Leitsatz (amtlich)
1. Zur Passivlegitimation der Postbeamtenkrankenkasse in Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung.
2. Die Erstattung von Kosten bis zu der für professionelle Pflege vorgesehenen Höchstgrenze kommt in der privaten Pflegeversicherung bei einzelnen Pflegekräften nur in Betracht, wenn sie die Qualifikationsanforderungen des § 71 Abs 3 SGB 11 erfüllen oder eine Pflegekasse mit ihnen einen Vertrag nach § 77 Abs 1 SGB 11 abgeschlossen hat; ein Vorrang ambulanter Pflegeeinrichtungen besteht nicht, wenn die Pflege auf Wunsch des Pflegebedürftigen von derartigen Pflegekräften sichergestellt wird.
3. Das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Pflegebedürftigem und Pflegekraft ist in der privaten Pflegeversicherung kein Hinderungsgrund.
4. Bei der Geltendmachung von Kostenerstattung für professionelle Pflege entsteht die Zahlungspflicht des Trägers der privaten Pflegeversicherung erst mit der Vorlage spezifizierter Rechnungen über die einzelnen Pflegeleistungen.
Stand: 31. Juli 2000
Beteiligte
Postbeamtenkrankenkasse -Hauptverwaltung- |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 9. August 1999 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten über das gezahlte Pflegegeld iHv 800 DM monatlich hinaus die Zahlung weiterer 1.000 DM monatlich für Pflegeleistungen, die die Beigeladene erbringt.
Die 1919 geborene Klägerin ist die Witwe eines Postbeamten. Sie leidet unter einer schweren Hirnsklerose und ist desorientiert. Sie wird von der Beigeladenen und drei weiteren Pflegekräften betreut. Mit ihnen hat die Klägerin, vertreten durch ihren Betreuer, jeweils Arbeitsverträge abgeschlossen. Die Vergütung für sämtliche Pflegekräfte beläuft sich pro Monat auf 6.040 DM. Die Vergütung der Beigeladenen beträgt 3.250 DM.
Die beklagte Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) ist eine Sozialeinrichtung der früheren Deutschen Bundespost in der Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die in ihrem Bestand geschlossen ist und mit dem Ziel der Abwicklung für die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost und für die Aktiengesellschaften durch die Bundesanstalt weitergeführt wird. Sie berechnet und zahlt zugunsten ihrer Mitglieder in Auftragsverwaltung Beihilfen nach den Beihilfevorschriften des Bundes und führt aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit privaten Krankenversicherungsunternehmen zugunsten ihrer Mitglieder die private Pflegepflichtversicherung durch.
Die Beklagte leistet seit Januar 1997 an die Klägerin Pflegegeld in Höhe von 800 DM monatlich (Pflegestufe II). Dieses setzt sich zusammen aus einem beamtenrechtlichen Beihilfeanspruch iHv 70 vH sowie aus einem Anspruch aus einer ergänzenden privaten Pflegeversicherung iHv 30 vH. Im August 1997 beantragte der Betreuer der Klägerin monatliche Zahlungen in Höhe von 1.800 DM als Sachleistungshöchstbetrag. Er machte geltend, die von der Klägerin angestellten Pflegekräfte seien einer Sozialstation vergleichbar. Nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, welche Anforderungen das Elfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) an eine Pflegeeinrichtung stellt, beantragte die Klägerin nunmehr, die Beigeladene als Einzelpflegekraft anzuerkennen. Die Beklagte lehnte dies im Hinblick auf die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung (AVB) Bedingungsteil MB/PPV 1996 ab.
Mit der hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, für die von der Beigeladenen zu erbringenden Leistungen müsse sie einen wesentlich höheren Betrag aufwenden als die hier streitigen 1.800 DM. Deshalb könne der mit der Beigeladenen bestehende Arbeitsvertrag auch nicht gekündigt werden. Zwar könnten die reinen Pflegeleistungen im Bereich der Grundpflege auch von ambulanten Pflegediensten durchgeführt werden. Diese könnten die Betreuung jedoch nicht in dem Umfang übernehmen, wie dies der Beigeladenen aufgrund ihres Arbeitsvertrages obliege. Das Sozialgericht (SG) hat ein Sachverständigengutachten einer Pflegefachkraft eingeholt. Diese kam zu dem Ergebnis, daß die Beigeladene sämtliche Pflegemaßnahmen in geeigneter Weise erbringen könne und auch den schwierigen Umgang mit der desorientierten Klägerin angemessen beherrsche. Darüber hinaus sei aus pflegerischer Sicht eine Versorgung durch wenige feste Bezugspersonen bei dem bestehenden Krankheitsbild vorteilhaft. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 9. August 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte könne sich bei ihrer Weigerung, der Klägerin Leistungen iH der Pflegesachleistung der Pflegestufe II zu gewähren, auf § 4 MB/PPV 1996 berufen. Danach komme eine Pflege durch einzelne geeignete Pflegekräfte nur in Betracht, soweit und solange häusliche Pflegehilfe nicht durch von einer Pflegekasse der sozialen Pflegeversicherung oder bei ambulanten Pflegeeinrichtungen angestellte Pflegekräfte erbracht werden könne. In einem solchen Fall müsse die einzelne Pflegekraft mit einer Pflegekasse der sozialen Pflegeversicherung einen Vertrag nach § 77 Abs 1 SGB XI abgeschlossen haben oder von einem Träger der privaten Pflegeversicherung anerkannt worden sein. Zusätzlich dürften Einzelpflegekräfte mit der versicherten Person kein Beschäftigungsverhältnis eingehen. Gerade diese Regelung schließe den Anspruch der Klägerin aus.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin, die Auslegung des § 77 Abs 1 Satz 3 SGB XI durch das SG verstoße gegen Art 2 Abs 1, Art 3 Abs 3 Satz 2 und Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG). Das Betreuungsrecht verpflichte in den §§ 1896 ff Bürgerliches Gesetzbuch den Betreuer, alles zu unternehmen, um einen Verbleib hilfsbedürftiger Menschen in ihrer angestammten Wohnung zu ermöglichen. Durch die einschränkende Auslegung des § 77 Abs 1 SGB XI werde der Klägerin jedoch praktisch das Recht entzogen, in ihrer Wohnung zu bleiben. Die Klägerin werde danach auch gegenüber einem Pflegebedürftigen, der stationär gepflegt werde, ohne sachlichen Grund diskriminiert. Denn bei stationärer Unterbringung würde die Klägerin Pflegeleistungen in der von ihr geltend gemachten Höhe beanspruchen können. Diese Differenzierung widerspreche dem Selbstbestimmungsrecht der Klägerin und der Verpflichtung ihres Betreuers, vorrangig ein Verbleiben in der gewohnten häuslichen Umgebung sicherzustellen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 9. August 1999 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.000 DM monatlich ab 1. August 1997 zusätzlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war zurückzuweisen.
1. Die Klage ist nur insoweit zulässig, als mit ihr Leistungen aus der privaten Pflegeversicherung geltend gemacht werden. Dies sind monatlich 300 DM. Die Differenz von 700 DM zu dem von der Klägerin beanspruchten Betrag von monatlich 1.000 DM fällt gegebenenfalls in die Leistungspflicht der Beihilfe. Denn die versicherungsmäßige Absicherung des Pflegerisikos der Klägerin umfaßt lediglich 30 vH des in den §§ 36 ff SGB XI vorgesehenen Leistungsrahmens. Entsprechend der Regelung in § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XI war die Klägerin im Hinblick auf ihren Beihilfeanspruch nur zum Abschluß einer anteiligen beihilfekonformen Versicherung verpflichtet. Die beihilfekonforme Versicherung ist gemäß § 23 Abs 3 Satz 2 SGB XI so auszugestalten, daß ihre Vertragsleistungen zusammen mit den Beihilfeleistungen, die sich bei Anwendung der in § 14 Abs 1 und 5 der Beihilfevorschriften des Bundes festgelegten Bemessungssätze ergeben, den vollen Versicherungsschutz, dh den in den §§ 36 ff SGB XI vorgesehenen Leistungsrahmen gewährleisten. Dieser Vorgabe entspricht der Versicherungsschutz der Klägerin iHv 30 vH.
Soweit die Klage sich damit auch gegen die Versagung von Beihilfeleistungen richtet, ist sie in Ermangelung des insoweit erforderlichen Vorverfahrens unzulässig. Zwar berechnet und zahlt die Beklagte für ihre Mitglieder auch Beihilfen nach den Beihilfevorschriften des Bundes. Dies geschieht jedoch in Auftragsverwaltung für den früheren Dienstherrn des verstorbenen Ehemannes der Klägerin. Die Beklagte wird insoweit gegenüber ihren Mitgliedern hoheitlich tätig; als Handlungsform steht ihr bei der Bewilligung bzw Ablehnung von Leistungen nur der Verwaltungsakt zur Verfügung. Rechtsschutz gegen ablehnende Leistungsanträge ist durch Anfechtungs- und gegebenenfalls (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren) Verpflichtungsklage zu erreichen. Dafür wäre der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben, da sich die Sonderzuständigkeit der Sozialgerichte nach § 51 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht auf die beamtenrechtliche Beihilfe bezieht, auch wenn diese für Pflegeaufwendungen gewährt wird. Die fehlende Zuständigkeit ist im Revisionsverfahren zwar nicht mehr zu prüfen (§ 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz); dies ändert jedoch nichts an der Erforderlichkeit eines Vorverfahrens als Sachurteilsvoraussetzung auch des sozialgerichtlichen Verfahrens (§ 78 SGG).
2. Im übrigen ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Die Klage richtet sich zu Recht gegen die Beklagte, obgleich diese selbst nicht materiell Verpflichtete gegenüber den von der Klägerin geltend gemachten Rechten ist, sondern lediglich aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit Versicherungsunternehmen für ihre Mitglieder, zu denen auch die Klägerin zählt, die private Pflegepflichtversicherung durchführt. Sie schuldet deshalb nicht als Versicherer nach § 178b Abs 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) im Fall der Pflegebedürftigkeit im vereinbarten Umfang Ersatz der Aufwendungen, die für die Pflege der versicherten Person entstehen. Versicherer ist vielmehr die „Gemeinschaft privater Versicherungsunternehmen zur Durchführung der Pflegeversicherung (nach dem PflegeVG vom 26. Mai 1994) für die Mitglieder der PBeaKK und der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (GPV)”. Hierbei handelt es sich um eine Gesellschaft, zu der sich diejenigen privaten Krankenversicherungsunternehmen zusammengeschlossen haben, die auch die private Pflegeversicherung anbieten. Nach dem von diesen untereinander abgeschlossenen „Mitversicherungsvertrag” haftet jeder der beteiligten Mitversicherer gegenüber jedem Versicherungsnehmer als Gesamtschuldner; die Vertretung und die Geschäftsführung der Gesellschaft wurde generell dem Verband der privaten Krankenversicherung eV, die praktische Durchführung der privaten Pflegeversicherung aber durch einen weiteren Vertrag auf die Beklagte übertragen; hierzu zählen insbesondere das Leistungswesen mit der Feststellung der bedingungsgemäßen Leistungsvoraussetzungen und die Auszahlung der beantragten Tarifleistungen. Die Vereinbarung umfaßt auch die Abwehr vermeintlich unbegründeter Leistungsbegehren durch die Beklagte unter Einschluß der gerichtlichen Verfahren. Soweit die GPV der Beklagten auch das Recht zur Prozeßführung übertragen hat, handelt es sich um einen Fall der gewillkürten Prozeßstandschaft, die als zulässig anzusehen ist, weil neben der Ermächtigung des Rechtsträgers ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Prozeßstandschafters, das fremde Recht geltend zu machen, vorliegt und entgegenstehende schutzwürdige Belange des Prozeßgegners fehlen (BGHZ 96, 151; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl 1999, § 51 RdNr 34; Lindacher, in Münchener Kommentar zur ZPO, 1992, Vor § 50 RdNr 55 ff; Vollkommer, in Zöller, ZPO, 21. Aufl 1999, § 51 RdNrn 44 ff; Bork, in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl 1993, Vor § 50 RdNrn 41a ff). Die Beklagte erfüllt damit ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der GPV als Treuhänder. Die verfahrensrechtlichen Interessen der Klägerin werden dadurch, daß anstelle der GPV die Beklagte den Rechtsstreit führt, nicht beeinträchtigt. Die Rechtskraftwirkungen erstrecken sich auch auf die GPV. Es liegt im übrigen – sofern die Rechtskreise sorgfältig auseinandergehalten werden – im Interesse der Mitglieder, es bei der Durchsetzung der von ihnen begehrten Pflegeleistungen nur mit einer Einrichtung zu tun zu haben, die auch für ihren Krankenversicherungsschutz zuständig ist und neben dem Privatversicherungsanteil der Pflegeleistungen auch über den Beihilfeanspruch entscheidet.
3. Der Klägerin steht neben dem ihr von der Beklagten gezahlten anteiligen Pflegegeld nach der Pflegestufe II ein weitergehender Zahlungsanspruch nicht zu. Die Grundlage ihrer Ansprüche ist § 178b Abs 4 VVG iVm § 4 Abs 1 MB/PPV 1996, die Inhalt des Versicherungsvertrages geworden sind. Nach § 4 Abs 1 Satz 1 MB/PPV steht der Klägerin Ersatz von Aufwendungen für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung zu. Die Versicherungsbedingungen folgen insoweit der Regelung in § 36 Abs 2 SGB XI für die Soziale Pflegeversicherung (SPV), so daß sie – wie es das Gesetz verlangt (§ 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI) – deren Leistungen gleichwertig sind. Danach umfaßt die Leistungspflicht der PPV ebenso wie in der SPV nicht den gesamten Betreuungsaufwand eines Pflegebedürftigen, sondern nur Hilfeleistungen bei den in § 1 Abs 5 MB/PPV aufgeführten Verrichtungen, die denen in § 14 SGB XI entsprechen (§ 4 Abs 1 Satz 3 MB/PPV). Der Senat hat diese Leistungsbegrenzung in ständiger Rechtsprechung für verfassungsgemäß gehalten (vgl stellvertretend BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2). In der PPV tritt an die Stelle der Pflege als Naturalleistung, die dem Pflegebedürftigen von seiner Pflegekasse durch professionelle Pflegekräfte zur Verfügung zu stellen ist, die entweder bei zugelassenen Pflegediensten (§ 72 SGB XI) oder bei der Pflegekasse selbst angestellt sind oder mit denen die Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Abs 1 SGB XI abgeschlossen haben, die Erstattung der durch den Einsatz professioneller Pflegekräfte entstehenden Kosten in der in § 36 Abs 3 SGB XI vorgesehenen Höhe. Dies ist in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XI ausdrücklich geregelt. Wegen der Begrenzung der Leistungspflicht der PPV auf Maßnahmen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung ist die Kostenerstattung auf Pflegeleistungen in diesem Bereich beschränkt. Weitergehende Rechte können der Klägerin nicht deshalb zustehen, weil sie unter gesetzlicher Betreuung steht. Ihr Selbstbestimmungsrecht sowie das Recht und die Pflicht des Betreuers, im wohlverstandenen Interesse der Klägerin zu handeln, mögen für die konkret gewählte Art der pflegerischen Versorgung sprechen; eine über das Gesetz und den Versicherungsvertrag hinausgehende Leistungsverpflichtung der Beklagten folgt daraus nicht.
4. Zu Recht wendet sich die Revision allerdings gegen die Auffassung des SG, der Vorrang der ambulanten Pflegedienste und das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses mit der Beigeladenen stehe bereits einem Anspruch auf Erstattung der Pflegekosten entgegen.
Private Versicherungsunternehmen können die Kostenerstattung für Leistungen einer einzelnen geeigneten Pflegekraft nicht schon dann unter Hinweis auf die Subsidiarität dieser Form der Erbringung von Pflegeleistungen ablehnen, wenn im räumlichen Einzugsbereich des Pflegebedürftigen ein für die SPV zugelassener Pflegedienst vorhanden und zur Übernahme der Pflege bereit ist. Nach § 77 Abs 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGB XI darf die zuständige Pflegekasse einen Vertrag mit einzelnen geeigneten Pflegekräften allerdings nur schließen, soweit und solange eine Versorgung nicht durch einen zugelassenen Pflegedienst gewährleistet werden kann. Es ist zweifelhaft, ob hieraus unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben der Schluß gezogen werden kann, die Versorgung sei in Bezug auf den einzelnen Pflegebedürftigen schon dann gewährleistet, wenn in seinem Einzugsbereich ein ambulanter Pflegedienst überhaupt vorhanden sei oder ob hiervon im Hinblick auf das in § 2 Abs 2 SGB XI verankerte Wunsch- und Wahlrecht des Pflegebedürftigen, das auf das grundrechtlich (Art 1 Abs 1 GG) geschützte Selbstbestimmungsrecht des Pflegebedürftigen zurückgeht, erst dann auszugehen ist, wenn der Pflegebedürftige mit dieser Versorgungsform auch einverstanden ist (so Neumann, Handbuch der Sozialversicherung, Band 4, Pflegeversicherung, Anhang § 21 RdNr A 37-40). Ein Vorrang zugelassener Pflegedienste wäre dann zu verneinen, wenn der Pflegebedürftige eine fachlich qualifizierte Pflegekraft benennt, zu der er ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, und er für die Ablehnung der Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst sachliche Gründe anführen kann (so auch: Leitherer, in KassKomm § 77 RdNr 16; Spellbrink, in Hauck/Wilde § 77 RdNr 8; im Ergebnis auch Spinnarke, in LPK-SGB XI § 77 RdNr 7). Die Frage kann hier offenbleiben; denn der Vorrang der Versorgung durch zugelassene Pflegedienste wie die Regelungen in § 77 SGB XI insgesamt beruhen auf dem Sachleistungsprinzip und lassen sich auf die PPV nicht übertragen.
Der Gesetzgeber hat für den Vorrang ambulanter Pflegedienste weder im ursprünglichen Gesetzgebungsverfahren noch im Zusammenhang mit der im 1. SGB XI-ÄndG verabschiedeten jetzigen Fassung des § 77 Abs 1 SGB XI eine Begründung abgegeben. Die Gründe lassen sich nur aus der Grundkonzeption der Leistungserbringung in der Pflegeversicherung erschließen. Nach § 72 Abs 1 SGB XI dürfen die Pflegekassen ambulante und stationäre Pflege nur durch Pflegeeinrichtungen gewähren, mit denen ein Versorgungsvertrag besteht (§ 72 Abs 1 Satz 1 SGB XI). Gemäß § 72 Abs 3 Satz 1 SGB XI dürfen Versorgungsverträge nur mit Einrichtungen abgeschlossen werden, die den Anforderungen des § 71 SGB XI genügen und die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten. Die Pflegeversicherung soll hierdurch zur Einhaltung eines Qualitätsstandards der Pflege beitragen. Der Vorrang ambulanter Pflegedienste vor einzelnen Pflegekräften läßt sich deshalb womöglich mit der grundsätzlich besseren Qualitätskontrolle rechtfertigen. Bei ambulanten Pflegediensten ist im Zulassungsverfahren zu prüfen, ob die Pflege unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft durchgeführt werden kann. Dies entlastet den Leistungsträger allerdings nicht von der Verantwortung, auch in diesen Fällen die ordnungsgemäße Durchführung der Pflege zu überprüfen. Eine derartige Verantwortung trifft den Träger der privaten Pflegeversicherung nicht; denn dieser hat nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XI nur die durch die Erbringung von Pflegeleistungen entstehenden Kosten zu erstatten. Er unterliegt weder dem Sicherstellungsauftrag (§ 69 SGB XI) noch der Sachleistungspflicht; an der Vereinbarung von Maßnahmen zur Qualitätssicherung (§ 80 SGB XI) ist er nicht beteiligt.
Weil im Rahmen der PPV keine Verträge zwischen Leistungserbringern und Versicherungsunternehmen abgeschlossen werden, fehlt es schon an der Grundlage für einen etwaigen „Vorrang” der ambulanten Pflegedienste, die durch die Pflegekassen zugelassen sind. Umgekehrt fehlt es auch an der Grundlage für eine besondere „Anerkennung” der Pflegekraft durch ein privates Versicherungsunternehmen, wie sie die Klägerin zunächst begehrt hat und wie sie auch in § 4 Abs 1 Satz 5 MB/PPV vorgesehen ist. Der Anspruch auf Kostenerstattung setzt eine vorherige Anerkennung nicht notwendig voraus, sondern nur eine sachgerechte Leistungserbringung durch die Pflegeperson.
Trotz der von der SPV abweichenden Form der Leistungserbringung ergibt sich aus der Systematik des SGB XI, daß in der PPV bei häuslicher Pflege ebenfalls nur dann ein Anspruch auf Leistungen nach dem erhöhten Leistungsrahmen des § 36 Abs 3 SGB XI besteht, wenn die Pflege durch Pflegekräfte erbracht wird, deren vom Gesetz vorgegebene Qualifikation gegenüber dem Versicherer nachgewiesen wird. Soweit sich die vom Betreuer der Klägerin im Revisionsverfahren vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken auch gegen diese Anforderung richten, sind sie nicht begründet. Der erkennende Senat hat bereits in anderem Zusammenhang (BSG SozR 3-3300 § 73 Nr 1, S 7) deutlich gemacht, daß der Gesetzgeber mit dem SGB XI auch das Anliegen verfolgte, bei der Pflege einen Mindeststandard zu garantieren und dieses Ziel auch eine präventive Kontrolle der Erbringer von Pflegeleistungen rechtfertigt. Neben der Sicherstellung eines pflegerischen Mindeststandards ist zudem das Interesse der in der PPV ebenfalls zwangsweise zusammengeschlossenen Beitragszahler daran zu berücksichtigen, daß die Beitragsmittel nur für pflegerische Leistungen verwendet werden, die einem qualitativen Mindeststandard entsprechen. Um dies zu gewährleisten kann das Gesetz wie in § 71 Abs 3 SGB XI typisierend die Absolvierung eines entsprechenden Ausbildungsgangs vorschreiben.
Ein gleichwertiger Versicherungsschutz in der PPV läßt sich nur gewährleisten, wenn dort gleiche Anforderungen an die Qualifikation der Pflegeperson gestellt werden. Dies ist bei einem Kostenerstattungsbegehren gegenüber dem Versicherungsunternehmen nachzuweisen. Eine vorherige „Anerkennung” der Pflegepersonen mag in Zweifelsfällen allerdings zweckmäßig sein, um dem Versicherten das Risiko abzunehmen, daß er Kosten für eine nicht geeignete Pflegeperson aufwendet, deren Erstattung aus diesem Grunde später verweigert wird. Notfalls wird ihm auch die Möglichkeit einer vorbeugenden Feststellungsklage über die Eignung der Pflegeperson eingeräumt werden müssen.
Das private Versicherungsunternehmen kann regelmäßig davon ausgehen, daß einzelne Pflegekräfte, mit denen eine Pflegekasse der SPV einen Vertrag nach § 77 Abs 1 SGB XI abgeschlossen hat, als geeignet anzusehen sind. Der Kreis geeigneter Pflegekräfte ist jedoch nicht auf Personen begrenzt, die aufgrund anderer Pflegeverhältnisse über eine vertragliche Bindung zu einer Pflegekasse verfügen. Dies folgt bereits aus der Tatsache, daß die Pflege durch Einzelpersonen gerade auf einzelne Pflegebedürftige beschränkt sein kann und eine allgemeine Zulassung für eine unbegrenzte Zahl von Pflegebedürftigen im Rahmen des § 77 Abs 1 SGB XI nicht vorgesehen ist. Es könnte allenfalls darauf abgestellt werden, daß die Voraussetzungen für den Abschluß eines Einzelvertrages erfüllt sind und eine Pflegekasse verpflichtet wäre, einen solchen Vertrag abzuschließen. Soweit § 4 Abs 1 Satz 5 MB/PPV die „Anerkennung” einzelner Pflegekräfte durch das Versicherungsunternehmen davon abhängig macht, daß sie „von den Trägern der privaten Pflegepflichtversicherung zugelassen worden sind”, weichen sie ohne sachlichen Grund mit den Rechtsfolgen aus § 9 AGB-Gesetz von den Vorgaben der SPV ab. Das Versicherungsunternehmen muß auch solche einzelnen Pflegekräfte als geeignet „anerkennen”, die über eine ausreichende Qualifikation verfügen, jedoch nicht aufgrund anderer Pflegeverhältnisse mit einer Pflegekasse einen Vertrag nach § 77 Abs 1 SGB XI abgeschlossen haben. Die Eignung muß sich allerdings im Einzelfall aus dem Abschluß einer qualifizierten einschlägigen Ausbildung und einer ausreichenden Pflegepraxis ergeben. Diese Anforderungen erfüllt die Beigeladene nicht; insofern wäre auch ein entsprechender Feststellungsantrag der Klägerin ohne Erfolg geblieben. Der Abschluß eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen Pflegebedürftigem und Pflegekraft kann der Anerkennung als geeignet in der PPV dagegen nicht entgegenstehen; denn dieser Hinderungsgrund ist ersichtlich Ausfluß des Sachleistungsprinzips und kann nur damit und insoweit gerechtfertigt werden, als eine Kollision vertraglicher Treuepflichten durch Abschluß mehrerer Verträge über dieselben Dienstleistungen verhindert werden soll.
5. Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin scheitert aber daran, daß sie nicht spezifiziert hat, für welche Leistungen durch welche Pflegeperson ihr Kosten entstanden sind. Die Klägerin kann die Erstattung der Kosten für pflegebedingte Aufwendungen nur insoweit verlangen, als diese bei der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung angefallen sind. Kosten für allgemeinen Betreuungsaufwand, der bei der Klägerin in hohem Maße anfällt, sind dagegen nicht erstattungsfähig. Die Klägerin hat ihre Forderung nicht entsprechend begrenzt und spezifiziert, sondern allein mit der Höhe der von ihr für Pflege und Betreuung an mehrere Pflegepersonen pauschal gezahlten Vergütungen begründet. Die auf dieser Grundlage an die Beklagte gerichteten Zahlungsaufforderungen haben eine Zahlungspflicht der Beklagten nicht ausgelöst. Gemäß § 6 Abs 3 MB/PPV ist der Versicherer zur Leistung nur verpflichtet, wenn die erforderlichen Nachweise erbracht sind. Hierzu zählen bei der Geltendmachung von Kostenerstattungen für professionelle Pflege entsprechend den in § 1 Abs 5 MB/PPV vorgesehenen Leistungsgrenzen insbesondere spezifizierte Rechnungen über Pflegeeinsätze der hierfür in Betracht kommenden Pflegeeinrichtungen bzw Pflegekräfte. Derartige Nachweise hat die Klägerin nicht vorgelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 94 |
NZS 2001, 95 |
PflR 2002, 156 |