Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Service-Wohnen in einer Seniorenresidenz. freie Wählbarkeit von Pflege- und Unterstützungsleistungen. "geeigneter Ort" iSd § 37 Abs 2 S 1 SGB 5. Anwendung der Kostenfreistellungsregelungen des § 37 Abs 4 SGB 5 und § 13 Abs 3 S 1 SGB 5 nebeneinander. Doppelzuständigkeit von Krankenkasse und Pflegekasse bei Leistungen der Behandlungssicherungspflege. hier: rund um die Uhr (24-Stunden Intensiv-Krankenpflege) durch ambulanten Pflegedienst
Leitsatz (amtlich)
Das so genannte Service-Wohnen eines Schwerstpflegebedürftigen in einer Seniorenresidenz bei freier Wählbarkeit von Pflege- und Unterstützungsleistungen kann allgemein ein geeigneter Ort zur häuslichen Krankenpflege sein.
Orientierungssatz
1. Die Anspruchsgrundlagen des § 37 Abs 4 SGB 5 und § 13 Abs 3 S 1 SGB 5 für einen geltend gemachten Kostenfreistellungsanspruch können nebeneinander zur Anwendung kommen, da sie unterschiedliche Konstellationen betreffen. Beide setzen jedoch einen Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 1 bis 3 SGB 5 voraus.
2. Bei gleichzeitiger Erbringung von Leistungen der Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs 2 S 1 SGB 5 idF vom 26.3.2007 und Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege (§§ 36ff SGB 11 aF) durch dieselbe Fachkraft bzw denselben Pflegedienst muss eine Kostenaufteilung zwischen Krankenkasse und Pflegekasse erfolgen, die dem Grundsatz der Parallelität und Gleichrangigkeit beider Ansprüche Rechnung trägt (vgl BSG vom 17.6.2010 - B 3 KR 7/09 R = BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11 RdNr 22ff).
3. Zur Auslegung der Regelung des § 37 Abs 2 S 1 SGB 5 idF vom 26.3.2007 vgl auch BSG vom 25.2.2015 - B 3 KR 11/14 R = BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13 RdNr 16ff.
Normenkette
SGB 5 § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 1, § 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 4, § 37 Abs. 1, 2 S. 1 Fassung: 2007-03-26, S. 4 Fassung: 2007-03-26, S. 5 Fassung: 2007-03-26, S. 6 Fassung: 2007-03-26, Abs. 3-6, § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6, Abs. 7, § 132a Abs. 2 Fassung: 2003-11-14; SGB 11 § 13 Abs. 2, §§ 36, § 36ff; HKPRL § 1 Abs. 2 S. 2 Fassung: 2009-09-17, § 1 Abs. 2 S. 2 Fassung: 2010-10-21, § 6 Abs. 6 Fassung: 2009-09-17, § 6 Abs. 6 Fassung: 2010-10-21; HeimG § 1 Abs. 2 S. 3; WTG RP § 3 Abs. 3; WTG RP 2009 § 3 Abs. 3; WTG RP § 4 Abs. 2; WTG RP 2009 § 4 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. November 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Im Streit steht ein Anspruch auf Freistellung von Kosten für häusliche Krankenpflege.
Die Klägerin ist die Tochter des am 6.10.2012 verstorbenen Versicherten, der bei der beklagten Krankenkasse versichert war. Sie war auch seine Betreuerin für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung. Der Versicherte erlitt am 22.6.2012 einen akuten Hinterwandinfarkt mit bleibendem Hirnschaden und apallischem Syndrom. Zunächst wurde er bei fortdauernder maschineller Beatmungsnotwendigkeit und künstlicher Ernährung in einer Klinik in V. stationär behandelt. Eine anschließende Rückkehr in den zuvor mit seiner Ehefrau gemeinsam bewohnten Haushalt in K. war nicht möglich. Am 20.8.2012 wurde für den Versicherten unter Vorlage der ärztlichen Verordnung vom 15.8.2012 ein Antrag auf Gewährung häuslicher Krankenpflege ("24h-Intensiv/Krankenpflege") ab 28.8.2012 gestellt. Weitere ärztliche Verordnungen für eine "Rund-um-die-Uhr-Krankenpflege" (mit Beatmung, Absaugen, Vitalparameterkontrolle, Monitorisierung und Tracheostomaversorgung) folgten für die Zeit bis 30.12.2012.
Die Klägerin schloss für den Versicherten zum 28.8.2012 mit der S. GmbH K. (seit Juli 2013 firmierend als I. GmbH) einen Wohnungs-Mietvertrag auf unbestimmte Zeit über ein Zimmer in einem Zwei-Zimmer-Appartement mit Nutzung von Gemeinschaftsräumen (Küche und Bad) in der Seniorenresidenz in N. Der Versicherte lebte dort nach seiner Entlassung aus der Klinik in V. ab 4.9.2012 in dem angemieteten Zimmer, wo er bis zum Tag seines Ablebens am 6.10.2012 rund um die Uhr (24 Stunden) von dem Pflegedienst I.-Ambulant GmbH versorgt wurde; die Gesellschaftsanteile dieser GmbH hielt zu 50 vH die S. GmbH. Ein am 13.9.2012 durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vor Ort erstelltes sozialmedizinisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Versicherte bereits ab August 2012 in die Pflegestufe III (aF) einzustufen sei.
Die Beklagte lehnte den Antrag auf häusliche Krankenpflege ab, weil der Versicherte keinen eigenen Haushalt iS von § 37 Abs 2 SGB V habe. Es liege vielmehr eine heimähnliche stationäre Versorgung vor (Bescheid vom 31.8.2012). Der Widerspruch, mit dem die Klägerin einwandte, dass die Pflegesituation dem Wunsch ihres Vaters entspreche, auf keinen Fall in ein Pflegeheim zu müssen, und dass die neue Wohnung seine "Häuslichkeit" sei, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6.12.2012).
Die I.-Ambulant GmbH stellte der Beklagten für erbrachte Pflegeleistungen im Zeitraum vom 4.9.2012 bis zum 6.10.2012 insgesamt 20 910,59 Euro in Rechnung. Das SG hat die auf Freistellung von den Kosten in dieser Höhe gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 13.11.2014). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Es hat die Beklagte verurteilt, die Erben des Versicherten von den Kosten der häuslichen Krankenpflege in voller Höhe freizustellen, weil der Versicherte einen entsprechenden Sachleistungsanspruch gehabt habe. Die Klägerin sei berechtigt, den Anspruch für die Erbengemeinschaft geltend zu machen. Der Leistungsanspruch bestehe nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V iVm der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung häuslicher Krankenpflege in der vertragsärztlichen Versorgung (HKP-RL). Die erforderliche häusliche Krankenpflege sei an einem geeigneten Ort iS dieser Vorschriften erbracht worden. Einschränkungen des Aufenthaltsorts ergäben sich - abgesehen von der hier vorliegenden Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse - lediglich aus § 1 Abs 6 HKP-RL, dh für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, wenn dort Anspruch auf Behandlungspflege durch die Einrichtung bestehe. Die Seniorenresidenz sei weder ein "verdecktes Pflegeheim" noch eine stationäre Pflegeeinrichtung iS von § 71 Abs 2 SGB XI. Die von der Klägerin als Betreuerin gewählte Wohnform des sog Service-Wohnens widerspreche insbesondere nicht dem Landesrecht (Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe ≪LWTG≫ des Landes Rheinland-Pfalz vom 22.12.2009, GVBl 399). Der Versicherte, der in einem abgeschlossenen Wohnraum versorgt worden sei, habe Unterstützungsleistungen, wie die Vermittlung von Dienst- oder Pflegeleistungen, Hausmeisterdienst oder Notrufeinrichtungen, anbieterfrei wählen können. Wohnformen mit lediglich allgemeinen Unterstützungsleistungen (Service-Wohnen) unterlägen nicht dem Geltungsbereich des Landesgesetzes (Urteil vom 19.11.2015).
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG). Das LSG habe § 37 Abs 2 S 1 SGB V iVm § 1 Abs 2 HKP-RL sowie die allgemeinen Grundsätze der Vertragsauslegung (§§ 133, 157, § 242 BGB) im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal "sonst an einem geeigneten Ort" unzutreffend ausgelegt. Der Klägerin stehe daher kein Kostenfreistellungsanspruch zu. Dem Berufungsurteil fehlten notwendige Abgrenzungen zur stationären Unterbringung. Mit der Änderung von § 37 Abs 2 S 1 SGB V (idF des GKV-WSG zum 1.4.2007) habe der Gesetzgeber keine schrankenlose Erweiterung der "geeigneten Orte" bezweckt. Jedenfalls scheide ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege aus, wenn eine stationäre Unterbringung des Versicherten erforderlich sei. Das LSG habe auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass eine Konstruktion zur Umgehung der rechtlichen Anforderungen an eine stationäre Pflegeeinrichtung gewählt worden sei. Dadurch habe es an der freien Wählbarkeit eines Leistungserbringers für die häusliche Krankenpflege gefehlt. Das "Service-Wohnen" sei nicht aus medizinisch-pflegerischen Gründen, sondern wegen der Erbringung der ambulanten häuslichen Krankenpflege durch den mit dem Einrichtungsträger gesellschaftsrechtlich verwobenen ambulanten Pflegedienst erfolgt. Das LSG sei unzutreffend von der fehlenden Anwendbarkeit von § 3 LWTG ausgegangen; denn die gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen zwischen der Vermieterin des Wohnraums und dem ambulanten Pflegedienst hätten dem Versicherten keine Wahlfreiheit im Hinblick auf den Leistungserbringer ermöglicht. Das "Service-Wohnen" sei faktisch eine stationäre Pflegeeinrichtung ohne erforderliche Zulassung. Das LSG habe die Umstände dazu näher aufklären müssen. Hilfsweise beruft sich die Beklagte auf die zwischenzeitlich eingetretene Verjährung der Forderung, von der die Klägerin Freistellung verlangt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. November 2015 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 13. November 2014 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der beklagten Krankenkasse ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).
Der Senat kann mangels ausreichender - und von der Beklagten teilweise auch zutreffend gerügter - Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen, ob und inwieweit die Klägerin als Miterbin - zudem ehemalige Betreuerin - ihres Vaters (dem Versicherten) zu Gunsten der Erbengemeinschaft mit Erfolg einen Kostenerstattungs- bzw Freistellungsanspruch wegen der Versorgung des Versicherten mit häuslicher Krankenpflege geltend machen kann. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen.
1. Die Klägerin ist im Rechtsstreit aktivlegitimiert. Sie ist als gemeinschaftliche Erbin des verstorbenen Versicherten seine Rechtsnachfolgerin geworden. Die Klägerin bzw die Miterben waren nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) keine Sonderrechtsnachfolger iS von § 56 SGB I. Der mögliche Kostenerstattungs- bzw Freistellungsanspruch könnte daher nach den Vorschriften des BGB (§ 1922 Abs 1, § 2039) auf die Klägerin bzw die Miterben übergegangen sein (§§ 58, 59 SGB I, vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 10 RdNr 13 ff).
2. Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Kostenfreistellungsanspruch scheidet von vornherein § 6 Abs 6 der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege aus (HKP-RL vom 17.9.2009, BAnz vom 9.2.2010 bzw vom 21.10.2010, BAnz vom 14.1.2011, 339), der Versicherte von den Kosten der Krankenpflege zumindest in einem gewissen Umfang freistellen kann. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse zwar bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die vertragsärztlich verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Abs 2 SGB V zu tragen, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird (vgl dazu näher BSGE 121, 119 = SozR 4-2500 § 37 Nr 14, RdNr 14 ff; BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 12 RdNr 12 ff). Nach den insoweit unangegriffenen bindenden Feststelllungen des LSG hatte der Pflegedienst bis zum Zeitpunkt der Ablehnungsentscheidung (31.8.2012) hier aber noch keine Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbracht.
3. Der Senat kann auf der Grundlage der Feststellungen des LSG nicht beurteilen, ob § 37 Abs 4 SGB V (dazu im Folgenden unter a) oder § 13 Abs 3 S 1 SGB V (dazu unter b) als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Kostenfreistellungsanspruch in Betracht kommen. Diese Anspruchsgrundlagen können nebeneinander zur Anwendung kommen, da sie unterschiedliche Konstellationen betreffen. Beide setzen jedoch einen Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 1 bis 3 SGB V voraus, dessen Vorliegen der Senat ebenfalls mangels hinreichender Feststellungen des LSG nicht beurteilen kann (dazu 4. bis 9.).
a) Nach § 37 Abs 4 SGB V (idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen ≪GRG≫ vom 20.12.1988, BGBl I 2477) sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen kann (Alt 1) oder Grund besteht, davon abzusehen (Alt 2). Die Norm setzt voraus, dass der Versicherte zunächst einen Antrag auf Gewährung der Sachleistung an die Krankenkasse gerichtet hat. Ist eine der vorgenannten Alternativen erfüllt, wandelt sich der die häusliche Krankenpflege betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um (vgl nur BSGE 50, 73, 75 = SozR 2200 § 185 Nr 4 S 8). Die Norm erfasst Fälle, in denen die Krankenkasse die Sachleistung nicht erbringen kann, weil sie zB nach der ersten Alternative über keine ausreichende Anzahl von geeigneten Pflegekräften verfügt, oder wenn nach der zweiten Alternative der Versicherte zB in seiner Person liegende Gründe aufweist, aufgrund derer nur eine spezielle Pflegekraft in Betracht kommt, die auch nicht vertraglich gegenüber der Krankenkasse gebunden sein muss (vgl BSG aaO, vgl auch Padé in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, § 37 RdNr 77). Ob ein Sachleistungsanspruch der Klägerin aufgrund des am 20.8.2012 unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 15.8.2012 gestellten Antrags auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 4 SGB V in Betracht kommt, haben weder die Beklagte noch die Vorinstanzen geprüft. Dies wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen sein.
b) Daneben kommt ein Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 SGB V (idF des Gesetzes vom 19.6.2001, BGBl I 1046) in Betracht. Danach wandelt sich der Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungs- bzw Kostenfreistellungsanspruch um, wenn eine "unaufschiebbare Leistung" nicht rechtzeitig von der Krankenkasse erbracht werden konnte, dh wenn ein Fall vorliegt, der es dem Versicherten unmöglich macht, den mit der Antragstellung beginnenden regelmäßigen Beschaffungsweg zu beschreiten (Alt 1, dazu aa) oder wenn die Krankenkasse einen Antrag des Versicherten auf Gewährung der Sachleistung häusliche Krankenpflege "zu Unrecht abgelehnt" hat (Alt 2, dazu bb) und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind, weil er sich - hier - gezwungen sah, sich eine Krankenpflegeperson selbst zu beschaffen.
aa) Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Alt 1 SGB V scheidet nach den insoweit nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG aus, weil kein Fall der Unaufschiebbarkeit vorlag. Für den Versicherten wurden Leistungen bei der Beklagten am 20.8.2012 beantragt, die die Beklagte schon am 31.8.2012 abgelehnt hatte, bevor der ambulante Pflegedienst ab 4.9.2012 die streitigen häuslichen Krankenpflegeleistungen erbrachte.
bb) Ob ein Anwendungsfall von § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V vorliegt, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Über den ausdrücklich geregelten Anwendungsbereich des Kostenerstattungsanspruchs hinaus ist § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V zwar auch auf Fälle der Kostenfreistellung anzuwenden (stRspr, vgl zB BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 10 mwN). Ein Anspruch besteht aber nur dann, wenn zwischen der rechtswidrigen Ablehnung der Sachleistung durch die Krankenkasse und dem Kostennachteil des Versicherten ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 12). An einem solchen Kausalzusammenhang fehlt es, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hatte und fest entschlossen war, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte (stRspr, vgl nur BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23, RdNr 35; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 20 RdNr 29). Das LSG hat keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Klägerin als seinerzeitige Betreuerin des Versicherten den ambulanten Pflegedienst verbindlich mit der Leistungserbringung beauftragt hatte und ob sie auf diesen konkreten Leistungserbringer von vornherein festgelegt war. Anspruchshindernd wäre insofern bereits ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen Versichertem und Leistungserbringer. Denn die Krankenkasse muss zunächst die rein faktische Möglichkeit haben, sich mit dem Leistungsbegehren zu befassen, es zu prüfen und ggf Behandlungsalternativen aufzuzeigen, bevor eine Selbstbeschaffung mit Kostenerstattungsanspruch in Betracht kommt (vgl zum Ganzen näher BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 10 RdNr 22; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; vgl ferner jüngst BSG Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15 R - SozR 4-2500 § 13 Nr 34 RdNr 46 f ≪Kopforthese≫, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl auch Senatsbeschluss vom 28.9.2017 - B 3 KR 7/17 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Da der Kostenfreistellungsanspruch nach § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch reicht, setzt er voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (stRspr, vgl BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13; BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 15).
4. Der Senat kann - auf der Grundlage der von der Beklagten verfahrensrechtlich einwandfrei und teilweise auch inhaltlich zu Recht mit der Verfahrensrüge der mangelnden Sachaufklärung (§ 103 SGG) angegriffenen Feststellungen des LSG - nicht beurteilen, ob der Versicherte in der streitigen Zeit nach den Umständen Anspruch auf Kostenerstattung bzw -freistellung für eine grundsätzlich dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung unterfallende ambulante Leistung der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V hatte. Es bedarf insoweit insbesondere unter Berücksichtigung der nachfolgend unter a) und b) dargestellten Regelungen weiterer Ermittlungen dazu, ob der Versicherte in der streitigen Zeit an einem "sonstigen geeigneten Ort" versorgt worden ist.
a) Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V (idF des Gesetzes vom 21.7.2012, BGBI I 1601) haben Versicherte (nur) Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB V ua häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe. Nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V (hier idF des bis 31.12.2016 geltenden und im Falle der Klägerin noch einschlägigen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes ≪GKV-WSG≫ - vom 26.3.2007, BGBl I 378 - aF) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege); der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Pflegebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI aF zu berücksichtigen ist. Die Satzung kann nach § 37 Abs 2 S 4 SGB V (idF des GKV-WSG, aaO) bestimmen, dass die Krankenkasse zusätzlich zur Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege auch Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung erbringt. Die Satzung kann nach § 37 Abs 2 S 5 SGB V (idF des GKV-WSG) dabei Dauer und Umfang der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung bestimmen. Nach § 37 Abs 2 S 6 SGB V (idF des GKV-WSG) sind Leistungen nach § 37 Abs 2 S 4 und S 5 SGB V nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit iS des SGB XI nicht zulässig. Nach § 37 Abs 6 SGB V (idF des GKV-WSG) legt der GBA in Richtlinien nach § 92 SGB V fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach § 37 Abs 1 und 2 SGB V noch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können.
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b) Der GBA hat in Umsetzung seiner gesetzlichen Verpflichtung in der Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-RL vom 17.9.2009, BAnz vom 9.2.2010 bzw vom 21.10.2010, BAnz vom 14.1.2011, 339) unter § 1 Abs 2 S 2 HKP-RL nähere Festlegungen vorgenommen und Folgendes bestimmt: |
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"Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht auch an sonstigen geeigneten Orten, an denen sich die oder der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen |
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die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und |
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für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (zB im Hinblick auf die hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung), |
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wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Orte iS des S 2 können insbesondere Schulen, Kindergärten, betreute Wohnformen oder Arbeitsstätten sein (……)." |
5. Ausgehend davon bedarf es vor allem Ermittlungen zu der Frage, ob dem Versicherten häusliche Krankenpflege an einem "sonstigen geeigneten Ort" zuteil wurde.
Der Senat hat in seiner Rechtsprechung (vor allem BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13, RdNr 16 ff) bereits mehrmals die Regelung des § 37 Abs 2 S 1 SGB V aF (idF des GKV-WSG) ausgelegt, durch die eine "vorsichtige Erweiterung" des Haushaltsbegriffs in dieser Norm vorgenommen worden ist (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung ≪GKV-WSG≫, BT-Drucks 16/3100 S 104 Zu Nummer 22 ≪§ 37≫ Zu den Buchstaben a und c). Danach enthält diese Norm keine gesetzliche Definition des "geeigneten Ortes". Die Vorschrift zählt lediglich beispielhaft eine Anzahl nicht abschließend genannter "geeigneter Orte" auf, an denen häusliche Krankenpflege möglich ist mit Rücksicht auf das gesetzliche Anliegen, neue Wohnformen in Wohngemeinschaften oder betreutes Wohnen zu fördern. Der Senat hat die Vorschrift dahingehend ausgelegt, dass dem Gesetzestext nicht (mehr) eine Beschränkung derart zu entnehmen ist, dass häusliche Krankenpflege etwa nur dann beansprucht werden kann, wenn noch ein Mindestmaß an eigener Haushaltsführung "oder ein Leben in der Familie" vorliegt und wenn weitere Leistungen ggf ambulant in Anspruch genommen werden können. Vor diesem Hintergrund hat der Senat selbst stationäre Einrichtungen als sonstige geeignete Orte im Sinne der häuslichen Krankenpflege in Betracht gezogen, in denen sich der Versicherte auf unabsehbare Zeit aufhält und betreut wird, ohne anderswo zu leben oder zu wohnen. Der Senat hat dazu aufgezeigt, dass die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit ambulanten Betreuungshilfen hin zu einer stationären Einrichtung fließend sein können, und längst nicht alle Formen des betreuten Wohnens eine größere Nähe zur eigenständigen Haushaltsführung aufweisen als eine herkömmliche stationäre Einrichtung. Auf die dadurch bedingte Schwierigkeit einer eindeutigen Zuordnung einer Einrichtung entweder als stationäres Heim oder als ambulantes Angebot mit Betreuungshilfen hat der Senat unter Berücksichtigung der fortschreitenden Entwicklung neuer Wohnformen hingewiesen.
Im Ergebnis hat der Senat den Anspruch auf Behandlungssicherungspflege unter Berücksichtigung des aufgezeigten gesetzlichen und gesetzeskonformen untergesetzlichen Regelwerks - mangels einer ausdrücklichen Definition des Tatbestandsmerkmals "geeigneter Ort" - dahin konkretisiert, dass der Anspruch zunächst an allen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen in Bezug auf den Aufenthaltsort ergeben sich (1.) aus der Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse und (2.) für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (wie zB in Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen). Ob ein solcher Anspruch besteht, muss die Krankenkasse im Einzelfall prüfen (vgl zum Ganzen: BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr 13, RdNr 16 ff; Parallelurteil vom 25.2.2015 - B 3 KR 10/14 R - Juris RdNr 16 ff; Urteil vom 22.4.2015 - B 3 KR 16/14 R - Juris RdNr 20 ff, NZS 2015, 617; vgl auch Senatsbeschluss vom 16.3.2017 - B 3 KR 43/16 B - Juris). Daran hält der Senat fest.
6. Die vorstehend dargestellten Maßstäbe gelten auch für neue Wohnformen, wie das sog "Service-Wohnen", mit dem üblicherweise verschiedene Möglichkeiten des organisierten Wohnens umschrieben werden. Hierzu zählen Wohnformen kombiniert mit Serviceleistungen, die entweder vor Ort (innerhalb des Wohnprojekts) bereitgestellt oder die durch externe Dienste erbracht werden. Neben einem Kauf- oder Mietvertrag schließen die Bewohner ergänzende Betreuungs- bzw Service-Verträge ab (vgl Börner, in Igl/Felix ≪Hrsg≫, Schriftenreihe Sozialrecht und Sozialpolitik in Europa, Bd 8, "Betreutes Wohnen" in Abgrenzung zum Heimgesetz, Berlin, 2008, zugleich Diss, Kiel 2008, S 22).
Der Senat kann offen lassen, welche Art des Wohnens im Falle des Versicherten konkret vorlag bzw ob es sich überhaupt um eine Art des so definierten "Service-Wohnens" handelte. Denn Maßstab für die Beurteilung des geeigneten Wohnens im Rahmen der häuslichen Krankenpflege ist nicht die bloße Bezeichnung einer (neuen) Wohnform, sondern allein, ob die gewählte Wohnform der Sache nach inhaltlich ein (sonstiger) geeigneter Ort iS von § 37 Abs 2 SGB V unter Beachtung der og gesetzlichen und untergesetzlichen Vorgaben ist. Dies lässt sich nur unter Berücksichtigung aller tatsächlicher Umstände des Wohnens und der damit verbundenen Pflege- und Betreuungssituation im Einzelfall beurteilen. Ausgehend davon scheidet das Vorliegen eines allgemein "geeigneten Ortes" nach der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Senats - und auch unter Berücksichtigung des Beklagtenvorbringens - hier nicht von vornherein aus.
a) Das LSG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die S. GmbH als Vermieterin vertraglich nicht verpflichtet war, für den Versicherten Leistungen der Behandlungssicherungspflege zu erbringen. Entgegen der Ansicht der Beklagten bestand hierzu auch keine gesetzliche Verpflichtung, auch nicht wegen Unterbringung in einer "faktischen Pflegeeinrichtung" (zur ähnlichen Wohnsituation wie hier vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.7.2015 - L 11 KR 3010/14 - Juris, PflR 2016, 112). Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG befand sich der Versicherte während der maßgeblichen Zeit dauerhaft in dem angemieteten Zimmer in der Seniorenresidenz; eine Einrichtung, die keine zugelassene stationäre Pflegeeinrichtung iS von §§ 71, 72 SGB XI war. Eine Wohn- bzw Pflegemöglichkeit in der zuvor mit seiner Ehefrau bewohnten Wohnung bestand nicht mehr. Die Unterbringung in dem neu angemieteten Wohnraum war mithin die einzige "Häuslichkeit" für den Versicherten. Eine häusliche 24-Stunden Intensiv-Krankenpflege war aufgrund ärztlicher Verordnung medizinisch erforderlich und eine stationäre Krankenhausbehandlung war nicht mehr notwendig. Der mit der S. GmbH geschlossene Wohnungs-Mietvertrag enthielt außer der Wohnraumüberlassung auf unbestimmte Dauer keine darüber hinausgehende Leistungspflicht der Vermieterin. Insbesondere enthielt der Vertrag keine Verpflichtung zur exklusiv an einen bestimmten Leistungserbringer gebundenen Inanspruchnahme weiterer "Service"-Leistungen, die die Vermieterin als Betreiberin der Seniorenresidenz im Rahmen des Wohnens in ihrer Werbung in der Residenz optional anbot.
b) Dem steht auch nicht die Senatsrechtsprechung entgegen, dass keine häusliche Krankenpflege im Rechtssinne des SGB V vorliegt, wenn ein schwer behindertes Kleinkind getrennt von Eltern und Geschwistern in einer durch den Pflegedienst eigens dafür angemieteten Wohnung außerhalb des Familienhaushalts rund um die Uhr von dem Pflegedienst nicht nur gepflegt, sondern rundum versorgt und betreut wird. Die Erweiterung von § 37 Abs 2 S 1 SGB V (idF des GKV-WSG, aaO) um die Wendung "sonst an einem geeigneten Ort" lag dieser Rechtsprechung des Senats noch nicht zugrunde, sondern beruhte auf früheren Gesetzesfassungen von § 37 Abs 2 SGB V, die noch einen "eigenen Haushalt" erforderten (vgl BSGE 121, 119 = SozR 4-2500 § 37 Nr 14, RdNr 19; BSG SozR 4-2500 § 37 Nr 5). Im Übrigen war die dort vom Pflegedienst begründete Wohnsituation des Kleinkindes - getrennt von der bestehenden Wohnung der Familie bei sich aufdrängender notwendiger stationärer Unterbringung - mit den vorliegend vom LSG festgestellten familiären Umständen nicht vergleichbar. Der Senat hat im Übrigen bei erwachsenen schwerstpflegebedürftigen Versicherten, die rund um die Uhr zu versorgen waren, ohne dass akute stationäre Krankenhausbehandlung erforderlich war, schon wiederholt entschieden, dass ambulante Krankenpflege in häuslicher Umgebung bei Wahrung und Beachtung bestimmter Vorgaben und Standards möglich ist (vgl BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11 ≪Rund-um-die-Uhr-Beatmungspflicht bei Pflegestufe III aF≫; BSGE 83, 254 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 ≪schwerstpflegebedürftige Dauerbeatmungspatienten≫).
c) Aus dem Vorbringen der Beklagten, dass eine "heimähnliche Unterbringung" im Sinne des rheinland-pfälzischen Landesrechts vorgelegen habe, folgt nichts anderes.
Die heimrechtliche Qualifizierung einer Unterbringung ist nicht entscheidend für die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen von häuslicher Krankenpflege (vgl Luthe in Hauck/Noftz, SGB V, Stand August 2016, K § 37 RdNr 55; Richter, GuP 2013, 226, 231). Im Übrigen hat das LSG das revisionsrechtlich grundsätzlich nicht inhaltlich zu prüfende (§ 162 SGG) Landesrecht (hier: LWTG des Landes Rheinland-Pfalz) im Hinblick auf die heimrechtliche Unterbringung rechtlich gewürdigt und keine Rechtsverletzung festgestellt, weil das Landesrecht wegen der hier gewählten vertraglichen Gestaltung der Unterbringung des Versicherten nicht einschlägig war. Das LSG hat vielmehr gerade umgekehrt festgestellt, dass im Falle des Versicherten eine freie Wählbarkeit von Unterstützungsleistungen und deren Anbietern aufgrund der vereinbarten Vertragskonstruktion bestand. Selbst das bundesrechtliche Heimgesetz (§ 1 Abs 2 S 3 HeimG) ist im Übrigen nur dann anzuwenden, wenn Mieter vertraglich verpflichtet sind, Verpflegung und weitergehende Betreuungsleistungen von bestimmten Anbietern anzunehmen. Dies aber hat das LSG ausgeschlossen und nach den Umständen keine strukturelle Abhängigkeit zwischen der Erbringung von ambulanten Pflegediensten und der gewählten Wohnform bejaht. Der Heimvertrag enthält aber typischerweise sowohl private mietvertragliche (Unterkunft) als auch dienstvertragliche (Verpflegung und Betreuung) Elemente (zur Zulässigkeit solcher Verträge, vgl zB BGH Urteil vom 23.2.2006 - III ZR 167/05 - Juris). Das Heimgesetz bezweckt in erster Linie den Schutz der Heimbewohner und stellt der Heimaufsicht ein ordnungsrechtliches Instrumentarium zur Seite, das Maßnahmen bis hin zur Schließung der Einrichtung vorsieht (vgl erneut Börner, aaO, S 53 ff, 72). Ein dem (Landes-)Heimrecht unterfallendes Vertragsobjekt und Vertragswerk lag aber nach den revisionsrechtlich nicht zu überprüfenden Feststellungen des LSG mithin nicht vor. Daher können auch die von der Beklagten vorgetragenen gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen zwischen dem ambulanten Pflegedienst einerseits und der Vermieterin des Wohnraums andererseits hier dahingestellt bleiben. Auf diese kommt es unter der Berücksichtigung der vom LSG als "frei wählbar" festgestellten Pflege- und Unterstützungsleistungen auch nach dem Landesrecht nicht an (vgl § 3 Abs 3, § 4 Abs 2 LWTG).
d) Ebenso wenig greift der Einwand der Beklagten, dass der Versicherte Entscheidungen eigenverantwortlich nicht mehr habe treffen können. Denn die Klägerin war gerichtlich bestellte gesetzliche Betreuerin des Versicherten für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung. Sie durfte daher für den Versicherten den Pflegeort und die Auswahl der Pflegeleistungen bestimmen und ist dem - plausiblen und revisionsrechtlich nicht in Zweifel zu ziehenden - zu Lebzeiten ihres Vaters geäußerten Wunsch nachgekommen, ihn nicht in einem Pflegeheim unterzubringen. Dieses Wunschrecht war auch leistungsrechtlich von der beklagten Krankenkasse zu berücksichtigen (vgl § 33 S 2 SGB I). Es korrespondiert mit dem verfassungsrechtlich in Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG verankerten Selbstbestimmungsrecht (vgl dazu Richter, GuP 2013, 226, 231).
7. Der Senat kann allerdings auf der Grundlage der - mit Erfolg von der Beklagten mit Verfahrensrügen (§ 103 SGG) angegriffenen - Feststellungen des LSG das Bestehen des Kostenfreistellungsanspruchs aus weiteren Gründen nicht abschließend selbst beurteilen. Es kann nämlich entgegen der Einschätzung des LSG nicht angenommen werden, dass die von der Klägerin gewählte Wohnung, in der der Versicherte mit einem weiteren schwerstpflegebedürftigen Patienten zuletzt versorgt wurde, im konkreten Fall in tatsächlicher Hinsicht ein geeigneter Ort war, an dem die Pflegemaßnahmen zuverlässig durchgeführt werden konnten und der dem qualitativen Standard an räumliche Verhältnisse zur ordnungsgemäßen Erbringung medizinischer Behandlungssicherungspflege entsprach. Das LSG hätte sich insoweit gedrängt sehen müssen, die örtlichen Verhältnisse im Hinblick auf die Vorgaben zur Geeignetheit des Ortes für die medizinische Behandlungssicherungspflege näher aufzuklären (s § 1 Abs 2 HKP-RL, vgl oben 4.b). Insbesondere hat sich das LSG nicht mit dem Inhalt des MDK-Gutachtens vom 13.9.2012 auseinandergesetzt, in dem die Pflege- und Versorgungssituation des Versicherten vor Ort untersucht wurde.
Der MDK beschrieb den Gesundheitszustand des Versicherten vor Ort als komatös, nicht ansprechbar und dauernd beatmungspflichtig. Der Gutachter äußerte Zweifel an der ausreichenden Versorgung des Versicherten und bemängelte, dass wegen drohender oder bereits eingetretener Überforderung von Pflegepersonen die häusliche Pflege nicht in geeigneter Weise sichergestellt und daher eine vollstationäre Pflege erforderlich gewesen sei. Die nicht näher begründete Annahme des LSG, der Versicherte sei gleichwohl tatsächlich an einem geeigneten Ort gepflegt worden, trägt vor diesem Hintergrund nicht. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG diese gutachterlichen Einschätzungen im Hinblick auf die Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse für eine 24 Stunden-Intensivpflege überprüfen müssen. Insbesondere ist in den Blick zu nehmen, ob die hygienischen Voraussetzungen, die Intimsphäre, die räumliche Ausstattung und die Gegebenheiten vor Ort mit räumlicher Nähe zu einem weiteren in ähnlicher Weise gesundheitlich stark beeinträchtigten Patienten geeignet waren, um eine Rund-um-die-Uhr-Intensivversorgung mit dem notwendigen medizinisch-pflegerischen qualitativen Standard vor Ort sicherzustellen.
8. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das LSG auch die gesamte Pflege- und Versorgungssituation des Versicherten in der streitigen Zeit aufzuklären haben. Das LSG hat darüber hinaus keinerlei Feststellungen getroffen im Hinblick auf den von der Klägerin bereits am 20.8.2012 gestellten Antrag auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung und der Einschätzung des Gutachters des MDK, dass bei dem Versicherten bereits seit August 2012 Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe III (aF) vorgelegen habe. Unklar ist daher, ob und welche Leistungen von der Pflegekasse zu welchem Zeitpunkt bewilligt bzw bezogen wurden und wer (außerhalb der häuslichen Krankenpflege) die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung des Versicherten nach den Anforderungen des Rechts der sozialen Pfegeversicherung durchführte. Sollten die weiteren Ermittlungen des LSG die Geeignetheit der Räumlichkeiten iS von § 37 Abs 2 SGB V (idF des GKV-WSG) für den Anspruch auf häusliche Krankenpflege ergeben, wären weiter nähere Feststellungen erforderlich, um zu klären, ob wirklich eine Behandlungspflege im Umfang von 24 Stunden allein auf Kosten der beklagten Krankenkasse in Betracht kam oder auch Leistungen der Pflegekasse erbracht wurden und insoweit eine Kostenbeteiligung der Pflegeversicherung in Ansatz zu bringen ist (vgl grundlegend zur Kostenverteilung zwischen Krankenkasse und Pflegekasse bei rund um die Uhr erforderlicher häuslichen Krankenpflege und zugleich erbrachter Grundpflege BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11). In diesem Fall wäre die Pflegekasse zum Rechtsstreit notwendig beizuladen, weil über den geltend gemachten Kostenfreistellungsanspruch im Verhältnis zu beiden Leistungsträgern nur einheitlich entschieden werden könnte (§ 75 Abs 2 Halbs 1 SGG).
a) Der Senat hat für den Personenkreis von schwerstpflegebedürftigen Dauerbeatmungspatienten bei rund um die Uhr erforderlicher häuslicher Krankenpflege darauf hingewiesen, dass mit der Regelung von § 37 Abs 2 S 1 SGB V (idF des GKV-WSG) für alle verrichtungsbezogenen Maßnahmen der Behandlungspflege eine Doppelzuständigkeit von Krankenkassen und Pflegekassen geschaffen worden ist (vgl BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11, RdNr 22 ff; vgl auch Nolte in Kasseler Komm, § 37 SGB V RdNr 23h, Stand Einzelkommentierung Juli 2017). Die Doppelzuständigkeit betrifft nur die Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs 2 SGB V. Bei der Behandlungssicherungspflege kann die Krankenkasse zwar in ihrer Satzung bestimmen, dass neben der Behandlungspflege auch Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung erbracht werden und in welcher Dauer und welchem Umfang dies der Fall ist (§ 37 Abs 2 S 4 und 5 SGB V idF des GKV-WSG, aaO). Diese Zusatzleistungen sind nach der ausdrücklichen Anordnung in § 37 Abs 2 S 6 SGB V (idF des GKV-WSG) jedoch ausgeschlossen, wenn Pflegebedürftigkeit iS des SGB XI eingetreten ist. Bei gleichzeitiger Erbringung der Leistungen von Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V (idF des GKV-WSG) und Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung bei häuslicher Pflege (§§ 36 ff SGB XI aF) durch dieselbe Fachkraft bzw denselben Pflegedienst muss daher eine Kostenaufteilung zwischen Krankenkasse und Pflegekasse erfolgen, die dem Grundsatz der Parallelität und Gleichrangigkeit beider Ansprüche Rechnung trägt (vgl BSG aaO RdNr 22 ff unter Aufgabe von BSGE 83, 254 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 ≪noch zur Vorläuferfassung des § 37 Abs 2 SGB V für die Zeit ab 1.1.2004≫).
b) Sollten die weiteren Feststellungen des LSG die Geeignetheit der Räumlichkeiten für die Behandlungssicherungspflege ergeben und sollten alle hier relevanten Pflegeleistungen (einschließlich der Grundpflege, ggf hauswirtschaftliche Versorgung) durch eine Fachkraft bzw denselben Pflegedienst erbracht worden sein, würde der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf Behandlungssicherungspflege durch einen Sachleistungsanspruch nach § 36 SGB XI aF gegenüber der Pflegekasse (vgl auch § 13 Abs 2 SGB XI) ergänzt, der aber nur die "reine" Grundpflege, also die Grundpflegemaßnahmen des § 14 Abs 4 Nr 1 bis 3 SGB XI aF mit Ausnahme der schon von § 37 Abs 2 S 1 SGB V (idF des GKV-WSG) erfassten verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen, sowie die hauswirtschaftliche Versorgung umfasst. Insoweit ist die GKV nicht leistungsverpflichtet (vgl § 37 Abs 2 S 6 SGB V idF des GKV-WSG). Die Ansprüche aus der GKV nach § 37 Abs 2 SGB V und aus der Pflegeversicherung nach § 36 SGB XI aF stehen insofern gleichberechtigt nebeneinander (vgl BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11, RdNr 27 ff). Überdies hat der Senat in seiner Rechtsprechung auch darauf hingewiesen, dass der Versicherte eine etwaige Eigenbeteiligung an den Kosten der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs 5 SGB V (idF des GKV-WSG) nicht dadurch vermeiden kann, dass auf die Beantragung der Pflegesachleistungen bei der Pflegekasse verzichtet oder dass der entsprechende Leistungsantrag wieder zurückgenommen wird, um sich auf diese Weise alle von der Fachkraft zum Einheitspreis erbrachten Pflegeleistungen allein auf Kosten der Krankenkasse zu verschaffen. Dieser Weg steht einem Versicherten nicht offen, weil das Verbot, bei der Behandlungssicherungspflege für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung aufzukommen (§ 37 Abs 2 S 6 SGB V idF des GKV-WSG), nicht an den Bezug von Leistungen nach dem SGB XI, sondern ausdrücklich nur an den "Eintritt von Pflegebedürftigkeit" anknüpft (vgl BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11, RdNr 33).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren müsste das LSG daher - sofern hier alle Leistungen von einem Pflegedienst erbracht worden sind - das MDK-Gutachten vom 13.9.2012 im Hinblick auf die dort ermittelten Zeitanteile für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung einerseits und verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen andererseits auswerten und trennen, um eine exakte zeit- und kostenmäßige Abgrenzung zwischen den Zuständigkeitsbereichen der Krankenkasse und der Pflegekasse für den streitigen Betrag vornehmen zu können. Der Senat hat dazu bereits Rechenmodelle aufgezeigt, wie in einem solchen Fall eine sachgerechte Kostenaufteilung erfolgen kann (vgl BSGE 106, 173 = SozR 4-2500 § 37 Nr 11, RdNr 27 ff; dazu auch Nolte in Kasseler Komm, aaO, § 37 SGB V RdNr 23j). Um über die Höhe des Freistellungsanspruchs abschließend entscheiden zu können, müssen zudem Tatsachen zur Zuzahlungspflicht des Versicherten nach § 37 Abs 5 SGB V iVm § 61 S 3 SGB V nachermittelt werden.
9. Soweit die Beklagte schließlich in ihrem Vorbringen meint, dass dem Freistellungsanspruch die Einrede der Verjährung im Hinblick auf die "Hauptforderung" des ambulanten Pflegedienstes gegen die Klägerin entgegenstehe, muss dem nicht weiter nachgegangen werden. Auf den Gesichtspunkt der Verjährung weist die Beklagte erstmals im Revisionsverfahren hin, führt aber gleichzeitig aus, dass die Klägerin diese Einrede noch gar nicht erhoben habe. Daher kann auch dahinstehen, ob es hierauf für den Kostenfreistellungsanspruch gegenüber der Beklagten überhaupt ankommen kann (vgl auch BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 10 RdNr 20 f). Auch wenn das LSG keine Tatsachen zu vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und dem ambulanten Pflegedienst festgestellt hat, ist es im Übrigen naheliegend, dass die Vergütungsforderung nach den Umständen hier vertraglich jedenfalls solange gestundet war, bis der vorliegende Rechtsstreit über den Freistellungsanspruch geklärt ist.
Der Freistellungsanspruch gegen die Beklagte nach dem SGB V wäre jedenfalls nicht verjährt, weil er der vierjährigen Verjährungsfrist nach § 45 Abs 1 SGB I unterliegt. Nach § 45 Abs 2 SGB I iVm § 199 Abs 1 Nr 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Der von der Klägerin erhobene Anspruch geht auf das Jahr 2012 zurück. Die Verjährung ist insoweit allerdings durch eine Rechtsverfolgung gehemmt, da die Klägerin bereits in 2013 vor dem SG Klage erhoben hat. Die vierjährige Verjährungsfrist gilt im Übrigen auch für die Rechtsbeziehungen bzw Vergütungsforderungen zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen (vgl BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 7 und Nr 10 RdNr 13).
10. Das LSG wird im neu eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.
Fundstellen