Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Anspruch eines Bundeslandes auf Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung. Einrede der Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch eines Bundeslandes auf Bundesbeteiligung an den Leistungen der Unterkunft und Heizung unterliegt der vierjährigen sozialrechtlichen Verjährung.
2. Der Bund und die Länder können sich grundsätzlich ohne Verstoß gegen die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten auf Verjährung berufen.
Normenkette
SGG § 39 Abs. 2 S. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 4a; SGB 2 § 46 Abs. 5, 8 Sätze 1-2, 5, § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB I § 45 Abs. 1; BGB § 242; GG Art. 20 Abs. 1, Art. 104a Abs. 3 S. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert wird auf 524 862,23 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über eine ergänzende Bundesbeteiligung an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II (KdU).
Die klagende Freie Hansestadt Bremen erhält von der beklagten Bundesrepublik Deutschland nach einem gesetzlich festgelegten Satz (§ 46 Abs 5 ff SGB II) eine Beteiligung an den im Gebiet ihres Bundeslandes aufgewandten KdU. Der Berechnung liegen Aufstellungen der Stadtgemeinde Bremen (S) über ihre erbrachten Leistungen zugrunde. Sie war mit der Bundesagentur für Arbeit (BA) zunächst gemeinsam Trägerin der Bremer Arbeitsgemeinschaft für Integration und Soziales (BAGIS; § 44b SGB II aF). Die Funktion der BAGIS ging zum 1.1.2011 auf das Jobcenter Bremen über (gemeinsame Einrichtung von S und BA, § 44b SGB II nF). Die BAGIS erbrachte Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende einheitlich für BA und S (§ 6 Abs 1 S 1 SGB II; bzgl S: Leistungen nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II). Die BAGIS bewirkte die Auszahlungen über Software der BA. Um die BA hierbei nicht mit kommunalen Leistungen zu belasten, verpflichtete sich die S, diesbezügliche Beträge jeweils binnen zweier Werktage nach Anforderung der BA zu zahlen. Die S erhielt Zugriff auf das EDV-System der BA, um zu ihren Lasten und Gunsten getätigte Buchungen abzurufen. Die S prüfte die sachliche Richtigkeit der Anforderungen wegen der kurzen Zahlungsfrist von zwei Werktagen und der Zahl von werktäglich hunderten bis über tausend Buchungen nicht, bevor sie die Zahlungen anwies. Sie erhielt für eine nachträgliche Prüfung - entsprechend der Praxis gegenüber kommunalen Trägern - von der BAGIS und später vom Jobcenter vierteljährlich Aufstellungen über die Ausgaben und Einnahmen bzgl der Leistungen, die den kommunalen Trägern obliegen. Die Prüfungen ließen wiederholt Fehlbuchungen erkennen. Sie lasteten zT nichtkommunale Leistungen der S an und erweckten zT den Eindruck geringerer Aufwendungen für KdU. Deshalb forderte die Klägerin geringere Beträge der Bundesbeteiligung. Sie sah in den Fehlbuchungen zunächst zu vernachlässigende Einzelfälle. Die Beklagte berichtete über Fehler und ihre Beseitigung (23.3.2010). Die Klägerin berief sich gegenüber dem Jobcenter Bremen wegen Hinweisen auf erhebliche Fehlbuchungen in Hamburg und Köln auf Umbuchungsansprüche rückwirkend ab 2005, deren Umfang ihre Innenrevision überprüfe (4.12.2013). Der Bund beglich lediglich die aufgrund einer Stichprobe bezifferten Ansprüche wegen Fehlbuchungen ab Januar 2010. Die Beklagte machte ua geltend, die übrigen Forderungen betreffend die Zeit von 2005 bis 2009 seien verjährt (5.2.2015).
Die Klägerin fordert mit ihrer am 15.1.2016 erhobenen Klage ergänzende Zahlung der Bundesbeteiligung an den KdU für die Zeit von 2005 bis Ende 2009. Der Anspruch sei nicht verjährt, da sie erst seit Ende 2013 Kenntnis von den strukturellen Buchungsfehlern der BAGIS habe. Die Beklagte habe sich in einem Parallelfall gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg nicht auf Verjährung berufen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 524 862,23 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15. Januar 2016 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, sie habe sich auch gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg auf Verjährung berufen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig (dazu 1.), aber nicht begründet. Soweit die klagende Freie Hansestadt Bremen noch einen ergänzenden Zahlungsanspruch gegen die beklagte Bundesrepublik Deutschland hat, ist er wegen Verjährung nicht durchsetzbar (dazu 2.). Die Klägerin hat auch keinen Haftungsanspruch wegen grober Pflichtverletzung der Beklagten (dazu 3.). Ein Zinsanspruch ist mangels eines durchsetzbaren Hauptanspruchs nicht gegeben.
1. Die Klage ist zulässig. Das BSG entscheidet ua im ersten und letzten Rechtszug über Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern in Angelegenheiten des § 51 SGG (§ 39 Abs 2 S 1 SGG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin streitet als Bundesland gegen den Bund (vgl dazu BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 11; BSGE 114, 55 = SozR 4-4200 § 6b Nr 1, RdNr 23 ff) mit der allgemeinen Leistungsklage (vgl § 54 Abs 5 SGG) um Zahlung. Der Anspruch ist öffentlich-rechtlicher, nicht verfassungsrechtlicher Art (dazu a). Er betrifft eine Angelegenheit nach § 51 Abs 1 Nr 4a SGG (dazu b) und ist grundlegender Art (dazu c).
a) Maßgeblich für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit ist, ob der geltend gemachte Klageanspruch in einem Rechtsverhältnis wurzelt, das entscheidend vom Verfassungsrecht geprägt wird und nicht durch Normen des einfachen Rechts (vgl BSG Urteil vom 10.3.2015 - B 1 AS 1/14 KL - Juris RdNr 11, für BSGE und SozR 4-4200 § 46 Nr 4 vorgesehen; BVerfGE 109, 1, 6; BVerwGE 116, 234, 237 = Buchholz 310, § 40 VwGO Nr 289; BVerwGE 128, 99 RdNr 15 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20). Der Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens betrifft nicht die grundsätzliche Zuordnung verfassungsrechtlicher Finanzlasten und das verfassungsrechtliche Grundverhältnis zwischen Bund und Ländern, sondern stellt sich als eine lediglich im einfachen Recht wurzelnde Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art dar. Es geht im Kern um einen Zahlungsanspruch aus § 46 Abs 5 und Abs 8 SGB II.
b) Die Streitigkeit betrifft Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende iS von § 51 Abs 1 Nr 4a SGG. Hierfür sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zuständig. Das streitige Begehren findet nämlich seine Grundlage im SGB II (vgl entsprechend BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 20; BSG Urteil vom 10.3.2015 - B 1 AS 1/14 KL - Juris RdNr 12, für BSGE und SozR 4-4200 § 46 Nr 4 vorgesehen; Coseriu in Zeihe/Hauck, SGG, Stand 1.12.2015, § 51 RdNr 16a).
c) Betroffen ist auch eine Streitigkeit grundlegender Art, die sich nach ihrem Gegenstand einem Vergleich mit den landläufigen Verwaltungsstreitigkeiten entzieht (vgl zum Erfordernis BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 21; BSG Urteil vom 10.3.2015 - B 1 AS 1/14 KL - Juris RdNr 13, für BSGE und SozR 4-4200 § 46 Nr 4 vorgesehen; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand 1.12.2015, § 39 RdNr 3a). Die Eigenart der Bund-Länder-Beziehungen prägt den Gegenstand des Verfahrens. Hierbei geht es ua um die für diese Beziehungen grundlegende Frage nach den maßgeblichen verjährungsrechtlichen Regelungen.
2. Die Klägerin hat keinen durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung von 524 862,23 Euro gegen die Beklagte aus § 46 Abs 5 und Abs 8 SGB II. Der erkennende Senat lässt die Frage offen, ob der geltend gemachte ergänzende Zahlungsanspruch besteht (dazu a). Die Beklagte ist nämlich wegen Verjährung des Anspruchs berechtigt, die Leistung zu verweigern (dazu b). Die dagegen erhobenen Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch (dazu c).
a) Als Rechtsgrundlage des Zahlungsanspruchs der Klägerin kommt das Recht auf Bundesbeteiligung aus § 46 Abs 5 und Abs 8 SGB II in Betracht (zuletzt geändert durch Art 5 Nr 1 Gesetz zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern vom 24.6.2015, BGBl I 974 mWv 30.6.2015, ursprünglich eingefügt durch Art 1 Kommunales Optionsgesetz vom 30.7.2004, BGBl I 2014 mWv 1.1.2005). Danach beteiligt sich der Bund zweckgebunden an den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 SGB II. Die Klägerin ist als Bundesland aus dieser Regelung berechtigt, obwohl diese eine quotale Beteiligung des Bundes an den Kosten der kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) für Unterkunft und Heizung normiert (Harich in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 46 RdNr 20). Die Norm des § 46 Abs 5 und Abs 8 SGB II findet ihre finanzverfassungsrechtliche Grundlage nämlich in Art 104a Abs 3 S 1 GG (vgl BSG Urteil vom 10.3.2015 - B 1 AS 1/14 KL - Juris RdNr 22, für BSGE und SozR 4-4200 § 46 Nr 4 vorgesehen; Knapp in jurisPK-SGB II, Stand Online-Kommentierung 4.1.2016, § 46 RdNr 70; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Dezember 2015, § 46 RdNr 22). Danach können Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes ermöglicht keine unmittelbaren Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Kommunen. Die Bundesbeteiligung wird an die Länder gezahlt, die für die Verteilung der Mittel an die Kommunen zuständig sind (vgl § 46 Abs 8 S 1 SGB II; Knapp in jurisPK-SGB II, Stand 4.1.2016 § 46 RdNr 70, 84 ff; O‚Sullivan in Estelmann, SGB II, Stand April 2016, § 46 RdNr 56).
b) Wenn der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch besteht, kann die Beklagte die Leistung verweigern. Sie beruft sich zutreffend darauf, dass der Anspruch verjährt ist. Der Zahlungsanspruch aus § 46 Abs 5 SGB II unterliegt einer vierjährigen Verjährungsfrist (dazu aa). Die Verjährungsfrist war bei Klageerhebung abgelaufen (dazu bb).
aa) Das SGB II regelt weder in § 46 SGB II noch an anderer Stelle ausdrücklich die Verjährung des Zahlungsanspruchs aus der Bundesbeteiligung. Hierfür gelten die allgemeinen Grundsätze. Das BSG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die in § 45 SGB I bestimmte Verjährungsfrist von vier Jahren Ausdruck eines allgemeinen Prinzips ist, das der Harmonisierung der Vorschriften über die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche dient (vgl BSG Urteil vom 23.6.2015 - B 1 KR 26/14 R - Juris RdNr 44, für BSGE und SozR 4-5560 § 17c Nr 3). Die Regelung ist aus praktischen und haushaltsrechtlichen Gründen geboten, um früher zu beobachtende jahrzehntelange Auseinandersetzungen einer beschleunigten gerichtlichen Klärung zuzuführen (stRspr, vgl zB BSGE 42, 135, 138 = SozR 3100 § 10 Nr 7 S 10 ≪10. BSG-Senat≫; BSGE 69, 158 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1 S 5 ≪6. BSG-Senat≫; BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 17 ≪3. BSG-Senat≫; BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 10 RdNr 12 ff, ≪1. BSG-Senat≫, alle mwN). Dieses allgemeine Rechtsprinzip gilt umfassend in den sozialrechtlich geprägten Rechtsbeziehungen (vgl zB Arzneimittelregress einer Kassenärztlichen Vereinigung gegen eine Universität, BSG SozR 2200 § 368e Nr 10; Zahlungsanspruch eines Krankenhauses gegen einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, BSG Urteil vom 28.6.1988 - 2 RU 40/87 - Juris; Erstattungsanspruch zwischen öffentlich-rechtlichen Körperschaften im Bereich des Kassenarztrechts, BSGE 69, 158, 160 ff = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; kassenzahnärztlicher Honorarkürzungsbescheid, BSGE 72, 271, 272 ff = SozR 3-2500 § 106 Nr 19; kassenärztlicher Honoraranspruch, BSGE 76, 117, 118 ff = SozR 3-1200 § 45 Nr 5; entsprechende Anwendung auf sozialrechtliche Ausschlussvorschriften, BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 15; gegenseitige Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen - KKn - BSGE 98, 142 = SozR 4-2500 § 276 Nr 1, RdNr 25; Erstattungsanspruch einer KK gegen ein Krankenhaus, BSGE 112, 141 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8, RdNr 39; Anspruch auf Aufwendungsersatz der kraft gesetzlichen Auftrags tätigen KK gegen den Sozialhilfeträger, BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 4 RdNr 15).
Die Grundsätze gelten trotz zwischenzeitlicher Modifizierung des Verjährungsrechts im BGB unverändert fort (vgl BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 10 RdNr 15 mwN). Der Gesetzgeber hat die zitierte ständige Rechtsprechung des BSG nicht zum Anlass genommen, die gesetzlichen Regelungen des SGB zu ändern. Er wollte eine Änderung der verjährungsrechtlichen Rechtslage im Sozialrecht gerade nicht herbeiführen (vgl auch BSGE 115, 40 = SozR 4-2500 § 302 Nr 1, RdNr 44; entsprechend generell für das öffentliche Recht, BVerwGE 132, 324 RdNr 11 f). Die Entscheidung, ob das neue Regelungssystem der bürgerlich-rechtlichen Verjährung auf spezialgesetzlich geregelte Materien übertragen werden kann und welche Sonderregelungen ggf getroffen werden müssten, sollte weiteren Gesetzgebungsvorhaben vorbehalten bleiben (vgl Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks 14/6857 S 42 zu Nr 1). Bei Erlass des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004 (BGBl I 3214) entschied sich der Gesetzgeber bewusst gegen eine entsprechende Anpassung des öffentlichen Rechts. Denn im öffentlichen Recht gelten grundsätzlich eigenständige Verjährungsregelungen. Nach der Gesetzesbegründung kann auf die zivilrechtlichen Verjährungsbestimmungen nur hilfsweise entsprechend zurückgegriffen werden (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks 15/3653 S 10).
Der Anspruch der Bundesländer auf Zahlung der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung ist im gebotenen Sinne sozialrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat die Rechtsgrundlage (§ 46 Abs 5 und 8 SGB II) dem SGB II zugeordnet. Der Bund beteiligt sich aufgrund dieser Regelung - wie dargelegt - an der Finanzierung der genannten Sozialleistungen.
bb) Die Verjährungsfrist war zum Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl § 204 Abs 1 Nr 1 BGB) am 15.1.2016 bereits abgelaufen. Die allgemeine sozialrechtliche Verjährungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist (entsprechend § 45 Abs 1 SGB I, vgl zB BSGE 69, 158, 163 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; BSG SozR 4-7610 § 204 Nr 2 RdNr 12; BSGE 117, 82 = SozR 4-2500 § 109 Nr 40, RdNr 33). Auch insoweit kommt aus den dargelegten Gründen ein Rückgriff auf die Vorschriften des durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl I 3138) novellierten bürgerlich-rechtlichen Verjährungsrechts nicht in Betracht.
Der Anspruch auf Bundesbeteiligung an den KdU entsteht mit Aufwendung der Kosten. Der Abruf der Erstattungen ist zur Monatsmitte und zum Monatsende zulässig (§ 46 Abs 8 S 2 SGB II). Die Verjährungsfrist für Ansprüche der Klägerin auf Bundesbeteiligung an den Aufwendungen in der Zeit vom 1.1.2005 bis 31.12.2009 endete dementsprechend grundsätzlich spätestens mit Ablauf des 31.12.2013. Anderes ergibt sich auch nicht nach den Grundsätzen der Hemmung, der Ablaufhemmung oder des Neubeginns der Verjährung. Hierfür gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß (vgl BSG SozR 4-7610 § 204 Nr 2 RdNr 13 zur entsprechenden Anwendung von § 45 Abs 2 SGB I idF durch Art 5 Nr 3 Buchst a Gesetz zur Einführung einer kapitalgedeckten Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung und zur Änderung anderer Gesetze vom 21.6.2002, BGBl I 2167).
Für einen Neubeginn der Verjährung (vgl § 212 BGB) liegt nichts vor. Die Voraussetzungen keiner der sinngemäß geltenden Regelungen für die Hemmung sind erfüllt, ihre analoge Anwendung ist ausgeschlossen. Insbesondere hemmte das Schreiben der Klägerin an das Jobcenter Bremen (4.12.2013) den Ablauf der Verjährung nicht. Es löste zwischen Gläubiger und Schuldner, also Klägerin und Beklagter keine Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände aus, die die Verjährung hemmten (vgl § 203 S 1 BGB). Verhandlungen schweben zwar schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen Partei die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des von ihr - der anderen Partei - geltend gemachten Anspruches oder dessen Umfang ein (BSG SozR 4-7610 § 204 Nr 2 RdNr 16 mwN). Die Beklagte gab aber der Klägerin bis zum Ablauf des Jahres 2013 keinen Anlass dafür, anzunehmen, sie lasse sich verjährungshemmend auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang ein.
Es liegt auch keine Hemmung der Verjährung nach Maßgabe einer der Fälle des § 204 BGB vor. Keiner der Hemmungstatbestände der Vorschrift ist auf das vorgerichtliche Schreiben vom 4.12.2013 übertragbar. Handlungen, welche das Vorliegen eines Anspruchs nur prüfen und damit seine (mögliche) Geltendmachung vorbereiten, hemmen den Ablauf der Verjährungsfrist nicht (vgl BSG SozR 4-7610 § 204 Nr 2 RdNr 14; BGH Urteil vom 25.9.2015 - V ZR 246/14 - Juris RdNr 30; BGH Urteil vom 24.5.2012 - IX ZR 168/11 - Juris RdNr 16). Gleiches muss erst Recht für die (bloße) Ankündigung einer Prüfung gelten. Die Klägerin machte lediglich vorsorglich Ansprüche geltend, deren Vorliegen sie noch nicht geprüft hatte, sondern erst überprüfen wollte. Auch eine analoge Anwendung des § 204 BGB kommt nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht ersichtlich (vgl zB BSG SozR 4-7610 § 204 Nr 2 RdNr 22).
c) Die Beklagte beruft sich nicht treuwidrig auf Verjährung. Ihre Erhebung der Verjährungseinrede ist weder rechtsmissbräuchlich (dazu aa) noch widerspricht sie im Übrigen dem Grundsatz der Bundestreue (dazu bb).
aa) Die Geltendmachung der Verjährungseinrede findet generell ihre Grenze im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und hierbei im Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-7610 § 204 Nr 2 RdNr 11). Die Beklagte wäre nach Treu und Glauben gehindert, sich auf Verjährung zu berufen, wenn sie die Klägerin durch Irreführung von einer rechtzeitigen verjährungshemmenden oder - unterbrechenden Geltendmachung ihrer Ansprüche abgehalten hätte (vgl entsprechend zum Abhalten von Obliegenheiten zB BSGE 99, 180 = SozR 4-2500 § 13 Nr 15, RdNr 27 f; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 19; E. Hauck in H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, Stand Januar 2016, § 13 SGB V RdNr 254). Die in diese Richtung zielende Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe einen zum Minderabruf der Bundesbeteiligung führenden Softwarefehler erkannt, aber die Klägerin nicht hierüber informiert, findet in den Akten keine Stütze. Die Beklagte legte vielmehr auch gegenüber der Klägerin die Probleme mit dem IT-Verfahren A2LL und ihre Bemühungen offen, aktiv von sich aus eingetretene Fehler zu beseitigen (Schreiben vom 23.3.2010). Sie gab der Klägerin damit zugleich Gelegenheit zu einer umfassenden Prüfung, die jene aber nicht nutzte. Die Klägerin kann sich insoweit nicht mit Erfolg auf Rechtsmissbrauch berufen, da sie es versäumte, zeitnah ihren eigenen Prüfobliegenheiten nachzukommen. Ausdrücklich sieht das Gesetz zwar erst ab 1.4.2011 vor, dass die Länder die Prüfung zu gewährleisten haben, dass die Ausgaben der kommunalen Träger begründet und belegt sind und den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen (vgl § 46 Abs 8 S 5 SGB II idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Die Prüfobliegenheit traf die Klägerin nach allgemeinen Grundsätzen aber auch schon zuvor.
bb) Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten ist eine Ausprägung des Bundesstaatsprinzips (Art 20 Abs 1 GG; vgl zB BVerfGE 12, 205, 255; 13, 54, 75; 81, 310, 337 mwN). Die Pflicht verlangt, dass sowohl der Bund als auch die Länder bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und auf die Belange der Länder nehmen (stRspr, vgl zB BVerfGE 32, 199, 218; 43, 291, 348; 81, 310, 337; 104, 249, 269 f; 139, 321 RdNr 101 mwN). Der Bund oder ein Land verstoßen gegen diese Pflicht allerdings nicht schon dadurch, dass sie von einer ihnen durch das Grundgesetz eingeräumten Kompetenz oder gesetzlich eingeräumten Rechten Gebrauch machen; vielmehr muss deren Inanspruchnahme missbräuchlich sein oder gegen prozedurale Anforderungen verstoßen, die aus diesem Grundsatz herzuleiten sind (vgl BVerfGE 106, 1, 27). Grundsätzlich dürfen sich der Bund und die Länder dementsprechend nach dem für sie geltenden Grundsatz der sparsamen Haushaltsführung (§ 7 Abs 1 Bundeshaushaltsordnung) auf Verjährung berufen.
Es bedarf keiner Vertiefung, inwieweit hiernach eine willkürliche Benachteiligung eines Bundeslandes gegenüber anderen Bundesländern bei Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten verletzt. In diesem Sinne sieht sich die Klägerin gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg benachteiligt. Die Beklagte berief sich indes nach dem Akteninhalt auch gegenüber der Freien und Hansestadt Hamburg auf Verjährung.
3. Die Klägerin hat gegen die Beklagte auch keinen Haftungsanspruch wegen grober Pflichtverletzung (vgl Art 104a Abs 5 S 1 Halbs 2 GG). Nach dem Wortlaut dieser Norm haften Bund und Länder im Verhältnis zueinander für eine ordnungsmäßige Verwaltung. Ungeachtet der Fragen, inwieweit solche Haftungsansprüche zugleich mit dem speziell ausgestalteten Anspruch auf Bundesbeteiligung (§ 46 Abs 5 ff SGB II) bestehen können (zum grundsätzlichen Anwendungsbereich der Haftungsregelung für das Auseinanderfallen von Verwaltungs- und Finanzierungszuständigkeit vgl BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 26 ff mwN) und welche Verjährungsregeln hierfür gelten, sind auch bei unterstellter Anwendbarkeit jedenfalls dessen Voraussetzungen nicht erfüllt. Außerhalb der Fälle der gemeinschaftsrechtlichen Anlastung, in denen nur ein "einfaches", objektiv rechtswidriges Verhalten erforderlich ist (vgl BVerfGE 116, 271, 318 mwN), bedarf es bei Anwendung rein nationalen Rechts darüber hinaus zumindest einer schwerwiegenden grob fahrlässig oder vorsätzlich begangenen Pflichtverletzung der in Anspruch genommenen Gebietskörperschaft (vgl BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 25 mwN; BSG SozR 4-4200 § 6b Nr 2 RdNr 44 mwN; BVerwGE 96, 45, 57 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 11; BVerwG Buchholz 11 Art 104a GG Nr 13 und 14; BVerwGE 128, 99 RdNr 21 = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 20; "vorsätzliche Pflichtverletzungen" für notwendig erachtend: BVerwGE 104, 29, 32 ff = Buchholz 11 Art 104a GG Nr 16). Daran fehlt es. Wie dargelegt hielt die Beklagte die Klägerin nicht treuwidrig von der Realisierung von Ansprüchen ab.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und Abs 3 S 1 sowie § 47 Abs 1 S 1 GKG.
Fundstellen
NZS 2016, 711 |
SGb 2016, 396 |
ZfF 2016, 207 |
info-also 2016, 234 |