Entscheidungsstichwort (Thema)
MdE. Änderung. Rentenentziehung. rechtliche Verhältnisse. Berufskrankheit. Hauterkrankung. Bewertungsmaßstäbe. Empfehlungen. Erfahrungswerte. Anhaltspunkte. Einschätzung. Rechtsnorm
Leitsatz (amtlich)
Änderungen der „Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei Berufskrankheiten der Haut nach der Nr 5101 der Anlage 1 zur BKVO” sind keine Änderungen in den rechtlichen Verhältnissen iS des § 48 SGB 10.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BKVO Anl. 1 Nr. 5101; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1; RVO § 581 Abs. 1; SGB I § 31
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 1997 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Verletztenrente im Wege der Neufeststellung aufgrund geänderter Empfehlungen für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei Berufskrankheiten (BK) der Haut.
Der im Jahre 1957 geborene Kläger erlernte das Maler- und Lackiererhandwerk. Nach der Gesellenprüfung arbeitete er als Autolackierer, Maler und Spachtler. In den Jahren 1981 bis 1985 war er als Akustik-Baumonteur, von 1985 bis 1988 als Monteur im Innenausbau und von 1988 bis 1989 als Schreinerhelfer sowie ab dem Jahr 1992 als selbständiger Subunternehmer im Akustikbau tätig.
Mit Bescheid vom 11. August 1994 gewährte die Beklagte – die die Anerkennung und Entschädigung der Hauterkrankung als BK zunächst abgelehnt hatte – unter Anerkennung einer Kontaktsensibilisierung auf Epoxydharz sowie auf Diaminodiphenylmethan als Folge einer BK der Nr 5101 der Anl 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) ab dem 25. Februar 1989 Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente. Dabei stützte sich die Beklagte auf ein Gutachten des Prof. Dr. Bo. vom 10. Februar 1993 sowie eine Stellungnahme des Hautarztes Dr. Be. vom 16. April 1993.
Die Beklagte hatte den Antrag des Klägers auf Abfindung der Dauerrente abgelehnt. Während des anschließenden Rechtsstreits entzog sie diese Rente mit Bescheid vom 16. Januar 1996 für die Zeit ab dem 1. März 1996. Dabei stützte sich die Beklagte auf die modifizierten Empfehlungen über die Einschätzung der MdE bei Hauterkrankungen, Stand 18. Mai 1995. Danach wurde die durch die Hauterkrankung bedingte MdE nach der Stellungnahme von Dr. Be. … vom 2. November 1995 nur noch mit einer MdE um 10 vH eingeschätzt.
Das Sozialgericht (SG) hat – nach Beschränkung des Klagebegehrens auf die Entziehung der Verletztenrente – den Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 1996, mit dem die Verletztenrente entzogen wurde, aufgehoben (Urteil vom 5. November 1996). Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen iS des § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) sei nicht nachgewiesen. Den modifizierten Empfehlungen für die Bewertung der MdE der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie eV – Stand Mai 1995 –, nach denen die MdE der von einer mittelgradigen Auswirkung der Allergie Betroffenen nur noch mit einer MdE um 10 vH bewertet werde, komme nicht der Charakter einer gesetzlichen Norm zu. Eine Änderung solcher Bewertungsmaßstäbe sei einer gesetzlichen Änderung nicht vergleichbar. Ihnen komme auch nicht die Qualität einer faktisch normativen Wirkung zu. Die strittigen Anpassungen könnten – wenn überhaupt – nur nach § 45 SGB X erfolgen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 22. Juli 1997). Die Voraussetzungen für eine Rentenentziehung nach § 48 SGB X seien nicht gegeben. Der Wandel der allgemein anerkannten unfallmedizinischen Erfahrungswerte im Hinblick auf die Bewertung der MdE bei BKen der Haut durch eine unfallmedizinische Neubewertung sei nicht wie eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse zu beurteilen. Dieser Wandel ergebe keine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits die „Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei BKen nach der Nr 5101 der BKVO” vom 31. März 1977 zwar nicht als den einzigen Weg, aber doch als geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE bei typischen Hauterkrankungsfällen angesehen. Das BSG habe außerdem entschieden, daß die Änderungen der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) aufgrund der rechtsnormähnlichen Qualität trotz fehlender gesetzlicher Ermächtigung wie eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS von § 48 Abs 1 SGB X zu beurteilen sei. Auch wenn man dieser Rechtsprechung folge, könne jedoch noch nicht der von der Beklagten angenommene Schluß nachvollzogen werden, weil Unterschiede zu machen seien, je nachdem es bereits zu einer für den Versicherten positiven Entscheidung der Verwaltungsbehörde gekommen sei oder nicht. Auch wenn man davon ausgehe, daß die Neubewertung der MdE bei der BK Hauterkrankung im Hinblick auf zwischenzeitlich neue Erkenntnisse das Meinungsbild in der sozialmedizinischen Wissenschaft wiedergebe, so könne dies letztlich eine Rentenentziehung nicht rechtfertigen. Bei den entsprechend geänderten MdE-Tabellen handele es sich insoweit um keine gesetzlichen Vorschriften. Es handele sich hierbei, ähnlich wie in den in den Anhaltspunkten des sozialen Entschädigungsrechts festgelegten Richtlinien, um Beurteilungshinweise, die dem ärztlichen Sachverständigen die einheitliche Beantwortung von Gutachterfragen entsprechend dem jüngsten medizinischen Wissensstand ermöglichten. Ihnen komme jedoch keinerlei Rechtsverbindlichkeit zu. Soweit mit Hilfe solcher Leitlinien der Rechtsbegriff der MdE konkretisiert werde, handele es sich somit allenfalls um antizipierte Sachverständigengutachten. Mangels gesetzlicher Ermächtigung komme diesen Empfehlungen nicht einmal die Qualität untergesetzlicher Normen zu.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Beklagte, daß die Entscheidungen der Vorinstanzen unzutreffend seien. Die Empfehlungen zur Bewertung der MdE bei Hautkrankheiten seien trotz fehlender gesetzlicher Ermächtigung und parlamentarischer Legitimation einer Rechtsnorm vergleichbar. Das BSG habe den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG rechtsnormähnliche Qualität zuerkannt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe die Einschätzung des BSG bestätigt. Es habe die Anhaltspunkte und andere Erfahrungswerte der Versorgungsverwaltung gleichgestellt und sie als antizipierte Sachverständigengutachten eingestuft. Danach hätten diese Erfahrungswerte über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes rechtsnormähnliche Qualität. Bei den modifizierten Empfehlungen handele es sich um allgemein anerkannte Erfahrungswerte. Die modifizierten Empfehlungen erfüllten für den Bereich der BKen nach der Nr 5101 der BKVO die gleiche Funktion wie die Anhaltspunkte im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG. Sie sollten eine gleichmäßige Gutachtertätigkeit und Rechtsanwendung sicherstellen. Sie seien die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in den zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis. Wie die Anhaltspunkte stellten die Empfehlungen für ihren Bereich ein einleuchtendes und abgewogenes, in sich geschlossenes Beurteilungsgefüge dar. Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß eine Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X nicht vorliege, sei unzutreffend. Entscheidend für die Anwendbarkeit des § 48 Abs 1 SGB X sei, daß die Änderung der Erfahrungswerte plausibel und nachvollziehbar sei und daß es sich nicht nur um eine Änderung der Rechtsauffassung der Verwaltung handele. Eine Neubewertung sei aber auch dann überzeugend, wenn sie – ohne Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen – auf neuen medizinischen Erkenntnissen und Erfahrungen beruhe. Nach der neuen medizinischen Bewertung habe sich beim Kläger demnach bei unverändert unauffälligem Hautbefund eine MdE von nur noch 10 vH ergeben.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Sozialgerichts Landshut vom 5. November 1996 sowie des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Juli 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Urteile für zutreffend. Entgegen der Meinung der Beklagten seien die Empfehlungen zur Bewertung der MdE bei Hauterkrankungen mit einer Rechtsnorm nicht vergleichbar. Die Empfehlungen erfüllten auch nicht die gleiche Funktion wie die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
In prozessualer Hinsicht ist das SG in seiner Entscheidung im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß der Bescheid vom 16. Januar 1996 in entsprechender Anwendung des § 96 SGG Gegenstand des bereits anhängigen Rechtsstreits geworden ist, da der Inhalt dieses neuen Verwaltungsakts mit dem Streitstoff der ursprünglich angefochtenen Bescheide über die Abfindung der Dauerrente gemäß § 604 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Zusammenhang steht (vgl BSGE 47, 168, 170 = SozR 1500 § 96 Nr 13; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl, § 96 RdNr 4); die Beklagte hat sich in ihrer Klageerwiderung auf eine mögliche Besserung der BK-Folgen mit Auswirkung auf die MdE als weiteren ermessensgerechten Ablehnungsgrund der beantragten Abfindung berufen (vgl KassKomm-Ricke, § 604 RVO RdNr 3).
In der Sache selbst haben die Vorinstanzen den die Verletztenrente entziehenden Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 1996 zu Recht aufgehoben; denn der Rentenentziehungsbescheid ist rechtswidrig.
Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eintritt. Diese Voraussetzungen für die Entziehung der aufgrund des im Juni 1994 geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs gewährten Dauerrente nach einer MdE um 20 vH sind nicht gegeben. Denn bei Vergleich mit den bei der Rentengewährung maßgebend gewesenen Verhältnissen ist eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X hier aus den vom SG und LSG dargelegten Gründen nicht gegeben.
Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und somit bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ist eine Änderung in den berufskrankheitsbedingten hautärztlichen Befunden iS einer Besserung des Gesundheitszustands des Klägers und somit in den tatsächlichen Verhältnissen iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht eingetreten.
Im vorliegenden Fall ist aber auch keine die Rentenentziehung rechtfertigende Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten. Darunter ist eine Änderung der gesetzlichen Vorschriften, also eine Aufhebung oder Änderung der maßgebenden Rechtsvorschriften zu sehen; gemeint ist jede Änderung des Gesetzes im materiellen Sinne (vgl Schneider-Danwitz in Gesamt Komm SGB X, § 48 Anm 28; Freischmidt in Hauck, SGB X/1, 2, K § 48 RdNr 14; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl, § 48 SGB X/RdNr 2.2). Soweit sich die Beklagte auf die modifizierten Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei BKen der Haut nach der Nr 5101 der Anl 1 zur BKVO – Stand 18. Mai 1995 – (HVBG RdSchr VB 72/95) als Grundlage für die Rentenentziehung beruft, genügen diese Empfehlungen nicht den an eine rechtliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X gestellten Anforderungen. Nach diesen von der Arbeitsgemeinschaft für Berufs- und Umweltdermatologie (ABD) gemeinsam mit dem Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften erarbeiteten Empfehlungen zur Einschätzung der MdE bei BKen der Haut nach der Nr 5101 der Anl 1 zur BKVO kann die berufskrankheitsbedingte MdE der Hauterkrankung des Klägers nur noch mit 10 vH bewertet werden. Denn nach den modifizierten Bewertungsmaßstäben dieser Empfehlungen für die Einschätzung der MdE wird abweichend von den früheren Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei Hauterkrankungen vom 15. Oktober 1987 (HVBG RdSchr VB 76/87), die auf der Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft Berufsdermatologie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft für die Einschätzung der MdE bei BKen nach der Nr 5101 der BKVO (Berufsdermatosen 1977, S 131 f) aufbauten, das Ausmaß der Hauterscheinungen im Vergleich zu den Auswirkungen der jeweiligen Allergene stärker bewertet. Bei diesen Empfehlungen handelt es sich jedoch um keine gesetzlichen Vorschriften.
Die Beeinträchtigung der unfallbedingten MdE richtet sich bei Anwendung des § 581 Abs 1 RVO nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (BSGE 63, 207, 209 = SozR 2200 § 581 Nr 28). Hierbei kommt es immer auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung; sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind (vgl BSG SozR 2200 § 581 Nrn 22 und 23 mwN; Brackmann/Burchardt, Handbuch der Sozialversicherung, Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, 12. Aufl § 56 RdNrn 67 f). Bei der Beurteilung der MdE sind aber auch die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind, aber Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden und einem ständigen Wandel unterliegen (vgl BSG SozR 2200 § 581 Nrn 23 und 27; Brackmann/Burchardt, aaO, RdNr 71). Bei einer Vielzahl von Unfallfolgen haben sich im Laufe der Zeit für die Schätzung der MdE Erfahrungswerte herausgebildet. Sie sind in Form von Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefaßt und dienen als Anhaltspunkte für die MdE-Einschätzung im Einzelfall (s Zusammenstellung bei Izbicki/Neumann/Spohr, Unfallbegutachtung, 9. Aufl S 111 ff). Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte bilden lediglich die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, und gewährleisten, daß alle Betroffenen bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (Ruppelt in Schulin HS-UV, § 48 RdNr 28). Der Senat hat die „Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei BKen nach der Nr 5101 der BKVO” zwar nicht als den einzigen Weg, aber doch als ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE in typischen Hauterkrankungsfällen angesehen (BSGE 63, 207 = SozR 2200 § 581 Nr 28; BSG Urteil vom 29. September 1992 – 2 RU 35/91 – MesoB 280/56 = HV-Info 1992, 2694).
Den Empfehlungen kommt damit ebenso wie den MdE-Tabellen nicht der Rechtscharakter einer gesetzlichen Norm zu (vgl Pense, Die Rechtsnatur von MdE-Tabellen, 1995, S 37, 58 und 155). Sie können vielmehr als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen werden (vgl Pense, aaO, S 98, 142 f und 155), um den unbestimmten Rechtsbegriff der MdE auszufüllen.
Es kann hier offen bleiben, welche Bedeutung die fehlende Normqualität der MdE-Tabellen/MdE-Empfehlungen für ihre Anwendung in der Praxis bei der Begründung von sozialrechtlichen Begünstigungen hat. Jedenfalls ist trotz der Beachtlichkeit als antizipierte Sachverständigengutachten die Änderung der Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei BKen der Haut nicht wie eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X zu beurteilen, weil dies der Rechtsgrundlage entbehrt.
Die Rentenentziehung im vorliegenden Fall scheitert bereits an dem Gesetzesvorbehalt des § 31 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I). Danach dürfen ua Rechte in Sozialleistungsbereichen nur aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt. Das bedeutet, daß die den einzelnen Bürger belastenden Eingriffe einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Dies entspricht dem rechtsstaatlichen Grundsatz, daß der Staat und seine Institutionen in Rechtspositionen des einzelnen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingreifen dürfen. § 31 SGB I erstreckt den Vorbehalt des Gesetzes auf alle Akte, durch die der Rechtskreis des Einzelnen berührt wird. Hiermit wird an das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes angeknüpft. Danach sind belastende Verwaltungsakte, denen eine rechtssatzmäßige Ermächtigung fehlt, rechtswidrig (vgl Kretschmer, GK-SGB I, 3. Aufl, § 31 Rz 2, 3, 25). Eine gesetzliche Ermächtigung für den Regelungsbereich der Bewertung der MdE insbesondere bei BKen der Haut nach der Nr 5101 der Anl 1 zur BKVO oder auch für eine Änderung dieser Maßstäbe ist nicht ersichtlich.
Die Empfehlungen zur Einschätzung der MdE bei BKen der Haut entbehren der Rechtsgrundlage. Die Änderung dieser Bewertungsmaßstäbe können daher nicht als eine Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X die Entziehung der Verletztenrente rechtfertigen.
An diesem Ergebnis ändert auch nichts der Umstand, daß der 9. Senat des BSG (BSGE 75, 176, 177 = SozR 3-3870 § 3 Nr 5) die vom Bundesministerium für Arbeit aufgestellten „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG” trotz fehlender gesetzlicher Ermächtigung rechtsnormähnliche Qualität zuerkennt und ihre Änderung als Änderung der rechtlichen Verhältnisse beurteilt (vgl auch BSGE 72, 285, 286 = SozR 3-3870 § 4 Nr 6). Dies kann hier offenbleiben. Denn der 9. Senat geht bei den Anhaltspunkten davon aus, daß es sich um ein geschlossenes Beurteilungsgefüge handelt, das die Gerichte nur in beschränktem Umfang prüfen können, nämlich wie untergesetzliche Normen (BSGE 75, 176, 178 = SozR aaO). Die in der gesetzlichen Unfallversicherung ausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze für die Beurteilung der MdE sind dagegen im Einzelfall unverbindlich und vom Gericht uneingeschränkt nachprüfbar (BSG Urteil vom 23. April 1987 – 2 RU 42/86 – HV-Info 1987, 12; BSG SozR 2200 § 581 Nr 27).
Nachdem den Empfehlungen zur Einschätzung der MdE bei BKen der Haut eine Rechtsnormqualität fehlt, ist davon auszugehen, daß auch hinsichtlich der rechtlichen Verhältnisse, welche bei der Gewährung der Dauerrente an den Kläger vorlagen, rechtlich beachtenswerte Änderungen iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht eingetreten sind.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE 82, 212 |
BSGE, 212 |
SGb 1999, 258 |
SozR 3-2200 § 581, Nr.5 |
SozSi 1999, 300 |