Verfahrensgang

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 17.03.1994; Aktenzeichen L 2 Ar 83/93)

SG Halle (Saale) (Urteil vom 20.10.1993)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. März 1994 und des Sozialgerichts Halle vom 20. Oktober 1993 abgeändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung von Vorruhestandsgeld (Vog) für die Zeit vom 1. August 1992 bis 25. August 1993 in Höhe des Differenzbetrages streitig, der die Altersrente der Klägerin übersteigt (sog Spitzbetrag).

Die am 6. Juli 1932 geborene Klägerin war in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bis zum 31. Juli 1990 bei der Firma K. … H. … GmbH beschäftigt. Am 24. September 1990 vereinbarte sie mit ihrer Arbeitgeberin, daß der Vorruhestand ab 1. August 1990 eingetreten sei und das von der Arbeitgeberin ab 1. September 1990 zu zahlende Vog aufgrund einer Tariferhöhung monatlich 691,00 DM betrage. Die Arbeitgeberin zahlte das Vog bis zum 31. Oktober 1990.

Auf Antrag bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. November 1990 bis 30. Juni 1992 ein Vog in bisheriger Höhe (Bescheid vom 17. Januar 1991). Zum 1. Januar 1991 wurde die Leistung aufgrund einer Dynamisierung auf monatlich 738,00 DM erhöht (Bescheid vom 9. April 1991).

Am 30. Juni 1992 beantragte die Klägerin zur Niederschrift im Arbeitsamt (ArbA) Halle eine Überprüfung des Bewilligungszeitraumes. Sie begehrte die Gewährung von Vog bis zum 63. Lebensjahr. Zur Unterstützung überreichte sie ihren schriftlichen und vom 22. Juli 1992 datierenden „Widerspruch gegen Rentenbescheid”. Einen ausdrücklichen Adressaten enthielt dieses Schreiben nicht. Unter der Bezeichnung „Verteiler” wurden das ArbA Halle, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Berlin und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aufgeführt. In dem Widerspruchsschreiben erklärte die Klägerin ua, daß sie ihren Rentenantrag zurücknehme und einen Rentenbeginn nach Ablauf ihres „Altersübergangsgeldes” wünsche, also ab 1995. Handschriftlich wurde auf dem Widerspruchsschreiben folgender Vermerk eingetragen: „Widerspruch gegen Einstellung der Vorruhestands-Fortzahlung ab 30.06.1992”. Die Klägerin hat diesen Vermerk mit dem Zusatz „geänd.” unterschrieben.

Die Beklagte verwarf den Widerspruch als unzulässig und wies im übrigen darauf hin, daß mit Änderungsbescheid von Juli 1992 der Bewilligungszeitraum um einen Monat bis zum 31. Juli 1992 verlängert worden sei (Widerspruchsbescheid vom 13. November 1992). Am 5. April 1993 stellte die Klägerin erneut den Antrag, den Bewilligungszeitraum zu überprüfen und ihr für insgesamt fünf Jahre Vog zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 5. April 1993, Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1993).

Während des anschließenden Klageverfahrens bewilligte die BfA der Klägerin auf deren Antrag vom 26. Mai 1992 eine Altersrente rückwirkend ab 1. August 1992 (Bescheid vom 25. August 1993). Für die Vergangenheit hatte die BfA aufgrund eines formlosen Bescheides vom 14. Juli 1992 Vorschußleistungen erbracht, die höher als die Altersrente waren. Die Überzahlung wurde mit der Altersrente für die Monate Oktober und November 1993 verrechnet. Die laufende Rente ab 1. Dezember 1993 betrug 874,45 DM.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Vog über den 31. Juli 1992 hinaus bis zum 25. August 1993 in gesetzlicher Höhe unter Anrechnung bereits erhaltener Rentenvorschüsse zu gewähren. Im übrigen ist die Klage abgewiesen worden (Urteil vom 20. Oktober 1993). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt werde, der Klägerin bis zum 25. August 1993 Vog in Höhe der Differenz zwischen dessen Zahlbetrag nach allgemeinen Regeln und der Bruttorente der Klägerin zu gewähren (Urteil vom 17. März 1994). Zur Begründung ist ausgeführt worden, daß die Voraussetzungen für einen Zugunstenbescheid nach § 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) gegeben seien. Die Begrenzung der Vog-Zahlung bis zum 31. Juli 1992 sei rechtswidrig. Der Vog-Anspruch bestehe nicht nur bis zum Erreichen des Rentenalters oder der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Altersrente, sondern bis zum Gewährung der Rente, hier als bis zur Erteilung des Rentenbewilligungsbescheides vom 25. August 1993. Etwaige Vorschußleistungen seien unbeachtlich. Allerdings sei der Anspruch auf Vog in dem Umfang erloschen, in dem der Anspruch auf Altersrente erfüllt sei.

Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 2 Abs 2 der Verordnung über die Gewährung von Vorruhestandsgeld (VogVO-DDR) vom 8. Februar 1990 (GBl I 42) idF der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt III Nr 5 zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (Nr 5 Anl zum EinigVtr) und dem Gesetz vom 23. September 1990 (EinigVtrG, BGBl II 885, 1210). Nach dem Urteil des Senats vom 1. Juni 1994 (7 RAr 118/93) entfalle der Anspruch auf Vog erst mit der Gewährung iS einer Zuerkennung, also mit der Zahlung oder wenigstens der Bewilligung der Altersrente. Bei nachträglicher Rentenbewilligung falle der Anspruch aber rückwirkend in vollem Umfang weg. Ein Anspruch auf den Differenzbetrag zwischen Vog und Rente bestehe nicht, wenn die Entscheidung über den Vog-Anspruch erst nach der Rentenzuerkennung erfolge. Eine Bewilligung für einen Zeitraum, für den Altersrente bereits zuerkannt worden sei, wäre rechtswidrig. Auch der Zweck des Vog gebiete eine solche Entscheidung nicht. Zur Sicherstellung der Nahtlosigkeit der Sozialleistungen bedürfe es einer weiteren Vog-Zahlung nicht mehr, wenn bereits Altersrente zuerkannt und ausgezahlt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. März 1994 und des Sozialgerichts Halle vom 20. Oktober 1993 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die nach ihrer Auffassung zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Berufungsurteil sowie auf das Urteil des Senats vom 1. Juni 1994 (7 RAr 118/93).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 5. April 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1993. Mit diesen Bescheiden hat es die Beklagte abgelehnt, die bindend gewordenen Bescheide vom 17. Januar 1991, 9. April 1991 und Juli 1992 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 1992 abzuändern und der Klägerin über den 31. Juli 1992 hinaus Vog zu gewähren.

Verfahrensmängel, die bei zulässiger Revision von Amts wegen zu beachten sind, liegen nicht vor. Die Berufung war statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. August 1992 bis 25. August 1993 Vog unter Anrechnung der gezahlten Rentenvorschüsse zu gewähren. Die Berufung der Beklagten bezog sich damit auf wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs 1 Satz 2 SGG idF des Art 8 Nr 5 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 ≪BGBl I 50, 53≫).

Richtige Klageart ist nicht – wie das LSG offenbar angenommen hat – die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, sondern die verbundene Anfechtungs-und Verpflichtungsklage (vgl hierzu das Urteil des Senats vom selben Tage im Parallelverfahren 7 RAr 22/94). Denn die Klägerin erstrebt die Abänderung von bindend gewordenen Verwaltungsakten, soweit darin die Bewilligung des Vog begrenzt worden ist. Da die Revision der Beklagten in der Sache in vollem Umfang Erfolg hat, erlangt dieser Verfahrensmangel keine Bedeutung.

Als Rechtsgrundlage für das Klagebegehren kommt allein § 44 SGB X iVm § 152 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in Betracht. Hierbei kann offenbleiben, ob das Neufeststellungsbegehren allein auf § 44 Abs 1 SGB X oder auch auf Abs 2 dieser Norm zu stützen ist (vgl hierzu die oa Entscheidung des Senats vom selben Tage). Voraussetzung ist immer das Vorliegen eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Daran fehlt es hier.

Die Bewilligungsbescheide sind, soweit durch sie die Gewährung von Vog für die Zeit vom 1. August 1992 bis 25. August 1993 – auch hinsichtlich des sog Spitzbetrages – versagt wurde, nicht rechtswidrig. Für die Zeit ab 1. August 1992 steht der Klägerin kein Anspruch auf Vog gemäß § 2 der VogVO-DDR zu, und zwar weder idF der Nr 5 Anl EinigVtr und des EinigVtrG noch idF durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung der Verordnung über die Gewährung von Vog (ÄndGVogVO-DDR) vom 26. Juli 1994 (BGBl I 1796). Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob sich diese Rechtsfolge bereits daraus ergibt, daß der Gesetzgeber ab 29. Juni 1994 mit dem bezeichneten Änderungsgesetz klarstellend zu § 2 Abs 2 der VogVO-DDR (vgl BT-Drucks 12/8039 S 4) ein Erlöschen des Vog-Anspruchs schon mit Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Altersrente geregelt hat, während die VogVO-DDR zuvor ein Entfallen des Rentenanspruchs erst mit Gewährung der Rente (vgl hierzu BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2) vorsah. Träfe entgegen der bezeichneten Entscheidung des Senats § 2 Abs 2 VogVO-DDR nF für alle laufenden Fälle ab 29. Juni 1994 eine (rückwirkende) Regelung (anders die Beklagte in ihrer Dokumentation über die Vorruhestandsregelung-Ost, S 45 ff), käme es auf eine Rentengewährung nicht mehr an. Ob die damit verbundene Schlechterstellung der Vog-Empfänger gegenüber der zitierten Entscheidung des Senats mit Wirkung für die Vergangenheit vom Gesetzgeber gewollt war und zulässig wäre, kann dahinstehen, weil der Klägerin auch nach § 2 Abs 2 VogVO-DDR aF kein Anspruch auf Vog zusteht.

Spätestens durch die Bewilligung der Altersrente rückwirkend ab 1. August 1992 ist nämlich der Anspruch auf Vog nachträglich ab 1. August 1992 entfallen. Die Auswirkungen von Rentenvorschüssen auf den Vog-Anspruch sind damit ohne Bedeutung.

Einzuräumen ist, daß sich die bezeichnete Rechtsfolge nicht allein dem Wortlaut des § 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF „Gewährung” der Altersrente) entnehmen läßt. Wie der Senat bereits entschieden hat (BSGE 74, 225, 229 = SozR 3-8825 § 2 Nr 2), ist unter Gewährung nach allgemeinem und juristischem Sprachgebrauch zwar auch die „Bewilligung” oder die „Zuerkennung”, nicht nur die tatsächliche Erbringung, zu verstehen. Hingegen beantwortet der Wortlaut der Vorschrift nicht, ab wann bei Bewilligung einer Altersrente der Vog-Anspruch entfällt, ob die Rentenbewilligung also insbesondere den Verlust eines zunächst bestehenden Vog-Anspruchs mit Rückwirkung für den gesamten Rentenbewilligungszeitraum zur Folge hat. Letzteres ergibt sich jedoch aus Sinn und Zweck der Vorschrift sowie aus rechtssystematischen Erwägungen.

§ 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR alter wie neuer Fassung soll eine Doppelleistung von Altersrente und Vog verhindern. Anders ausgedrückt: Der Bezug von Altersrente und der von Vog schließen sich nach den gesetzgeberischen Zielen aus, auch wenn § 2 Abs 2 Satz 2 Vog-VO aF den Anspruch auf Vog nicht bereits mit der Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente entfallen ließ (vgl BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2). Vog kann schon begrifflich nur die Zeit bis zum Ruhestand, dokumentiert durch die Gewährung einer Altersrente, überbrücken. Dies gilt unter Berücksichtigung der Änderung der Vorschrift durch das ÄndGVogVO-DDR um so mehr, als diese Änderung die Vorstellung des Gesetzgebers deutlich zum Ausdruck bringt: Der Anspruch sollte bereits mit dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente entfallen, also unabhängig von einer Antragstellung und einer Zubilligung der Rente. Weil dies im Wortlaut der Vorschrift indes keinen Niederschlag gefunden hat, hat der Senat in seinem früheren Urteil anders entschieden (BSGE 74, 225 ff = SozR 3-8825 § 2 Nr 2), ohne die Frage beantworten zu müssen, ob nicht für die Beklagte wenigstens die Möglichkeit bestand, zur Stellung eines Rentenantrags aufzufordern. Jedenfalls läßt sich ein Anspruch auf beide Leistungen nebeneinander keinesfalls begründen.

§ 2 Abs 2 Satz 2 VogVO-DDR aF muß dann allerdings auch zwischen Vog-Zahlung und Rentenzahlung nach Stellung des Rentenantrags eine Nahtlosigkeit gewährleisten. Bis die Zahlung von Altersrente zumindest durch Bewilligungsbescheid gesichert ist, besteht weiterhin ein Anspruch auf Vog. Die Vorschrift stellt in dieser Ausprägung einen Kompromiß zwischen zwei „Radikallösungen” dar. Der Anspruch auf Vog besteht auflösend bedingt bis zur positiven Klärung des Anspruchs auf Altersrente. Denknotwendig ist dieser Zeitpunkt der Tag der Zubilligung der Altersrente, also der Tag, an dem der Rentenbescheid wirksam wird (§§ 39 Abs 1, 37 SGB X). Ergeht der Rentenbescheid, entfällt gleichzeitig rückwirkend der Anspruch auf Vog mit Beginn des Rentenbewilligungszeitraums (vgl in anderem Zusammenhang: BSGE 71, 294, 296 = SozR 3-2500 § 48 Nr 4; BSG SozR 1300 § 48 Nrn 22 und 26; SozR 2200 § 183 Nr 43).

Dies würde im übrigen selbst dann gelten, wenn die Klägerin von der Beklagten (rechtmäßig) das Vog bis zur Rentenbewilligung fortgezahlt erhalten hätte. Der Beklagten würde dann nach § 103 SGB X ein Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger zustehen, in dessen Höhe nach § 107 Abs 1 SGB X der Anspruch auf Altersrente als erfüllt gelten würde. Ob in Höhe des Erstattungsanspruchs eine Aufhebung der Vog-Bewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X möglich oder notwendig wäre, ist zweifelhaft; die Bewilligung der Altersrente stellt jedenfalls wegen des damit verbundenen Entfallens des gesamten Vog-Anspruchs für die Vergangenheit eine Änderung der Rechtsverhältnisse dar. Wegen der Regelung der §§ 103, 107 SGB X ist sie, soweit es die Vergangenheit betrifft, gleichwohl nicht wesentlich iS des § 48 SGB X (vgl aber zur Notwendigkeit der Aufhebung im Hinblick auf § 157 Abs 4 AFG: BSG, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 7 RAr 46/90 –, unveröffentlicht). Unabhängig von der Fortzahlung des Vog bis zur Rentenbewilligung entfällt also der Vog-Anspruch der Klägerin mit der Bewilligung der Rente rückwirkend für den gesamten Rentenbewilligungszeitraum in vollem Umfang. Ob ein gezahlter Spitzbetrag zurückzuzahlen wäre, ist eine andere Frage.

Ein Vergleich mit sonstigen Vorschriften über das Zusammentreffen von Sozialleistungen erhärtet dieses Ergebnis. So begegnet etwa das Arbeitsförderungsrecht unerwünschter Doppelversorgung mit der Ruhensvorschrift des § 118 AFG. Gemäß Abs 1 dieser Bestimmung ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ua ein Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (Nr 4) zuerkannt (worden) ist. Gleiches galt nach der mit bestimmten Maßgaben (vgl Anl II Kap VIII Sachgebiet E Abschn III Nr 1 Buchst a Doppelbuchst dd EinigVtr) über den 2. Oktober 1990 hinaus weiterhin anzuwendenden Vorschrift des § 118 Satz 1 Nr 5 AFG-DDR vom 22. Juni 1990 (GBl I Nr 36 S 403) im Fall der Zuerkennung einer Altersrente. Das Ruhen des Alg-Anspruchs tritt in diesen Fällen unabhängig von der Höhe der Rente grundsätzlich in vollem Umfang ein, und zwar ab dem Zeitpunkt, von dem an die Rente zuerkannt ist. Das schließt das rückwirkende vollständige Ruhen eines Alg-Anspruchs für deckungsgleiche Zeiträume ein (BSGE 60, 180, 182 ff = SozR 1300 § 48 Nr 26; BSGE 73, 10, 13 ff = SozR 3-4100 § 118 Nr 4; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22). Bei rückwirkender Gewährung von Altersrente für einen Zeitraum, für den bereits Alg gezahlt wurde, kann die Aufhebung der Alg-Bewilligung nach § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X allein aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht über die Rentenhöhe (für deckungsgleiche Zeiträume) hinaus erfolgen; gleichzeitig ist so die Höhe des Erstattungsanspruchs (§ 50 Abs 1 Satz 1 SGB X) beschränkt (BSGE 60, 180, 184 f = SozR 1300 § 48 Nr 26; BSG SozR 1300 § 48 Nr 22).

Ähnliche Regelungen existieren im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Gemäß § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) haben Versicherte vom Beginn der Vollrente wegen Alters an keinen Anspruch auf Krankengeld (Krg). Auch hierbei ist unter „Beginn” des Rentenanspruchs wiederum der Zeitpunkt zu verstehen, ab dem (rückwirkend) Rente bewilligt wurde (vgl nur BSGE 71, 294, 296 mwN = SozR 3-2500 § 48 Nr 4). Rückwirkend entfällt dann der Anspruch auf Krg in vollem Umfang. Grund dafür ist, daß neben der Vollrente und dem mit ihr typischerweise verbundenen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben grundsätzlich kein Anspruch auf Krg gegeben sein soll. Die Wegfallwirkung erfaßt einen Krg-Anspruch selbst dann, wenn das Krg über den Beginn der Rentenzahlung hinaus gezahlt worden ist, weil die Rente nachträglich bewilligt worden ist. Wiederum nur aus Gründen des Vertrauensschutzes darf die Krankenkasse einen eventuellen Unterschiedsbetrag zwischen (höherem) Krg und Rente nicht zurückfordern (§ 50 Abs 1 Satz 2 SGB V), weil der Versicherte nach dem gesetzgeberischen Willen das behalten soll, was er zunächst rechtmäßig bezogen hat und worauf er seine Lebenshaltung einrichten durfte (BSGE 71, 294, 296 f mwN = SozR 3-2500 § 48 Nr 4). Auch die Krankenkasse darf ihre Krg-Leistung allerdings erst einstellen, wenn feststeht, daß der Versicherte den Anspruch auf Altersrente hat. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Tag des Erlasses des Rentenbescheides (BSG SozR Nr 39 zu § 183 RVO; SozR 2200 § 183 Nr 43).

Das entscheidende Kriterium ist somit der Erlaß des Rentenbescheides. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG und nach dem Vorbringen der Klägerin ist davon auszugehen, daß der am 25. August 1993 erteilte – und nicht nichtige – Rentenbescheid der BfA weiterhin wirksam geblieben ist (§ 39 SGB X). Schon deshalb kann offenbleiben, wie das von der Klägerin dem ArbA Halle vorgelegte Schreiben vom 22. Juli 1992 zu verstehen war, das sie der Beklagten zur Unterstützung ihres – ersten – Widerspruchs vorgelegt hatte. Im übrigen bestehen aber auch keine Zweifel, daß der darin ursprünglich erklärte „Widerspruch gegen Rentenbescheid” nicht als Rücknahme des Rentenantrags zu interpretieren war. Insoweit hat die von der Klägerin unterschriebene handschriftliche Änderung bereits für die notwendige Klarstellung gesorgt, daß sich der Widerspruch nicht gegen einen Rentenbescheid, sondern gegen die Einstellung der Vog-Zahlung richten sollte. An einer Rücknahme des Rentenantrages – wenn sie denn überhaupt beabsichtigt war – hat die Klägerin jedenfalls nicht festgehalten, so daß die Beklagte auch nicht verpflichtet war, das Schreiben an den Rentenversicherungsträger weiterzuleiten. Die Richtigkeit dieser Interpretation wird schließlich dadurch bestätigt, daß sich die Klägerin gegen den später erlassenen Rentenbescheid vom 25. August 1993 nicht in dem Sinne gewehrt hat, daß sie auf eine Rücknahme des Antrags verwiesen und den Empfang der Leistungen verweigert hat. Da der Rentenbescheid noch immer wirksam ist, kann im übrigen offenbleiben, welche Rechtsfolgen sich aus einer evtl Rücknahme des Rentenantrags für das Vog ergeben könnten.

Wie dargelegt, trägt das Behaltendürfen des Spitzbetrags bei Zusammentreffen zweier sich ausschließender Leistungen und nachträglicher Zuerkennung einer dieser Leistungen nur Vertrauensschutzgesichtspunkten Rechnung. Somit liegt es auf der Hand, daß der Spitzbetrag im Falle der Nichtzahlung der zunächst weiterhin zu erbringenden Leistung, vorliegend des Vog, nicht nachträglich zuerkannt werden kann, wenn bereits durch Bescheid feststeht, daß ein Anspruch auf die andere Leistung, hier die Altersrente, für einen zurückliegenden Zeitpunkt besteht. Die entscheidende Zielsetzung, Doppelleistungen zu verhindern, wäre dann verfehlt. Im Verhältnis von Krg und Rente ist bereits mehrfach entschieden worden, daß ein Versicherter keinen Anspruch auf Krg hat, wenn ihm dieses vor der Rentenbewilligung (rechtsirrtümlich) verweigert worden ist, auch nicht auf Nachzahlung eines etwaigen Differenzbetrags zwischen Krg und Rente (vgl BSG SozR Nrn 24 und 29 zu § 183 RVO; SozR 2200 § 183 Nr 43; BSG, Urteil vom 25. Januar 1995 – 12 RK 51/93 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Ob gleiches gilt, wenn der Erlaß des Bescheides über die Zubilligung der anderen Leistung durch den Leistungsempfänger verzögert wird, kann an dieser Stelle offenbleiben. Unerheblich ist jedenfalls, ob der Rentenbescheid bestandskräftig und rechtmäßig ist. Er entfaltet als solcher Tatbestandswirkung und ist ohne weitere Prüfung – außer bei Nichtigkeit – zu beachten (BSGE 70, 51, 53 f = SozR 3-4100 § 118 Nr 3; vgl auch Eicher, DOK 1986, 497, 499). Nicht zuletzt erscheint das Vertrauen der Klägerin vorliegend schon in tatsächlicher Hinsicht nicht schützenswert. Denn abgesehen davon, daß die Beklagte die Weitergewährung von Vog über den Juli 1992 hinaus abgelehnt hat, fehlte für ein Vertrauen der Klägerin auf Gewährung von Vog über das Erreichen des Rentenalters hinaus vor dem Senatsurteil vom 1. Juni 1994 (aaO) eine sichere Rechtsbasis.

Eine Sonderregelung, die die Gewährung von Vog neben der Altersrente bis zum Beginn der laufenden Rentenzahlung vorsieht, ist nicht ersichtlich. Die Vorschrift des § 118 Abs 2 Nr 1 AFG bezieht sich ausschließlich auf Renten wegen Erwerbsunfähigkeit; sie trägt insbesondere der Vorschrift des § 95 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) iVm § 105a AFG Rechnung (vgl Gagel, AFG, Stand Mai 1993, § 118 RdNrn 33 ff) und ist einer erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung auf das Vog damit nicht zugänglich. Dies gilt auch für die Bestimmung des § 249e Abs 4a AFG, eingefügt mit Wirkung ab 1. Januar 1995. Danach ist Rentenberechtigten, deren Rente niedriger als das Altersübergangsgeld (Alüg) ist, anstelle des Alüg ein pauschalierter Ausgleichsbetrag in Höhe des festgestellten Unterschiedsbetrages zu gewähren; der Ausgleichsbetrag wird während der Zeit, für die eine Rente zuerkannt ist, und für die ansonsten verbleibende Dauer des Anspruchs auf Alüg, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 100 Abs 2 AFG), in unveränderter Höhe im selben Verfahren gezahlt wie zuvor das Alüg (vgl BT-Drucks 12/5502 § 41 f zu Nr 63; Barkmin, DAngVers 1994, 273, 276). Insoweit kann von einer für einen Analogieschluß notwendigen planwidrigen Gesetzeslücke nicht gesprochen werden, weil das Problem der unterschiedlichen Regelungen für das Alüg einerseits und für das Vog andererseits bei der Erfüllung der Voraussetzungen eines Rentenanspruchs während des Gesetzgebungsverfahrens betreffend das ÄndGVogVO-DDR gesehen und erörtert worden ist. Ein Antrag des Landes Brandenburg, den Vermittlungsausschuß zwecks Gleichstellung der Empfänger von Vog mit den Empfängern von Alüg einzuberufen (BR-Drucks 665/1/94), ist seitens des Bundesrates abgelehnt worden (BR-Drucks 665/94). Die Empfänger von Vog und von Alüg sind durch den Gesetzgeber mithin bewußt unterschiedlich behandelt worden.

Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; insbesondere ist der allgemeine Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 Grundgesetz ≪GG≫) nicht verletzt. Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG wird eine großzügige und eine strenge Prüfung am Maßstab des Gleichheitssatzes unterschieden (vgl: BVerfGE 55, 72, 88f; 88, 87, 96 ff; Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl 1995, Art 3 RdNrn 15 ff mwN). Die strengere Prüfung ist in der Regel vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen und nicht nur verschiedene Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden (BVerfGE 55, 72, 88 f; 88, 5, 12; BSGE 58, 134, 142 = SozR 2200 § 385 Nr 14). Dies gilt auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten nur mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (BVerfGE 88, 87, 96). Nach diesem Maßstab ist die unterschiedliche Behandlung nur gerechtfertigt, wenn hierfür nach Art und Gewicht entsprechende Unterschiede aufzuzeigen sind (BVerfGE 63, 255, 262; 88, 5, 12); die unterschiedliche Behandlung und der sie rechtfertigende Grund müssen dabei in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfGE 82, 126, 146 ff).

Die unterschiedlichen Regelungen zum Vog und zum Alüg halten einer verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Zwar ist das Alüg, worauf die Klägerin mit Recht hinweist, ab 3. Oktober 1990 an die Stelle des Vog getreten (Denkschrift zum EinigVtr ≪BT-Drucks 11/7760 S 370 zu Abs 2≫; BT-Drucks 12/7565 S 19 zu Nr 36). Indes war der Gesetzgeber nicht gehalten, Vog und Alüg identisch auszugestalten. Ihm stand zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung sowohl hinsichtlich der Frage, ob und wie Vog weitergewährt werden sollte, als auch hinsichtlich des Ob und Wie einer Nachfolgeregelung wegen der besonderen historischen Situation abweichend von oben bezeichneten strengen Kriterien die gesamte Breite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zu, der bei der Bewältigung dieser Ausnahmesituation besonders weit sein muß (BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 5; SozR 3-8570 § 11 Nr 1). Er war daher nicht gehindert, einerseits die Regelung über das Vog, das von den Betrieben zu zahlen (§ 2 Abs 2 Satz 1 VogVO-DDR) und wirtschaftlich hälftig von diesen und aus Mitteln des Staatshaushaltes der früheren DDR zu tragen war (§ 6 VogVO-DDR), einzuschränken und auslaufen zu lassen und andererseits für die Zeit ab 3. Oktober 1990 das Alüg als „modifiziertes Alg” mit ua verlängerter Bezugsdauer (vgl BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 4) einzuführen. War aber der Gesetzgeber frei, unterschiedliche Leistungen mit unterschiedlichen Voraussetzungen vorzusehen, blieb ihm ebenfalls unbenommen, hinsichtlich deren Ausgestaltung (zB Höhe, Dauer, Beendigung und Ausgleichsbeträge) unterschiedliche Regelungen zu treffen.

Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis läßt sich auch nicht aus dem sog sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten (vgl zu den Voraussetzungen dieses Rechtsinstituts: BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 2; vgl zu den Grenzen: Urteil des Senats vom selben Tag – 7 RAr 22/94 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Klägerin kann nicht der Spitzbetrag nachträglich gewährt werden, nur weil sie diesen bei Weiterzahlung des Vog durch die Beklagte hätte behalten dürfen. Der Herstellungsanspruch kommt nämlich nur dann zum Tragen, wenn der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann. Dagegen bleibt für seine Anwendung kein Raum, wenn ein Nachteilsausgleich auf gesetzwidriges Handeln des Leistungsträgers hinauslaufen würde. Hintergrund dieser von der Rechtsprechung angenommenen Differenzierung zwischen „ersetzbaren” und „nicht ersetzbaren” Voraussetzungen ist das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 GG). Mit Hilfe des Herstellungsanspruchs läßt sich deshalb ein Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen, als die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (vgl Urteil des Senats vom selben Tag – 7 RAr 22/94 –, mwN).

Die Zuerkennung der Altersrente, die hier zum rückwirkenden Wegfall des Vog-Anspruchs geführt hat, ist ein Umstand, der nicht der Gestaltung durch Verwaltungshandeln der Beklagten zugänglich ist. Sie entfaltet, wie aufgezeigt, Tatbestandswirkung und kann nicht im Wege der Fiktion ungeschehen gemacht werden. Würde die Beklagte der Klägerin für Zeiten, für die bereits Rente zuerkannt worden ist, gleichwohl Vog – und sei es nur in Höhe des die Altersrente übersteigenden Differenzbetrages – gewähren, stünde dies gerade im Widerspruch dazu, eine Doppelversorgung durch gleichzeitigen Bezug von Vog und Rente zu vermeiden.

Ob die Rechtslage dann anders zu beurteilen wäre, wenn die Beklagte der Klägerin die Gewährung des Vog von Anfang an nicht irrtümlich, sondern vorsätzlich oder gar arglistig vorenthalten hätte, bevor die Altersrente bewilligt wurde, oder ob dies nicht eher einen Schadensersatzanspruch begründen würde, bedarf keiner Entscheidung. Dafür sind nämlich keine Anhaltspunkte erkennbar. Daß ein nach DDR-Recht vor dem 3. Oktober 1990 entstandener und danach gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Vog nicht schon mit Erreichen des Rentenalters, sondern erst mit der Zahlung oder Bewilligung der Rente entfällt, war bis zum Urteil des Senats vom 1. Juni 1994 (aaO) zweifelhaft. Selbst nach dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber die Rechtssituation einer kurzfristigen Novellierung unterzogen (ÄndGVogVO-DDR vom 26. Juli 1994, aaO). Bei dieser Sachlage kann von vorsätzlichem oder gar arglistigem Verhalten der Beklagten nicht die Rede sein.

Über einen Schadensersatzanspruch in Form eines Amtshaftungsanspruchs (Art 34 GG iVm § 839 Bürgerliches Gesetzbuch) ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu entscheiden. Für die Geltendmachung eines solchen Anspruchs wäre vielmehr, da ein Fall des § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz nicht vorliegt, nach Art 34 Satz 3 GG der Zivilrechtsweg eröffnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174518

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