Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 27.02.1990; Aktenzeichen L 14 Kg 9/89)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. Februar 1990 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren darüber, ob die im Jahre 1968 geborene Tochter Kathrin des Klägers bei der Gewährung von Kindergeld in der Zeit von Oktober 1987 bis einschließlich Mai 1988 berücksichtigt werden mußte.

Im Juni 1987 bestand Kathrin die Reifeprüfung. Die beabsichtigte anschließende Berufsausbildung konnte sie mangels eines Ausbildungsplatzes nicht beginnen. Bis einschließlich September 1987 wurde sie bei der Kindergeldgewährung an den Kläger berücksichtigt, und zwar für die Monate August und September 1987 als Ausbildungsplatzsuchende. Während der streitigen Zeit von Oktober 1987 bis einschließlich Mai 1988 hielt Kathrin sich bei einer Familie in London als Au-pair-Mädchen auf. Für ihre Tätigkeit im Haushalt der Familie erhielt sie freie Unterkunft und Verpflegung sowie ein wöchentliches Taschengeld von L 22.00.

Durch den hier angefochtenen Bescheid vom 23. Oktober 1987 hob die Beklagte die Bewilligung des Kindergeldes für Kathrin unter Hinweis auf § 48 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch – (SGB X) ab August 1987 auf, weil es sich bei ihrer Tätigkeit als Au-pair-Mädchen nicht um eine Berufsausbildung handele; eine Berücksichtigung der Tochter gemäß § 2 Abs 4 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) als Jugendliche ohne Ausbildungs- und Arbeitsplatz komme nicht in Betracht, weil sie Einkünfte in Höhe von mehr als 400,– DM monatlich erziele. Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 1987).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte durch Urteil vom 10. Januar 1989 verurteilt, Kathrin bei der Kindergeldgewährung zu berücksichtigen. Es hat die Berufung zugelassen. Durch Urteil des Landessozialgerichts Berlin (LSG) vom 27. Februar 1990 ist das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen worden. In den Gründen des Berufungsurteils ist ua ausgeführt, Kathrin habe eine Erwerbstätigkeit iS von § 2 Abs 4 Nr 3 BKGG ausgeübt; die Tätigkeit als Au-pair-Mädchen habe auch dazu gedient, Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld zu erhalten, um den Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Um familienhafte Mithilfe habe es sich angesichts des Umfanges der Tätigkeit im Haushalt nicht gehandelt. Die aufgrund ihrer Tätigkeit erhaltenen Sachbezüge sowie das Taschengeld seien Erwerbseinkommen iS von § 2 Abs 4 BKGG gewesen. Sie überstiegen den Betrag von 400,– DM monatlich, so daß Kathrin bei der Kindergeldgewährung nicht habe berücksichtigt werden dürfen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Nach Auffassung der Revision hat das LSG den Begriff der Erwerbstätigkeit in § 2 Abs 4 Nr 3 BKGG verkannt. Als solche dürfe nur eine Beschäftigung gegen Entgelt angesehen werden. Als Au-pair-Mädchen habe Kathrin aber nicht in einem Dienstverhältnis gestanden, sondern vielmehr in einem typischen Au-pair-Verhältnis. Sie sei in die Familie eingebunden gewesen und wie ein Familienmitglied behandelt worden. Eine tägliche Arbeitszeit sei nicht festgelegt gewesen. Neben der Au-pair-Tätigkeit habe Kathrin sich Sprachstudien mit Sprachkurs sowie dem Kennenlernen von Land und Leute und dem Sammeln von Erfahrungen im täglichen Alltag der Gastfamilie gewidmet. Dies habe im Vordergrund gestanden. Die Erzielung von Entgelt sei nicht beabsichtigt gewesen. Die Gewährung von Kost und Logis sowie Taschengeld gehöre typischerweise zum Au-pair-Verhältnis.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 23. Oktober 1987 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kindergeld für die Monate Oktober 1987 bis Mai 1988 unter Berücksichtigung der Tochter Kathrin zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Tätigkeit von Kathrin sei nach den Feststellungen des LSG als Haushaltshilfe anzusehen und nicht durch eine familienhafte Aufnahme in den Haushalt geprägt gewesen; die Revision könne keinen Erfolg haben. § 2 Abs 4 BKGG sehe Kindergeldleistungen nur dann vor, wenn die Kinder im wesentlichen noch auf Unterhaltsleistungen der Eltern angewiesen seien. Freie Unterkunft und Verpflegung seien als Bezüge aus einer Erwerbstätigkeit anzusehen. Es habe sich bei Kathrin um eine Gegenleistung für erbrachte Dienste gehandelt. Den Eltern der Kinder werde im Rahmen von § 2 Abs 4 BKGG in gewissem Umfang zugemutet, zum Unterhalt der Kinder beizutragen, ohne daß dafür ein Ausgleich durch die Gewährung von Kindergeld erfolge. Die Bewertung der Sachbezüge durch das LSG sei nicht zu beanstanden. Ob die Umrechnung des wöchentlichen Taschengeldes durch das LSG zutreffend erfolgt sei, könne dahinstehen.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hatte für seine Tochter Kathrin in der Zeit von Oktober 1987 bis einschließlich Mai 1988 keinen Anspruch auf Kindergeld.

Die durch den Bescheid vom 23. Oktober 1987 auf § 48 SGB X gestützte Aufhebung der Kindergeldbewilligung nach dem Abitur von Kathrin ab August 1987 wurde von dem Kläger nicht angefochten. Streitgegenstand ist entsprechend seinem Antrag das Kindergeld ab Oktober 1987, also während der Zeit, in der Kathrin ohne Ausbildungsplatz als Au-pair-Mädchen tätig war. Nachdem die Verwaltung in Kenntnis dieser Umstände den genannten Verwaltungsakt aufrecht erhielt, beinhaltet dieser gleichzeitig auch die Ablehnung der Kindergeldbewilligung für die Au-pair-Mädchenzeit. Mit Recht hat das LSG angenommen, daß der Kindergeldanspruch mit dem Beginn der Au-pair-Tätigkeit von Kathrin in London entfiel.

Die Berücksichtigung von Kathrin bei der Kindergeldgewährung ist zwar nicht schon deshalb entfallen, weil sie sich in das Ausland begab (s § 2 Abs 5 Satz 1 BKGG). Es handelte sich um einen nur vorübergehenden Aufenthalt, so daß der Wohnsitz unverändert bei ihren Eltern verblieb (§ 30 Abs 3 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫). Kathrin gehörte in der fraglichen Zeit als 19- bzw 20jährige zu dem Kreis von Jugendlichen, welche nach § 2 Abs 4 BKGG berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil insofern vor, als Kathrin die beabsichtigte Berufsausbildung mangels eines Ausbildungsplatzes nicht beginnen konnte. Diese Jugendlichen werden indes bei der Kindergeldgewährung nur berücksichtigt, wenn sie monatlich weniger als 400,– DM aus den in § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG genannten Gründen beziehen. Kathrin erhielt Sachbezüge und ein Taschengeld. Mit Recht hat das LSG angenommen, daß das Kind dadurch „aus einer Erwerbstätigkeit” einen Zufluß an Unterhaltsmitteln von wenigstens 400,– DM bezog, der angerechnet werden muß.

Die relativ niedrige Grenze für die Gewährung von Kindergeld in § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG betrifft im allgemeinen Jugendliche, die nur teilzeitbeschäftigt sind. Bei ihnen fallen berufsbedingte Werbungskosten erfahrungsgemäß nur in geringem Umfange an; außerdem können sie ihre Eltern im häuslichen Bereich entlasten (s die Begründung des Gesetzentwurfes Drucks 10/2222 S 5). Als anrechenbar auf den Betrag von 400,– DM sieht der Gesetzgeber außer den Lohnersatzleistungen nach § 2 Abs 4 Satz 2 Nr 1 BKGG den Bezug von Übergangsgebührnissen (Nr 2) sowie den Erhalt von Mitteln aus einer Erwerbstätigkeit (Nr 3) an. Insbesondere die Berücksichtigung von Übergangsgebührnissen nach beamten- oder versorgungsrechtlichen Grundsätzen macht deutlich, daß es dem Gesetzgeber darum ging, Unterhaltsmittel, welche dem Jugendlichen selbst zur Verfügung stehen, in der Regel nicht außer acht zu lassen. Derartige Gebührnisse, welche nach § 13 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) bzw nach § 47 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) gezahlt werden, sind kein Entgelt für geleistete Dienste. Sie dienen vielmehr dazu, dem ausscheidenden Zeitsoldaten bzw Beamten, der nicht auf eigenen Antrag entlassen wird, den Übergang in einen anderen Beruf zu erleichtern. Der Gesetzgeber macht in § 2 Abs 4 Satz 2 Nr 2 BKGG deutlich, daß solche Einkünfte, wenn sie dem Jugendlichen zufließen, als eigene Unterhaltsmittel anzusehen sind. Dies hat seine Berechtigung darin, daß derartige Einkünfte zur Unterhaltsleistung für den Jugendlichen verwendet werden können und daher die Eltern von ihrer Verpflichtung zur Unterhaltszahlung wesentlich entlasten. Nichts anderes beabsichtigte der Gesetzgeber, wenn er Einnahmen „aus einer Erwerbstätigkeit” des Jugendlichen für anrechenbar bestimmte. Entsprechend dem dargestellten Zweck des Gesetzes ging es auch hier darum, dem Jugendlichen die von anderer Seite bezogenen Unterhaltsmittel zuzurechnen, weil sie eine entsprechende Erleichterung für die Unterhaltspflichtigen bedeuten.

Anders als der Kläger meint, kommt es demzufolge nicht darauf an, daß der Jugendliche eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt hat. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß er durch sein wie immer auch zu klassifizierendes Verhalten einen gewissen Erwerb erzielt, welcher zum Unterhalt verwendbar ist. Demzufolge ist es unerheblich, ob die Au-pair-Tätigkeit von Kathrin als Erwerbstätigkeit (gegen Entgelt) anzusehen ist oder nicht (vgl hierzu aber die bejahende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, DÖV 1985, S 112, 113). Entscheidend ist, daß Kathrin durch ihr planmäßiges Wirken einen wesentlichen Teil ihres Unterhaltes selbst bestritt. Hierzu hat das LSG festgestellt, daß die Tätigkeit der Jugendlichen in London gerade dazu beitragen sollte, Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld zu erhalten, um ihren Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Die für die Tätigkeit Kathrins gewährte Unterkunft, Verpflegung und Taschengeld sind daher als Bezüge aus einer Erwerbstätigkeit iS von § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG anzusehen.

Der Gesetzgeber setzt im übrigen auch in anderen Normen eine Erwerbstätigkeit bzw Erwerbseinkommen nicht einem Beschäftigungsverhältnis mit Arbeitsentgelt gleich. In § 18a des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -(SGB IV) ist ausdrücklich bestimmt, daß unter einem Erwerbseinkommen Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen zu verstehen sind. Der Gesetzgeber rechnet also zB auch Einnahmen aus einer selbständigen Tätigkeit zum Erwerbseinkommen (§ 18a Abs 2 SGB IV). Im vorliegenden Fall kann indes dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber in § 2 Abs 4 BKGG mit Bezügen aus einer Erwerbstätigkeit Erwerbseinkommen iS von § 18a SGB IV meint. Jedenfalls trifft die Meinung des Klägers nicht zu, wonach unter einer Erwerbstätigkeit die Tätigkeit in abhängiger Beschäftigung zu verstehen ist.

Die von Kathrin durch ihre Tätigkeit als Au-pair-Mädchen erworbenen Unterhaltsmittel lagen oberhalb der Einkommensgrenze des § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Sachbezüge, welche eine Jugendliche im Ausland erhält, entsprechend der jeweiligen Sachbezugsverordnung in Ansatz zu bringen (Urteil vom 17. Mai 1989 – 10 RKg 5/88 – im Anschluß an das Urteil vom 7. September 1988 – 10 RKg 5/87 –). Hiergegen sind Einwände nicht erhoben worden. Dem Senat erscheint diese Bewertung der Sachleistungen gerechtfertigt, weil auf Seiten der Eltern eine entsprechende Unterhaltsersparnis entsteht. Bei Anwendung der Sachbezugsverordnung für die Jahre 1987 und 1988 hat das LSG zutreffend einen monatlichen Betrag von 520,– DM bzw 530,– DM in Ansatz gebracht. Damit übersteigen die Kathrin gewährten Sachleistungen bereits die Einnahmegrenze des § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG deutlich, ohne daß das wöchentliche Taschengeld berücksichtigt zu werden brauchte. Dieses wäre allerdings, worauf die Beklagte richtig hingewiesen hat, nicht in der Weise umzurechnen, wie dies in dem angefochtenen Urteil geschehen ist. Vielmehr schreibt § 2 Abs 4 Satz 4 BKGG insoweit ausdrücklich die Anwendung des Abs 2 Satz 4 BKGG vor, der sich mit der Umrechnung von Leistungen in ausländischer Währung befaßt. Hierauf kommt es aber, wie gesagt, nicht an.

Offensichtlich ist Kathrin nach den insoweit nicht völlig eindeutigen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil gelegentlich kurzzeitig nach Deutschland gefahren. Die längste Abwesenheit scheint sich danach im Dezember 1987 ereignet zu haben, als Kathrin für 8 Tage im Weihnachtsurlaub war. Selbst wenn dieses Vorbringen zutrifft und ferner berücksichtigt wird, daß sie in dieser Zeit weder Kost noch Heizung und Beleuchtung für ihre Wohnung in London erhielt, sanken ihre Einnahmen nicht unter die Grenze des § 2 Abs 4 Satz 2 BKGG. Da sie während dieser Zeit ihre Wohnung (34 % nach der Sachbezugsverordnung) behielt, sind als Unterhaltsleistungen zwischen 390,– und 400,– DM anzurechnen. Die 400,– DM-Grenze der genannten Vorschrift wurde jedoch auch in diesem Monat in jedem Falle übertroffen, weil Kathrin neben den Sachleistungen für eine gewisse Zeit zusätzlich noch Taschengeld bezog.

Nach alledem konnte die Revision keinen Erfolg haben. Sie war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172660

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