Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 17.03.1994; Aktenzeichen L 2 Ar 83/93)

SG Halle (Saale) (Urteil vom 11.11.1993)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. März 1994 und des Sozialgerichts Halle vom 11. November 1993 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der am 15. Juli 1932 geborenen Klägerin nach der Vorruhestandsregelung-Ost Vorruhestandsgeld (Vog) in Höhe des ihre Altersrente übersteigenden Differenzbetrages (sog Spitzbetrag) für die Zeit vom 1. August 1992 bis 30. September 1993 zusteht.

Die Klägerin war bis 20. Mai 1990 beim Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beschäftigt. Am 9. April 1990 vereinbarte sie die Beendigung des Arbeitsrechtsverhältnisses zum 20. Mai 1990 und den Bezug von Vog nach der Verordnung über die Gewährung von Vog vom 8. Februar 1990 (VogVO-DDR) in Höhe von 861,– Mark; gezahlt wurde bis einschließlich November 1990.

Die Beklagte übernahm die Leistung ab 1. Dezember 1990 (bis Ende Juni 1992) in Höhe von 897,– DM (Bescheid vom Dezember 1990) und dynamisierte diesen Betrag ab Januar 1991 auf 958,– DM (Änderungsbescheid vom 25. März 1991). Später verlängerte sie die Bezugsdauer bis 31. Juli 1992 (Bescheid vom 25. März 1992).

Für die Zeit ab 1. August 1992 erhielt die Klägerin von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), nachdem zunächst ein Rentenvorschuß gewährt worden war, mit Bescheid vom 16. September 1993 rückwirkend Altersrente (1.086,17 DM laufende Rente ab 1. November 1993; Nachzahlung für die vorausgehende Zeit unter Anrechnung der Vorschüsse in Höhe von insgesamt 3.507,78 DM).

Auf einen Überprüfungsantrag der Klägerin lehnte die Beklagte die Weiterzahlung von Vog über den 31. Juli 1992 hinaus ab (Bescheid vom 10. Mai 1993; Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1993). Die anschließende Klage, mit der die Klägerin Vog bis zum 20. Mai 1995 begehrt hatte, hatte beim Sozialgericht (SG) nur teilweise Erfolg. Die Beklagte wurde verurteilt, der Klägerin Vog in gesetzlicher Höhe über den 31. Juli 1992 hinaus bis 16. September 1993 unter Anrechnung der von der BfA gewährten Rentenleistungen zu zahlen (Urteil vom 11. November 1993).

Gegen das Urteil haben die Klägerin und die Beklagte Berufung eingelegt, die Klägerin mit dem Ziel einer Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Vog bis zum Beginn der laufenden Rentenzahlung (bis 31. Oktober 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat die erstinstanzliche Entscheidung dahin abgeändert, daß „Vog in Höhe der Differenz zwischen dessen Zahlbetrag nach allgemeinen Regeln und der Bruttorente sowie unter Anrechnung der von der Beklagten erbrachten Leistungen” bis 30. September 1993 zu gewähren sei (Urteil vom 17. März 1994). Es hat seine Entscheidung damit begründet, daß nach § 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR Vog bis zur Gewährung der Altersrente zu zahlen sei. Vorschüsse nach § 42 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) seien keine derartigen Leistungen. Da die Bewilligung der Rente mit Bescheid vom 16. September 1993 für den gesamten Monat September erfolgt sei, müsse Vog bis Ende September 1993 gezahlt werden (§ 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren -≪SGB X≫), allerdings im Hinblick auf die Regelung des § 104 SGB X wegen der Nachrangigkeit des Vog gegenüber der Rente nur in Höhe des die Bruttorente übersteigenden Betrags.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR. Nach dieser Vorschrift stehe – so die Beklagte – der Klägerin Vog lediglich bis 31. Juli 1992 zu, weil ihr für die Zeit danach von der BfA Altersrente zuerkannt worden sei. Wie in den Fällen des § 118 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) müsse davon ausgegangen werden, daß mit der Rentenbewilligung der Vog-Anspruch rückwirkend entfalle. Damit sei auch der Spitzbetrag nicht mehr nachträglich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung der Urteile des LSG und des SG die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin hat sich zur Sache weder geäußert noch einen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1993, gegen den sich die Klägerin zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) wehrt. Im angefochtenen Bescheid hat es die Beklagte abgelehnt, den bindend gewordenen (§ 77 SGG) früheren Bescheid vom Dezember 1990 über den Bescheid vom 25. März 1992 hinaus abzuändern (Weiterzahlung von Vog nach dem 31. Juli 1992). Inhaltlich betrifft das Revisionsverfahren jedoch nur noch den Vog-Spitzbetrag für die Zeit vom 1. August 1992 bis 30. September 1993.

Ob das Berufungsgericht einen bei zulässiger Revision in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensverstoß begangen hat, ist insoweit zweifelhaft, als die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil möglicherweise gemäß § 144 Abs 1 SGG idF des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl I 50) unstatthaft war. Nach dieser Vorschrift bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die – wie hier – eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 1.000 DM nicht übersteigt (Satz 1 Nr 1). Dies gilt dann nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr erfaßt (Satz 2).

Die Berufungsbegründung der Klägerin läßt nicht eindeutig erkennen, ob sie nur für die Zeit vom 17. September bis 31. Oktober 1993 den Spitzbetrag oder bereits für den Zeitraum von August 1992 bis 16. September 1993 höheres Vog als den ihr schon zugesprochenen Spitzbetrag und zusätzlich für die Zeit vom 17. September bis 31. Oktober 1993 Vog in ungekürzter Höhe beansprucht hat. Im letzteren Fall wäre die Berufung nach § 144 Abs 1 SGG zulässig gewesen. Es spricht indes mehr dafür, daß es der Klägerin mit ihrer Berufung nur noch um den Spitzbetrag für die Zeit vom 17. September bis 31. Oktober 1993 ging; dann allerdings wäre die Berufung bei einer laufenden Rente von 1.086,17 DM unzulässig gewesen. Letztlich kann eine Entscheidung hierüber dahinstehen, weil der Senat auf die Revision der Beklagten ohnedies einen Vog-Anspruch der Klägerin für die Zeit ab 1. August 1992 verneinen muß (vgl zur Berechtigung, das Vorliegen prozessualer Voraussetzungen offenzulassen: Kopp, VwGO, 10. Aufl 1994, Vorb § 40 RdNr 10 mwN; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, Vor § 51 RdNr 13 mwN), also in der Sache entscheiden muß, und die Revision in jedem Falle begründet ist. Keinem Beteiligten kann damit aus der Art der Entscheidung ein Nachteil erwachsen (vgl Kopp, aaO, Vorb § 124 RdNr 30 mwN).

Der Klägerin steht ab 1. August 1992 über § 44 SGB X iVm § 152 AFG Vog weder nach § 2 der VogVO-DDR (GVBl I Nr 7 S 42) iVm Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 5 des Einigungsvertrages (EinigVtr) idF des Gesetzes vom 23. September 1990 (BGBl II 885) noch idF des Gesetzes zur Änderung der VogVO-DDR vom 26. Juli 1994 (BGBl I 1796) zu. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob sich diese Rechtsfolge bereits daraus ergibt, daß der Gesetzgeber ab 29. Juni 1994 mit dem bezeichneten Änderungsgesetz klarstellend zu § 2 Abs 2 der Vog-VO (vgl BT-Drucks 12/8039 S 4) ein Erlöschen des Vog-Anspruchs schon mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Altersrente geregelt hat, während die VogVO-DDR zuvor ein Entfallen des Rentenanspruchs erst mit Gewährung der Rente (vgl hierzu BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2) vorsah. Träfe entgegen der bezeichneten Entscheidung des Senats § 2 Abs 2 VogVO-DDR nF für alle laufenden Fälle ab 29. Juni 1994 eine (rückwirkende) Regelung (anders die Beklagte in ihrer Dokumentation über die Vorruhestandsregelung-Ost, S 45 ff), käme es auf eine Rentengewährung nicht mehr an. Ob die damit verbundene Schlechterstellung der Vog-Empfänger gegenüber der zitierten Entscheidung des Senats mit Wirkung für die Vergangenheit vom Gesetzgeber gewollt war und zulässig wäre, kann dahinstehen, weil der Klägerin auch nach § 2 Abs 2 VogVO-DDR aF kein Anspruch auf Vog zusteht.

Spätestens durch die Bewilligung der Altersrente rückwirkend ab 1. August 1992 ist nämlich der Anspruch auf Vog nachträglich ab 1. August 1992 entfallen. Die Auswirkungen von Rentenvorschüssen auf den Vog-Anspruch sind damit ohne Bedeutung.

Einzuräumen ist, daß sich die bezeichnete Rechtsfolge nicht allein dem Wortlaut des § 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF „Gewährung” der Altersrente) entnehmen läßt. Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 74, 225, 229 = SozR 3-8825 § 2 Nr 2), ist unter Gewährung nach allgemeinem und juristischem Sprachgebrauch zwar auch die „Bewilligung” oder die „Zuerkennung”, nicht nur die tatsächliche Erbringung, zu verstehen. Hingegen beantwortet der Wortlaut der Vorschrift nicht, ab wann bei Bewilligung einer Altersrente der Vog-Anspruch entfällt, ob die Rentenbewilligung also insbesondere den Verlust eines zunächst bestehenden Vog-Anspruchs mit Rückwirkung für den gesamten Rentenbewilligungszeitraum zur Folge hat. Letzteres ergibt sich jedoch aus Sinn und Zweck der Vorschrift sowie aus rechtssystematischen Erwägungen.

§ 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR alter wie neuer Fassung soll eine Doppelleistung von Altersrente und Vog verhindern. Anders ausgedrückt: Der Bezug von Altersrente und der von Vog schließen sich nach den gesetzgeberischen Zielen aus, auch wenn § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO aF den Anspruch auf Vog nicht bereits mit der Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente entfallen ließ (vgl BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2). Vog kann schon begrifflich nur die Zeit bis zum Ruhestand, dokumentiert durch die Gewährung einer Altersrente, überbrücken. Dies gilt unter Berücksichtigung der Änderung der Vorschrift durch das Gesetz vom 26. Juli 1994 (BGBl I 1796) um so mehr, als diese Änderung die Vorstellung des Gesetzgebers deutlich zum Ausdruck bringt: Der Anspruch sollte bereits mit dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente entfallen, also unabhängig von einer Antragstellung und einer Zubilligung der Rente. Weil dies im Wortlaut der Vorschrift indes keinen Niederschlag gefunden hat, hat der Senat in seinem früheren Urteil anders entschieden (BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2), ohne die Frage beantworten zu müssen, ob nicht für die Beklagte wenigstens die Möglichkeit bestand, zur Stellung eines Rentenantrags aufzufordern. Jedenfalls läßt sich ein Anspruch auf beide Leistungen nebeneinander keinesfalls begründen.

§ 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF muß dann allerdings auch zwischen Vog-Zahlung und Rentenzahlung nach Stellung des Rentenantrags eine Nahtlosigkeit gewährleisten. Bis die Zahlung von Altersrente zumindest durch Bewilligungsbescheid gesichert ist, besteht weiterhin ein Anspruch auf Vog. Die Vorschrift stellt in dieser Ausprägung einen Kompromiß zwischen zwei „Radikallösungen” dar. Der Anspruch auf Vog besteht auflösend bedingt bis zur positiven Klärung des Anspruchs auf Altersrente. Denknotwendig ist dieser Zeitpunkt der Tag der Zubilligung der Altersrente, also der Tag, an dem der Rentenbescheid wirksam wird (§§ 39 Abs 1, 37 SGB X). Ergeht der Rentenbescheid, entfällt gleichzeitig rückwirkend der Anspruch auf Vog mit Beginn des Rentenbewilligungszeitraums (vgl in anderem Zusammenhang: BSGE 71, 294, 296 = SozR 3-2500 § 48 Nr 4; BSG SozR 1300 § 48 Nrn 22 und 26; SozR 2200 § 183 Nr 43).

Dies würde im übrigen selbst dann gelten, wenn die Klägerin von der Beklagten (rechtmäßig) das Vog bis zur Rentenbewilligung fortgezahlt erhalten hätte. Der Beklagten würde dann nach § 103 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger zustehen, in dessen Höhe nach § 107 Abs 1 SGB X der Anspruch auf Altersrente als erfüllt gelten würde. Ob in Höhe des Erstattungsanspruchs eine Aufhebung der Vog-Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X möglich oder notwendig wäre, ist zweifelhaft; die Bewilligung der Altersrente stellt jedenfalls wegen des damit verbundenen Entfallens des gesamten Vog-Anspruchs für die Vergangenheit eine Änderung der Rechtsverhältnisse dar. Wegen der Regelung der §§ 103, 107 SGB X ist sie, soweit es die Vergangenheit betrifft, gleichwohl nicht wesentlich iS des § 48 SGB X (vgl aber zur Notwendigkeit der Aufhebung im Hinblick auf § 157 Abs 4 AFG: BSG, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 7 RAr 46/90 –, unveröffentlicht). Unabhängig von der Fortzahlung des Vog bis zur Rentenbewilligung entfällt also der Vog-Anspruch der Klägerin mit der Bewilligung der Rente rückwirkend für den gesamten Rentenbewilligungszeitraum in vollem Umfang. Ob der gezahlte Spitzbetrag zurückzuzahlen ist, ist eine andere Frage.

Ein Vergleich mit sonstigen Vorschriften über das Zusammentreffen von Sozialleistungen erhärtet dieses Ergebnis. So begegnet etwa das Arbeitsförderungsrecht unerwünschter Doppelversorgung mit der Ruhensvorschrift des § 118 AFG. Gemäß Abs 1 dieser Bestimmung ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ua ein Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (Nr 4) zuerkannt (worden) ist. Gleiches galt nach der mit bestimmten Maßgaben (vgl Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 1 Buchst a dd EinigVtr) über den 2. Oktober 1990 hinaus weiterhin anzuwendenden Vorschrift des § 118 Satz 1 Nr 5 AFG-DDR vom 22. Juni 1990 (GBl I Nr 36 S 403) im Fall der Zuerkennung einer Altersrente. Das Ruhen des Alg-Anspruchs tritt in diesen Fällen unabhängig von der Höhe der Rente grundsätzlich in vollem Umfang ein, und zwar ab dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zuerkannt ist. Das schließt das rückwirkende vollständige Ruhen eines Alg-Anspruchs für deckungsgleiche Zeiträume ein (BSGE 60, 180, 182 ff = SozR 1300 § 48 Nr 26; BSGE 73, 10, 13 ff = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22). Bei rückwirkender Gewährung von Altersrente für einen Zeitraum, für den bereits Alg gezahlt wurde, kann die Aufhebung der Alg-Bewilligung nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X allein aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht über die Rentenhöhe (für deckungsgleiche Zeiträume) hinaus erfolgen; gleichzeitig ist so die Höhe des Erstattungsanspruchs (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X) beschränkt (BSGE 60, 180, 184 f = SozR 1300 § 48 Nr 26; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22).

Ähnliche Regelungen existieren im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) haben Versicherte vom Beginn der Vollrente wegen Alters an keinen Anspruch auf Krankengeld (Krg). Auch hierbei ist unter „Beginn” des Rentenanspruchs wiederum der Zeitpunkt zu verstehen, ab dem (rückwirkend) Rente bewilligt wurde (vgl nur BSGE 71, 294, 296 mwN = SozR 3-2500 § 48 Nr 4). Rückwirkend entfällt dann der Anspruch auf Krg in vollem Umfang. Grund dafür ist, daß neben der Vollrente und dem mit ihr typischerweise verbundenen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben grundsätzlich kein Anspruch auf Krg gegeben sein soll. Die Wegfallwirkung erfaßt einen Krg-Anspruch selbst dann, wenn das Krg über den Beginn der Rentenzahlung hinaus gezahlt worden ist, weil die Rente nachträglich bewilligt worden ist. Wiederum nur aus Gründen des Vertrauensschutzes darf die Krankenkasse einen eventuellen Unterschiedsbetrag zwischen (höherem) Krg und Rente nicht zurückfordern (§ 50 Abs 1 Satz 2 SGB V), weil der Versicherte nach dem gesetzgeberischen Willen das behalten soll, was er zunächst rechtmäßig bezogen hat und worauf er seine Lebenshaltung einrichten durfte (BSGE 71, 294, 296 f mwN = SozR 3-2500 § 48 Nr 4). Auch die Krankenkasse darf ihre Krg-Leistung allerdings erst einstellen, wenn feststeht, daß der Versicherte den Anspruch auf Altersrente hat. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Tag des Erlasses des Rentenbescheides (BSG SozR Nr 39 zu § 183 RVO; SozR 2200 § 183 Nr 43).

Trägt aber das Behaltendürfen des Spitzbetrags bei Zusammentreffen zweier sich ausschließender Leistungen und nachträglicher Zuerkennung einer dieser Leistungen nur Vertrauensschutzgesichtspunkten Rechnung, so liegt es auf der Hand, daß der Spitzbetrag im Falle der Nichtzahlung der zunächst weiterhin zu erbringenden Leistung, vorliegend des Vog, nicht nachträglich zuerkannt werden kann, wenn bereits durch Bescheid feststeht, daß ein Anspruch auf die andere Leistung, hier die Altersrente, für einen zurückliegenden Zeitpunkt besteht. Die entscheidende Zielsetzung, Doppelleistungen zu verhindern, wäre dann verfehlt. Im Verhältnis von Krg und Rente ist bereits mehrfach entschieden worden, daß ein Versicherter keinen Anspruch auf Krg hat, wenn ihm dieses vor der Rentenbewilligung (rechtsirrtümlich) verweigert worden ist, auch nicht auf Nachzahlung eines etwaigen Differenzbetrags zwischen Krg und Rente (vgl BSG SozR Nrn 24 und 29 zu § 183 RVO; SozR 2200 § 183 Nr 43; BSG, Urteil vom 25. Januar 1995 – 12 RK 51/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Ob gleiches gilt, wenn der Erlaß des Bescheides über die Zubilligung der anderen Leistung durch den Leistungsempfänger verzögert wird, kann an dieser Stelle offenbleiben. Unerheblich ist jedenfalls, ob der Rentenbescheid bestandskräftig und rechtmäßig ist. Er entfaltet als solcher Tatbestandswirkung und ist ohne weitere Prüfung – außer bei Nichtigkeit – zu beachten (BSGE 70, 51, 53 f = SozR 3-4100 § 118 Nr 3; vgl auch Eicher, DOK 1986, 497, 499). Nicht zuletzt erscheint das Vertrauen der Klägerin vorliegend schon in tatsächlicher Hinsicht nicht schützenswert. Denn abgesehen davon, daß die Beklagte die Weitergewährung von Vog über den Juli 1992 hinaus abgelehnt hat, fehlte für ein Vertrauen der Klägerin auf Gewährung von Vog über das Erreichen des Rentenalters hinaus vor dem Senatsurteil vom 1. Juni 1994 (aaO) eine sichere Rechtsbasis.

Eine Sonderregelung, die die Gewährung von Vog neben der Altersrente bis zum Beginn der laufenden Rentenzahlung vorsieht, ist nicht ersichtlich. Die Vorschrift des § 118 Abs 2 Nr 1 AFG bezieht sich ausschließlich auf Renten wegen Erwerbsunfähigkeit; sie trägt insbesondere der Vorschrift des § 95 Abs 1 Satz 1 SGB VI iVm § 105a AFG Rechnung (vgl Gagel, AFG, Stand Mai 1993, § 118 RdNrn 33 ff) und ist einer erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung auf das Vog damit nicht zugänglich. Dies gilt auch für die Bestimmung des § 249e Abs 4a AFG, eingefügt mit Wirkung ab 1. Januar 1995. Danach ist Rentenberechtigten, deren Rente niedriger als das Altersübergangsgeld (Alüg) ist, anstelle des Alüg ein pauschalierter Ausgleichsbetrag in Höhe des festgestellten Unterschiedsbetrages zu gewähren; der Ausgleichsbetrag wird während der Zeit, für die eine Rente zuerkannt ist, und für die ansonsten verbleibende Dauer des Anspruchs auf Alüg, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 100 Abs 2 AFG), in unveränderter Höhe im selben Verfahren gezahlt wie zuvor das Alüg (vgl BT-Drucks 12/5502 § 41 f zu Nr 63; Barkmin, DAngVers 1994, 273, 276). Insoweit kann von einer für einen Analogieschluß notwendigen planwidrigen Gesetzeslücke nicht gesprochen werden, weil das Problem der unterschiedlichen Regelungen für das Alüg einerseits und für das Vog andererseits bei der Erfüllung der Voraussetzungen eines Rentenanspruchs während des Gesetzgebungsverfahrens betreffend das Gesetz zur Änderung der VogVO-DDR vom 26. Juli 1994 (aaO) gesehen und erörtert worden ist. Ein Antrag des Landes Brandenburg, den Vermittlungsausschuß zwecks Gleichstellung der Empfänger von Vog mit den Empfängern von Alüg einzuberufen (BR-Drucks 665/1/94), ist seitens des Bundesrates abgelehnt worden (BR-Drucks 665/94). Die Empfänger von Vog und von Alüg sind durch den Gesetzgeber mithin bewußt unterschiedlich behandelt worden.

Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) nicht verletzt. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wird eine großzügige und eine strenge Prüfung am Maßstab des Gleichheitssatzes unterschieden (vgl: BVerfGE 55, 72, 88f; 88, 87, 96 ff; Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl 1995, Art 3 RdNrn 15 ff mwN). Die strengere Prüfung ist in der Regel vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen und nicht nur verschiedene Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden (BVerfGE 55, 72, 88 f; 88, 5, 12; BSGE 58, 134, 142 = SozR 2200 § 385 Nr 14). Dies gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten nur mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (BVerfGE 88, 87, 96). Nach diesem Maßstab ist die unterschiedliche Behandlung nur gerechtfertigt, wenn hierfür nach Art und Gewicht entsprechende Unterschiede aufzuzeigen sind (BVerfGE 63, 255, 262; 88, 5, 12); die unterschiedliche Behandlung und der sie rechtfertigende Grund müssen dabei in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfGE 82, 126, 146 ff).

Die unterschiedlichen Regelungen zum Vog und zum Alüg halten gleichwohl einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Zwar ist das Alüg, worauf die Klägerin mit Recht hinweist, ab 3. Oktober 1990 an die Stelle des Vog getreten (Denkschrift zum EinigVtr ≪BT-Drucks 11/7760 S 370 zu Abs 2≫; BT-Drucks 12/7565 S 19 zu Nr 36). Indes war der Gesetzgeber nicht gehalten, Vog und Alüg identisch auszugestalten. Ihm stand zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung sowohl hinsichtlich der Frage, ob und wie Vog weitergewährt werden sollte, als auch hinsichtlich des Ob und Wie einer Nachfolgeregelung wegen der besonderen historischen Situation abweichend von oben bezeichneten strengen Kriterien die gesamte Breite des gesetzgeberischen Gestaltungspielraums zu, der bei der Bewältigung dieser Ausnahmesituation besonders weit sein muß (BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 5; SozR 3-8570 § 11 Nr 1). Er war daher nicht gehindert, einerseits die Regelung über das Vog, das von den Betrieben zu zahlen (§ 2 Abs 2 Satz 1 VogVO-DDR) und wirtschaftlich hälftig von diesen und aus Mitteln des Staatshaushaltes der früheren DDR zu tragen war (§ 6 VogVO-DDR), einzuschränken und auslaufen zu lassen und andererseits für die Zeit ab 3. Oktober 1990 das Alüg als „modifiziertes Alg” mit ua verlängerter Bezugsdauer (vgl BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4) einzuführen. War aber der Gesetzgeber frei, unterschiedliche Leistungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen vorzusehen, blieb ihm ebenfalls unbenommen, hinsichtlich deren Ausgestaltung (zB Höhe, Dauer, Beendigung und Ausgleichsbeträge) unterschiedliche Regelungen zu treffen.

Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis läßt sich auch nicht aus dem sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten (vgl zu den Voraussetzungen dieses Rechtsinstituts: BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2; vgl zu den Grenzen: Urteil des Senats vom selben Tag – 7 RAr 22/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Klägerin kann nicht der Spitzbetrag nachträglich gewährt werden, nur weil sie diesen bei Weiterzahlung des Vog durch die Beklagte hätte behalten dürfen. Der Herstellungsanspruch kommt nämlich nur dann zum Tragen, wenn der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann. Dagegen bleibt für seine Anwendung kein Raum, wenn ein Nachteilsausgleich auf gesetzwidriges Handeln des Leistungsträgers hinauslaufen würde. Hintergrund dieser von der Rechtsprechung angenommenen Differenzierung zwischen „ersetzbaren” und „nicht ersetzbaren” Voraussetzungen ist das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG). Mit Hilfe des Herstellungsanspruchs läßt sich deshalb ein Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen, als die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (vgl Urteil des Senats vom selben Tag – 7 RAr 22/94 –, mwN).

Die Zuerkennung der Altersrente, die hier zum rückwirkenden Wegfall des Vog-Anspruchs geführt hat, ist ein Umstand, der nicht der Gestaltung durch Verwaltungshandeln der Beklagten zugänglich ist. Sie entfaltet, wie aufgezeigt, Tatbestandswirkung und kann nicht im Wege der Fiktion ungeschehen gemacht werden. Würde die Beklagte der Klägerin für Zeiten, für die bereits Rente zuerkannt worden ist, gleichwohl Vog – und sei es nur in Höhe des die Altersrente übersteigenden Differenzbetrages – gewähren, stünde dies gerade im Widerspruch dazu, eine Doppelversorgung durch gleichzeitigen Bezug von Vog und Rente zu vermeiden.

Ob die Rechtslage dann anders zu beurteilen wäre, wenn die Beklagte der Klägerin die Gewährung des Vog von Anfang an nicht irrtümlich, sondern vorsätzlich oder gar arglistig vorenthalten hätte, bevor die Altersrente bewilligt wurde, oder ob dies nicht eher einen Schadensersatzanspruch begründen würde, bedarf keiner Entscheidung. Dafür sind nämlich keine Anhaltspunkte erkennbar. Daß ein nach DDR-Recht vor dem 3. Oktober 1990 entstandener und danach gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Vog nicht schon mit Erreichen des Rentenalters, sondern erst mit der Zahlung oder Bewilligung der Rente entfällt, war bis zum Urteil des Senats vom 1. Juni 1994 (aaO) zweifelhaft. Selbst nach dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber die Rechtssituation einer kurzfristigen Novellierung unterzogen (Gesetz zur Änderung der VogVO-DDR vom 26. Juli 1994 ≪aaO≫). Bei dieser Sachlage kann von vorsätzlichem oder gar arglistigem Verhalten der Beklagten nicht die Rede sein.

Über einen Schadensersatzanspruch in Form eines Amtshaftungsanspruchs (Art 34 GG iVm § 839 Bürgerliches Gesetzbuch) ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu entscheiden. Für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs wäre vielmehr, da ein Fall des § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz nicht vorliegt, nach Art 34 Satz 3 GG der Zivilrechtsweg eröffnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174512

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