Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Januar 1995 aufgehoben, soweit über die Klage gegen den „Hinweis” vom 16. Oktober 1992 nicht in der Sache entschieden wurde. Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 19. Mai 1992 die Bewilligung des Kindergeldes für die Tochter Manuela (M.) des Klägers für die Zeit von August bis November 1990 sowie für den Monat Februar 1991 auf und kündigte an, die Überzahlung in Höhe von DM 1.100,– in Raten von der laufenden Kindergeldzahlung einzubehalten. Nach der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung war der Widerspruch binnen eines Monats, „nachdem der Bescheid Ihnen bekanntgegeben worden ist”, einzureichen. Im September 1992 bat der Kläger um Überprüfung: Nach seiner Kenntnis habe M. von August bis November 1990 eine Ausbildungsvergütung in Höhe von lediglich DM 550,– (und nicht DM 950,–) erhalten; von einem Arbeitslosengeldbezug im Februar 1991 sei ihm nichts bekannt. Mit Bescheid vom 16. Oktober 1992 verwarf die Beklagte den Widerspruch des Klägers wegen Fristversäumung als unzulässig; dem Widerspruchsbescheid war nach der Rechtsbehelfsbelehrung und der Unterschrift des Leiters der Widerspruchsstelle folgender – nicht unterschriebener – Hinweis nachgeheftet:
„Ihr verspäteter Widerspruch ist gleichzeitig als Rücknahmeantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu werten.
Aus Ihrem Vorbringen bzw. den sonstigen Umständen ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß die angegriffene Entscheidung falsch sein könnte, so daß eine Stattgabe des Antrages nicht in Betracht kommen dürfte.
Die Bewilligungsentscheidung ist zutreffend nach § 48 (1) Nr. 3 SGB X aufgehoben worden. Nach dieser Rechtsvorschrift kommt es nicht darauf an, ob Sie von der erhöhten Ausbildungsvergütung Kenntnis hatten oder ob Sie ihre Anzeigepflicht schuldhaft verletzt haben. Maßgebend ist allein, daß nach Erlaß des Verwaltungsaktes wegen des Einkommens der Tochter der Anspruch auf KG weggefallen ist.”
Klage und Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (≪LSG≫ – Urteil vom 26. Januar 1995) hat offengelassen, ob die gegen den Erstattungsbescheid vom 19. Mai 1992 gerichtete Klage nicht bereits als unzulässig hätte verworfen werden müssen oder ob sie, wie es das Sozialgericht (≪SG≫ – Gerichtsbescheid vom 25. März 1994) getan hat, als unbegründet abzuweisen war. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vertrete mit dem Bundesfinanzhof (BFH) die Auffassung, daß die Einhaltung der Widerspruchsfrist zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer gegen den Erstbescheid gerichteten Anfechtungsklage zähle. Selbst bei Bejahung der Zulässigkeit der Klage sei diese jedenfalls als unbegründet abzuweisen gewesen, da die Beklagte den vom Kläger eingelegten Widerspruch zu Recht als verfristet behandelt habe. Die Beklagte habe auch mit dem Widerspruchsbescheid keine erneute Entscheidung in der Sache getroffen. Eine solche sei insbesondere in dem nachgehefteten Hinweis nicht enthalten. Dieser könne weder als Bestandteil des Widerspruchsbescheides angesehen werden noch als eigenständiger Verwaltungsakt, der gemäß § 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens oder gemäß § 96 SGG des Klageverfahrens geworden wäre. Aus dem Wortlaut des Hinweises „… dürfte”) ergebe sich, daß die Widerspruchsstelle noch gar keine Regelung gemäß § 44 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch – (SGB X) treffen, sondern lediglich einen unverbindlichen Hinweis auf die mangelnden Erfolgsaussichten des erst noch durchzuführenden Überprüfungsverfahrens habe erteilen wollen.
Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung der §§ 86 und 96 SGG sowie des § 84 Abs 1 SGG iVm § 37 Abs 2 SGB X. Das LSG habe zunächst verfahrensfehlerhaft übersehen, daß eine Zahlungsmitteilung der Beklagten vom 14. August 1992 als Verwaltungsakt anzusehen sei, der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens bzw des Klageverfahrens geworden sei. Diese Zahlungsmitteilung habe das LSG völlig unerwähnt gelassen, obwohl er mehrfach auf sie hingewiesen habe. Weiterhin sei sein Widerspruch rechtzeitig gewesen, da die Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 19. Mai 1992 unrichtig gewesen sei. Schließlich habe das LSG verfahrensfehlerhaft verkannt, daß aufgrund des Zusatzes nach der Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1992 eine Neubescheidung gemäß § 44 SGB X in der Sache durch die Beklagte zu sehen sei und daß auch dieser Bescheid Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemäß § 86 SGG bzw des Klageverfahrens gemäß § 96 SGG geworden sei.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts für das Saarland vom 25. März 1994 und das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 26. Januar 1995 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1992 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Rechtsbehelfsbelehrung im angefochtenen Bescheid habe dem Wortlaut des § 84 Abs 1 SGG entsprochen und sei daher ausreichend und eindeutig gewesen. Der dem Widerspruchsbescheid beigefügte Hinweis sei nach ihrer Auffassung vom Empfängerhorizont her als Bekanntgabe einer Entscheidung nach § 44 SGB X zu werten, die allerdings nicht mit einer klaren Rechtsbehelfsbelehrung versehen worden sei, so daß die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG gelte. Das LSG hätte daher eine Sachentscheidung treffen müssen. Bei der vom Kläger angesprochenen „Zahlungsmitteilung” vom 14. August 1992 handele es sich nicht um einen neuen bzw weiteren Verwaltungsakt, der den Streitgegenstand regele, sondern um schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist in dem Sinne begründet, daß das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.
1. SG und und LSG hatten über ein Klagebegehren zu entscheiden, mit dem der Kläger sinngemäß folgendes anstrebte:
(a) die Aufhebung des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 19. Mai 1992 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1992 (mit der Begründung, die Voraussetzungen des § 48 SGB X hätten nicht vorgelegen, da in den streitigen Monaten die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld für seine Tochter weiterhin vorgelegen hätten) – Anfechtungsklage;
(b) hilfsweise die Aufhebung des negativen Zugunstenbescheides vom 16. Oktober 1992 (in Form des „Hinweises”) und Verurteilung der Beklagten zur Rücknahme des Aufhebungs- und Rücknahmebescheides vom 19. Mai 1992 – Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.
Den Antrag zu (b) hat der Kläger nicht ausdrücklich formuliert; sein Begehren ergibt sich jedoch inhaltlich daraus, daß es für das Erreichen des logisch vorrangigen Klageziels, der inhaltlichen Überprüfung des Bescheides vom 19. Mai 1992, bei Erfolg des Antrags zu (a) der Befassung mit dem Antrag zu (b) nicht bedarf, wohl aber, wenn der Widerspruch in der Tat als verfristet angesehen und eine Heilung (durch Entscheidung in der Sache) nicht angenommen wird. Dann kann dem Kläger für die angestrebte Überprüfung des Bescheides vom 19. Mai 1992 nur die Qualifizierung des „Hinweises” als – eigenständiger – Verwaltungsakt weiterhelfen.
Hingegen hat der Kläger im Berufungsverfahren (ebensowenig wie mit seinem Revisionsvorbringen) nicht – auch nicht inhaltlich – die „Zahlungsmitteilung” der Kasse des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz-Saarland vom 14. August 1992 angefochten. Deshalb kann dahinstehen, ob es sich bei dieser um einen Verwaltungsakt handelt, der gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden und damit im Widerspruchsbescheid vom 18. Oktober 1992 zu Unrecht nicht berücksichtigt worden war, so daß der Widerspruchsbescheid insoweit rechtswidrig gewesen wäre. Denn der Kläger hat im Berufungsverfahren auf die „Zahlungsmitteilung” lediglich in der Berufungsbegründung vom 8. August 1994 Bezug genommen und damit zu begründen versucht, daß die Rückforderungssumme laut Bescheid vom 19. Mai 1992 (DM 1.100,–) anscheinend von der Beklagten selbst nicht aufrechterhalten werde, da sie mit der „Zahlungsmitteilung” lediglich noch einen Betrag von DM 890,– zurückfordere.
2. Das LSG hat (a) offengelassen, ob die Anfechtungsklage wegen der von ihr bestätigten Verfristung des Widerspruchs (bereits) unzulässig oder (lediglich) unbegründet ist sowie (b) die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage inhaltlich als unzulässig abgewiesen, da der „Hinweis” keinen Verwaltungsakt darstelle.
Das Vorgehen des LSG zu (a) stellt keinen für die Revision erheblichen Verfahrensfehler dar; hingegen ist das Berufungsurteil hinsichtlich seiner Entscheidung zu (b) aufzuheben.
(zu a) Dem LSG ist dahingehend zuzustimmen, daß der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19. Mai 1992 im Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1992 zu Recht als unzulässig verworfen wurde. Der am 8. September 1992 eingegangene Schriftsatz des Klägers kann nicht als fristgerechter Widerspruch (§ 84 Abs 1 SGG) gewertet werden, da er später als einen Monat nach Bekanntgabe des Bescheides eingereicht wurde. Auf der Grundlage der mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und somit für den Senat verbindlichen (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG ist der Bescheid vom 19. Mai 1992 noch am selben Tage zur Post gegangen und gilt deshalb gemäß § 37 Abs 2 SGB X als am 22. Mai 1992 zugestellt.
Der Kläger geht mit seiner Ansicht fehl, der Bescheid vom 19. Mai 1992 habe eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, so daß gemäß § 66 Abs 2 SGG die einmonatige Widerspruchsfrist des § 84 Abs 1 SGG nicht gegolten habe. Denn die fragliche Rechtsbehelfsbelehrung ist nicht deswegen iS des § 66 Abs 2 SGG unrichtig erteilt, weil sie darauf hinweist, daß der Widerspruch binnen eines Monats einzureichen sei, „nachdem der Bescheid (dem Kläger) bekanntgegeben worden ist”. Die zitierte Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung stimmt mit § 84 Abs 1 SGG „der Widerspruch ist binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, … einzureichen …”) und kann in keinerlei Hinsicht als unzutreffend angesehen werden.
Das BVerwG hat sogar entschieden (Urteil vom 27. April 1990, Buchholz 310 § 74 VwGO Nr 9), daß die Rechtsbehelfsbelehrung in einem Widerspruchsbescheid, der Widerspruch sei binnen eines Monats „nach Bekanntgabe” einzulegen, nicht unrichtig sei, obwohl nach § 74 Abs 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats „nach Zustellung” des Widerspruchsbescheides erhoben werden muß. Denn wenn der Widerspruchsbescheid – wie im vom BVerwG entschiedenen Fall – in der besonderen Form der Zustellung mit Postzustellungsurkunde bekanntgegeben werde, bestehe die „Bekanntgabe”, die den Fristenlauf auslöse, gerade in der Zustellung. Das BVerwG hat lediglich dahingestellt sein lassen, ob eine derartige Belehrung dann unrichtig sei, wenn Zustellung und Bekanntgabe zeitlich auseinanderfielen. Dem schließt sich der Senat an. Auf dieser Grundlage kann aber jedenfalls – entgegen der Revisionsbegründung – nicht vertreten werden, eine Rechtsbehelfsbelehrung, die auf die „Bekanntgabe” abstelle, sei unklar und irreführend. Die vom Kläger insoweit herangezogenen Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) sagen hierzu nichts aus, da sie sich nicht auf die im vorliegenden Fall streitige Formulierung beziehen, sondern auf die Wendungen „nach Empfang” bzw „nach Zustellung” (BSG vom 24. März 1993, SozR 3-1500 § 66 Nr 2; BSG vom 24. Mai 1966, BSGE 25, 31 = SozR Nr 31 zu § 66 SGG).
Das LSG hatte auch nicht etwa bereits deshalb zur Sache zu entscheiden, weil die Beklagte die „Zahlungsmitteilung” der Kasse des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz-Saarland vom 14. August 1992 nicht gemäß § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemacht hatte. Selbst wenn es sich bei der „Zahlungsmitteilung” um einen Verwaltungsakt gehandelt hätte, hätte seine Einbeziehung in das Widerspruchsverfahren nicht die vom Kläger begehrte Überprüfung des Rücknahme- und Rückforderungsbescheides vom 19. Mai 1992 zur Folge gehabt. Gegen die Zahlungsmitteilung selbst hat sich der Kläger, wie dargelegt, nicht gewandt.
Das LSG hat im Berufungsurteil offengelassen, ob wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist die Anfechtungsklage (bereits) als unzulässig oder (lediglich) als unbegründet abzuweisen war. Der Senat kann im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls offenlassen, wie diese Frage zu entscheiden ist; er weist allerdings darauf hin, daß die Darstellung des LSG zum Meinungsstand nicht ganz zutreffend ist: Richtig ist, daß nach der Rechtsprechung des BSG die Versäumung der Widerspruchsfrist der Zulässigkeit der Klage nicht entgegensteht (Urteile vom 15. September 1978, SozR 1500 § 87 Nr 5 und vom 12. Oktober 1979, BSGE 49, 85 = SozR 1500 § 84 Nr 3). Ebenfalls richtig ist, daß das BVerwG, soweit ersichtlich, (entgegen früheren Entscheidungen: BVerwG vom 27. November 1963, DVBl 1964, 190, insoweit nicht in BVerwGE 17, 178 und vom 16. Januar 1964, Buchholz 310 § 79 VwGO Nr 2) nach wie vor gegenteiliger Ansicht ist (s BVerwG vom 9. Dezember 1988, NVwZ 1989, 648, 649 mwN, insoweit nicht in Buchholz 401.71 AFWoG Nr 2 mwN). Demgegenüber hat der BFH inzwischen die früher (s das im Urteil des LSG zitierte BFH-Urteil vom 14. April 1970, BFHE 99, 100 = BStBl II 1970, 548) vertretene Ansicht aufgegeben und ist nunmehr wie das BSG der Auffassung, daß die rechtzeitige Erhebung des Einspruchs keine Prozeßvoraussetzung ist (BFH vom 11. Oktober 1977, BFHE 124, 1; BFH vom 24. Juli 1984, BFHE 141, 470, 471f).
Gemeinsam ist beiden Meinungen jedoch, daß – falls die Widerspruchsbehörde den Widerspruch als unzulässig zurückweist und nicht in der Sache entscheidet -die Gerichte an einer sachlich-rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens gehindert sind. Der Senat schließt sich daher der Auffassung des BFH (Urteil vom 24. Juli 1984, BFHE 141, 470, 473) an, daß, wenn die Frist zur Einleitung des Vorverfahrens (hier: Widerspruchsfrist) nicht unverschuldet versäumt worden ist, es im Regelfalle aus revisionsrechtlicher Sicht unerheblich ist, ob die Instanzgerichte die Klage durch Endurteil als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen haben. Dann besteht aber auch kein Grund, das vorliegende Berufungsurteil nur deshalb aufzuheben, weil es die Frage der Zulässigkeit offengelassen hat, obwohl dies grundsätzlich nicht erlaubt ist (vgl BGH vom 26. Oktober 1990 – V ZR 105/89, JZ 1991, 252, 253 mwN, s ferner Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, 1993, vor § 51, RdNr 13; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 53. Aufl, 1995, Grundz § 253 RdNrn 14 f; s jedoch auch BVerwG vom 21. November 1967, Buchholz 451.25 LadSchlG Nr 11).
(zu b) Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Beklagte durch den dem Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1992 beigefügten „Hinweis” keine bindende Regelung getroffen habe, also keinen Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) erlassen habe.
Unerheblich ist im vorliegenden Fall, daß die Versäumung der Widerspruchsfrist der Zulässigkeit der Klage nicht entgegensteht, wenn die Widerspruchsstelle über einen verspätet eingelegten Widerspruch sachlich entschieden hat (BSG vom 12. Oktober 1979, BSGE 49, 85, 87 ff = SozR 1500 § 84 Nr 3 im Anschluß an Rechtsprechung des BVerwG). Denn die Beklagte hat durch die Widerspruchsstelle des Arbeitsamtes Neunkirchen – Kindergeldkasse – den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19. Mai 1992 ausdrücklich und – wie oben erläutert: zu Recht – als unzulässig, da verfristet, behandelt.
Der diesem Widerspruchsbescheid beigefügte „Hinweis” jedoch ist entgegen der Meinung des LSG als Verwaltungsakt aufzufassen, gegen den der Kläger auch (am 19. November 1992) rechtzeitig Klage erhoben hat.
Ob die Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, richtet sich danach, wie der Empfänger diese Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles zu deuten hatte (hierzu das Senatsurteil vom 29. Oktober 1992, SozR 3-1300 § 50 Nr 13 S 34 mwN). Geht man aber hiervon aus, so stellt sich der „Hinweis” nicht lediglich als unverbindlicher Hinweis auf die mangelnden Erfolgsaussichten des erst noch durchzuführenden Überprüfungsverfahrens dar, sondern als – endgültige – Entscheidung der Behörde zur Regelung eines Einzelfalls, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB X).
Das Berufungsurteil zitiert in den Entscheidungsgründen allein den einzigen im Konjunktiv gehaltenen Teil-Satz des „Hinweises” „Aus Ihrem Vorbringen bzw den sonstigen Umständen ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß die angegriffene Entscheidung falsch sein könnte, so daß eine Stattgabe des Antrags nicht in Betracht kommen dürfte”). Es berücksichtigt zu wenig, daß der Rest des „Hinweises”, mit seinen überwiegenden Aussagen, im Indikativ gehalten ist und aus dem Empfängerhorizont in keinerlei Hinsicht einen Anhaltspunkt dafür enthält, daß noch ein gesondertes Verfahren (nach § 44 SGB X) nachfolgen werde.
So heißt es im „Hinweis” nicht etwa, daß der Kläger noch einen Rücknahmeantrag nach § 44 SGB X stellen könne, sondern daß sein verspäteter Widerspruch gleichzeitig als ein derartiger Antrag zu werten „ist”. Ferner wird aufgeführt, daß die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung durch den angegriffenen Bescheid zutreffend aufgehoben worden „ist”; dies wird wie folgt begründet: „Maßgebend ist allein, daß nach Erlaß des Verwaltungsaktes wegen des Einkommens der Tochter der Anspruch auf Kindergeld weggefallen ist”. Dementsprechend geht auch die Beklagte in ihrer Revisionserwiderung davon aus, daß der „Hinweis” als Bekanntgabe einer Entscheidung nach § 44 SGB X zu werten ist. An diesem Ergebnis kann auch der Umstand nichts ändern, daß einerseits die Beklagtenvertreterin noch in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG betont hat, es habe sich lediglich um unverbindliche Äußerungen gehandelt, ein Bescheid nach § 44 SGB X werde noch ergehen, und andererseits der Kläger hierauf erwidert hat, er bitte um entsprechende Bescheidung.
Unerheblich für die Auslegung des „Hinweises” ist schließlich, daß er weder (wie nach § 33 Abs 3 SGB X vorgeschrieben) gesondert unterschrieben noch mit einer gesonderten Rechtsbehelfsbelehrung versehen war. Beides hindert jedenfalls weder die Auslegung einer Behördenerklärung als Verwaltungsakt noch führt es zu dessen Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit (vgl Urteil des Senats vom 8. Dezember 1993, SozR 3-1300 § 34 Nr 2, wonach auch der Unterschrift nachfolgende Erklärungen Teil der Regelungen eines Bescheids sein können, sowie allgemein Krasney in: Kasseler Komm, § 33 SGB X RdNr 13, Stand Oktober 1993; s ferner § 42 SGB X zu den Folgen eines Fehlers im Verwaltungsverfahren und § 66 Abs 2 SGG zu denen einer fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung).
Auch gegen jenen Verwaltungsakt hat der Kläger binnen Monatsfrist Klage erhoben. Zu Unrecht hat daher das LSG nicht in der Sache darüber entschieden, ob dem Kläger nach § 44 SGB X ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 19. Mai 1992 zusteht. Dieser Entscheidung war es auch nicht dadurch enthoben, daß hinsichtlich des Rücknahmeantrags ein förmliches Vorverfahren nicht stattgefunden hatte (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG). Denn dann ist entweder zu prüfen, ob das Vorverfahren gescheitert ist, oder den Beteiligten Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben (BSG vom 12. Dezember 1985, SozR 4100 § 136 Nr 4, S 15 f; BSG vom 30. Januar 1980, SozR 1500 § 78 Nr 16, S 26 f; BSG vom 2. August 1977, SozR 1500 § 78 Nr 8).
Da das LSG keine Feststellungen zur sachlichen Begründetheit des Rücknahmebegehrens getroffen hat, insbesondere nicht dazu, welches Einkommen die Tochter des Klägers in streitigen Monaten bezogen hatte, ist der Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Ermittlungen an das LSG zurückzuverweisen. Der Senat weist insoweit lediglich auf folgende Gesichtspunkte hin:
- Ist im Rahmen eines Zugunstenverfahrens (§ 44 SGB X) ein Aufhebungsbescheid nach § 48 Abs 1 SGB X zu überprüfen, so kommt es uU nicht – mehr – darauf an, ob dieser Bescheid gegen die vertrauensschützenden Verfahrensnormen dieser Vorschrift verstößt, also zB trotz Gutgläubigkeit des Betroffenen eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 48 Abs 1 Satz 2 SGB X) ausspricht, sondern nur darauf, ob dem Betroffenen die entzogene Leistung nach materiellem Recht zustand (s das Senatsurteil vom 10. Dezember 1985, SozR 5870 § 2 Nr 44 S 149; vgl auch BSG vom 22. März 1989, SozR 1300 § 44 Nr 38 S 107 ff; ebenso im Grundsatz BSG vom 8. März 1995 – 9 RV 7/93 unter Postulierung einer Ausnahme für den Anwendungsbereich des § 62 Abs 3 Bundesversorgungsgesetz).
- Nach der Rechtsprechung des Senats kann schließlich die DM 750-Grenze nach § 2 Abs 2 Satz 2 Bundeskindergeldgesetz aF auch mit Hilfe von Sachbezügen (zB Kosten freier Mahlzeiten) überschritten werden (BSG vom 24. September 1986, SozR 5870 § 2 Nr 47; bestätigt im Urteil vom 7. September 1988 – 10 RKg 5/87).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – einschließlich des hier endgültig abgeschlossenen Verfahrensteils – zu entscheiden haben.
Fundstellen