Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 6. Juli 1994 und des Sozialgerichts Berlin vom 5. August 1993 aufgehoben.
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 4. Januar 1991 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1992 verurteilt, das Altersruhegeld des Klägers ab 1. Januar 1991 neu zu berechnen und dabei die nach dem FRG anerkannten Zeiten gemäß Art 6 § 5 FANG zu bewerten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe des Altersruhegeldes (ARG) des Klägers. Umstritten ist die Frage, nach welchen Rechtsvorschriften seine in Polen zurückgelegten Fremdrentenzeiten zu bewerten sind.
Der 1920 in Polen geborene Kläger ist Verfolgter iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) und gehörte dem deutschen Sprach- und Kulturkreis an. Bis 1956 war er in Polen beschäftigt. Seit 1957 lebt er in Israel, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Auf seinen im November 1986 gestellten Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 4. November 1991 ARG ab 1. Januar 1991. Bei der Berechnung dieser Leistung legte sie für die in der Zeit vom 1. September 1941 bis zum 31. Oktober 1956 in Polen nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zurückgelegten Beschäftigungszeiten die Tabellenwerte nach Leistungsgruppen und Wirtschaftsbereichen gemäß § 22 Abs 1 iVm Anlage 17 FRG in der seit 1. Juli 1990 geltenden Fassung zugrunde. Widerspruch, Klage und Berufung, mit denen der Kläger die Einstufung und Bewertung dieser Zeiten nach den bis zum 30. Juni 1990 geltenden – für ihn günstigeren – Vorschriften begehrte, waren erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 1992, Urteil des Sozialgerichts Berlin ≪SG≫ vom 5. August 1993, Urteil des Landessozialgerichts Berlin ≪LSG≫ vom 6. Juli 1994).
Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt: Die Beklagte habe zu Recht die zur Zeit der Berechnung – ab 1. Juli 1990 – geltende Fassung des FRG angewandt. Die Ausnahmeregelung für die weitere Anwendung des alten Rechts in Art 6 § 4 Abs 3 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG), auf die sich der Kläger stütze, sei nicht einschlägig, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht – wie dort gefordert – bis zum 30. Juni 1990 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen habe, sondern (weiterhin) in Israel wohne.
Die Gleichstellung mit einem Berechtigten nach dieser Vorschrift könne der Kläger auch nicht über Art 4 Abs 1 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (Abk Israel SozSich) erreichen. Diese Regelung stelle die Gebiete der Vertragsstaaten für die Entstehung von Leistungsansprüchen sowie die Gewährung und Zahlung von Leistungen an die in Art 3 Abs 1 Abk Israel SozSich genannten Personen gleich. Mit dieser territorialen Gleichstellung solle den innerstaatlichen Vorschriften, nach denen die Entstehung von Leistungsansprüchen sowie die Gewährung und Zahlung von Leistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig seien, die Wirkung genommen werden, wenn sich diese Personen im anderen Vertragsstaat aufhielten. Von dieser Art der Gleichstellung werde der Fall des Klägers indes nicht erfaßt, denn es gehe hier um die Bewertung von bei der Höhe der Leistungen bereits berücksichtigten Fremdrentenzeiten und nicht um die Entstehung von Ansprüchen oder die Gewährung und Zahlung von Leistungen.
Einer Heranziehung von Nr 3 des Schlußprotokolls (SP) zum Abk Israel SozSich bedürfe es entgegen der Ansicht der Beklagten und des SG nicht. Durch diese Regelung solle nur erreicht werden, daß die deutschen Vorschriften über Leistungen für nicht nach Bundesrecht zurückgelegte Versicherungszeiten von Art 4 Abs 1 Abk Israel SozSich nicht berührt würden, also nicht ohne weiteres zu einer Rentenzahlung nach Israel führen könnten; darauf komme es hier aber nicht an.
Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des Art 6 § 4 Abs 3 FANG, der Art 3 Abs 1 Buchst a und 4 Abs 1 Abk Israel SozSich und von Nr 3 Buchst a 2. Spiegelstrich SP Abk Israel SozSich. Er trägt vor: Auf ihn seien die (mit Art 6 § 5 FANG übereinstimmenden) bis zum 30. Juni 1990 geltenden Vorschriften des FRG anzuwenden. Nach Art 3 Abs 1 Buchst a Abk Israel SozSich würden israelische Staatsangehörige, die sich gewöhnlich in Israel aufhielten, den in der Bundesrepublik Deutschland aufhältlichen deutschen Personen bei der Anwendung deutscher Rechtsvorschriften gleichgestellt. Gemäß Art 4 Abs 1 Satz 1 Abk Israel SozSich würden israelische Staatsangehörige, die in Israel ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten, auch insoweit den deutschen Staatsangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland gleichbehandelt, soweit die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig gemacht würden. Die Einstufung von Fremdbeitragszeiten bestimme die Höhe der Leistung und müsse damit unter den Begriff der „Entstehung von Ansprüchen” subsumiert werden.
Die Ausnahme von dieser Regelung in Nr 3 Buchst a 2. Spiegelstrich SP Abk Israel SozSich könne seinen Anspruch auf Einstufung seiner Zeiten nach Art 6 § 4 Abs 3 FANG nicht tangieren. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Nr 3 SP Abk Israel SozSich werde dort nämlich lediglich der Export von Renten aus Deutschland nach Israel geregelt. Die Einstufung von Fremdbeitragszeiten berühre jedoch nicht „Leistungen aus Versicherungszeiten”, sondern lediglich die Bewertung der Zeiten. Über den Leistungsexport aus den so bewerteten Zeiten sei erst anschließend zu entscheiden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Berlin vom 5. August 1993 und des Urteils des LSG Berlin vom 6. Juli 1994 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 4. Januar 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1992 zu verurteilen, die nach dem FRG anerkannten Zeiten nach Art 6 § 5 FANG (= § 22 FRG idF bis zum 30. Juni 1990) zu bewerten und seine Rente neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Bei einem Anspruch auf Zahlung einer Rente ab dem 1. Juli 1990 gelte stets das FRG in seiner Neufassung. Die vorher geltenden Bewertungsvorschriften seien für Rentenbeginnsfälle vor dem 1. Januar 1996 maßgeblich, wenn der Berechtigte bis zum 30. Juni 1990 in die alten Bundesländer zugezogen sei, ohne in sein Herkunftsgebiet zurückgekehrt zu sein. Die vom Kläger erstrebte Fiktion eines entsprechenden Zuzugs entbehre einer Rechtsgrundlage. Art 4 Abs 1 Abk Israel SozSich beziehe sich seinem Wortlaut nach nur auf Fälle, in denen die Entstehung von Ansprüchen und Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandaufenthalt abhängig sei. Diese Formulierung sei eindeutig und der vom Kläger gewünschten erweiterten Auslegung nicht zugänglich. Dabei könne es sich nur um Leistungsansprüche dem Grunde (und nicht der Höhe) nach handeln, denn ein Rentenanspruch könne nicht Mark für Mark in Einzelansprüche aufgeteilt werden.
Für diese Auffassung sprächen Parallelen bei der Auslegung des Art 20 Abs 1 Abk Israel SozSich, der eine Zusammenrechnung von deutschen und israelischen Versicherungszeiten ebenfalls nur „für den Erwerb des Leistungsanspruchs” normiert (Hinweis auf BSGE 53, 93, 95 f = SozR 5750 Art 2 § 38 Nr 7). Im übrigen sei die Revisionsbegründung in sich widersprüchlich. Einerseits wolle der Kläger das FRG-Übergangsrecht im Rahmen des Art 4 Abs 1 Abk Israel SozSich unter den Begriff „Entstehen von Ansprüchen auf Leistungen” subsumieren, andererseits komme er im Zusammenhang mit Nr 3 Buchst a 2. Spiegelstrich SP Abk Israel SozSich zu dem Ergebnis, daß es sich nicht um Vorschriften über „Leistungen aus Versicherungszeiten” handele, sondern lediglich um eine Bewertungsvorschrift. Auch sprächen Sinn und Zweck des Art 6 § 4 Abs 3 FANG für eine Begrenzung seiner Anwendung auf den Fall des Zuzugs in das alte Bundesgebiet. Diese Vorschrift sei auf den Schutz des Vertrauens in bestehende Regelungen gerichtet. Ein Vertrauenstatbestand habe aber nur für die Berechtigten iS des § 1 FRG entstehen können, die ihren Wohnsitz vor dem Zeitpunkt der Neuregelung des FRG im alten Bundesgebiet genommen hätten. Dies ergebe sich auch aus den Materialien zum Rentenüberleitungsgesetz (RÜG).
Das Erfordernis des Zuzugs knüpfe an den Integrationsgedanken des FRG an; die wesentlichen Differenzierungskriterien seien somit die innerstaatlichen Lebensverhältnisse, auf welche die vom Eingliederungsgedanken bestimmte Rentenhöhe abgestimmt sei. Personen, die sich – wie der Kläger – außerhalb des Bundesgebiets aufhielten, seien davon nicht beeinflußt. Da die aus den Vertreibungsgebieten nach Israel eingewanderten Berechtigten im Gegensatz zu dem von § 1 FRG erfaßten Personenkreis aufgrund der Auslandszahlungsvorschriften der §§ 94 ff des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) bzw der §§ 110 ff des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) aus ihren im Vertreibungsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten keinen unmittelbaren Leistungsanspruch erwürben, ein solcher vielmehr regelmäßig erst durch die Inanspruchnahme einer außerordentlichen Nachentrichtungsmöglichkeit gegeben sei, könne der Zuzug nach Israel den in das alte Bundesgebiet nicht ersetzen.
Auch liege keine Regelungslücke vor, denn das Zusammenspiel von FRG- und Nachentrichtungsvorschriften führe bei dem Kläger zu dem vom Gesetzgeber erwünschten Ergebnis. Die von ihm in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten seien als nach dem FRG erworbene Ansprüche in sein Heimatland Israel zahlbar geworden.
Der erkennende Senat hat vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) eine Auskunft über die Hintergründe der hier in Streit stehenden Regelungen eingeholt. Das BMA hat unter dem 4. September 1997 mitgeteilt, der Gesetzgeber habe mit Art 4 Abs 3 FANG eine Vertrauensschutzvorschrift für Personen schaffen wollen, die zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992), jedenfalls aber bis zum 30. Juni 1990 die Herkunftsgebiete verlassen und bis zu diesem Zeitpunkt Anwartschaften nach dem FRG erworben hätten. In den Gesetzesmaterialien fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß dem Gesetzgeber diejenigen Personen, die bis zu diesem Zeitpunkt Anwartschaften nach dem FRG erworben hätten, ohne einen ständigen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen oder einen ständigen Aufenthalt bis zu dem Stichtag 30. Juni 1990 aufrechterhalten zu haben, besonders vor Augen gestanden hätten und daß er diese Personen von dem Vertrauensschutz habe ausnehmen wollen.
Hierzu trägt die Beklagte vor: Selbst wenn der Gesetzgeber – wie das BMA vermute – die Absicht gehabt hätte, auch den hier im Streit stehenden Personenkreis zu begünstigen, wäre dies unbeachtlich, weil es in dem beschlossenen Gesetzestext keinen hinreichenden Ausdruck gefunden hätte. Nach dem Gesetzestext sei aber die Aufenthaltsnahme in den alten Bundesländern eine der unmißverständlichen Voraussetzungen, die der Kläger eindeutig nicht erfülle. Das ihrer Ansicht entgegenstehende Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29. April 1997 – 4 RA 123/95 – sei in sich widersprüchlich. Es sei im wesentlichen darauf gestützt, daß Personen, die vor dem Stichtag Anwartschaften aufgrund des FRG erworben hätten, nicht nach territorialen Unterscheidungen ungleich behandelt werden dürften, akzeptiere gleichwohl eine solche Differenzierung für einen bestimmten Personenkreis. Von den beiden vom Gesetzgeber in Art 6 § 4 Abs 3 FANG geschaffenen territorialen Anknüpfungspunkten – Aufenthaltsnahme in den alten Bundesländern und Verbot der Rückkehr in die Herkunftsgebiete – bestätige der 4. Senat den zweiten als Voraussetzung für die Anwendung des Übergangsrechts, obwohl auch diejenigen, die in die Herkunftsgebiete zurückgekehrt seien, bis zum Stichtag die gleichen Rechte aus dem FRG wie die übrigen Berechtigten hätten beanspruchen können. Wenn der vom 4. Senat gezogene Umkehrschluß aus Art 6 § 4 Abs 3 Satz 1 FANG, nach dem diese Personen nicht unter den Schutz des Übergangsrechts fallen sollten, zulässig sei, sei es unverständlich und inkonsequent, daß ein entsprechender Umkehrschluß hinsichtlich der weiteren territorialen Voraussetzung – Aufenthaltsnahme in den alten Bundesländern – unzulässig sein solle.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Das LSG hat seine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung eines höheren ARG unter Bewertung seiner FRG-Zeiten nach Art 6 § 5 FANG, also materiell den bis zum 30. Juni 1990 geltenden Vorschriften des § 22 FRG aF.
Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften des AVG, weil der Antrag bis zum 31. März 1992 gestellt worden ist und die Rente auch für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 begehrt wird (vgl § 300 Abs 2 SGB VI).
Die Höhe des ARG richtet sich nach dem danach anzuwendenden § 31 Abs 1 AVG ua nach der für den Versicherten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage; dies ist nach § 32 Abs 1 AVG der Vomhundertsatz der allgemeinen Bemessungsgrundlage, der dem Verhältnis entspricht, in dem während der zurückgelegten Beitragszeiten das Bruttoarbeitsentgelt des Versicherten zu dem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten ohne Lehrlinge und Anlernlinge gestanden hat. Bei der Bestimmung der Höhe des Bruttoarbeitsentgelts des Versicherten stehen die nach dem FRG zurückgelegten Beitragszeiten gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 FRG den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich, wobei die nach dem FRG anzurechnenden Beitragszeiten bei der Bestimmung der persönlichen Bemessungsgrundlage nicht mit dem tatsächlich im Herkunftsgebiet erzielten Arbeitsentgelt, sondern mit den in dem entsprechenden Rentenzweig vorgesehenen pauschalen Tabellenwerten berücksichtigt werden, die den Verdiensten entsprechen sollen, welche ein vergleichbarer bundesdeutscher Versicherter erzielt hätte.
Nach § 22 FRG in seiner bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung geschah dies in der Weise, daß die jeweilige Tätigkeit einer der Leistungsgruppen zugeordnet und das hierfür vorgesehene Bruttoarbeitsentgelt in die Berechnung der Rentenbemessungsgrundlage eingestellt wurde. Diese Regelung wurde durch das RRG 1992 im wesentlichen in der Weise geändert, daß zu der bestehenden Einteilung nach Leistungsgruppen die Zuordnung des Berechtigten zu einem von 24 Wirtschaftsbereichen vorgesehen wurde. Durch diese größere Differenzierung bei der Bewertung sollte eine Besserstellung der FRG-Berechtigten gegenüber einheimischen Versicherten, wie sie nach der bisherigen Regelung insbesondere im Bereich der Angestelltenversicherung teilweise eingetreten war, vermieden werden (vgl Bericht des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 3. November 1989 ≪BT-Drucks 11/5530, S 28f≫).
Diese Neuregelung der Bewertung der FRG-Zeiten durch das RRG 1992 erfolgte in verschiedenen Stufen. Abschnitt A des Art 15 RRG 1992 enthält die Neufassung der Vorschriften zum 1. Januar 1992, Abschnitt B die Fassung der Vorschriften in der Zeit vom 1. Juli 1990 bis zum 31. Dezember 1991. Die durch Art 16 RRG 1992 neu gefaßte Übergangsvorschrift des Art 6 § 4 FANG, die am 1. Juli 1990 in Kraft getreten ist, bestimmt, welche Fassung der Vorschriften des FRG mit welcher Maßgabe jeweils anzuwenden ist:
Bestand bereits vor dem 1. Juli 1990 ein Anspruch auf Zahlung einer Rente, so ist danach das FRG in seiner bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung ohne weitere Modifikationen weiter anzuwenden (Art 6 § 4 Abs 2 Satz 1 FANG nF). Für alle übrigen Fälle gilt eine für verschiedene Personengruppen und verschiedene Zeiträume unterschiedliche Regelung.
Für den Zeitraum vom 1. Juli 1990 bis zum 31. Dezember 1991 ist eine differenzierte Bewertung der FRG-Beitragszeiten vorgesehen. Die allgemeine Regelung findet sich in den §§ 22, 26 FRG idF des Art 15 Abschnitt B Nrn 3, 5 RRG 1992. Danach werden für diese Zeiten Werteinheiten nach der Anlage 17 zum FRG durch Vervielfältigung der dort genannten Werte, die nach Wirtschaftsbereichen und Leistungsgruppen gestaffelt sind „Branchenmodell”), ermittelt (§ 22 Abs 1 Satz 1 FRG idF des Art 15 Abschnitt B Nr 3 RRG 1992).
Bei Berechtigten, die bis zum 30. Juni 1990 einen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland genommen und einen Anspruch auf Zahlung einer Rente für einen Zeitraum frühestens vom 1. Juli 1990 an haben, ist gemäß Art 6 § 4 Abs 3 FANG das FRG mit der Maßgabe anzuwenden, daß Art 6 § 5 FANG, der inhaltlich die bis zum 30. Juni 1990 geltenden Regelungen – ohne Wirtschaftsbereiche – enthält, an Stelle von § 22 Abs 1 FRG (in der ab 1. Juli 1990 geltenden Fassung) gilt.
Da dem Kläger aufgrund der Verschiebung des Versicherungsfalls auf den 31. Dezember 1990 durch Erklärung vom 14. März 1991 ein Anspruch auf ARG erst ab 1. Januar 1991 zusteht, wären seine FRG-Pflichtbeitragszeiten grundsätzlich gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 FRG idF des Art 15 Abschnitt B Nr 3 RRG 1992, also nach dem „Branchenmodell”, zu bewerten. Abweichendes würde aber dann gelten, wenn die Voraussetzungen der Sonderregelung des Art 6 § 4 Abs 3 FANG, aus der sich ein Anspruch auf Bewertung der FRG-Zeiten nach den bis zum 30. Juni 1990 geltenden Vorschriften ergibt, vorlägen. Geht man allein vom Wortlaut dieser Vorschrift aus, wäre das allerdings nicht der Fall. Denn der Kläger hatte nach den Feststellungen des LSG bis zum 30. Juni 1990 keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik genommen, sondern er ist im Jahre 1957 von Polen unmittelbar nach Israel übergesiedelt und lebt seither durchgehend dort.
Der 4. Senat des BSG hat jedoch bereits in einem gleichgelagerten Fall in seinem Urteil vom 29. April 1997 – 4 RA 123/95 – (zur Veröffentlichung in SozR 3 vorgesehen) und am 30. September 1997 in weiteren Revisionsverfahren (4 RA 47/97, 4 RA 49/97, 4 RA 51/97, 4 RA 52/97, 4 RA 53/97, 4 RA 55/97) entschieden, daß ein Versicherter, der am Stichtag 30. Juni 1990 eine Rentenanwartschaft unter Einschluß von FRG-Zeiten erworben hatte und sich gewöhnlich im Ausland aufhielt, die Bewertung seiner FRG-Zeiten ohne das „Branchenmodell” wie ein vergleichbarer Versicherter, der am Stichtag seinen gewöhnlichen Aufenthalt im damaligen Bundesgebiet genommen hatte, verlangen kann, wenn das Vollrecht bis 1995 entsteht. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat aufgrund eigener Prüfung im Ergebnis an.
Allerdings hat der erkennende Senat erhebliche Bedenken, eine solche Gleichstellung aus dem Abk Israel SozSich abzuleiten (abl LSG Berlin Breithaupt 1996, 938, 940), wie es der 4. Senat zumindest in der zitierten Entscheidung vom 29. April 1997 – 4 RA 123/95 – getan hat. Die in Art 3 Abs 1 Abk Israel SozSich vorgesehene Gleichstellung der eigenen Staatsangehörigen mit denen des anderen Vertragsstaates bei der Anwendung von Rechtsvorschriften führt nicht zu diesem Ergebnis. Eine Ungleichbehandlung von Deutschen und Israelis, die nicht bis zum 30. Juni 1990 ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben, ist in den hier einschlägigen Rechtsvorschriften nicht vorgesehen.
Auch Art 4 Abs 1 Satz 1 Abk Israel SozSich dürfte nicht weiterführen. Danach gelten die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die in Art 3 Abs 1 des Abk genannten Personen, die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten. Diese Regelung enthält nämlich keine umfassende rechtliche Gleichstellung der Territorien der Vertragsstaaten bzw des Aufenthaltes bestimmter Personen darin, sondern lediglich für bestimmte, fest umschriebene Tatbestände, die hier nicht gegeben sind.
Bei der Bewertung von FRG-Beitragszeiten im Rahmen eines Rentenbewilligungsverfahrens geht es nicht um die Entstehung (vgl § 40 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB I≫) von Leistungsansprüchen, sondern lediglich um die Berechnung eines solchen Anspruchs (hier: ARG). Daß in diesem Zusammenhang „Berechnung” gleichbedeutend mit „Entstehung” sein oder einem weiter verstandenen Begriff der Entstehung untergeordnet werden könnte, ist nicht ersichtlich. Sozialversicherungsabkommen sind aus sich heraus auszulegen. Dabei ist in erster Linie vom Wortlaut des Vertragstextes auszugehen, dem insoweit im allgemeinen größere Bedeutung zukommt als dem Wortlaut des Gesetzes bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts. Allerdings schließt dies die Heranziehung anderer Auslegungskriterien nicht aus (vgl BSG SozR 3-6480 Art 22 Nr 1 mwN).
Der Wortlaut des Abk Israel SozSich gibt keinen Anhalt für eine entsprechende – vom Gebrauch dieser Begriffe zumindest im nationalen Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland stark abweichende – Begriffsbildung. Hingegen ist aus den Bestimmungen des Abk Israel SozSich, die sich speziell mit „Rentenversicherungen” befassen (Art 20 bis 22 Abk Israel SozSich), zu entnehmen, daß die vertragsschließenden Parteien zwischen dem Erwerb eines Leistungsanspruchs (vgl Art 20 Abs 1 Satz 1 Abk Israel SozSich) und dessen Berechnung etwa hinsichtlich der Bildung der Bemessungsgrundlage (vgl Art 21 Abs 1 Abk Israel SozSich) unterschieden haben (vgl LSG Berlin Breithaupt 1996, 938, 941).
Es dürfte auch keiner der weiteren Tatbestände des Art 4 Abs 1 Satz 1 Abk Israel SozSich (Gewährung von Leistungen und Zahlung von Geldleistungen) vorliegen, bei deren Vorliegen die Gleichstellung der Territorien der Vertragsstaaten bzw des Aufenthalts darin vorgesehen ist. Die Gewährung einer Leistung ist wie das Entstehen des Leistungsanspruchs nicht mit der Bewertung von Zeiten als Voraussetzung für deren Berechnung gleichzusetzen, sondern setzt diese gerade voraus. Die Zahlung von Geldleistungen schließlich betrifft die tatsächliche Auszahlung einer Leistung (§§ 94 ff AVG), nicht deren Berechnung.
Aus Nr 3 Buchst a 2. Spiegelstrich SP Abk Israel SozSich ergibt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls keine Gleichstellung des gewöhnlichen Aufenthalts in Israel mit einem solchen in der Bundesrepublik. Die dort getroffene Regelung, daß Art 4 Abs 1 Abk Israel SozSich nicht die deutschen Rechtsvorschriften über Leistungen aus Versicherungszeiten berührt, die nicht nach Bundesrecht zurückgelegt sind, enthält nichts Entsprechendes. Durch sie werden lediglich Renten bzw Rentenanteile, die nicht auf Bundesrecht beruhen (also FRG-Zeiten), von der durch die Gleichstellung der Gebiete für die Zahlung von Geldleistungen in Art 4 Abs 1 Abk Israel SozSich sonst bestehenden Auszahlungsverpflichtung nach Israel ausgenommen. Für die Beantwortung der hier aufgeworfenen Rechtsfrage, ob die Gleichstellung in Art 4 Abs 1 Abk Israel SozSich auch die Berechnungsvorschriften betrifft, besagt sie nichts. Allerdings kann die Frage, ob sich die vom Kläger begehrte Bewertung seiner FRG-Zeiten nach den vor dem 1. Juli 1990 geltenden Vorschriften aus Abkommensrecht ableiten läßt, offenbleiben.
Aus der Gesamtsicht der Regelungen für die verschiedenen betroffenen Personengruppen ergibt sich nämlich, daß die Übergangsregelung in Art 6 § 4 Abs 3 FANG eine planwidrige Lücke hinsichtlich der Gruppe, welcher der Kläger angehört, aufweist, die aus verfassungsrechtlichen Gründen nur so geschlossen werden kann, daß die Personengruppe, welcher der Kläger angehört, wie die vergleichbare Gruppe mit Inlandsaufenthalt nach dem günstigeren alten Recht zu behandeln ist. Dieser vom 4. Senat in den zitierten Entscheidungen (Urteil vom 29. April 1997 – 4 RA 123/95 – usw) vertretenen Rechtsansicht schließt sich der erkennende Senat an und verweist in vollem Umfang auf die diesbezüglichen Ausführungen des 4. Senats.
Während der Vertrauensschutz von Vollrechtsinhabern, also Versicherten, die bereits vor dem 1. Juli 1990 einen Rentenanspruch hatten, voll ausgestaltet ist – sie unterfallen in vollem Umfang dem alten Recht (vgl Art 6 § 4 Abs 2 FANG) –, werden nach dem Wortlaut Art 6 § 4 Abs 3 nur die Inhaber von zum Stichtag noch nicht zum Vollrecht erstarkten Rentenanwartschaften in den abgestuften Vertrauensschutz einbezogen, die im Gebiet der (Alt-) Bundesrepublik Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt genommen haben. Diese Personengruppe wird nirgends ausdrücklich erwähnt. Weder aus dem Gesetzeskonzept noch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich indes irgendein Anhaltspunkt dafür, daß die Personen, die bis zum Stichtag Anwartschaften nach dem FRG erworben haben, ohne ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der (Alt-) Bundesrepublik Deutschland genommen oder aufrechterhalten zu haben, von der Einbeziehung in den verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz ausgenommen werden sollten. Dies wäre auch im Hinblick darauf, daß zu dieser Gruppe zu einem großen Teil Verfolgte des Nationalsozialismus gehören, die zudem noch vertrieben sind, unverständlich; die Versagung des durch die Übergangsregelung gewährten Bewertungsschutzes für die als Entschädigung für diese zweifache Verfolgung gewährten FRG-Zeiten wäre ein ungerechtfertigte Härte.
Auch das BMA als das zuständige Fachministerium hat in seiner Auskunft vom 4. September 1997 keine entsprechenden Tendenzen bestätigt, sondern ist davon ausgegangen, daß der Gesetzgeber diese Personen im rentennahen Alter nicht von dem Vertrauensschutz ausnehmen wollte. Für eine solche Benachteiligung wäre auch sonst kein sachlicher Grund ersichtlich. Der von der Beklagten hierfür angeführte Integrationsgedanke des FRG, an den das Erfordernis des Zuzugs anknüpfe, ist jedenfalls in diesem Zusammenhang als Differenzierungskriterium ungeeignet. Voraussetzung für den Ausnahmetatbestand des Art 6 § 4 Abs 3 FANG ist insoweit lediglich, daß der Versicherte bis zum Stichtag seinen gewöhnlichen Aufenthalt im (Alt-) Bundesgebiet genommen hat; auch ein gewöhnlicher Aufenthalt von nur kurzer Dauer, bei dem eine Integration kaum stattfinden könnte, steht der Aufnahme in den begünstigten Personenkreis nicht entgegen. Daraus wird deutlich, daß die innerstaatlichen Lebensverhältnisse, auf welche die Beklagte in ihrer Argumentation abstellt, für das Vertrauen zumindest eines Teils der von der Ausnahmeregelung erfaßten Personen keine Bedeutung haben können und daher als allgemeines Differenzierungskriterium ausscheiden. Andere tragfähige Unterscheidungsmerkmale sind nicht ersichtlich.
Es ist daher geboten, die für die rentennahen Versicherten, bei denen der Versicherungsfall zwischen dem 1. Juli 1990 und dem 31. Dezember 1995 eintritt, vorgesehenen Übergangsregelungen in Art 6 § 4 Abs 3 Sätze 1 und 2 FANG mit dem 4. Senat im Wege einer verfassungskonformen Analogie so auszulegen, daß sie auch diejenigen Versicherten umfassen, die bis zum 30. Juni 1990 im Ausland gewohnt haben, Rentenanwartschaften unter Einbeziehung von FRG-Beitragszeiten erworben haben und bei denen der Versicherungsfall eben zwischen dem 1. Juli 1990 und dem 31. Dezember 1995 eintritt.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen