Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung einer Leistungsgruppe bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg)
Beteiligte
… Kläger und Revisionsbeklagter |
Bundesanstalt für Arbeit,Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten darüber, welche Leistungsgruppe der Berechnung des Arbeitslosengeldes (Alg) zugrunde zu legen ist, nachdem der Kläger zum Jahreswechsel im Einvernehmen mit seiner Ehefrau eine Änderung der für beide Ehepartner in deren Lohnsteuerkarten eingetragene Steuerklasse vorgenommen hat.
Der Kläger stand bis 31. August 1987 in einem Beschäftigungsverhältnis und verdiente dort im letzten Kalendervierteljahr 1986 monatlich 3.400,-- DM. Vom 15. Januar bis 31. August 1987 erhielt er kein Arbeitsentgelt, sondern bezog Erziehungsgeld. In seiner Lohnsteuerkarte war für das Jahr 1986 die Steuerklasse III eingetragen, in der Lohnsteuerkarte seiner Ehefrau die Steuerklasse V. Mit diesen Steuerklassen wurden zunächst auch die Steuerkarten für 1987 ausgestellt. Auf Antrag der Eheleute vom 18. Dezember 1986 wurde jedoch am 6. Januar 1987 die Eintragung dahin geändert, daß auf der Lohnsteuerkarte des Klägers die Steuerklasse V und auf der Lohnsteuerkarte seiner Ehefrau die Steuerklasse III eingetragen wurde.
Am 27. August 1987 beantragte der Kläger Alg. Die Beklagte legte für das ab 19. September 1987 gewährte Alg die Leistungsgruppe D (Lohnsteuerklasse V) zugrunde (Bescheid vom 7. Dezember 1987). Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1988).
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf Berechnung des Alg nach Leistungsgruppe A (Steuerklasse IV) stattgegeben (Urteil des SG Mainz vom 1. September 1988). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) mit Urteil vom 2. Juni 1989 zurückgewiesen. Das LSG war der Auffassung, bei der Änderung der Steuerkarten für das Jahr 1987 habe es sich um einen Steuerklassenwechsel gehandelt. Dabei sei gemäß § 113 Abs 2 Satz 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Fällen, in denen die eingetragenen Steuerklassen dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten nicht entsprächen, die diesem Verhältnis entsprechenden Steuerklassen zugrunde zu legen - hier für beide Ehegatten die Lohnsteuerklasse IV. Gemäß § 111 Abs 2 Satz 2 Nr 1a AFG sei dementsprechend der Berechnung des dem Kläger zu zahlenden Alg die Leistungsgruppe A zugrunde zu legen.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, es habe sich nicht um einen Steuerklassenwechsel, sondern um eine Berichtigung der Steuerkarte für das Jahr 1987 gehandelt. Deshalb sei bei der Alg-Berechnung von der für die Zeit ab Anfang des Jahres eingetragenen Lohnsteuerklasse V auszugehen.
Die Beklagte beantragt,die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie hat zu Recht das Alg des Klägers nach der Leistungsgruppe D berechnet.
Gemäß § 113 Abs 1 AFG ist für die Berechnung des Alg die Lohnsteuerklasse maßgeblich, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Anspruch des Klägers ist im Jahre 1987 entstanden, deshalb ist grundsätzlich auch die am 1. Januar 1987 eingetragene Lohnsteuerklasse - dies war zunächst die Lohnsteuerklasse III - der Berechnung zugrunde zu legen. § 113 Abs 1 Satz 2 bestimmt aber darüber hinaus, daß spätere Änderungen der eingetragenen Lohnsteuerklasse mit Wirkung des Tages berücksichtigt werden, an dem erstmals die Voraussetzungen für die Änderung vorlagen. Das bedeutet im vorliegenden Fall, daß die rückwirkend zum 1. Januar 1987 vorgenommene Änderung von diesem Tage an zu berücksichtigen ist, weil wegen des bereits im Dezember 1986 gestellten Antrages die Voraussetzungen für die Eintragung der Lohnsteuerklasse V in die Lohnsteuerkarte des Klägers ab 1. Januar 1987 vorlagen. Selbst wenn man eine Berichtigung, wie sie hier vorliegt, nicht als Änderung ansieht, ergibt sich die gleiche Folgerung, weil nach Durchführung einer Berichtigung die frühere Eintragung nicht mehr existent ist und auch aus rechtsstaatlichen Gründen nicht mehr zugrunde gelegt werden kann.
Allerdings sieht § 113 Abs 2 AFG eine abweichende Regelung vor, wenn die Ehegatten die Steuerklassen gewechselt haben und die neue Steuerklassenkombination an dem Tage, an dem sie wirksam wird, offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten entspricht. Diese Regelung gilt jedoch nur für einen Wechsel der Steuerklassen nach Ausstellung der Lohnsteuerkarte, der gemäß § 39 Abs 5 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei Eheleuten einmal im Jahr zulässig ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um einen solchen Wechsel, sondern um die Ausstellung der Lohnsteuerkarte für ein neues Kalenderjahr mit anderen Steuerklassen.
Der erkennende Senat hat bereits mit Urteil vom 27. September 1989 (11 RAr 63/88) im Anschluß an den 7. Senat des BSG (BSG SozR 4100 § 113 Nr 6 mwN) entschieden, daß § 113 Abs 2 AFG nur den Steuerklassenwechsel im Laufe des Jahres erfaßt. Auf diese Entscheidungen kann im wesentlichen verwiesen werden. In den Materialien zum Steuerentlastungsgesetz 1981, auf das die heutige Fassung des § 113 Abs 2 AFG zurückgeht, wird erläutert, nunmehr werde sichergestellt, daß der Steuerklassenwechsel immer berücksichtigt werde, wenn dies objektiv geboten sei (BT-Drucks 8/3901 S 77). Diese Bemerkung bezieht sich auf den Wortlaut des § 113 Abs 2 AFG idF des 5. AFG-ÄndG, nach dem ein Steuerklassenwechsel nur auf Antrag berücksichtigt wurde. Daraus wird deutlich, daß diese Regelung nur den im Laufe eines Jahres vorgenommenen Wechsel meint.
§ 113 Abs 1 AFG dient der Verwaltungsvereinfachung. Diese Regelung ermöglicht es der Bundesanstalt, grundsätzlich von der in der Steuerkarte eingetragenen Lohnsteuerklasse auszugehen, ohne weitere Prüfungen vornehmen zu müssen. Die vom Kläger angestrebte Regelung würde dagegen bedeuten, daß die Beklagte sich bei Verheirateten stets auch die vorhergehende Steuerkarte vorlegen lassen müßte und bei Änderungen stets zu prüfen hätte, ob die eingetragenen Steuerklassen dem Verhältnis der Einkünfte beider Ehegatten iS von § 113 Abs 2 AFG entsprechen. Schwierigkeiten würden sich dabei vor allem dann ergeben, wenn der Ehegatte nicht erreichbar ist, nicht bereit ist, seine Steuerkarte vorzulegen oder mehrfachbeschäftigt ist. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, zur Vermeidung dieses Verwaltungsaufwands die Gefahr einer Manipulation bei Ausstellung der Steuerkarten hinzunehmen. Dies lag im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit.
Gleiches gilt, wenn die Ehegatten nicht zu ihren Gunsten die Höhe des Alg durch die Steuerklassenwahl manipulieren, sondern durch eine ungünstige Steuerklassenwahl den an sich in Betracht kommenden Alg-Anspruch mindern. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Steuerklassenwechsel und der Ausstellung der neuen Lohnsteuerkarte für das folgende Jahr. Der Steuerklassenwechsel ist gemäß § 39 Abs 5 Satz 4 EStG nur einmal im Jahr möglich und deshalb regelmäßig für den Rest des Jahres nicht mehr korrigierbar. Die Eheleute können dementsprechend die nachteiligen Folgen einer ungünstigen Steuerklassenkombination erst ab Beginn des nächsten Jahres abwenden. Demgegenüber sind die bei Eintragung einer ungünstigen Steuerklassenkombination in die neuen Lohnsteuerkarten entstehenden Nachteile für die betroffenen Arbeitslosen gering, weil die Ehegatten durch § 39 Abs 5 Satz 4 EStG in die Lage versetzt sind, die ungünstige Wahl der Steuerklasse bei Ausstellung der Steuerkarten durch einen Steuerklassenwechsel zu korrigieren, sobald sie dies erkennen, was meist schon aufgrund des Bescheides des Arbeitsamtes oder entsprechender Beratung der Fall sein wird. Der Steuerklassenwechsel wird allerdings gemäß § 39 Abs 5 Satz 5 EStG erst mit dem auf die Antragstellung folgenden Monat wirksam, so daß dem Arbeitslosen regelmäßig für die zurückliegende Zeit ein Nachteil verbleibt. Eine schwerwiegende Härte kann darin aber nicht gesehen werden. Den regelmäßig schwerwiegenderen Nachteilen, die aus einem Steuerklassenwechsel entstehen können, wollte der Gesetzgeber schon frühzeitig in § 113 Abs 2 AFG Rechnung tragen (s Fassung nach dem 5. AFG-ÄndG, dazu BT-Drucks 8/2624 S 10 und 28 zu Nr 33 Buchst a). Auch in der heutigen Fassung werden solche Nachteile durch die Orientierung am Verhältnis der Einkommen vermieden. Ein Rückschluß, daß dies auch für die geringen Nachteile bei einer Änderung der Steuerklasse zum Jahresbeginn gelten müsse, läßt sich daraus aber nicht ableiten, zumal damit ein erheblich größerer Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Auch insoweit überschreitet der Gesetzgeber nicht seine Gestaltungsfreiheit, wenn er dem Arbeitslosen im Interesse der Verwaltungsvereinfachung diese relativ geringfügigen, überdies von ihm selbst verursachten Nachteile zumutet.
Allerdings muß das Arbeitsamt den Arbeitslosen gemäß § 14 des 1. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) unverzüglich über die Möglichkeit des Steuerklassenwechsels beraten, sobald es bei Bearbeitung des Antrags erkennt, daß die Eheleute zu ihrem Nachteil gehandelt haben. Ob dies im vorliegenden Fall geschehen ist, kann indes dahinstehen; denn selbst für den Fall, daß ein Beratungsfehler vorlag, kann die Beklagte nicht zu einer anderen Entscheidung verurteilt werden. Die in der Steuerkarte eingetragene Steuerklasse hat für die Berechnung des Alg Tatbestandswirkung; diese ist der Disposition der Beklagten entzogen. Dementsprechend kommt auch ein sog Herstellungsanspruch hier nicht in Betracht, weil dieser nur dann gegeben ist, wenn ein Lebenssachverhalt vorliegt, der den geltend gemachten Anspruch rechtfertigt. In Betracht kämen lediglich Schadensersatzansprüche aus Amtspflichtverletzung (§ 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches), die jedoch nicht vor den Sozialgerichten, sondern nur vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden können (§ 71 Abs 2 Nr 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes).
Die Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen