Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzrechtliche Behandlung von Ansprüchen der BA auf Rückzahlung gewährter Eingliederungszuschüsse
Leitsatz (amtlich)
Kündigt der Insolvenzverwalter das Beschäftigungsverhältnis eines Arbeitnehmers, für den dem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Eingliederungszuschuss gewährt worden ist, und verlangt die BA deswegen Rückzahlung des Zuschusses, ist die Rückzahlungsverpflichtung keine sonstige Masseverbindlichkeit.
Normenkette
SGB III § 223 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1997-03-24; InsO § 55 Abs. 1 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Verpflichtung zur Rückzahlung eines Eingliederungszuschusses eine sonstige Masseverbindlichkeit iS des § 55 Insolvenzordnung (InsO) ist.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der G-GmbH, der die Beklagte wegen Einstellung des Arbeitnehmers S einen Eingliederungszuschuss für die Dauer von zwölf Monaten ab 19.1.1999 bewilligt und insoweit im Förderungszeitraum insgesamt 34 848 DM ausgezahlt hatte.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1.9.2000 kündigte der Kläger als Insolvenzverwalter das Beschäftigungsverhältnis des S zum 30.9.2000. Daraufhin hob die Beklagte nach Anhörung des Klägers die Entscheidung über die Bewilligung des Eingliederungszuschusses auf und erklärte, sie melde eine Masseverbindlichkeit in Höhe von 34 848 DM nach § 55 InsO an (Bescheid vom 7.11.2001). Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser geltend machte, es handle sich nicht um eine Masseverbindlichkeit, sondern die Forderung der Beklagten sei zur Insolvenztabelle anzumelden, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.1.2002).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid vom 7.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.1.2002 aufgehoben, soweit die Bewilligung des Eingliederungszuschusses aufgehoben wurde; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 9.2.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG abgeändert und festgestellt, dass der Rückforderungsanspruch in Höhe von 34 848 DM keine Masseverbindlichkeit darstellt (Urteil vom 19.5.2010). In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt: Für die Rückforderung des Eingliederungszuschusses sei § 223 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der bis zum 31.7.1999 geltenden Fassung eine eigenständige Rechtsgrundlage, weshalb die ursprüngliche Bewilligung nicht aufzuheben sei. Der zulässige Feststellungsantrag sei begründet. Die Rückzahlungsverpflichtung sei keine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs 1 Nr 1 InsO, da nach dieser Vorschrift ein Anspruch auf bevorzugte Befriedigung nur anzuerkennen sei, wenn der Masse aufgrund einer Handlung des Insolvenzverwalters auch eine Gegenleistung zufließe; dies sei nicht der Fall bei Rückabwicklungsansprüchen der Beklagten. Es liege auch keine ungerechtfertigte Bereicherung der Masse iS des § 55 Abs 1 Nr 3 InsO vor, da die Vermögensvermehrung mit der Auszahlung des Zuschusses und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzungen des § 55 Abs 1 Nr 1 InsO und des § 55 Abs 1 Nr 3 InsO. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter stelle eine Handlung zur Verwaltung und Verwertung der Masse iS des § 55 Abs 1 Nr 1 InsO dar, die das Ziel habe, die Insolvenzmasse durch Einsparung von Aufwendungen zu erhöhen. Das eingesparte Arbeitsentgelt sei als "Zufluss" zu werten. Dem Schutz des § 55 Abs 1 Nr 1 InsO unterfielen auch die aus Handlungen des Insolvenzverwalters entstehenden gesetzlichen Ansprüche wie Schadensersatzforderungen. Der streitgegenständliche Rückforderungsanspruch stelle eine Art von Schadensersatzforderung dar. Zumindest aber sei die Rückzahlungsverpflichtung als Masseverbindlichkeit iS des § 55 Abs 1 Nr 3 SGB III zu qualifizieren. Denn die ungerechtfertigte Bereicherung der Masse liege nicht in der Auszahlung des Eingliederungszuschusses, sondern in dem bislang nicht ausgeglichenen Rückforderungsanspruch gemäß § 223 Abs 2 SGB III, der erst nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG vom 19.5.2010 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 9.2.2006 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
1. Das LSG hat die Klage zu Recht als zulässig angesehen, soweit der Kläger die negative Feststellung begehrt, dass die Rückzahlungsverpflichtung keine sonstige Masseverbindlichkeit ist. Das LSG hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf die noch zur Konkursordnung (KO) ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verwiesen, wonach der Konkursverwalter, gegen den ein Sozialleistungsträger einen Zahlungsanspruch mit der Begründung geltend macht, er sei Massegläubiger, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, die geschuldeten Beträge seien keine Masseschulden (BSGE 49, 276 = SozR 2200 § 28 Nr 3). Diese Rechtsprechung ist auf die Rechtslage nach der InsO zu übertragen, da der Insolvenzverwalter ähnlich wie früher der Konkursverwalter (vgl § 60 KO) alsbald Klarheit darüber haben muss, wer zu den Massegläubigern zählt (vgl § 53 InsO).
2. Nicht zu beanstanden sind die Ausführungen des LSG und des SG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids, soweit in diesem die ursprüngliche Bewilligung aufgehoben worden ist. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass ein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des Eingliederungszuschusses auf der Grundlage des § 223 Abs 2 SGB III in der bis 31.7.1999 geltenden Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24.3.1997, BGBl I 594, besteht (zur Weitergeltung des § 223 Abs 2 SGB III in der vorbezeichneten Fassung auch für die Zeit nach dem 31.7.1999 vgl § 422 SGB III idF des AFRG). Auch die Beklagte bezweifelt nicht mehr, dass es wegen der Sondervorschrift des § 223 Abs 2 SGB III einer gesonderten Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung nicht bedarf (vgl BSGE 89, 192 = SozR 3-4300 § 422 Nr 2; BSG SozR 4-4300 § 223 Nr 1 S 2 f).
3. Die Verpflichtung zur Rückzahlung des Eingliederungszuschusses ist - wie das LSG zutreffend entschieden hat - keine sonstige Masseverbindlichkeit iS des § 55 InsO. Sie wird von den in Betracht kommenden Regelungen in § 55 Abs 1 Nr 1 InsO und in § 55 Abs 1 Nr 3 InsO nicht erfasst.
a) Nach § 55 Abs 1 Nr 1 InsO zählen zu den Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. Kennzeichnend für Masseverbindlichkeiten in diesem Sinne ist, dass sie begründet werden, um dadurch eine Gegenleistung für die Masse zu erhalten (vgl Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl, § 55 RdNr 15; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand 2011, § 55 RdNr 87). § 55 Abs 1 Nr 1 InsO begünstigt also typischerweise die Gläubiger, die nach der Verfahrenseröffnung etwas zur Insolvenzmasse geleistet haben (Henckel in Jaeger, InsO, § 55 RdNr 5; zum Erfordernis, dass Erträge zur Masse gezogen sind, vgl BFH BFH/NV 2010, 2114; BFHE 232, 318). Folglich können Handlungen, die allein der Abwicklung der dem Grunde nach bei Verfahrenseröffnung schon bestehenden Rechtsbeziehungen dienen, keine Masseverbindlichkeiten begründen (Hefermehl aaO RdNr 18; vgl bereits zu § 59 Abs 1 Nr 1 KO: BAG, Großer Senat, Beschluss vom 13.12.1978 - GS 1/77 - Juris RdNr 128 = BAGE 31, 177).
Nach diesen Grundsätzen ist in der Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses des Arbeitnehmers S durch den Kläger keine zu einer Masseverbindlichkeit führende Handlung iS des § 55 Abs 1 Nr 1 InsO zu sehen. Das nicht auf die Erzielung von Erträgen zugunsten der Insolvenzmasse ausgerichtete Vorgehen des Klägers ist vielmehr dem Bereich der Abwicklung eines Rechtsverhältnisses zuzuordnen, das vor der Verfahrenseröffnung durch den Schuldner begründet worden war. Eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs 1 Nr 1 InsO scheidet deshalb auch dann aus, wenn - wie die Beklagte behauptet - der Anspruch auf Rückzahlung des Zuschusses als eine "Art von Schadensersatzforderung" anzusehen wäre, was allerdings zu verneinen sein dürfte.
Dem Einwand der Beklagten, Ziel der Handlung des Klägers sei gewesen, die Insolvenzmasse durch Einsparung von Aufwendungen zu erhöhen und das eingesparte Arbeitsentgelt sei als "Zufluss" zu werten, folgt der Senat nicht. Die Beklagte verkennt zunächst, dass Insolvenzmasse das gesamte Vermögen ist, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 Abs 1 InsO). Durch die Entlassung des Arbeitnehmers war deshalb ein "Zufluss" nicht zu erzielen. Unabhängig davon ist zwischen den arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Arbeitnehmer und dem leistungsrechtlichen Verhältnis zur Beklagten zu unterscheiden. Die Rückzahlungspflicht beruht auf der Zweckverfehlung der in der Zeit vor Verfahrenseröffnung gewährten Förderung (vgl BSG SozR 4-4300 § 223 Nr 1 S 5) und ist nicht Gegenleistung für die Befreiung von künftigen Ansprüchen des Arbeitnehmers. Für § 55 Abs 1 Nr 1 InsO ist aber allein maßgebend, ob der Gläubiger nach Verfahrenseröffnung etwas zur Insolvenzmasse geleistet hat; dies ist bei der Beklagten nicht der Fall.
b) Nach § 55 Abs 1 Nr 3 InsO sind Masseverbindlichkeiten auch Verbindlichkeiten aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse. Die Vorschrift erfasst nur Vermögensvermehrungen, die der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zufließen (BGH NJW-RR 2008, 295; NJW 2009, 1414; NZI 2009, 475; Hefermehl in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl, § 55 RdNr 197; Sinz in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl, § 55 RdNr 85). Dies folgt bereits daraus, dass das Gesetz auf eine Bereicherung der "Masse" abstellt, die als Haftungssondervermögen erst mit der Verfahrenseröffnung entsteht (§ 35 Abs 1 InsO; vgl Henckel in Jaeger, InsO, § 55 RdNr 78 f).
Da die Vermögensverschiebung zwischen der Beklagten und dem Schuldner durch die Auszahlung der Fördermittel vollständig in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgefunden hat, kann § 55 Abs 1 Nr 3 InsO nicht zugunsten der Beklagten eingreifen. Unerheblich ist, ob der rechtliche Grund von Anfang an fehlt oder nachträglich wegfällt (vgl BGH NZI 2009, 475; Henckel in Jaeger, InsO, § 55 RdNr 79). Dem Vorbringen der Beklagten, es komme auf den Zeitpunkt des Entstehens des Rückforderungsanspruchs an, ist deshalb nicht zu folgen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. |
Fundstellen