Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 22.03.1989) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. März 1989 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der von dem Kläger in der Zeit vom 1. April 1951 bis zum 3. November 1953 in der CSSR geleistete Militärdienst (Grundwehrdienst) eine Beitragszeit im Sinne von § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) ist. Das Sozialgericht -SG- (Urteil vom 3. März 1988) hat dies angenommen, das Bayerische Landessozialgericht -LSG- (Urteil vom 22. März 1989) hingegen verneint.
Der Kläger ist Inhaber des Vertriebenenausweises A. Im Mai 1965 siedelte er in die Bundesrepublik Deutschland über. Nachdem die Beklagte bereits durch ihren Bescheid vom 14. Mai 1976 die Vormerkung des Grundwehrdienstes als Beitragszeit abgelehnt hatte, ließ sie in ihrem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 4. März 1987 über den beim Kläger feststellbaren Versicherungsverlauf die Zeit des Grundwehrdienstes in der CSSR unberücksichtigt, weil es sich dabei nicht um eine Beitragszeit gehandelt habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. Juni 1987).
Das SG hat die Beklagte verurteilt, die streitige Zeit als Beitragszeit vorzumerken. Die Bescheide der Beklagten, so das SG, bedeuteten gegenüber den Versicherten im Bundesgebiet eine vom FRG nicht gewollte Schlechterstellung. Dieses Urteil hat das LSG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. In dem Urteil heißt es, die Zeit des Militärdienstes in der tschechoslowakischen Armee sei nach den dort geltenden Vorschriften nur eine Ersatzzeit, jedenfalls habe sie eine wesentlich schwächere rentenrechtliche Wirkung als die Beitragszeiten in der CSSR. Nach § 15 FRG seien aber nur solche im Herkunftsland gleichgestellte Zeiten zu berücksichtigen, denen eine Tätigkeit zugrundeliegt, die im deutschen Sozialversicherungsrecht als Beitragszeit oder gleichgestellte Zeit abgesichert sei.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts, nämlich der §§ 15, 16 FRG. Unerheblich sei, daß der Wehrdienst in der Bundesrepublik Deutschland erst seit Mai 1961 als Beitragszeit gewertet werde. Dies sei darauf zurückzuführen, daß er seinen Militärdienst zu einer Zeit abgeleistet habe, als das in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht möglich gewesen wäre. Wenn er sich bereits seinerzeit im Geltungsbereich des FRG aufgehalten hätte, dann hätte er damals keinen Wehrdienst geleistet, sondern wäre versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Das angefochtene Urteil bringe für ihn eine vom Gesetz nicht beabsichtigte Schlechterstellung. Dies entspreche nicht dem Eingliederungsgedanken, welcher dem Gesetz zugrundeliege. Auch die Tatsache, daß nach tschechoslowakischem Recht eine vorhergehende wenigstens einjährige Beschäftigungszeit erforderlich sei, um die Wehrdienstzeit rentenrechtlich zu berücksichtigen, ändere die Anwendung des § 15 FRG nicht. Dadurch erhalte der tschechoslowakische Wehrdienst in dem dortigen Recht keine wesentlich schwächere rentenrechtliche Wirkung als eine Beitragszeit. Das Berufungsgericht habe auch § 16 FRG falsch angewendet. Ein erzwungener Militärdienst sei als Beschäftigungszeit im Sinne von § 16 FRG anzusehen. Im übrigen habe der Kläger in dem Jahr vor der Ableistung des Grundwehrdienstes Versicherungsbeiträge abgeführt, so daß die Zeit des Militärdienstes nach tschechoslowakischem Recht berücksichtigt werde. Demnach sei der Dienst rentenrechtlich den Beschäftigungszeiten gleichgestellt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. März 1989 aufzuheben und der Klage gegen den Bescheid vom 4. März 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Juni 1987 stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Das angefochtene Urteil berücksichtige – so die Beklagte – mit Recht die Tatsache, daß im tschechoslowakischen Rentenrecht zwischen Beschäftigungs- und Ersatzzeiten unterschieden und der Wehrdienst nur als Ersatzzeit angesehen werde. Er habe nach dem Kriege stets nur die Wertigkeit einer Ersatzzeit gehabt, daher sei das angefochtene Urteil zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Dem Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, daß er entgegen seinem im Schriftsatz vom 21. Juli 1989 gestellten Revisionsantrag begehrt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 3. März 1988 zurückzuweisen. Dieses Begehren ist nicht begründet.
Nachdem die Beklagte bereits durch ihren Bescheid vom 14. Mai 1976 die Vormerkung einer Beitragszeit ablehnte, ohne daß der Kläger diesen Bescheid angefochten hatte, richtet sich die erneute Beurteilung durch die Beklagte nach § 44 Abs 2 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X). Danach ist ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Die Voraussetzungen dieser Norm sind nicht gegeben, weil der Bescheid vom 14. Mai 1976 nicht rechtswidrig ist. Er entspricht vielmehr der Sach- und Rechtslage.
Da der Kläger als Vertriebener im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt ist, richtet sich die Berücksichtigung von nicht deutschen Beitragszeiten nach § 15 iVm § 1 Abs 1 Buchst a FRG. Bei diesem Personenkreis sind nach § 15 Abs 1 Satz 1 FRG die nichtdeutschen Beitragszeiten den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 60, 100, 104; 61, 267, 268; 62, 255, 260) ist im Rahmen des § 15 FRG von dem zentralen Begriff der Beitragszeit in § 1250 Abs 1 Buchst a der Reichsversicherungsordnung (RVO) auszugehen. Danach sind Beitragszeiten solche Zeiten, für die entweder Beiträge wirksam entrichtet sind oder solche, für die Beiträge als entrichtet gelten. Diese werden von den in § 1251 RVO benannten sonstigen Zeiten ohne Beitragsleistung, wie insbesondere Ersatz- und Ausfallzeiten, unterschieden. Von diesen Begriffen ist auszugehen. Nach der Rechtsprechung des BSG (aaO) kommt es demgemäß darauf an, ob die in der CSSR zurückgelegte Zeit des Militärdienstes sowohl im Zeitpunkt der Entscheidung durch den deutschen Versicherungsträger als auch zur Zeit der Zurücklegung in ihrer Wertigkeit oder Qualität den echten Beitragszeiten im Sinne von § 1250 RVO gleichwertig ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Zur Zeit der Ableistung des Grundwehrdienstes galt in der CSSR das Gesetz Nr 99 vom 15. April 1948 über die Nationalversicherung (abgedruckt in: Gesetze osteuropäischer Staaten über die Rentenversicherung, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger). Danach waren alle Arbeitnehmer mit Ausnahme der aktiven Soldaten sowie sonstige Personen pflichtversichert, § 2 Abs 1 des Gesetzes Nr 99. Zu dem Kreis, welcher in § 3 des Gesetzes Nr 99 umschrieben ist, gehörten die Soldaten, welche ihrer Grundwehrpflicht genügten, nicht. Deren Dienstzeit war vielmehr gemäß § 61 Abs 2 Buchst b des Gesetzes Nr 99 eine Ersatzzeit. Sie ist in dieser Norm ua Zeiten eines Studiums (Buchst a), Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit (Buchst c), Zeiten der Arbeitsunfähigkeit (Buchst d), Zeiten, während welcher wiederkehrende Geldleistungen der Nationalversicherung ausgezahlt wurden (Buchst e) und Zeiten des ehelichen Zusammenlebens einer später geschiedenen Versicherten gleichgesetzt. Voraussetzung für die Berücksichtigung dieser Ersatzzeiten im Leistungsfalle war, daß der Versicherte eine Versicherungszeit von wenigstens einem Jahr vorher zurückgelegt hatte. Hiermit stimmt inhaltlich das später in Kraft getretene Gesetz Nr 121 vom 12. November 1975 in der bereinigten Fassung des Gesetzes Nr 30/1983 überein. Auch dieses unterscheidet zwischen Beschäftigungszeiten im eigentlichen Sinne und den wie Beschäftigungszeiten zu berücksichtigenden Ersatzzeiten. Gemäß § 11 Abs 1 dieses Gesetzes werden die Ersatzzeiten berücksichtigt, wenn ihnen eine mindest ein Jahr währende Beschäftigungszeit vorausgegangen ist; zu den Ersatzzeiten gehört nach Buchst a auch die Dienstzeit in den tschechoslowakischen bewaffneten Streitkräften, sofern diese Zeit nicht als Dienst des Berufssoldaten bewertet wird. Die Zeiten des Berufssoldaten nehmen nach § 3 Buchst d des Gesetzes an der Rentenversicherung teil.
Die dargestellten Regelungen in der CSSR bringen zum Ausdruck, daß die Zeit des Militärdienstes während der hier interessierenden Zeitabschnitte in ihrer Wertigkeit von den im tschechoslowakischen Sozialversicherungsrecht bekannten Beitragszeiten unterschieden wurden und werden. Abgesehen davon, daß die Zeiten des Militärdienstes sowohl in § 61 des Gesetzes Nr 99 als auch in § 11 des Gesetzes Nr 121 ausdrücklich als Ersatzzeiten bezeichnet und von den Beitragszeiten im engeren Sinne unterschieden werden, zeigt ihre Zusammenfassung mit anderen Ersatzzeiten, daß diese Ersatzzeiten nicht die Wertigkeit der Beitragszeiten in der tschechoslowakischen Rentenversicherung hatten bzw haben. Ihre Berücksichtigung ist vor allem davon abhängig, daß eine vorhergehende Beschäftigungszeit von wenigstens einem Jahr vorliegt. Aus diesem Grunde steht dieser Dienst nicht einer bundesdeutschen Beitragszeit mit oder ohne Beitragsleistung im Sinne von § 1250 Abs 1 Buchst a RVO gleich. Die Zeiten des Militärdienstes entsprechen in ihrer Wertigkeit den Ersatzzeiten nach bundesdeutschem Recht (§ 1251 RVO), welche ebenfalls grundsätzlich nur angerechnet werden, wenn eine Versicherung vorbestanden hat oder sonstige Voraussetzungen im Versicherungsverlauf erfüllt sind. Dem entspricht die Zusammenfassung der Zeiten des Militärdienstes in § 61 des Gesetzes Nr 99 bzw § 11 des Gesetzes Nr 121 mit anderen Zeiten, welche nach bundesrechtlicher Regelung ebenfalls keine Beitragszeiten im Sinne von § 1250 RVO sind.
Der Senat kommt zu demselben Ergebnis wie der 1. Senat in dem den Beteiligten zugeleiteten Urteil vom 8. November 1989 – 1 RA 113/88 –, welches zur Veröffentlichung vorgesehen ist. Angesichts der geringeren Wertigkeit der Ersatzzeiten im Recht der CSSR gegenüber den Beitragszeiten nach bundesrepublikanischem Recht ist es nicht möglich, die Zeit des Wehrdienstes des Klägers in der tschechoslowakischen Armee als Beitragszeit anzusehen und vorzumerken. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 1976 war nicht rechtswidrig. Die Voraussetzungen für seine Aufhebung nach § 44 Abs 2 SGB X sind daher nicht gegeben. Das LSG hat die Klage mit Recht abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen