtigte erkannt hat (oder grob fahrlässig nicht erkannt hat), daß „sein” Verwaltungsakt von einem bestimmten Zeitpunkt an und in bestimmtem Umfang wegen einer bestimmten Änderung der Verhältnisse nachträglich „kraft Gesetzes” in Widerspruch zur materiellen Rechtslage geraten, d.h. rechtswidrig geworden ist (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Bei der sinngemäßen Anwendung der Vorschrift ist – anders als bei der wortlautgemäßen – eine bösgläubige Berufung auf den Dauerverwaltungsakt wegen der Bindungs- und Vertrauensschutzwirkung des Verwaltungsaktes nur bei Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalles gegeben. Wegen des Unterschiedes zwischen dem gesetzlichen Anspruch und einem solchen, der sich aus einem Verwaltungsakt ergibt, kann das. Wissen (bzw. das grob fahrlässige Nichtwissen) um den Wegfall des gesetzlichen Anspruchsgrundes allein nicht zur Erfüllung des sinngemäß angewandten Tatbestandes der Nr. 4 a.a.O. ausreichen. Die Vertrauensschutz- und Entlastungsfunktion der Leistungsbewilligung (BSGE 65, 185, 188 = SozR 1300 § 48 Nr. 57) dürfen nur dann in Frage gestellt werden, wenn der Begünstigte die ihn bösgläubig machende Schlußfolgerung gezogen hat oder er sich diesem Schluß auch unter Würdigung der Funktionen des Verwaltungsaktes grob fahrlässig entzogen hat (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22; KasselerKomm – Steinwedel, § 48 SGB X Rdnr 55). Insbesondere ist der Begünstigte nicht verpflichtet, Gesetzesänderungen zu verfolgen, Hinweise auf eine mögliche Rechtsänderung zur Kenntnis zu nehmen oder die Maßgeblichkeit einer Rechtsänderung für seinen Anspruch nach den Regeln der Rechtswissenschaft zu überprüfen (BSGE 71, 202, 203 = SozR 3-4100 § 45 Nr. 3).
Aufgrund dieser Maßstäbe kommt die sinngemäße Anwendung der Rückwirkungsermächtigung in Nr. 4 a.a.O. nur in Betracht, wenn die Schlußfolgerung, der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch sei inhaltlich mit der Gesetzeslage nicht mehr vereinbar, für jeden, der mit den tatsächlichen und rechtlichen Umständen des Falles vertraut ist, offen auf der Hand liegt. Der Berechtigte muß die Schlußfolgerung entweder gezogen oder dies unter grober Mißachtung der Belange des Verwaltungsträgers unterlassen haben. Besteht die wesentliche Änderung der Rechtslage – wie hier – in einer Änderung des dem Dauerverwaltungsakt zugrundeliegenden Gesetzes, kann grobe Fahrlässigkeit regelmäßig nur vorgeworfen werden, wenn das Änderungsgesetz selbst so eindeutig ausgestaltet ist, daß jeder Betroffene ohne weiteres erkennen kann, daß sein sich aus dem Verwaltungsakt ergebender Anspruch von der Verwaltung zu einem bestimmten Zeitpunkt und in absehbarem Umfang aufgehoben werden muß. Ein gleiches Maß von Klarheit kann z.B. dadurch herbeigeführt werden, daß inhaltlich zutreffende Aufklärungsmaßnahmen der Leistungsträger (§ 13 SGB I) den Berechtigten individuell erreichen, daß er konkret beraten wird (§ 14 SGB I) oder daß er Kenntnis von einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung oder von zutreffenden Informationen seines Berufsverbandes erhält. Dies muß jeweils individuell festgestellt werden.
§ 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG vermag eine derartige Klarheit aus sich heraus nicht zu bieten. Wie oben dargelegt, ist sein zeitlicher Geltungsbereich nur im Wege der Auslegung und sein Regelungsinhalt nur durch teleologische Reduktion zu ermitteln. Aus dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt sowie dem Inhalt der in Bezug genommenen Akten ergibt sich kein Hinweis darauf, es könnten die bei der sinngemäßen Anwendung der Nr. 4 a.a.O. erforderlichen besonderen Umstände für das Vorliegen von Bösgläubigkeit des Klägers schon vor März 1992 gegeben sein. Schon deswegen ist es nicht i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG tunlich, die Sache zwecks weiterer Sachverhaltsaufklärung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
8. Nach alledem war die Beklagte nicht ermächtigt, die Bewilligung der beV für Bezugszeiten vor dem 1. April 1992 rückwirkend aufzuheben. Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage war also begründet.
C: Der zweite im streitigen Bescheid vom 28. Februar 1992 bekanntgegebene Verwaltungsakt, das Gebot, an die Beklagte 6.428,00 DM zu zahlen, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (i.S. von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
1. Einzig anwendbare Ermächtigungsgrundlage ist § 50 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist durch schriftlichen Verwaltungsakt die zu erstattende Leistung festzusetzen, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist und deswegen bereits erbrachte Leistungen zu erstatten sind.
a) Wie dargelegt, sind die Vorschriften des Ersten Kapitels des SGB X hier anwendbar. § 50 SGB X wird auch nicht durch Spezialregelungen verdrängt. Entgegen der Ansicht der Beklagten enthält § 13 Abs. 1 Nr. 4 AAÜG keine Ermächtigung, Erstattungspflichten durch Verwaltungsakt festzusetzen. Im Wortlaut der Vorschrift ist nicht einmal andeutungsweise ausgedrückt, sie betreffe die Rückforderung von Versorgungsleistungen.
b) § 9 SVersLV ist gleichfalls nicht anwendbar. Der zeitliche Geltungsbereich dieser Verordnung hat erst mit dem 1. Juli 1992 begonnen. Eingriffsermächtigungen, die ihrer Rechtsnatur nach notwendig materiell-rechtliche Regelungen sind, können den Erlaß eines eingreifenden Verwaltungsaktes nur rechtfertigen, wenn sie im Zeitpunkt des Eingriffs gültiges Recht sind. Zwar enthält § 9 Abs. 1 Satz 1 SVersLV die Regelung eines Anspruchs des Versorgungsträgers gegen den Versorgungsberechtigten auf Erstattung zuviel gezahlter Versorgungsleistungen. In § 9 Abs. 3 Satz 1 a.a.O. wird der Versorgungsträger ermächtigt, den zu erstattenden Betrag durch Bescheid festzusetzen. Insoweit stimmt die Rechtsverordnung mit der höherrangigen Vorschrift des § 50 Abs. 1 und Abs. 3 SGB X überein. Schon deswegen ist hier nicht näher darauf einzugehen, weshalb diese Vorschrift nicht eingreift. Denn der Beklagten steht die streitige Rückforderung nicht zu.
c) Die Beklagte hat den Leistungsbescheid, d.h. die Anordnung, der Kläger habe an sie 6.428,00 DM als zu erstattenden Wert überzahlter beV zu zahlen, als zuständiger Versorgungsträger (§§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 3 AAÜG) nach ordnungsgemäßer Anhörung in der gebotenen Form getroffen, war hierzu aber nicht befugt. Da die zugleich ausgesprochene und vorgreifliche rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung keinen Bestand hatte, ist insoweit – entgegen § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X – kein Verwaltungsakt aufgehoben worden. Der Kläger hat vielmehr aufgrund des für ihn und die Beklagte für Bezugszeiten bis zum 31. März 1992 bindend gebliebenen Bescheides vom 29. Oktober 1990 die beV bis einschließlich März 1992 mit Rechtsgrund erlangt.
Nach alledem konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben, während derjenigen des Klägers stattzugeben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.
Fundstellen