Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 21.09.1989) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. September 1989 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Bundeserziehungsgeld.
Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, reiste am 8. Januar 1987 zu ihrem in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ehemann, gleichfalls türkischer Staatsbürger, ein. Die zuständige Ausländerbehörde erteilte ihr zunächst eine bis 7. August 1987 befristete Aufenthaltserlaubnis und gewährte ihr anschließend eine Ausreisefrist bis September 1988.
Das beklagte Land lehnte den Antrag der Klägerin, ihr Bundeserziehungsgeld für ihr am 17. April 1987 geborenes Kind Gülsen zu gewähren, ab, weil sie entgegen § 1 Abs 1 Nr 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes habe (Bescheid vom 9. Juli 1987, Widerspruchsbescheid vom 26. August 1987).
Klage und – vom Sozialgericht (SG) München zugelassene – Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG München vom 15. Juli 1988; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts – LSG – vom 21. September 1989). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe in dem möglichen Leistungszeitraum von zehn Monaten ab der Geburt des Kindes keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des BErzGG begründet, weil sie weder asylberechtigt noch im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gewesen sei und eine Ausweisung oder Abschiebung auch nicht ausgeschlossen gewesen sei.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG und von § 30 Abs 3 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I). Sie habe sich bereits im Bezugszeitraum des Erziehungsgeldes gewöhnlich im Bundesgebiet aufgehalten. Hierfür sei ausreichend, daß ihr rechtmäßiger Aufenthalt durch ein tatsächliches Verweilen von Dauer und Regelmäßigkeit geprägt gewesen sei. Die Auffassung, daß ein Anspruch auf Erziehungsgeld nur dann bestehe, wenn der Anspruchsteller eine Aufenthaltserlaubnis besitze, sei unzutreffend und finde im Gesetz keine Stütze. Bei ihr als – zu einem späteren Zeitpunkt – nachzugsberechtigtem Ehegatten eines sich in der Bundesrepublik aufhaltenden Ausländers habe von Anfang an festgestanden, daß sie mit Ablauf der entsprechenden Wartefristen und bei Erfüllung der üblichen Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen werde. Diese – somit aufenthaltsrechtlich gesicherte – Position unterscheide ihre Rechtsstellung von der von Asylbewerbern. Aufgrund der gängigen Praxis der Ausländerbehörden, in besonderen Härtefällen, die bei ihr durch die Geburt zweier Kinder gegeben gewesen sei, befristete Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, habe sie von Anfang an damit rechnen können, bis zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nicht abgeschoben zu werden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. September 1989 und des Sozialgerichts München vom 15. Juli 1988 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Juli 1987 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 1987 zu verurteilen, ihr ab 17. April 1987 Erziehungsgeld zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Es hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung von Bundeserziehungsgeld für ihr Kind Gülsen.
Nach § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG (idF vom 6. Dezember 1985 – BGBl I S 2154) hat Anspruch auf Erziehungsgeld – wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind – nur, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat. Durch das Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 (BGBl I S 1297) ist an § 1 Abs 1 BErzGG mit Wirkung vom 1. Juli 1989 (Art 8 Abs 1 des vorgenannten Änderungsgesetzes) folgender Satz 2 angefügt worden: „Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist, die nicht nur für einen bestimmten, seiner Natur nach vorübergehenden Zweck erteilt worden ist”. Diese Anfügung des Satzes 2 enthält keine inhaltliche Änderung des bis dahin geltenden Rechts, sondern eine Klarstellung, uU sogar eine authentische Interpretation des seit dem 1. Januar 1986 anzuwendenden Rechts (ständige Rechtsprechung des Senats seit dem Urteil vom 27. September 1990 – 4 REg 30/89, zur Veröffentlichung vorgesehen; zuletzt Urteil vom 28. Februar 1991 – 4 REg 47/89; BT-Drucks 11/4767 S 2). Art 10 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts (AuslRNG) vom 9. Juli 1990 (BGBl I S 1354) hat diese Neufassung des Satzes 2 aaO zur Anpassung an die Neuregelung der Aufenthaltsgenehmigung (Art 1 §§ 28 bis 35 AuslRNG) wie folgt geändert: „Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis ist”. § 1 Abs 1 Satz 2 BErzGG ist jedoch in keiner dieser Fassungen anzuwenden, weil der mögliche Leistungszeitraum vor dem 1. Juli 1989, nämlich in den Jahren 1987/88, liegt.
In diesem Zeitraum hatte die Klägerin weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes:
Der Senat hat bereits in seinem og Urteil vom 27. September 1990 (vgl zuvor schon BSGE 65, 261, 26 f = SozR 7933 § 1 Nr 7; zu der hier vorliegenden Fallgestaltung der Einreise wegen Familiennachzuges s Urteile vom 28. November 1990 – 4 REg 9/90 – und vom 20. Dezember 1990 – 4 REg 10/90), im einzelnen dargelegt, daß § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG – abgesehen von hier nicht einschlägigen Spezialregelungen zB in § 1 Abs 2 und 4 BErzGG – alle Personen ungeachtet ihrer (deutschen oder ausländischen) Staatsangehörigkeit von der Begünstigung durch Bundeserziehungsgeld ausschließt, die entweder den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse tatsächlich (faktisch) im Ausland haben oder aber deren uU ausschließliches und zeitlich andauerndes Wohnen bzw Verweilen im Inland von der Rechtsordnung materiell-rechtlich nur als vorübergehend, auf Beendigung angelegt und somit rechtlich nur als nicht beständig gebilligt wird. Denn Bundeserziehungsgeld sollen nur diejenigen erhalten, die bei der Erziehung eines Kindes den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse materiell berechtigt dauerhaft im Inland haben. Der Senat hat ferner aufgezeigt, daß § 30 Abs 3 SGB I zwar die Begriffskerne von „Wohnsitz” und „gewöhnlichen Aufenthalt” iS des SGB enthält, diese Begriffe aber nicht abschließend bestimmt. Sie sind nach Sinn und Zweck desjenigen Gesetzes „einzufärben”, in dem sie verwendet werden oder das auf § 30 Abs 3 SGB I verweist. § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG ist eine leistungsrechtliche Spezialregelung (§ 37 Satz 1 Halbs 1 SGB I) zu § 30 Abs 1 SGB I, wonach alle, auch die nicht leistungs-, dh eingriffsrechtlichen Vorschriften dieses Gesetzbuches für alle Personen gelten, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Der spezielle Zweck von § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG besteht darin, als sog einseitige Kollisionsnorm diejenigen Personen von der Anwendung des BErzGG auszunehmen, die entweder den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse im Ausland haben oder deren Verweilen im Inland wegen einer konkreten Auslandsbeziehung rechtlich nur vorübergehender Natur ist. Hält sich ein Erziehender – wie hier die Klägerin – langdauernd im Inland auf, ist in Rechnung zu stellen, daß er als ausländischer Staatsbürger grundsätzlich unter Schutz und Fürsorge (Personalhoheit) seines Heimatsstaates steht und jederzeit nach freiem Willen das Recht ausüben kann, dorthin zurückzukehren, ferner, daß – außer bei anerkannten Asylberechtigten (Art 16 Abs 2 Satz 2 des Grundgesetzes -GG-; dazu: BSGE 65, 261 = SozR 7933 § 1 Nr 7) – sein Inlandsaufenthalt nach materiellem Ausländerrecht (§ 2 Ausländergesetz – AuslG) solange unberechtigt bzw nicht als dauerhaft gebilligt ist, bis ihm eine Aufenthaltserlaubnis (Aufenthaltsberechtigung; ab 1. Januar 1991 auch eine Aufenthaltsbefugnis) erteilt wird, die sein andauerndes Verweilen im Inland erlaubt. Solange der Ausländer nicht im Besitz einer solchen Erlaubnis oder hiervon befreit ist, hat er kraft unmittelbarer, keines ausführenden Verwaltungsaktes bedürftiger gesetzlicher Anordnung (§ 12 Abs 1 AuslG) „den Geltungsbereich dieses Gesetzes unverzüglich zu verlassen”. Dies gilt auch dann, wenn die Ausländerbehörde nach § 17 AuslG seinen Aufenthalt duldet, dh die Abschiebung und damit die Vollstreckung des gesetzlichen Ausreisegebots aussetzt.
Aus Art 6 Abs 1 GG, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, ergibt sich nichts anderes. Zwar schützt diese Vorschrift auch Ehe und Familie eines Ausländers. Jedoch ist der Bedeutung von Art 6 Abs 1 GG dadurch Rechnung getragen, daß der verfassungsrechtliche Schutz der Familie schon bei der ausländerbehördlichen Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung zu berücksichtigen ist (stellvertretend dazu: Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – DÖV 1990, 570 mwN). Das BErzGG schließt sich – wie aufgezeigt – an die ausländerrechtliche Bewertung des Inlandsverbleibs des Familienangehörigen an.
Der Aufenthalt der Klägerin im Inland während des hier maßgeblichen Zeitraums war, da sie sich nur aufgrund der Einräumung von Ausreisefristen vorübergehend hier aufhalten durfte, rechtlich nicht als beständig gebilligt, so daß sie weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Ihr stand damit schon aus diesem Grund Erziehungsgeld für ihr Kind Gülsen nicht zu.
Nach alledem war die Entscheidung des Berufungsgerichts zu bestätigen und die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen